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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.11.2019, RV/6100445/2019

Außergewöhnliche Belastung: Krankheitskosten aufgrund der Anwendung einer Außenseitermethode (Nano Knife Verfahren) nur bei medizinischer Notwendigkeit abzugsfähig

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin IBV in der Beschwerdesache Bf, abc, über die Beschwerde vom gegen den Einkommensteuerbescheid  2017 des Finanzamtes vom zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer (Bf) machte in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2017 Krankheitskosten in Höhe von 21.159,26 Euro als außergewöhnliche Belastungen geltend.

Mit Vorhalt vom ersuchte das Finanzamt um Vorlage der Belege und einer Kostenaufstellung zu den geltend gemachten Krankheitskosten. Zusätzlich fragte das Finanzamt den Bf, ob ihm die Krankenkasse oder eine private Versicherung ganz oder teilweise Kosten ersetzt habe, und ersuchte um Bekanntgabe dieser Ersätze. Der Bf wurde auch darauf hingewiesen, dass bei einem Krankenhaus- oder Kuraufenthalt 5,23 Euro pro Tag als Haushaltsersparnis abzuziehen seien und dies in der Kostenaufstellung anzuführen sei.

In Beantwortung dieses Vorhalts legte der Bf die angeforderten Unterlagen vor.

Im Einkommensteuerbescheid 2017 vom wurden sodann außergewöhnliche Belastungen für Krankheitskosten in - den Selbstbehalt nicht übersteigender - Höhe von 4.342,76 Euro angesetzt. Begründend wurde dazu Folgendes ausgeführt:

Durch Krankheit verursachte Aufwendungen würden aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Aufwendungen, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen würden, seien jedoch nur dann als zwangsläufig erwachsen anzusehen, wenn sie aus triftigen Gründen medizinisch geboten seien und eine Behandlung in einem öffentlichen Spital nicht durchgeführt werden könne. Da es sich um eine freiwillige Entscheidung handle, sich in dem H in A behandeln zu lassen, sei es nicht möglich gewesen, den Betrag von 16.816,50 Euro als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

Mit Schriftsatz vom brachte der Bf Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2017 ein und begründete diese wie folgt:

In seiner Situation sei die Entfernung des neu aufgetretenen Prostatakarzinoms mit dem IRE-Verfahren die schonendste und nachhaltigste Behandlungsvariante. Die Alternative wäre gewesen, das Karzinom mittels kleinem operativen Eingriff plus 20 bis 30 Bestrahlungen zu bekämpfen, mit all den möglichen negativen Nebenwirkungen, auf die ihn der Arzt im Krankenhaus auch hingewiesen habe. Sehr gerne hätte er sich, nicht nur aus Kostengründen, in einem öffentlichen Spital mit dem IRE Verfahren behandeln lassen. Leider werde diese Art von Behandlung, im Gegensatz zu anderen Ländern, in Österreich noch nicht angeboten. Der Bf kenne zwar die Kosten für die diversen herkömmlichen Behandlungsmethoden nicht, könne sich jedoch nicht vorstellen, dass diese im Vergleich zum IRE-Verfahren niedriger seien. Dies umso mehr, da beim IRE-Verfahren kein stationärer Spitalsaufenthalt erforderlich sei. Unter Berücksichtigung der Fakten (Diagnose, Alter, Nachhaltigkeit und Nebenwirkungen der verschiedenen Behandlungsvarianten etc.) habe er einen triftigen medizinischen Grund, den Tumor mit dem IRE-Verfahren zu entfernen. Der Bf sehe die geltend gemachten Aufwendungen als berechtigt und ersuche daher die Rechnung als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen.

Im Vorhalt vom hielt das Finanzamt zunächst fest, dass von den beantragten Kosten in Höhe von 16.816,50 Euro die private Krankenversicherung 495,50 Euro und die GKK keine Kosten übernommen habe. Nach Hinweis auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes führte es des Weiteren aus:

1. Vorzulegen wäre eine ärztliche Bestätigung über die triftigen medizinischen Gründe
2. auszuführen wäre, aus welchem Grund von der private Krankenversicherung nur ein Teilbetrag ersetzt worden sei.
3. bekannt zu geben, aus welchem Grund von der GKK die Behandlungskosten nicht (bzw. warum auch nicht teilweise) übernommen worden sei.

