zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 07.01.2020, RV/7103866/2019

Mittelpunkt der Lebensinteressen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. R. in der Beschwerdesache B., über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Baden Mödling vom , betreffend Familienbeihilfe ab Dezember 2018 für F., zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die Bf hat ab Dezember 2018 Anspruch auf Familienbeihilfe für Sohn F..

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang und Sachverhalt
Mit begehrte die Beschwerdeführerin (Bf) die Zuerkennung der Familienbeihilfe (FB, Kinderabsetzbetrag, KAB) für ihren Sohn F., geboren in Österreich am Datum (siehe dazu Beih 100). Beide sind rumänische Staatsbürger.
Die Bf, ihr Gatte, ebenfalls rumänischer Staatsbürger, als auch Sohn F. verfügen über eine Aufenthaltsbescheinigung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

Mit Ergänzungsauftrag vom forderte das Finanzamt die Bf auf, einen Nachweis über ihr Einkommen und jenes von ihrem Ehemann ab November 2018 sowie über die Absolvierung eines Deutschkurses vorzulegen (Schriftsatz vom ).

In Beantwortung des Vorhaltes legte die Bf folgendes vor:
-Gehaltsabrechnungen für die Monate November und Dezember 2018 sowie Jänner 2019 vor, aus denen ersichtlich ist, dass die Bf als Reinigungskraft geringfügig gearbeitet hat.
-Kursbesuchsbestätigung über die Teilnahme ihres Mannes an einem Deutschkurs für die Zeit bis voraussichtlich
-Gehaltsabrechnungen für Herrn B. für die Monate für die Monate November und Dezember 2018, aus denen ersichtlich ist, dass er als Reinigungskraft geringfügig gearbeitet hat.

Mit Bescheid wies die Behörde den Antrag auf Zuerkennung der FB mit der Begründung ab, dass in Anbetracht der Familien- und Einkommenssituation kein Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich gegeben wäre (Abweisungsbescheid vom ).

Dagegen erhob die Bf Beschwerde vom und führte dazu aus, dass sie seit in Baden/Österreich gemeldet und aufhältig wäre. Sie ginge einer regelmäßigen geringfügigen Beschäftigung nach, anfänglich aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse und dann auf Grund ihres Kindes. Sie hätte über gute Deutschkenntnisse verfügt, weil sie mehrere privat finanzierte Kurse besucht hätte. Ihr Ehemann wäre nach Abschluss seines Studiums (diplomierter Krankenpfleger) im September 2017 nach Österreich übersiedelt, wo er auf Grund seiner verpflichtenden Deutschkurse zunächst geringfügig beschäftigt gewesen wäre.
Er verfüge nun schon über gute verbale Deutschkenntnisse und würde sich nun um einen 40 Stunden Job bewerben. Sie würden kostenfrei im gemeinsamen Haushalt ihrer Schwiegereltern leben, die ihren ständigen Wohnsitz sein ca. 20 Jahren in Baden/Österreich hätten (Schriftsatz vom , Wohnung ca. 70 qm, Telefonat BFG mit Herrn B. vom ).

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab.

Am begehrte die Bf die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht (BFG, Vorlageantrag).
Sie lebe seit ständig in Österreich, hätte nun neben ihrer geringfügigen Beschäftigung noch eine weitere Anstellung. Ihr Mann hätte einen guten Job und ihr Kind wäre mit Stichtag im Kindergarten in Baden angemeldet. Zum Beweise ihrer Ausführungen legte die Bf die Kindergartenzuweisung für den ökumenischen Kindergarten vor.

Mit Schreiben vom brachte die Bf ergänzend vor, dass ihr Mann, um in Österreich leben und arbeiten zu können, die ÖSD A1 Prüfung gemacht hätte. Er hätte den Deutschkurs in der Zeit vom bis gemacht und bestanden.
Seit  wäre er vollzeitbeschäftigt bei der Firma LNP Raumausstattung in Wien.
Sie selber wäre seit zusätzlich noch geringfügig beschäftigt. Sie würden mit den Schwiegereltern gemeinsam in einem Haushalt leben.

Über Anfrage des BFG wurde eine Arbeitsbestätigung des Arbeitgebers des Ehemannes der Bf über das Ausmaß seiner Beschäftigung ab vorgelegt, wonach dieser für die Monate Mai, Juni, Juli und August 2019 mit je 30 Stunden/Monat war und ab September 2019 mit 39 Stunden/Monat beschäftigt ist (E-Mail, Arbeitgeber, vom ).

Mit Schriftsatz vom gab die Bf bekannt, dass sie ab eine eigene Wohnung gemietet hätten (Vermieter: R.P.), ihr Mann seit bei der Fa. LNP Raumausstattung E.G. mit 39 Wochenstunden beschäftigt (Bestätigung Fa. Buchdat vom ), sie selbst bei Mag. R.S. gemeldet und derzeit in Mutterschutz wäre und die Deutschkenntnisse des Ehemannes ein A2 Niveau erreicht hätten (Bestätigung des ÖIF), sodass der Lebensunterhalt gewährleistet wäre.

II. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf die Angaben der Bf, auf die dem Gericht vorgelegten Unterlagen des Finanzamtes bzw. der Bf sowie auf die Ergebnisse der vom Gericht durchgeführten Ermittlungen.

III. Rechtsausführungen
§ 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967:
Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.

