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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 19.12.2019, RV/2101307/2019

Vorliegen einer Berufsausbildung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. in der Beschwerdesache BF, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt ABC vom , StNr., betreffend Familienbeihilfe  (Rückforderung zu Unrecht bezogener Beträge an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum 07/2018 bis 10/2018) zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird – ersatzlos – aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt

Die Tochter der Beschwerdeführerin (BF) hat (zumindest bis , das Datum der Abmeldung ist nicht aktenkundig) das BORG Ort1 E. besucht, die 8.Klasse nicht erfolgreich abgeschlossen und war laut Jahreszeugnis vom berechtigt, die 8.Klasse zu wiederholen. Zur Reifeprüfung war sie aufgrund von drei "Nicht genügend" in Hauptfächern nicht zugelassen.
Daraufhin wechselte sie zum BG, BRG und Wirtschaftskundliches BRG für Berufstätige Ort1 G. (in der Folge: Abendgymnasium) mit Semesterbeginn (Semesterende ).
Die mögliche Wochenstundenzahl der gebuchten Module betrug im Semester 11 Stunden. Aufgrund des Studienfortschrittes (wohl unter Berücksichtigung der bereits besuchten Schuljahre) konnte sie keine weiteren Module in diesem Semester buchen.
Sie schloss zu dem vorgesehenen Frühjahrstermin 2019 die Reifeprüfung mit gutem Erfolg ab. Das dem BFG vorgelegte Reifeprüfungszeugnis vom weist vier Prüfungsgebiete (mit den Noten 1, 2, 3 und 2) aus. Ebenso wird die Verfassung einer vorwissenschaftlichen Arbeit mit "Sehr gut" im Reifeprüfungszeugnis bescheinigt.
Weiters wird ein Jahreszeugnis des Abendgymnasiums vorgelegt, das zusätzlich zu den Fächern im BORG G. die Fächer Informatik (Note 3) und Musikerziehung (Note 3) enthält. 
Die vorgelegten Zeugnisse stützen das Vorbringen der BF, dass die Tochter im Frühjahr 2019 die gesamte Reifeprüfung absolvieren musste und nicht nur Teile davon. Zudem sind zwei zusätzlich absolvierte Unterrichtsfächer ausgewiesen.

Weiterer Verfahrensverlauf

Das Finanzamt forderte die Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum 7/2018 bis 10/2018 zurück, im Wesentlichen mit der Begründung, dass auf Grund der lediglich bestätigten 11 Wochenstunden keine Berufsausbildung vorläge.

In der Beschwerde führte die BF im Wesentlichen aus, dass die negativen Beurteilungen auf familiären Problemen beruhten, die zu Lernschwierigkeiten geführt hätten. Nach Ablehnung der Zulassung zur Reifeprüfung habe sich die Tochter entschlossen, den Abschluss innerhalb kürzester Zeit am Abendgymnasium nachzuholen. Dabei musste sie nur die Module besuchen, die sie im Mai 2018 negativ abgeschlossen hatte. Jene Module, die sie freiwillig besucht hatte, um für alle Maturafächer prüfungsfit zu sein, konnte die Schulleitung nicht bestätigen. Die Tochter habe sich ausschließlich und nicht nur überwiegend dieser Berufsausbildung gewidmet.

Mit Beschwerdevorentscheidung wurde die Beschwerde abgewiesen mit der Begründung:
"Gemäß § 2 Abs. 1 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn einer weiteren Berufsausbildung, wenn diese zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Abschluss der Schulausbildung begonnen wird.
Da ihre Tochter die Schulausbildung mit dem Jahreszeugnis vom vorerst beendet, jedoch nicht abgeschlossen hat, besteht für den nachfolgenden Zeitraum Juni - August 2018 kein Anspruch auf Familienbeihilfe.
Weiters besteht im Sinne des Familienausgleichsgesetzes 1967 nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn die Berufsausbildung überwiegend ausgeübt wird. Auf Grund der bestätigten 11 Wochenstunden für den Zeitraum - ist nicht von Überwiegenheit auszugehen und es besteht somit für den weiteren beeinspruchten Zeitraum September - Oktober 2018 kein Anspruch auf Familienbeihilfe."