Nach Beantwortung dieses Vorhalts erließ das Finanzamt am eine abweisende Beschwerdevorentscheidung und führte begründend im Wesentlichen unter Hinweis auf die vorgelegten Bestätigungen des Facharztes für Urologie und Andrologie und der private Versicherung Folgendes aus:

Die Kosten, die über die Kosten einer Behandlung in einem Krankenhaus mit Kassenvertrag hinausgingen, seien im Regelfall nicht absetzbar. Nur bei eindeutiger medizinischer Indizierung, die eine Behandlung in einer Privatklinik notwendig mache, sei eine Absetzung in Ausnahmefällen möglich. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei die Zwangsläufigkeit bei Krankheitskosten, die die durch die gesetzliche Krankenversicherung gedeckten Kosten überstiegen, jedoch nur dann gegeben, wenn sie aus triftigen medizinischen Gründen erfolgten. Die triftigen medizinischen Gründe müssten vielmehr in feststehenden oder sich konkret abzeichnenden ernsthaften gesundheitlichen Nachteilen bestehen, welche ohne die mit höheren Kosten verbundene medizinische Betreuung eintreten würden. Wie der UFS festgehalten habe, sei eine nachträglich erstellte ärztliche Expertise nicht generell als ungeeignet anzusehen, die medizinische Notwendigkeit eines Aufwandes nachzuweisen. Voraussetzung sei, dass derartige Stellungnahmen nach der Art medizinischer Gutachten erstellt seien, dh einem Qualitätsmaßstab entsprächen, der sie einer Überprüfung auf die Schlüssigkeit zugänglich mache und auch standhalten lasse. Die vorgelegte Bestätigung entspreche in keinem Fall einem solchen medizinischen Gutachten – fraglich sei aber auch, ob eine nichtanerkannte Behandlungsmethode in ein medizinisches Gutachten übernommen werden könne.

Am brachte der Bf einen Vorlageantrag elektronisch ein und führte ergänzend Folgendes aus:

Er möchte noch einmal darauf hinweisen, dass diese Operation, um die es hier gehe, keine Schönheitsoperation, sondern eine für ihn unbedingt erforderliche Operation zur Bekämpfung seiner Krankheit gewesen sei. Unter Berücksichtigung von Fakten wie Gesundheitszustand, Alter, Nachhaltigkeit und Nebenwirkungen der Behandlungsvarianten etc. habe er sehr wohl einen triftigen medizinischen Grund, den Tumor mit dieser Methode behandeln zu lassen. Aus Erfahrung könne er sagen: fragen sie 5 Ärzte aus unterschiedlichen Sparten, erhalten sie 5 verschiedene Antworten wie der Tumor zu behandeln sei. Hinter jeder dieser Behandlungsmethoden stehe ein triftiger medizinischer Grund, warum die jeweilige Methode anzuwenden sei. Erst im Nachhinein zeige sich, ob es die Richtige gewesen sei.

Mit Bericht vom erfolgte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

Zur Wahrung des Parteiengehörs wurden dem Bf mit Vorhalt vom die bisherigen Ermittlungsergebnisse des Bundesfinanzgerichts zur Frage, ob die Nano Knife Methode medizinisch notwendig gewesen sei, mitgeteilt:

Die Ausführungen im Erkenntnis des , würden zwar die Aussagen des Bf bestätigen, wonach die Nano Knife Methode geringere Nebenwirkungen mit sich bringe als die Anwendung der Methoden der Schulmedizin, doch werde in diesem Erkenntnis auch betont, dass Langfriststudien und Vergleichsstudien zur Beurteilung des mittel- und langfristigen Behandlungserfolges derzeit fehlen würden.
Der Krebsinformationsdienst des deutschen Krebsforschungszentrums halte zur Nano Knife Methode ua. fest, dass die möglichen langfristigen Nebenwirkungen bisher nicht ausreichend erfasst seien. Über die Wirksamkeit der Nano Knife Methode bei der Behandlung von Prostatakrebs könnten bislang keine zuverlässigen Aussagen gemacht werden. Dazu würden die notwendigen Ergebnisse aus hochwertigen und groß angelegten Studien fehlen. (https://www.krebsinformationsdienst.de)
Laut dem Ludwig Boltzmann Institut könnten aufgrund fehlender vergleichender Studien keine Aussagen zur Wirksamkeit (Überleben und Lebensqualität) getroffen werden. (https://hta.lbg.ac.at)
Sogar das Kompetenzteam/Prostata/Andrologie hebe zwar die wesentlich geringeren Nebenwirkungen hervor, halte aber eine geringen Überlebensvorteil der herkömmlichen Behandlungsmethoden für nicht ausgeschlossen. (B )
Dr. C, Facharzt für Urologie und Andrologie, bestätige in dem vom Bf vorgelegten Schriftsatz vom ebenfalls, dass Langzeitdaten noch fehlen würden.
Es wurde weiters auf das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/5101956/2015, hingewiesen.
Abschließend  wurde dem Bf die Möglichkeit eingeräumt, mittlerweile vorliegende Langzeitstudien, ein ärztliches Sachverständigengutachten, seine Teilnahme an einer wissenschaftlichen Studie etc. vorzulegen und zwar zum Nachweis dafür, dass die Nano-Knife Methode - aus wissenschaftlicher Sicht - zumindest ebenso erfolgversprechend ist wie herkömmliche schulmedizinische Maßnahmen und dass insbesondere auch der mittel- und langfristigen Behandlungserfolg der Nano Knife Therapie wissenschaftlich erwiesen und dementsprechend auch in seinem Fall zu erwarten sei.

In Beantwortung dieses Vorhalts führte der Bf im Schriftsatz vom im Wesentlichen Folgendes aus:

Im Jahr 2017 sei sein PSA Wert wieder gestiegen. Er habe zwei Möglichkeiten gehabt. Die eine sei die der konventionellen Medizin gewesen, das Karzinom mittels operativen Eingriffes plus 20 bis 30 Bestrahlungen zu bekämpfen, mit all den möglichen negativen Nebenwirkungen, auf die ihn die Ärztin im Krankenhaus auch hingewiesen habe. Die zweite Möglichkeit sei gewesen, den Tumor mit der Nano Knife Methode zu entfernen, was ihm bei einem Nichtfunktionieren, im Gegensatz zur Bestrahlung, noch weitere Behandlungsmöglichkeiten offen gelassen habe.
Sehr gerne hätte er sich, nicht nur aus Kostengründen, in einem öffentlichen Spital mit dem IRE Verfahren behandeln lassen. Leider sei damals diese Art von Behandlung, im Gegensatz zu anderen Ländern, in Österreich in einem öffentlichen Krankenhaus noch nicht angeboten worden.
Er sei nicht der Meinung, dass diese Art der Behandlung als Außenseitermedizin zu beurteilen sei. Seines Wissens nach würden jetzt sogar im Landeskrankenhaus D Operationen an Schilddrüse mit diesem oder einem ähnlichen Verfahren durchgeführt werden. Dazu werde auch auf E  verwiesen, wobei Prof. F der behandelnde Arzt des Bf gewesen sei. Weiters erfolge noch ein Hinweis auf die sonst angebotenen Therapien (G ) Die Nebenwirkungen würden mehr oder weniger die Vorteile einer solchen Therapie ausgleichen.
Unter Berücksichtigung der Fakten (Diagnose, Alter, Nachhaltigkeit und Nebenwirkung der verschiedenen Behandlungsvarianten etc) habe der Bf einen triftigen medizinischen Grund gehabt, den Tumor mit dem Nano Knife Verfahren zu behandeln. Er sehe daher die geltend gemachten Aufwendungen als berechtigt an und ersuche daher die Rechnung für die Operation als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen.

DAZU WIRD ERWOGEN:

1 gesetzliche Grundlage (in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung)

Bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:

1. Sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2).
2. Sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
3. Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).
Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.

Die Belastung ist gemäß § 34 Abs. 2 EStG 1988 außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.

