Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 25.11.2019, RV/7104909/2019

Erhöhte Familienbeihilfe; Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. über die Beschwerde der Bf, Wien, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Wollzeile 12/1/27, 1010 Wien, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom , betreffend Abweisung des Antragss auf Familienbeihilfe und erhöhter Familienbeihilfe ab November 2010, zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (Bf) brachte beim Finanzamt (FA) am  für ihre Tochter Tochter, geb. GebDat., einen Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ein.

Die Tochter wurde am beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle Wien untersucht und von Dr.in AB unter Berücksichtigung vorliegender Befunde ein Grad der Behinderung von 50% und die dauernde Erwerbsunfähigkeit ab dem ersten stationären Aufenthalt seit 09/2010 festgestellt.

Tochter wurde im Zuge des Antragsverfahrens am erneut untersucht und von Dr.in F. folgendes Gutachten erstellt:

"Anamnese:

Beschwerde auf Abweisung der Familienbeihilfe ab November 2010, festzuhalten wäre, dass die Antragstellerin bereits seit dem Jahr 2002 wegen depressiver Symptomatik und einer Polytoxikomanie in psychiatrischer Behandlung war und die nunmehr festgestellte Situation schon seit zumindest 14 Jahren besteht. Die entsprechende massive Beeinträchtigung besteht schon lange vor der Volljährigkeit

Derzeitige Beschwerden:

Ich bin schon seit dem 10. Lebensjahr Borderliner, war aber erst mit 16 Jahren beim Arzt, wo ich die Diagnose bekommen habe. Zuletzt war in Ybbs. Ich wohne alleine, bin aber die meiste Zeit bei meinem Eltern. Ich habe keinen Antrieb, meine Mutter muss alles für mich machen. Ich bin bei Dr O. in Therapie 1 mal im Monat. Für eine richtige Therapie habe ich kein Geld. Durch die Medikamente sehr vergesslich.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel: Thyrex, Esomeprazol, Praxiten 50mg, Codilol ret

Sozialanamnese:

Notstandshilfe, Mindestsicherung, Volkschule, Hauptschule, Handelschule ohne Abschluss, 2 Jahre als Verkäuferin bei Swarowksi gearbeitet, hat geheiratet, nach 2 Jahren wieder geschieden. Seither keiner beruflichen Tätigkeit mehr nachgegangen. Seit ca 5 Jahren AMS

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

AKH Wien, stationärer Aufenthalt vom bis :

Diagnose: Benzodiazepinabusus, vom 13.9. bis zwecks Benzodiazepinentzugstherapie auf der psychiatrischen Abteilung im KFJ, entgegen der Ratschläge der Ärzte wurde die Benzodiazepindosis wieder erhöht. Stationärer Aufenthalt zur Benzodiazipinentzugstherapie, Entlassung im gebesserten Zustand, in ambulante Betreuung entlassen

Ybbs, stationärer Aufenthalt vom 8.1. bis : Stationäre Erstaufnahme,

Borderlinebereich, aufgrund einer instabilen Stimmungslage und Benzodiazepinabhängigkeit, stationär zur Psychotherapie und Entzug, Selbstverletzungen durch Schneiden an den Unterarmen, früher auch im Gesicht bei Spannungszuständen bis vor 1 Jahr, Benzodiazepinabhängigkeit: anamnestisch Konsum wegen Angst und Unsicherheit im Kontakt mit anderen Menschen,

Diagnosen: Emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Benzodiazepinabhängigkeit

KFJ am bei Zustand nach Kollaps bei Benzodiazepinüberdosierung im Rahmen einer Benzodiazepinabhängigkeit, Alkoholabhängigkeit, Depression

Dr. B., FA für Psychiatrie und Neurologie vom :

Bereits im Frühjahr 2011 wurde der Pat. in stationärer Behandlung im Therapiezentrum Ybbs vorgeschlagen, damals wie heute allerdings von der Pat. keine Bereitschaft zur stationären Aufnahme,

