Neuer Lohnzettel ist für sich allein kein Wiederaufnahmegrund
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/2101157/2019-RS1 | Ein zum Zeitpunkt des Ergehens des jeweiligen Erstbescheides noch nicht existenter (sondern erst später ausgefertigter) Lohnzettel ist kein neu hervorgekommenes Beweismittel im Sinne des § 303 BAO (nova reperta), sondern ein nachträglich entstandenes Beweismittel (nova producta), das für sich allein eine Wiederaufnahme nicht rechtfertigt. |
Folgerechtssätze | |
RV/2101157/2019-RS1 | wie RV/7101946/2019-RS1 Ein nach Erlassung des Bescheides, der das wiederaufzunehmende Verfahren abgeschlossen hat, neu geschaffener Lohnzettel ist als solcher nicht neu hervorgekommen iSd § 303 BAO und deshalb kein geeigneter Wiederaufnahmsgrund. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin in der Beschwerdesache
Beschwerdeführer, vertreten durch Steuerberater, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt Graz-Stadt vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens (Einkommensteuer) 2015 sowie Einkommensteuer 2015 und die Beschwerde vom gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt Graz-Stadt vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens (Einkommensteuer) 2016 sowie Einkommensteuer 2016
1. zu Recht erkannt:
Die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide betreffend Einkommensteuer 2015 und 2016 werden – ersatzlos – aufgehoben.
2. beschlossen:
Die Beschwerden betreffend Einkommensteuer 2015 und 2016 werden als gegenstandslos erklärt.
Gegen dieses Erkenntnis bzw. diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Der Beschwerdeführer, HerrA (im Folgenden Bf.) war in den Streitjahren 2015 und 2016 bei der GmbH als Arbeiter (Vollzeit) und am Samstag beim Taxiunternehmen Einzelunternehmerin als geringfügig beschäftigter Dienstnehmer tätig.
Im Zuge einer abgabenbehördlichen Überprüfung des Taxiunternehmens von Frau Einzelunternehmerin stellte das Finanzamt fest, dass im gesamten Prüfungszeitraum Zahlungen an die Mitarbeiter erfolgten, welche keine Berücksichtigung in den Lohnabrechnungen fanden. Da von Seiten der Arbeitgeberin keine Namen genannt bzw. keine genaue Zuordnung zu den einzelnen Fahrern getroffen wurden, teilte das Finanzamt die Zahlungen im Schätzungswege gemäß § 184 Abs 1 BAO auf die Dienstnehmer prozentuell nach der Beschäftigungsdauer sowie dem Umfang der Beschäftigung (Voll-,Teilzeit) auf.
Auf den Bf. entfiel dabei im Jahr 2015 ein errechneter prozentueller Anteil von gerundet 1,85%, ergibt Hinzurechnung iHv 5.931,82 Euro bzw. Gesamt-Bruttobezüge iHv 7.484,14 Euro. Im Jahr 2016 betrug der prozentuelle Anteil gerundet 1,19 %, ergibt Hinzurechnung iHv 2.490,85 Euro bzw. Gesamt-Bruttobezüge iHv 3.549,36 Euro.
Die Lohnzettel des Bf. für die Jahre 2015 und 2016 wurden entsprechend dieser Ergebnisse amtswegig korrigiert.
Das Finanzamt nahm die Verfahren betr. Einkommensteuer 2015 und 2016 wieder auf und veranlagte den Bf. mit den in den korrigierten Lohnzetteln ausgewiesenen Beträgen.
Die Wiederaufnahme selbst begründete das Finanzamt wie folgt:
2015: „Die Wiederaufnahme gemäß § 303 (1) BAO erfolgte aufgrund berichtigen Lohnzettel“
2016: „Das Verfahren war gemäß § 303 (1) BAO wiederaufzunehmen, weil dem Finanzamt auf Grund eines berichtigten oder neuen Lohnzettels oder einer (geänderten) Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe etc.) erst nachträglich Umstände bekannt wurden, die im betreffenden Veranlagungszeitraum bereits existent waren und aus denen sich eine geänderte Einkommensteuerfestsetzung ergibt. Zur näheren Begründung wird auf die Begründung des im wiederaufgenommenen Verfahren neu erlassenen Einkommensteuerbescheides verwiesen.“
Im mit der Wiederaufnahme verbundenen Einkommensteuerbescheid lautete die Begründung: „Die Berichtigung gemäß § 303 (1) BAO erfolgte, da ein berichtigter Lohnzettel übermittelt wurde“.