Die Belastung erwächst dem Steuerpflichtigen gemäß § 34 Abs. 3 EStG 1988 zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

Die Belastung beeinträchtigt nach § 34 Abs. 4 erster Satz EStG 1988 wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen vom Steuerpflichtigen von seinem Einkommen (§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 5) vor Abzug der außergewöhnlichen Belastungen zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt.

Nach § 167 Abs. 2 BAO hat die Abgabenbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

2 Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Würdigung

Strittig ist im gegenständlichen Fall, ob die sich aus der Rechnung vom ergebenden Kosten in Höhe von 16.816,50 Euro für eine Irreversible Elektroporation (IRE), auch Nano Knife Therapie genannt, als Krankheitskosten zu einer außergewöhnlichen Belastung führen.

Für die Anerkennung von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung ist erforderlich, dass eine Krankheit vorliegt, die Behandlung in direktem Zusammenhang mit dieser Krankheit steht und taugliche Maßnahme zu deren Linderung oder Heilung darstellt. (Vgl. Renner in SWK 1/2011, S 28)

Im gegenständlichen Fall liegt zweifellos eine Krankheit vor; der am 58 geborene Bf ist an einem Prostatakarzinom erkrankt. In direktem Zusammenhang mit dieser Krankheit unterzog er sich einer Behandlung nach der Nano Knife Methode. Die herkömmliche Behandlungsmethode hätte in einem kleinen operativen Eingriff mit 20 bis 30 Bestrahlungen bestanden.

Der Bf ließ am von Dr. I in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. F nach der Nano Knife Methode ein Prostatakarzinom entfernen.

Dr. I und Prof. Dr. F zählen zu dem im HO A angesiedelten Team für minimalinvasive Therapie von Prostatakarzinomen (IRE). Dieses Team bildet einen Teil des Kompetenzteams Prostata/Andrologie, dem auch Dr. C mit seiner Ordination für Urologie und Andrologie angehört.  Die Mitglieder des Kompetenzteams Prostata/Andrologie sind Wahlärzte für alle Kassen. (P)

In einem für die Vorlage an das Finanzamt gedachten Schriftsatz vom hielt Dr. C, Facharzt für Urologie und Andrologie, Folgendes fest:

Herr Q entzog (richtig: unterzog) sich im September 2017 einer neuerlichen Nanoknife-Behandlung der Prostata (syn. IRE/irreversible Elektroporisation).
Hierbei handelt es sich um eine relativ neue Behandlungsoption des Prostatakrebs. Die Wirksamkeit derselben ist inzwischen prinzipiell gut belegbar, Langzeitdaten stehen allerdings noch aus. Aus diesem Grund wird diese Behandlung noch nicht in den einschlägigen Leitlinien abgebildet, weswegen die Kosten auch nicht von der gesetzlichen Krankenkasse getragen werden und von den Patienten selbst zu übernehmen sind.
Es handelt sich klar um eine gangbare Krebstherapie und keineswegs um eine Lifestylemaßnahme. Ich bitte Sie dies in der Beurteilung von Herrn Qs Steuererklärung hinsichtlich der von ihm angegebenen besonderen Gesundheitsausgaben zu berücksichtigen
.“

Im Schriftsatz vom teilte die W Gebietskrankenkasse mit, dass es sich bei den in der Rechnung von Dr. I/Dr. F vom enthaltenen Leistungen um keine Kassenleistungen handelt. Für private Leistungen können keine Kosten erstattet werden.

Die private Österreichische Versicherungen AG teilte in einer Bestätigung für das Finanzamt vom mit, dass es sich bei der in Rechnung gestellten Behandlung vom um keine anerkannte Behandlungsmethode handelt, sodass auch keine vertragliche Vereinbarung zu einer Direktverrechnung mit der Klinik besteht. Die private hat entgegenkommend die tarifliche Vergütung gemäß den Einzelleistungen des gewählten Tarifes vorgenommen und an den Bf überwiesen.

Das KL hält zur Nano Knife Therapie der Prostata fest, dass diese seit kurzem an seinem Prostatazentrum durchgeführt wird. Da es sich bei diesem Verfahren um eine neue Methode zur Behandlung des Prostatakarzinoms handelt und international noch keine Langzeitdaten vorliegen, sieht das KL diese Methode als experimentelle Therapie. ( M )

Das OLG Braunschweig führt in einer Entscheidung vom , 11 U 160/18, aus, dass die Nano Knife Methode nach den zur Verfügung stehenden Ausführungen eines Sachverständigen keine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode darstellt. Vielmehr handelt es sich, so der Sachverständige, um ein rein experimentelles Therapieverfahren. 