Diagnose: Psychische Verhaltensstörung durch Sedativa und Hypnotika, Abhängigkeitssyndrom, emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Borderlinetyp, Angst und depressive Störung gemischt, mittelgradig depressive Episode

Dr. W., FA f. Psychiatrie, Befund vom :

Frau D. war von 2002 bis 2013 in unterschiedlicher Intensität wegen einer depressiven Symptomatik und einer Polytoxikomanie inklusive Morphine bei mir in Behandlung

Psychologischer Befund von 2009 von Dr. K., klinischer Psychologin:

Diagnosevorschlag:

F33.1, F60.8, F45.9, rezidivierende Depressionen, psychosomatische Beschwerden, Probleme im Umgang mit anderen Menschen, Drogenkonsum im Alter von 16 Jahren, hat sich ungünstig auf die Persönlichkeitsentwicklung ausgewirkt, Empfehlung: Fortsetzung der psychotherapeutischen Behandlung

Untersuchungsbefund:

[…]

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
GdB %
1
Benzodiazepin- und Opiatabhängigkeit, rezidivierende depressive Störung, emotional labile Persönlichkeit.
Unterer Rahmensatz, da Therapieerfordernis.
50

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Stellungnahme zu Vorgutachten:

Keine Änderung zum Vorgutachten.

In den vorlegten Befunde wird zwar laut Befund Dr W. im Zeitraum vom 2002-2013 eine Behandlung in unterschiedlicher Intensität dokumentiert. Jedoch ist nicht davon auszugehen, dass schon zum damaligen Zeitpunkt ein GdB vom 50% erreicht worden wäre. Ein GdB von 50% ist ab dem 1. stationären Aufenthalt 9/2010 anzunehmen.

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja

GdB liegt vor seit: 9/2010

Frau Tochter D. ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Eu ab 1. stationärem Aufenthalt 9/2010."

Das Finanzamt (FA) wies den Antrag unter Zugrundelegung der in den Gutachten getroffenen Feststellungen mit Bescheid vom unter Anführung der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen (§ 2 Abs 1 lit c Familienlastenausgleichsgesetz 1967) mit der Begründung ab, dass aus den Gutachten vom und vom ersichtlich sei, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit mit dem ersten stationären Aufenthalt (September 2010) festgestellt worden sei. Aus den vorgelegten Befunden gehe nicht hervor, dass bereits früher eine dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt worden sei. Auch aus dem zuletzt vorgelegten Befund von Dr. W. sei nicht ableitbar, was auf eine Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr schließen lassen würde.

Die Bf erhob dagegen Beschwerde (Schreiben vom ) und brachte vor, dass sich auf Grund des Sachverständigengutachtens Dr. GF vom ergebe, dass ihre Tochter wegen schwerer Depressionen bereits seit dem Jahr 2002 in psychiatrischer Behandlung gewesen sei und die nunmehr festgestellte Situation (50% Behinderung) bereits seit zumindest 14 Jahren bestehe und eine entsprechende passive Beeinträchtigung schon lange vor der Volljährigkeit gegeben gewesen sei. Das bedeute aber, dass die Erwerbsfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr vorgelegen sei. Sie stelle daher den Antrag, in Stattgebung ihrer Beschwerde den angefochtenen Bescheid aufzuheben und Familienbeihilfe ab November 2010 zuzuerkennen.

Tochter wurde auf Grund der eingebrachten Beschwerde neuerlich untersucht und am folgendes Gutachten von Dr.in RR erstellt:

"...

Anamnese:

Letztbegutachtung 09/2016 mit Zuerkennung eines Gdb 50 v.H. für Diagnose Benzodiazepin- und Opiatabhängigkeit, rezidivierend depressive Störung, emotional labile Persönlichkeit. GdB vorliegend seit 9/2010.