Die BF brachte einen Vorlageantrag ein, in welchem im Wesentlichen die Begründung der Beschwerde wiederholt wurde.
Das Finanzamt beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Beweiswürdigung

Die Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage und dem Vorbringen der Parteien, insbesondere waren die erst im BFG-Verfahren eingereichten Zeugnisse zu würdigen.

Rechtslage / Erwägungen

§ 2 FLAG 1967 lautet:

§ 2. (1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
a) für minderjährige Kinder,
b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. .... ....

d) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn einer weiteren Berufsausbildung, wenn die weitere Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Abschluss der Schulausbildung begonnen wird, .... ....

Zu prüfen ist, ob die Tochter der BF im hier anhängigen Beschwerdezeitraum 07/2018 bis 10/2018 (und nur dieser Zeitraum ist beschwerdegegenständlich und kann durch das BFG entschieden werden) gemäß Satz 1 des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 für einen Beruf ausgebildet wurde.

Zunächst ist zu prüfen, ob die Tochter durch die Beendigung des BORG E. nach der 8.Klasse und den Wechsel zum Abendgymnasium im September darauf in der Zeit dazwischen überhaupt in Berufsausbildung stehen konnte oder ob nicht durch den Schulabbruch im BORG die Berufsausbildung als beendet anzusehen ist, wie das Finanzamt argumentiert, da es zu keinem Abschluss mit Matura (an dieser Schule) gekommen ist.
In Anbetracht der Besonderheiten im vorliegenden Sachverhalt geht das BFG jedoch davon aus, dass der im Anschluss an die nicht erfolgreich abgeschlossene 8.Klasse unmittelbar erfolgte Wechsel an das Abendgymnasium einem (sonstigen) Schulwechsel gleichzuhalten ist. Dies deshalb, weil die begonnene Schulausbildung in kürzester Zeit (im Feber danach) mit der vorgesehenen Reifeprüfung abgeschlossen wurde (mit gutem Erfolg) und durch die Anrechnung der in der "Regelschule" absolvierten Schuljahre es zu einer stark verkürzten Schuldauer von einem Semester kam (diese beträgt in der Regel acht Semester laut der vorliegenden Schulbestätigung).

Nach der Rechtsprechung des VwGH fallen unter den Begriff "Berufsausbildung" alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildung, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten in einem konkreten Arbeitsplatz für das künftige Berufsleben erforderliches Wissen vermittelt wird (vgl. , , ;  ua).

Um von einer Berufsausbildung sprechen zu können, ist außerhalb des im § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 besonders geregelten Besuchs einer Einrichtung im Sinn des § 3 Studienförderungsgesetz nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes das ernstliche, zielstrebige und nach außen erkennbare Bemühen um einen Ausbildungserfolg erforderlich. Ziel einer Berufsausbildung in diesem Sinn ist es, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Das Ablegen von Prüfungen, die in einer Ausbildungsvorschrift vorgesehen sind, ist essenzieller Bestandteil der Berufsausbildung. Berufsausbildung liegt daher nur dann vor, wenn die Absicht zur erfolgreichen Ablegung der vorgeschriebenen Prüfungen gegeben ist. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob die erfolgreiche Absicht tatsächlich gelingt (vgl. , ).

Ob ein Kind eine Berufsausbildung absolviert, ist eine Tatfrage, welche die Behörde in freier Beweiswürdigung zu beantworten hat (vgl. , ).

Unstrittig ist, dass die Vorbereitung auf die Reifeprüfung grundsätzlich Berufsausbildung ist, wenn sie (vgl. im Folgenden) ein bestimmtes Maß an zeitlicher Intensität (wie etwa im Rahmen des Besuchs der 8.Klasse einer höheren Schule) erreicht.

Nicht jede Art einer Berufsausbildung reicht aus, um Familienbeihilfe zu erhalten.

Jede Berufsausbildung iSd FLAG 1967 weist ein qualitatives und ein quantitatives Element auf: Entscheidend ist sowohl die Art der Ausbildung als auch der zeitliche Umfang (vgl. Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG § 2 Rz 36; uva).

