Beschwerdevorentscheidung ohne Vorliegen einer Beschwerde
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache Bfin, Adr, Marokko, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 BAO in einer Angelegenheit der Familienbeihilfe,
1. zu Recht erkannt:
Die Beschwerdevorentscheidung vom betreffend Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird aufgehoben.
2. den Beschluss gefasst:
Der als Beschwerde bezeichnete Vorlageantrag wird als unzulässig geworden zurückgewiesen.
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) ist unzulässig.
Entscheidungsgründe
Mit Bescheid vom forderte das Finanzamt von der Beschwerdeführerin die im Zeitraum Mai 2013 bis Dezember 2014 für das Kind K., geboren am ***1***, ausbezahlte Familienbeihilfe einschließlich der gleichzeitig ausbezahlten Kinderabsetzbeträge in Höhe von insgesamt € 3.301,80 zurück.
Mit der am beim Finanzamt eingelangten Eingabe beantragte die Beschwerdeführerin die Wiederaufnahme des Verfahrens, weil sie die Rückforderung nicht verstehe.
Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag vom ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Beschwerdeführerin im Zeitraum Mai 2013 bis Dezember 2014 ihren Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich gehabt habe.
Die Beschwerdeführerin war zwischenzeitlich nach Marokko verzogen. Der Bescheid wurde an die weiterhin als Nebenwohnsitz gemeldete Adresse in Österreich versandt. Die Behebung des am beim Postamt ***3*** hinterlegten Dokuments erfolgte am von Frau ***2***.
Mit dem am beim Finanzamt eingelangten Schreiben vom an "die Leitung der Abteilung Familienbeihilfe" ersuchte die Beschwerdeführerin um nochmalige Prüfung des Falles.
Das Bundesfinanzamt hat erwogen:
§ 85 Abs. 1 und 2 Bundesabgabenordnung (BAO) lautet:
"§ 85. (1) Anbringen zur Geltendmachung von Rechten oder zur Erfüllung von Verpflichtungen (insbesondere Erklärungen, Anträge, Beantwortungen von Bedenkenvorhalten, Rechtsmittel) sind vorbehaltlich der Bestimmungen des Abs 3 schriftlich einzureichen (Eingaben).
(2) Mängel von Eingaben (Formgebrechen, inhaltliche Mängel, Fehlen einer Unterschrift) berechtigen die Abgabenbehörde nicht zur Zurückweisung; inhaltliche Mängel liegen nur dann vor, wenn in einer Eingabe gesetzlich geforderte inhaltliche Angaben fehlen. Sie hat dem Einschreiter die Behebung dieser Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, daß die Eingabe nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt; werden die Mängel rechtzeitig behoben, gilt die Eingabe als ursprünglich richtig eingebracht"
§ 243 BAO lautet:
"§ 243. Gegen Bescheide, die Abgabenbehörden erlassen, sind Beschwerden (Bescheidbeschwerden) an die Verwaltungsgerichte zulässig, soweit in Abgabenvorschriften nicht anderes bestimmt ist."
§ 260 Abs. 1 BAO lautet:
"§ 260. (1) Die Bescheidbeschwerde ist mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder mit Beschluss (§ 278) zurückzuweisen, wenn sie
a) nicht zulässig ist oder
b) nicht fristgerecht eingebracht wurde."
§ 264 BAO lautet auszugsweise:
"§ 264. (1) Gegen eine Beschwerdevorentscheidung kann innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe (§ 97) der Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht gestellt werden (Vorlageantrag). Der Vorlageantrag hat die Bezeichnung der Beschwerdevorentscheidung zu enthalten.
(2) …
…
(4) Für Vorlageanträge sind sinngemäß anzuwenden:
a) …
…
e) § 260 Abs. 1 (Unzulässigkeit, nicht fristgerechte Einbringung),
…
(5) Die Zurückweisung nicht zulässiger oder nicht fristgerecht eingebrachter Vorlageanträge obliegt dem Verwaltungsgericht."
