Wiederaufnahme versus Verjährung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Gabriele Krafft in der Beschwerdesache Bf., Anschrift, vertreten durch steuerl.Vertr., Adresse****, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt Wien 1/23 vom , betreffend Wiederaufnahme § 303 BAO hinsichtlich Körperschaftsteuer 2007 und Haftungsbescheid Kapitalertragsteuer 2007 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden – ersatzlos – aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Die Bf. wurde auftrages der belangten Behörde (FA) durch die Großbetriebsprüfung (GBP) unter anderem für 2007 einer Betriebsprüfung (Bp) unterzogen.
Mit Bescheid vom wurde ua. das Verfahren betreffend Körperschaftsteuer 2007 (K 2007) wieder aufgenommen und ein Haftungsbescheid für Kapitalertragsteuer 2007 (KESt 2007) erlassen. Diese Bescheide wurden mit fristgerecht eingebrachter Beschwerde vom mit der Begründung der Rechtswidrigkeit wegen eingetretener Verjährung betreffend das Kalenderjahr 2007 bekämpft.
Mit Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom wies das FA die Beschwerde ab und begründete im Wesentlichen damit, dass an der Zustelladresse zwei Steuerberatungsgesellschaften über einen gemeinsamen Postkasten verfügen würden. Nur für die eine, nämlich die steuerliche Vertretung der Bf., sei ein Betriebsurlaub behauptet worden, nicht jedoch auch für die andere, nämlich die NN-GmbH. Somit sei eine allfällige Ortsabwesenheit sämtlicher Angestellter dieser beiden juristischen Personen nicht einmal behauptet worden. Bei Kanzleigemeinschaften sei die Berechtigung zur Übernahme von Eingangsstücken durch sämtliche Angestellten anzunehmen.
Gegen diese BVE erhob die Bf. fristgerecht am einen Vorlageantrag, die Beschwerde wurde am an das Bundesfinanzgericht (BFG) vorgelegt.
Aus dem Akteninhalt ist bezogen auf die streitgegenständliche verfahrensrechtliche Fragestellung unstrittig festzustellen, dass betreffend die Bp. für die Jahre 2006 bis 2015, am eine Schlussbesprechung stattfand worüber eine Niederschrift erstellt wurde. Eine zu diesem Zeitpunkt bereits eingereichte Stellungnahme der Bf. vom (ca. 150 Seiten) war dabei - offenbar aus Zeitmangel wegen der kurzfristigen Einbringung der Stellungnahme durch die Bf. - noch nicht berücksichtigt worden. Unstrittig aus dem Akteninhalt ableitbar ist weiters, dass die steuerliche Vertretung steuerl.Vertr. zum Zeitpunkt der Bescheiderstellung durch die Behörde am über eine Zustellvollmacht der Bf. verfügte, wiewohl die Bekanntgabe des Vollmachtswechsels und die Eintragung der Zustellbevollmächtigung der steuerl.Vertr. WT-Nr. via Finanzonline erst am um 17:26 erfolgt war.
Die streitgegenständlichen Bescheide nämlich Wiederaufnahmbescheid für K 2007 und Haftungsbescheid KESt 2007 wurden am approbiert, dass dabei die Ausführungen der Bf. zum vorgehaltenen Sachverhalt berücksichtigt wurden ist nicht ersichtlich!
Aus der von der Bf. vorgelegten Abwesenheitsmitteilung an die österreichische Post war die Kanzlei der steuerlichen Vertretung von bis urlaubsbedingt geschlossen, postalische Zustellungen wurden daher in dieser Zeit nicht vorgenommen.
Am , um 9 Uhr 50 erschienen laut Aktenvermerk des FA vom (!!) zwei Beamte der belangten Behörde an der Adresse Anschirft-Stb und hinterließen die verfahrensgegenständlichen Bescheide vom im gemeinsamen Postkasten der steuerl.Vertr. / NN-GmbH. Eine Zustellung mit Zustellnachweis erfolgte nicht. Eine Übernahmebestätigung der steuerliche Vertretung konnte nicht eingeholt werden. Dieser Umstand erklärt sich eindeutig daraus, dass die Kanzlei zu diesem Zeitpunkt urlaubsbedingt geschlossen war. Die Ausführungen des FA in der BVE zur nicht möglichen Einholung der Zustellbestätigung zeigen daher deutlich, dass die Abwesenheitsmitteilung gegenüber der österreichischen Post nicht eine bloße Schutzmaßnahme, sondern zutreffend wegen tatsächlicher Ortsabwesenheit erfolgt war. Dabei ist es ohne Bedeutung, dass die Beschwerde nicht auch ausdrücklich darauf hinweist, dass auch die andere Steuerberatungskanzlei an derselben Adresse geschlossen gewesen war.