In den dagegen eingebrachten Beschwerden, die sich gegen die Wiederaufnahme und die Einkommensteuer richteten, bestritt der Bf. das Hervorkommen neuer Tatsachen, da es keine Ermittlungen betr. seiner Person gegeben habe. Neben seiner Vollzeitbeschäftigung sei es ihm nicht möglich gewesen, noch mehr Stunden im Taxi zu sitzen, als er es anhand seines Verdienstes getan habe.
Die Beschwerden wurden vom Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidungen als unbegründet abgewiesen.
Begründend wurde hinsichtlich der Wiederaufnahme angeführt: „Gegenständlich sind die in der Begründung der oa. Beschwerdevorentscheidungen näher angeführten Verhältnisse bzw. Tatsachen, nämlich dass Zahlungen neben der offiziellen Lohnverrechnung geleistet wurde und diese nicht in den übermittelten Lohnzettel enthalten waren, erst nach den abgeschlossenen Veranlagungsverfahren des Beschwerdeführers hervorgekommen. Das Verfahren war somit gemäß § 303 Abs 1 BAO von Amts wiederaufzunehmen, weil dem Finanzamt auf Grund des berichtigten Lohnzettels bzw. der durchgeführten GPLA-Prüfung bei dem ehemaligen Arbeitgeber des Beschwerdeführers diese Umstände erst nachträglich bekannt wurden, die im betreffenden Veranlagungszeitraum bereits existent waren und aus denen sich eine geänderte Einkommensteuerfestsetzung ergibt.“
Die Beschwerdevorentscheidungen betr. Einkommensteuer wurden damit begründet, dass das oben dargestellte Ergebnis der abgabenbehördlichen Überprüfung der Arbeitgeberin dargestellt wurde. In Bezug auf den Bf. wurde angeführt, dass er in einer Einvernahme angegeben hat, dass er samstags 12 Stunden gefahren ist, während seine Stundenaufzeichnungen 6 Stunden angeben.
Es sei daher zu schätzen. Die gewählte Schätzmethode (verhältnismäßige Aufteilung der festgestellten Schwarzzahlungen auf die Fahrer nach dem Ausmaß ihrer Beschäftigung) sei die geeignetste. Dem Bf. sei die Lohnsteuer gem. § 83 Abs 3 EStG vorzuschreiben, weil es zu einem Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gekommen sei.
In den Vorlageanträgen wiederholte der Bf. sein bisheriges Vorbringen und ergänzte, dass es bei seiner Aussage zu einem sprachlichen Missverständnis gekommen sei. Beigelegt wurde eine Bestätigung der Arbeitgeberin, derzufolge er nur im Ausmaß der gemeldeten Stunden für sie tätig wurde.
Rechtslage
§ 303. (1) BAO: Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn
a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
(…)
Das BFG hat erwogen
Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte (§ 303 Abs. 1 lit. b BAO ).
Als Wiederaufnahmegründe kommen demnach nur solche Tatsachen oder Beweismittel in Betracht, die im Zeitpunkt der Erlassung des jeweiligen Erstbescheides zwar unbekannt, aber bereits existent waren (nova reperta).
Auf nachträglich entstandene Tatsachen oder Beweismittel (nova producta) kann die Wiederaufnahme nicht gestützt werden.
Das Finanzamt hat die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2015 und 2016 jeweils ausschließlich darauf gestützt, dass ein neuer (bzw. berichtigter) Lohnzettel (neues Beweismittel) übermittelt wurde.
Auf die diesen Lohnzetteln zugrundeliegenden (neuen) Tatsachen verweisen die Bescheide betr. Wiederaufnahme bzw. die Sachbescheide ausdrücklich nicht. Es ist aus den Bescheiden nicht erkennbar, aufgrund welcher Tatsachen es zu einer Änderung der Bemessungsgrundlagen gekommen ist.