Dem Erkenntnis des 10 Ob s55/19i, welches die Frage die Übernahme der Kosten für die Nano Knife Therapie durch die gesetzliche Krankenversicherung zum Gegenstand hatte, ist ebenfalls zu entnehmen, dass zur Nano Knife Methode gegenwärtig noch kein ausreichender Erfahrungssatz vorliegt, das Verfahren daher als experimentell einzustufen ist und dementsprechend als eine von der Wissenschaft (noch) nicht anerkannte Behandlungsmethode („Außenseitermethode“) anzusehen ist.

Aufgrund der dargestellten Ausführungen des Dr. C, der private Österreichische Versicherungen AG und des KL sowie der Darstellungen in der Entscheidung des OLG Braunschweig vom , 11 U 160/18, und im Erkenntnis des 10 Ob s55/19i, ist aus der Sicht des Bundesfinanzgerichts zweifellos davon auszugehen, dass die im gegenständlichen Fall zur Anwendung gekommene Nano Knife Therapie im Streitzeitraum und auch derzeit (noch) keine von der Wissenschaft anerkannte Behandlungsmethode darstellt/e.

Nicht jede auf ärztliches Anraten und aus medizinischen Gründen durchgeführte Gesundheitsmaßnahme führt zu einer außergewöhnlichen Belastung. Die Aufwendungen müssen vielmehr zwangsläufig erwachsen, womit es erforderlich ist, dass die Maßnahmen zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich notwendig sind. (vgl. , , ).

Auch Aufwendungen für Therapien im Rahmen der Außenseiter-, Komplementär-, Alternativ- bzw. Naturmedizin sind dementsprechend abzugsfähig, wenn deren medizinische Notwendigkeit erwiesen ist. Mit dem Begriff „Außenseitermedizin“ werden wissenschaftlich noch nicht allgemein gesicherte Behandlungsmethoden bezeichnet. Ein Vorrang schulmedizinischer Methoden wird nicht mehr vertreten. (Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG, § 34 Anm 78, Peyerl in Jakom, EStG 2019, § 34 Rz 90, Demal in SWK 3/2007, S 59, , RV/0427-G/06, , ).

Im Hinblick darauf, dass die Nano Knife Therapie keine von der Wissenschaft anerkannte Behandlungsmethode darstellt, ist von Außenseitermedizin zu sprechen. Zu prüfen ist somit, ob die Anwendung der Nano Knife Methode als Außenseitermethode im gegenständlichen Fall medizinisch notwendig war.

Zur Beantwortung der Frage der medizinischen Notwendigkeit bietet die Judikatur zum Sozialversicherungsrecht Anhaltspunkte. Der OGH sieht keineswegs nur Kosten von nach dem Arzneimittelgesetz zugelassenen Medikamenten oder von wissenschaftlich anerkannten Behandlungsmethoden als erforderlich, zweckmäßig bzw. medizinisch notwendig an. Dies könne vielmehr auch auf Kosten für Außenseitermethoden zutreffen. Allerdings erfordert der Nachweis der medizinischen Notwendigkeit bei Anwendung einer Außenseitermethode, dass hinsichtlich der betreffenden Maßnahme zumindest auf einen gewissen Heilungserfolg in breiten Kreisen der Bevölkerung, dh jedenfalls in einer für die Bildung eines Erfahrungssatzes ausreichenden Zahl von Fällen, verwiesen werden kann, dass also der Erfolg typischerweise erzielt wird und sich nicht nur auf eine bloß subjektive Besserung der Beschwerden beschränkt. Zumindest müssen die Maßnahmen im konkreten Fall tatsächlich mit Erfolg angewendet oder der Erfolg aufgrund der bisherigen Erfahrungen berechtigt erwartet worden sein. (Renner in SWK 1/2011, S 28, Demal in SWK 3/2007, S 59, , , , , , , RV/0427-G/06).