§ 299 Abs. 1 BAO lautet:
"§ 299. (1) Die Abgabenbehörde kann auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Der Antrag hat zu enthalten:
a) die Bezeichnung des aufzuhebenden Bescheides;
b) die Gründe, auf die sich die behauptete Unrichtigkeit stützt."
§ 302 BAO lautet:
"§ 302. (1) Abänderungen, Zurücknahmen und Aufhebungen von Bescheiden sind, soweit nicht anderes bestimmt ist, bis zum Ablauf der Verjährungsfrist, Aufhebungen gemäß § 299 jedoch bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe (§ 97) des Bescheides zulässig."
1. Beschwerdevorentscheidung:
Die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung setzt das Vorliegen einer Beschwerde voraus.
Für die Beurteilung von Anbringen kommt es nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und die zufälligen verbalen Formen an, sondern auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes. Maßgebend für die Wirksamkeit einer Prozesserklärung ist das Erklärte, nicht das Gewollte. Allerdings ist das Erklärte der Auslegung zugänglich. Parteierklärungen im Verwaltungsverfahren sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, dh es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt. Stehen dem Steuerpflichtigen mehrere verfahrensrechtliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Bescheiden und zur Durchsetzung seines Rechtsstandpunkts zur Verfügung, ist davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige nicht eine Maßnahme wählt, die infolge Fristversäumnis schon von vornhinein zum Scheitern verurteilt ist, sondern einen Antrag stellen möchte, der einer inhaltlichen Erledigung zugänglich ist (vgl. Ritz, BAO6, § 85 Tz 1 mit Hinweisen zur Rechtsprechung).
Die vom Finanzamt als Beschwerde gegen die Abweisung des Wiederaufnahmeantrages gewertete Eingabe vom stellt weder seiner äußeren Form nach, noch nach ihrem Inhalt eine Bescheidbeschwerde dar. Vielmehr wollte die Beschwerdeführerin erkennbar erreichen, dass die Leitung der Abteilung Familienbeihilfe veranlasse, dass der Bescheid über die Rückforderung der Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbeträge nochmals auf seine Rechtsrichtigkeit überprüft werde.
Demnach käme - soweit im Hinblick auf die Übersiedlung nach Marokko überhaupt von einer rechtswirksamen Zustellung auszugehen ist - eine Überprüfung nach § 299 BAO in Frage. Die zum Eingabezeitpunkt noch offene Frist (§ 302 Abs. 1 BAO) hätte im Sinne der Rechtsprechung auch eine inhaltliche Erledigung der Angelegenheit ermöglicht.
Das Finanzamt hat somit eine Beschwerdevorentscheidung erlassen, obwohl keine Beschwerde vorlag. Dies bewirkt die Rechtswidrigkeit der Beschwerdevorentscheidung infolge Unzuständigkeit des Finanzamtes. Die Beschwerdevorentscheidung vom war daher ersatzlos aufzuheben.
2. Vorlageantrag:
Gemäß § 264 Abs. 4 in Verbindung mit § 260 Abs. 1 lit. a BAO sind Vorlageanträge zurückzuweisen, wenn sie nicht zulässig sind.
Gemäß § 264 Abs. 1 BAO setzt ein Vorlageantrag unabdingbar eine Beschwerdevorentscheidung voraus (vgl. Ritz, BAO6, § 264 Tz 6 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Da infolge der Aufhebung der Beschwerdevorentscheidung vom (Spruchpunkt 1) diese nicht mehr dem Rechtsbestand angehört, war der als Beschwerde bezeichnete Vorlageantrag vom als unzulässig geworden zurückzuweisen (§ 264 Abs. 4 lit. e iVm § 260 Abs. 1 BAO).
3. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Gegen ein Erkenntnis bzw. einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis oder der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die ordentliche Revision war als unzulässig zu erklären, weil die zu lösenden Rechtsfragen sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben bzw. durch die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, von der das Bundesfinanzgericht nicht abgewichen ist, ausreichend beantwortet worden sind.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 264 Abs. 4 lit. e BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 85 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.3100692.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
LAAAC-23010