Eindeutig und unstrittig war am Freitag den um 9:50 - also zu üblichen Bürozeiten an Werktagen - niemand an der Abgabestelle anwesend, weshalb die Bescheide in den Postkasten eingeworfen wurden. Allein dieser Umstand lässt darauf schließen, dass am keine Zustellung im Sinne einer Kenntnisnahme durch die Zustellbevollmächtigte der Bf. (durch Entnahme aus dem Postkasten) erfolgt sein kann. Dass an einem Freitag zwischen den Feiertagen Weihnachten/Jahreswechsel nach 9:50 Angestellte oder andere Kanzleiangehörige den Postkasten entleeren widerspricht - auch in Fällen in denen keine ausdrückliche Abwesenheitsmeldung gegenüber dem Postzusteller abgegeben wurde - jeglicher Lebenserfahrung. Der nächste Werktag war der . Am wurde der Postkasten - ungewöhnlicherweise in Anwesenheit eines Notars (!) - entleert und die hinterlassenen Bescheide aus dem Postkasten entnommen.
Nach § 303 Abs. 1 lit. a bzw. b Bundesabgabenordnung (BAO) kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Nach Eintritt der Verjährung ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 304 BAO idF BGBl. I Nr. 57/2004 nur zulässig, wenn der Wiederaufnahmsantrag vor Eintritt der Verjährung eingebracht wurde. Mangels Vorliegens eines Wiederaufnahmsantrages ist daher im gegenständlichen Fall eine amtswegige Wiederaufnahme nur bis zum Eintritt der Bemessungsverjährung für 2007 zulässig.
§ 207 BAO lautet auszugsweise:
(1) Das Recht, eine Abgabe festzusetzen, unterliegt nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung.
(2) Die Verjährungsfrist beträgt ….bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre. ….
(5) Abs. 2 zweiter Satz gilt sinngemäß für Abgaben, deren vorsätzliche Verkürzung nicht in den Anwendungsbereich des Finanzstrafgesetzes fällt.
Gemäß § 208 Abs. 1 lit. a BAO beginnt die Verjährung in den Fällen des § 207 Abs. 2 mit dem Ablauf des Jahres in dem der Abgabenanspruch entstanden ist.
Gemäß § 209 Abs. 3 BAO verjährt das Recht auf Festsetzung einer Abgabe spätestens zehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches (§ 4).
Die gegenständliche Beschwerde betrifft das Kalenderjahr 2007, für welches nach den genannten Bestimmungen die "absolute Bemessungsverjährung" mit Ablauf des Kalenderjahres 2017 eingetreten ist. Die Wiederaufnahme für K 2007 und die Erlassung eines Haftungsbescheides KESt 2007 waren daher nur bis Ablauf des zulässig.
Gemäß § 97 Abs. 1 lit. a BAO werden Erledigungen dadurch wirksam, dass sie demjenigen bekanntgegeben werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Die Bekanntgabe erfolgt bei schriftlichen Erledigungen durch Zustellung.
Die Wirksamkeit von Erledigungen (somit deren rechtliche Existenz) setzt grundsätzlich voraus, dass sie dem Adressaten bekannt gegeben werden. Ein Bescheid gehört erst mit seiner Erlassung dem Rechtsbestand an (). Vor Bekanntgabe entfaltet ein Bescheid keinerlei Rechtswirkungen. Die Erlassung eines Bescheides setzt sohin eine wirksame Zustellung voraus.
Gemäß § 98 Abs. 1 BAO idgF. sind Zustellungen soweit nicht anderes bestimmt, nach dem Zustellgesetz, BGBl. Nr 200/1982, ausgenommen Abschnitt III (Elektronische Zustellung), vorzunehmen.
Nach § 9 Abs 3. Zustellgesetz (ZustG) hat die Behörde, wenn ein Zustellbevollmächtigter bestellt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen.
Ist der Empfänger einer Zustellung eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person, so ist das Dokument gemäß § 13 Abs. 4 ZustG in deren Kanzlei zuzustellen und darf an jeden dort anwesenden Angestellten des Parteienvertreters zugestellt werden. Die Zustellung an Angestellte des Parteienvertreters ist unabhängig davon zulässig, ob sich der Parteienvertreter an der Abgabestelle (der Kanzlei) aufhält (zB ; , 96/02/0139, ZfVB 1998/1/177). Der Angestellte kann aber die Annahme der Sendung stets verweigern; § 20 ZustG ist diesfalls nicht anwendbar (Ritz, BAO, 6. Aufl. 2017, ZustG, Rz 16).