Im Erkenntnis vom , 10 Ob s55/19i, führt der OGH zusätzlich aus, dass dann, wenn schulmedizinische Behandlungsmethoden zu unerwünschten (erheblichen) Nebenwirkungen führen und durch alternative Heilmethoden der gleiche Behandlungserfolg (ohne solche Nebenwirkungen) erzielt werden kann, im Sinn einer „zweckmäßigen“ Krankenheilbehandlung (vgl. § 133 Abs. 2 ASVG) auch eine Kostenübernahme für alternative Heilmethoden durch den gesetzlichen Krankenversicherungsträger in Betracht kommen kann.

Der Bf betonte mehrfach, dass ihm bei Anwendung einer schulmedizinisch anerkannten Behandlungsmethode  - im Gegensatz zur Nano Knife Therapie - erhebliche unerwünschte Nebenwirkungen erwartet hätten.

Dr. F führte in dem vom Bf angeführten Expertengespräch vom 2017 auf der Experten-Netzwerkplattform "N" aus, dass er seit fast sechs Jahren mit der Nano Knife Methode arbeitet und zwischenzeitig über 450 Patienten mit Prostatakrebs erfolgreich behandelt habe. Die Erfolgsraten  - dh die Zerstörung des Karzinoms in der Prostata - seien mit Erfolgsraten der Prostatektomie vergleichbar. Der große Unterschied zwischen der Nano Knife Methode und der chirurgischen Entfernung liege in den Nebenwirkungen.

Zu den Nebenwirkungen bei den herkömmlichen Heilmethoden verwies der Bf auch auf das PatientenInfo-Service und die dort auf das in der roten Liste angeführte Arzneimittel S Filmtabletten.

Dem Erkenntnis des 10 Ob s55/19i, ist hinsichtlich der Nano Knife Therapie konkret zu entnehmen, dass schulmedizinische Behandlungen von Prostatakarzinomen unerwünschte Nebenfolgen wie Sexualstörungen, Störungen der Kontinenz und der Harnblasenfunktion sowie Beschwerden im Dick- und Mastdarmbereich mit sich bringen, und bei der Nano Knife Methode im Hinblick auf Kontinenz und Sexualstörungen signifikant weniger Nebenwirkungen auftreten, aber laut einer Kernaussage eines Sachverständigengutachtens "zur Nano- Knife-Methode gegenwärtig noch kein ausreichender Erfahrungssatz vorliege. Es sei nicht nur im Hinblick auf die Zahl der behandelten Personen eine sehr limitierte Datenlage gegeben, sondern es mangle auch an prospektiven Studien mit langfristiger Verlaufsbeobachtung sowie an Daten zum Vergleich zu etablierten Verfahren. Wenngleich der Sachverständige eingeräumt habe, dass das Nano-Knife-Verfahren als vielversprechend anzusehen sei, sei er dennoch bei seiner Einschätzung geblieben, aufgrund fehlender prospektiver Vergleichsstudien sei die onkologische Effektivität nicht gezeigt und das Verfahren gegenwärtig als experimentell einzustufen, weshalb er außerhalb klinischer Studien nicht zur Anwendung kommen sollte." Wie an andere Stelle dieses Erkenntnisse festgehalten wird, " sind bei der Erfolgsbeurteilung einer Krebsbehandlung der unmittelbare (ablationsbedingte) Behandlungserfolg und der intermediäre bis langfristige Behandlungserfolg zu unterscheiden. Die Ausführungen des Sachverständigen, dass der intermediäre bis langfristige Behandlungserfolg zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht beurteilt werden konnte, da die notwendige Zeitspanne noch nicht verstrichen war, um Langzeitbeobachtungsdaten festzustellen". 

Die Ausführungen im Erkenntnis des 10 Ob s55/19i, bestätigen also die Aussagen des Bf und des ihn behandelnden Arztes Dr. F, wonach die Nano Knife Methode jedenfalls kurzfristig betrachtet geringere Nebenwirkungen mit sich bringt als herkömmliche schulmedizinische Behandlungen. Dies wird auch von Seiten des Bundesfinanzgerichts nicht bestritten.