§ 2 Abs. 8 FLAG 1967:
Personen haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

§ 5 Abs. 3 FLAG 1967:
Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

§ 10 Abs. 2 FLAG 1967:
Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

IV. Erwägungen
Gemäß § 2 Abs. 1 FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe für minder- bzw. volljährige Kinder solche Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet reicht allerdings für den Bezug von Familienbeihilfe noch nicht aus. § 2 Abs. 8 FLAG 1967 fordert darüber hinaus, dass die Personen, die den Anspruch auf Familienbeihilfe für minder- bzw. volljährige Kinder geltend machen, den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Nach der gesetzlichen Definition des § 2 Abs. 8 FLAG 1967 hat eine Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung betont, kann eine Person zwar mehrere Wohnsitze, jedoch nur einen Mittelpunkt der Lebensinteressen iSd § 2 Abs. 8 FLAG 1967 haben. Unter persönlichen Beziehungen sind dabei all jene zu verstehen, die jemanden aus in seiner Person liegenden Gründen, insbesondere auf Grund der Geburt, der Staatszugehörigkeit, des Familienstandes und der Betätigungen religiöser und kultureller Art, an ein bestimmtes Land binden (vgl. , , ). Hinsichtlich des Begriffes "Mittelpunkt der Lebensinteressen" treten nach Auffassung des Höchstgerichtes die der Lebensgestaltung dienenden wirtschaftlichen Beziehungen hinter die persönlichen Bindungen eindeutig zurück. Den wirtschaftlichen Beziehungen kommt nämlich in der Regel eine geringere Bedeutung als den persönlichen Beziehungen zu. Entscheidend ist das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (vgl. ). 
Bei verheirateten Personen, die einen gemeinsamen Haushalt führen, besteht die stärkste persönliche Beziehung in der Regel zu dem Ort, an dem sie mit ihrer Familie leben (vgl. , ).

Im vorliegenden Fall geht das BFG davon aus, dass im Beobachtungszeitraum Dezember 2018 bis Jänner 2020 der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Bf  in Österreich gelegen ist. Die Bf und ihr Ehemann sind mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet. Hier lebt die Bf gemeinsam mit ihrer Familie (vorerst bei den Eltern des Ehemannes, dann ab eine eigene Wohnung), hier geht die Bf (aufrechtes Dienstverhältnis, derzeit Mutterschutz) als auch ihr Ehegatte (aufrechtes Dienstverhältnis, 39 Wochen/Monat) einer beruflichen Tätigkeit nach, hier ist ihr Kind für den Kindergartenbesuch ab 05/2020 angemeldet, hier leben auch die Schwiegereltern der Bf. Die Bf hat einen österreichischen Mutter-Kind Pass, den sie vorlegte. Für das Ergebnis des laufenden Verfahrens nicht von Bedeutung ist der Umstand, dass im Beobachtungszeitraum die Familie der Bf bis November 2019 kostenbefreit im Haushalt der Schwiegereltern lebte (3-Zi Wohnung, ca.70 qm). Zeigt dies doch auch zusätzlich, dass sich die familiären Beziehungen der Bf überwiegend in Österreich abspielten.
Bei dieser Sachlage ist es nicht rechtswidrig, wenn den persönlichen Beziehungen der Bf zu Österreich das Übergewicht beigemessen wird.

Die Finanzbehörde beschränkt sich bei der Abweisung des Antrages der Bf auf Zuerkennung von FB darauf, dass die Bf und ihr Ehemann seit ihrer Einreise nach Österreich im Jahr 2015 bzw. 2017 nur geringfügig beschäftigt gewesen wären und damit durch Erwerbstätigkeit kein den Familienunterhalt gewährleistendes Einkommen erzielt hätten. Eine wirtschaftliche Verfestigung in Österreich wäre damit nicht gegeben gewesen.
Die dazu ins Treffen geführten Argumente der Bf in ihren Ausführungen in der Beschwerde und in den ergänzenden Schriftsätzen vom und  sind überzeugend und nachvollziehbar. Die vom BFG durchgeführten Ermittlungen bestätigen die Ausführungen der Bf bzw. machen diese glaubwürdig: Nach Abschluss seines Studiums zum diplomierten Krankenpfleger ist der Ehemann der Bf im September 2017 nach Österreich übersiedelt, wo er noch im selben Monat eine geringfügige Beschäftigung aufnahm. Dies deshalb um seine mangelnden Deutschkenntnisse durch Absolvierung von Deutschkursen zu verbessern. Den Deutschkurs (Level A2) hat er mit April 2019 bestanden. Seit war er mit 30 Stunden/Monat und ist ab September 2019 mit 39 Stunden/Monat beschäftigt (siehe dazu Bestätigungsschreiben der Buchdat Steuerberatungs GmbH vom ). Die Bf selbst geht seit ihrer Einreise nach Österreich und Geburt ihres ersten Kindes einer geringfügigen Beschäftigung nach. Finanziell unterstützt wurde die Familie der Bf vorerst dadurch, dass sie kostenbefreit im Haushalt der Schwiegereltern der Bf leben konnten, ab haben sie eine eigene Wohnung.
In Anbetracht der Gesamtumstände und nach Abwägung aller wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse gelangt das BFG zur Ansicht, dass der persönliche aber auch der wirtschaftliche Nahebezug der Bf und ihrer Familie derzeit zu Österreich in einer Weise gegeben ist, der eine Zuerkennung von FB (KAB) für F. ab Dezember 2018 möglich macht.

Der Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid vom betreffend Zuerkennung der Familienbeihilfe für Sohn F. ab Dezember 2018 wird daher stattgegeben.

V. Zulässigkeit einer Revision
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Fall ist die Revision nicht zulässig, da angesichts ausreichend vorhandener, im vorliegenden Erkenntnis zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Themenbereich "Wohnsitz" und "Mittelpunkt der Lebensinteressen" keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung zu klären ist. Dass eine Person Anspruch auf Familienbeihilfe hat, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet hat, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz.

Salzburg-Aigen, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Schlagworte
Wohnsitz und Mittelpunkt der Lebensinteressen
geringfügige Beschäftigung
Kindergarten
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7103866.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at