In der gesonderten Begründung der Beschwerdevorentscheidungen wurden erstmals ausdrücklich neue Tatsachen angesprochen (neben der offiziellen Lohnverrechnung seien Zahlungen geleistet worden, die nicht in den bis dahin übermittelten Lohnzettel enthalten waren).
Die Berufungsbehörde hat, sofern die Bescheidausführungen des wiederaufnehmenden Finanzamtes mangelhaft sind, ausgehend von dem genannten Wiederaufnahmegrund, diesen zu prüfen und zu würdigen und gegebenenfalls erforderliche Ergänzungen vorzunehmen (vgl. , ).
Solche Ergänzungen sind kein unzulässiges Auswechseln von Wiederaufnahmegründen ( unter Verweis auf , mwN).
Dementsprechend stellt beispielsweise eine erst im Berufungsverfahren erfolgte Ergänzung der offensichtlich mangelhaften Begründung der auf Grund der Betriebsprüfung ergangenen Wiederaufnahmebescheide in Richtung der tatsächlich vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmegrundlagen kein unzulässiges Auswechseln der Wiederaufnahmegründe dar (, ).
Ergänzungen können aber nur ausgehend von dem im Wiederaufnahmebescheid genannten Wiederaufnahmegrund getroffen werden.
Anders als beim Verweis auf das Ergebnis einer abgabenbehördlichen Prüfung hat das Finanzamt im Beschwerdefall nur auf das neue Beweismittel eines neuen Lohnzettels und ausdrücklich nicht auf die neue Tatsache des Ergebnisses der Prüfung der lohnabhängigen Abgaben bzw. der abgabenbehördlichen Prüfung der Dienstgeberin verwiesen.
Der genannte und ergänzungsfähige Wiederaufnahmegrund ist damit die Existenz eines neuen Lohnzettels und nicht die „Tatsache“ der Schwarzzahlungen.
Die in der gesonderten Begründung zu den Wiederaufnahmebescheiden angeführten Gründe stellen insoweit einen unzulässigen Austausch des Wiederaufnahmegrundes dar und sind daher nicht geeignet, die Wiederaufnahme zu rechtfertigen.
Ein zum Zeitpunkt des Ergehens des jeweiligen Erstbescheides noch nicht existenter (sondern erst später ausgefertigter) Lohnzettel ist kein neu hervorgekommenes Beweismittel im Sinne des § 303 BAO (nova reperta), sondern ein nachträglich entstandenes Beweismittel (nova producta), das für sich allein eine Wiederaufnahme nicht rechtfertigt (vgl. , , ; , u.v.m.) .
Nicht die Übermittlung neuer Lohnzettel als solche, sondern gegebenenfalls erst eine diesen Lohnzetteln zugrundeliegende Tatsache könnte eine Wiederaufnahme der Verfahren rechtfertigen.
Aufgabe des Bundesfinanzgerichts bei Entscheidungen über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch ein Finanzamt ist es nach Ansicht des VwGH (Erkenntnis vom , Ra 2014/15/0058) zu prüfen, ob dieses Verfahren aus den vom Finanzamt gebrauchten Gründen wieder aufgenommen werden durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre.
Die Wiederaufnahmebescheide enthalten im Beschwerdefall aufgrund des alleinigen Verweises auf die berichtigten Lohnzettel (auch in Zusammenschau mit den Sachbescheiden) keine hinreichenden Wiederaufnahmegründe.
Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss das Bundesfinanzgericht den vor ihm bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben (vgl. zB oder ).
Die Wiederaufnahmebescheide sind daher ersatzlos aufzuheben.
Durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat (§ 307 Abs. 3 BAO).
Nach Aufhebung der Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren gehören die angefochtenen Sachbescheide betreffend Einkommensteuer 2015 und 2016 nicht mehr dem Rechtsbestand an.
Die Beschwerde gegen die Sachbescheide ist daher als gegenstandslos zu erklären (§ 261 Abs. 2 BAO).
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Zu den Anforderungen an die Darlegung von Wiederaufnahmegründen liegt umfangreiche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor. Die Rechtsfolgen der Aufhebung eines Wiederaufnahmebescheides ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz.
Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellten sich im Beschwerdefall nicht. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht zulässig.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2019:RV.2101157.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at