In diesem Erkenntnis des OGH wird aber auch betont, dass Langfriststudien und Vergleichsstudien zur Beurteilung des mittel- und langfristigen Behandlungserfolges der Nano Knife Methode derzeit fehlen.

Der Krebsinformationsdienst des deutschen Krebsforschungszentrums hält zur Nano Knife Methode ua. fest, dass die möglichen langfristigen Nebenwirkungen bisher nicht ausreichend erfasst sind. Über die Wirksamkeit der Nano Knife Methode bei der Behandlung von Prostatakrebs können bislang keine zuverlässigen Aussagen gemacht werden. Dazu fehlen die notwendigen Ergebnisse aus hochwertigen und groß angelegten Studien. (https://www.krebsinformationsdienst.de)

Laut dem Ludwig Boltzmann Institut können aufgrund fehlender vergleichender Studien keine Aussagen zur Wirksamkeit (Überleben und Lebensqualität) getroffen werden. (https://hta.lbg.ac.at)

Sogar das Kompetenzteam /Prostata/Andrologie, dem die den Bf behandelnden Ärzte Dr. I und Dr. F angehören, hebt zwar die wesentlich geringeren Nebenwirkungen hervor, kann aber eine geringen Überlebensvorteil der herkömmlichen Behandlungsmethoden nicht ausschließen. (B )

Das Kompetenzteam relativiert somit die Aussagen des Dr. F auf der Experten-Netzwerkplattform "N" insoweit, als ein mittel- und langfristiger Überlebensvorteil der herkömmlichen Behandlungsmethode nicht ausgeschlossen werden kann. 

Dr. C, Facharzt für Urologie und Andrologie und Mitglied des Kompetenzteams, bestätigt in dem vom Bf vorgelegten Schriftsatz vom ebenfalls, dass Langzeitdaten noch fehlen.

Die Anwendung der Nano Knife Methode bei der Behandlung eines Prostatakarzinoms kann daher - wie aus den zitierten Quellen abzuleiten ist und von Seiten des Bf nicht widerlegt werden konnte - nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaften nicht zumindest als ebenso erfolgversprechend wie herkömmliche schulmedizinischen Maßnahmen angesehen werden. Auf einen (mittel- und langfristigen) Heilungserfolg in breiten Kreisen der Bevölkerung kann mangels entsprechender Langzeitstudien derzeit nicht verwiesen werden. Das Verfahren ist derzeit noch nicht ausgereift. Der mittel- und langfristige Erfolg kann aufgrund der bisherigen Erfahrungen auch im gegenständlichen Fall für den im Zeitpunkt des Eingriffs erst 59 jährigen Bf nicht vorhergesagt werden. Die Nano Knife Therapie kann somit nicht als nachweislich notwendige Behandlung anerkannt werden. (Vgl. )

Im Hinblick auf den Hinweis des Bf, wonach die Nano-Knife-Behandlung im Universitätsklinikum D zur Anwendung komme, ist abschließend anzumerken, dass diese Aussage des Bf für die Behandlung von Leber-, Lungen-, Nieren- und Bauchspeicheldrüsenkrebs zutrifft. In der Universitätsklinik für Urologie und Andrologie des Universitätsklinikums D, unter der Leitung des Primararztes Dr. Z, eines laut "N" Urologie-Spezialisten  mit langjähriger Erfahrung, wird die Nano-Knife-Methode allerdings nicht angewendet. (Vgl. U, R, V)

Inwieweit der mittel- und langfristige Erfolg der Behandlung mit Hilfe der Nano Knife Methode bei anderen Krebsarten wie bei Leber-, Lungen-, Nieren- und Bauchspeicheldrüsenkrebs wissenschaftlich erwiesen ist, ist im Hinblick auf die zur Behandlung des Prostatakarzinoms vorhandenen medizinischen Aussagen für das gegenständliche Verfahren nicht entscheidungswesentlich.

Die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2017 ist somit als unbegründet abzuweisen.  

3 Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 4 B-VG).

Im gegenständlichen Fall ist eine Revision nicht zulässig, das das Bundesfinanzgericht der dargestellten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt und Tatfragen einer Revision nicht zugänglich sind. 

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Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Zitiert/besprochen in
Gillhofer in
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.6100445.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at