Eine Berufsausbildung iSd FLAG 1967 liegt in zeitlicher Hinsicht nur vor, wenn ein wöchentlicher Zeitaufwand von etwa 30 Stunden für Kurse und Vorbereitung auf eine Prüfung entfällt  (vgl. Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG § 2 Rz 40; ; uva.).

Auch wenn eine ernstliche und zielstrebige Ausbildung vorliegt, reicht das beim Besuch von Schulen für Berufstätige wie einem Abendgymnasium, von Maturaschulen, einem Fernstudium oder anderen Ausbildungen mit einem geringeren Anwesenheitsbedarf als bei Schulen mit vergleichbarem Ausbildungszweck in der Normalform nach ständiger Rechtsprechung nicht aus, um von einer Berufsausbildung iSd FLAG 1967 sprechen zu können. Es muss auch die weit überwiegende Arbeitszeit des Schülers durch die Ausbildung in Anspruch genommen werden. Es ist davon bei einer Ausbildung an der Normalform einer Schule mit Tagesunterricht und Vorbereitungszeit zu Hause auszugehen, nicht aber in jedem Fall bei einer Ausbildung mit einem geringeren Anwesenheitsbedarf (vgl. ).

Für die Qualifikation als Berufsausbildung kommt es zwar nicht darauf an, ob die schulische oder kursmäßige Ausbildung berufsbegleitend organisiert ist, allerdings kommt der zeitlichen Gestaltung und Verteilung einer Ausbildung einschließlich der erforderlichen Vorbereitungs- und Lernzeit Indizwirkung für die zeitliche Inanspruchnahme zu (vgl. ).

Das Bundesfinanzgericht nimmt bei Schulen für Berufstätige einen erforderlichen wöchentlichen Zeitaufwand von durchschnittlich 20 bis 25 Stunden zuzüglich Hausaufgaben an (vgl. ), insgesamt von mindestens 30 Wochenstunden (vgl. ; "Echtstunden" zu 60 Minuten, ), um von einer Berufsausbildung iSd FLAG 1967 zu sprechen (vgl. ). Die Qualifizierung als Berufsausbildung kann auch bei einem Fernstudium gegeben sein, wenn ein Schulunterricht von bloß zehn Wochenstunden durch verstärkte "Hausausgaben" und Vorbereitungszeit sowie E-Learning kompensiert wird (vgl. ), entscheidend ist also nicht nur die tatsächliche Unterrichtszeit.

Im vorliegenden Fall liegt zwar nur eine bestätigte Unterrichtszeit von 11 Wochenstunden vor, die für sich allein nicht als ausreichend für das Vorliegen der quantitativen Erfordernisse einer Berufsausbildung zu werten wären.
Aus den Feststellungen ist aber ersichtlich, dass die Tochter die gesamte Matura in einem Semester nachholte, mit gutem Erfolg abschloss und zusätzliche Fächer laut Jahreszeugnis zu absolvieren hatte.
Ebenso hat sie eine mit "Sehr gut" bewertete vorwissenschaftliche Arbeit verfasst.
In freier Beweiswürdigung wird davon ausgegangen, dass die erfolgreiche Bewältigung eines dermaßen umfangreichen Aufgabengebietes in knapp fünf Monaten die weit überwiegende Arbeitszeit der Tochter gebunden haben muss. Auch in Anbetracht des Umstandes, dass sie die drei negativen Hauptgegenstände letztlich mit den Noten 2, 3 und 3 abschloss.
In Anbetracht der erzielten Erfolge erscheint es dem BFG auch glaubwürdig, dass die Tochter freiwillig mehr als die bescheinigten 11 Wochenstunden am Unterricht teilnahm, und eine Berufsausbildung in quantitativer Hinsicht bejaht werden kann. 

Damit kann aus einer Gesamtschau mit dem absolvierten Semester am Abendgymnasium  vom Vorliegen einer Berufsausbildung iSd FLAG 1967 ausgegangen werden und war spruchgemäß zu entscheiden.
 

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

In der Entscheidung wird der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Berufsausbildung gefolgt, ob tatsächlich eine Berufsausbildung betrieben wurde, ist eine Sachverhaltsfrage, die der Revision nicht zugänglich ist.

Graz, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at