Wurde eine Zustellung ohne Zustellnachweis angeordnet, wird das Dokument gemäß § 26 Abs. 1 ZustG zugestellt, indem es in "die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (§ 17 Abs. 2)" eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird. Gemäß Abs. 2 leg. cit. gilt d ie Zustellung als am dritten Werktag nach der Übergabe an das Zustellorgan bewirkt. Im Zweifel hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung von Amts wegen festzustellen. Die Zustellung wird nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.
Die Vermutung, wonach Zustellungen am dritten Werktag nach der Übergabe an die Post (die Gemeinde, den behördlichen Zusteller) als bewirkt gelten, ist widerlegbar. Gegenteilige Behauptungen des Empfängers dürften reichen, es sei denn, die Behörde kann die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung beweisen; die Beweislast trifft somit die Behörde (Ritz, BAO, 6. Aufl. 2017, ZustG, § 26, Tz 3 mit zahlreichen Zitaten).
Die Zustellung gilt nicht am dritten Werktag, sondern erst am Tag nach der Rückkehr an die Abgabestelle als bewirkt, wenn der Empfänger (bzw der Vertreter iSd § 13 Abs 3 ZustG) im Zeitpunkt der Zustellung, etwa durch Einwurf in den Briefkasten, vorübergehend von der Abgabestelle (zB wegen Urlaubes) abwesend war. Dies gilt unabhängig davon, ob er früher Kenntnis vom Zustellvorgang erlangen konnte oder ob er das Schriftstück vor diesem Zeitpunkt erhalten hat oder ob er es überhaupt erhält (Ritz, BAO, 6. Aufl. 2017, ZustG, § 26, Tz 4) .
§ 20 ZustG lautet:
(1) Verweigert der Empfänger oder ein im gemeinsamen Haushalt mit dem Empfänger lebender Ersatzempfänger die Annahme ohne Vorliegen eines gesetzlichen Grundes, so ist das Dokument an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, nach § 17 ohne die dort vorgesehene schriftliche Verständigung zu hinterlegen.
(2) Zurückgelassene Dokumente gelten damit als zugestellt.
(3) Wird dem Zusteller der Zugang zur Abgabestelle verwehrt, verleugnet der Empfänger seine Anwesenheit, oder lässt er sich verleugnen, so gilt dies als Verweigerung der Annahme.
Aus dem oben festgestellten Sachverhalt ist zunächst ersichtlich, dass der Empfänger der Bescheide - die vertretungsbefugten Organe der steuerlichen Vertretung und die gesamte Kanzlei - zum Zeitpunkt des Einwurfes der Bescheide urlaubsbedingt abwesend bzw. geschlossen war und daher auch keine empfangsberechtigten Personen an der Abgabestelle anwesend waren. Eine Verweigerung der Annahme oder eine Verleugnung der Anwesenheit iSd § 20 ZustG liegt nicht vor, weshalb die Zurücklassung der Bescheide am keine wirksame Zustellung auslöste. Es handelte sich vielmehr um eine vorübergehende Abwesenheit von der Abgabestelle.
Da zwischen und keine empfangsberechtigten Personen an der Abgabestelle anwesend waren, wurde die Zustellung gemäß § 26 Abs. 2 BAO erst am mit der Rückkehr empfangsberechtigter Personen an die Abgabestelle wirksam. Der Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend K 2007 sowie der Haftungsbescheid KESt 2007 wurden sohin erst am - somit nach Eintritt der Bemessungsverjährung gemäß § 209 Abs. 3 BAO - erlassen.
Die fotografische Dokumentation des Einwurfes der Bescheide in den Postkasten der steuerlichen Vertretung durch die Behörde stellt wegen der festgestellten vorübergehenden Ortsabwesenheit aller empfangsberechtigten Personen an der Abgabestelle keinen Nachweis einer wirksam erfolgten Zustellung dar. Fotografien des Zustellvorganges (Einwurf in einen Postkasten) vermögen nicht die Wirkung eines Zustellnachweises iSd § 22 ZustG auszulösen.
Die Bescheide sind daher rechtswidrig und der Beschwerde in diesem Umfang stattzugeben.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine derartige Rechtsfrage liegt hier nicht vor, da die Frage wann die Zustellung erfolgte eine von der Revision ausgeschlossene Sachverhaltsfrage darstellt.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 304 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 207 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 208 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 209 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 97 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 26 Abs. 1 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.7105889.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at