Es wird Beschwerde eingereicht. In einem Beschwerdeschreiben vom wird angeführt: "...Mit dem angefochtenen Bescheid wurde mein Antrag vom auf Familienbeihilfe ab November 2010 für meine Tochter Tochter T. abgewiesen und das damit begründet, dass eine Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr vorliegt.

Aufgrund des Sachverständigengutachtens Dr. GF vom ergibt sich, dass meine Tochter wegen schwerer Depressionen bereits seit dem Jahr 2002 in psychiatrischer Behandlung war und die nunmehr festgestellte Situation (50% Behinderung) bereits seit zumindest 14 Jahren besteht und eine entsprechende passive Beeinträchtigung schon lange vor der Volljährigkeit gegeben ist. Das bedeutet aber, dass die Erwerbsfähigkeit vordem 21. Lebensjahr vorgelegen hat..."

Derzeitige Beschwerden:

Die Antragstellerin gibt an, dass bei ihr mehrere psychiatrische Erkrankungen vorliegen würden und sie sich deshalb "nichts machen" könne. Frau D. hätte zwar eine eigene Wohnung, ihre Mutter wäre jedoch ständig bei ihr oder sie bei ihrer Mutter. Psychiatrische Probleme hätten schon seit dem 12. LJ bestanden; Frau D. wäre in der Schule "sehr zurückgezogen" gewesen; mit 16 Jahren hätte sie erstmals einen Psychiater aufgesucht. Dazumal hätte sie sich auch selbst verletzt, aktuell würden keine Selbstverletzungen mehr vorkommen, zuletzt ca. 2017 (am Bauch geritzt).

St.p mehrere stat. Aufenthalte: TZ Ybbs 05/2017, OWS 10/2017 bis 11/2017, Tagesklinik OWS 12/2017 bis 01/2018

Im Oktober 2018 wäre eine Ovaial-Zyste im KH Barmh. Brüder operiert worden, die OP wäre gut verlaufen.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel: Praxiten, Thyrex, Pantoloc, Seractil, Voltaren, Pantoloc, Truxal, Polamidon

psychiatrische Betreuung über Verein Dialog (Ersttermin wahrgenommen, weitere Behandlungen ab 03/2019 geplant)

Sozialanamnese:

geschieden, keine Kinder, bezieht Notstandshilfe, zuletzt vor ca. 6 Jahren für 1,5 Jahren bei Swarowski im Verkauf gearbeitet

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

OWS/Zentrum für Suchtkranke/TKL 01/2018: Diagnosen: Abhängigkeitssyndrom bei Gebrauch von Opoiden, Ersatzdrogenprogramm, Abhängigkeitssyndrom bei Gebrauch von Tabak, ständiger Substanzgebrauch, rez. depressive Störung, ggw. mittelgradige Episode

Dr. W./FA für Psychiatrie und Neurologie 10/2017:

Frau D. war von 2002 bis 2013 mit unterschiedlicher Intensität wegen einer depressiven Störung und einer Polytoxikomanie inkl. Morphine bei mir in Behandlung. Zuletzt verordnete Therapie:

Praxiten 50mg 2-0-0

OWS/Zentrum für Suchtkranke 11/2017: Diagnosen: Entzugssyndrom v. multiplen Substanzen/psychotrop. Substanzen ohne Komplikation, Entzugssyndrom bei Gebrauch von Opioiden ohne Komplikation, Abhängigkeitssyndrom bei Gebrauch von Opioiden,Ersatzdrogenprogramm, Schädlicher Gebrauch von Cannabinoiden, Abhängigkeitssyndrom bei Gebrauch von Sedativa od. Hypnotika, Ersatzdrogenprogramm, Schädlicher Gebrauch von Kokain, emotional instabile PES vom Borderline-Typ, Hypothyreose, Ovarialzyste rechts, Zahnkaries

KH Barmh. Brüder/Gynäkologie 06/2018:

Diagnose: persist. Cyst. ov. 94x64mm, empfehle operative Sanierung, OP am

Untersuchungsbefund:

[…]


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
GdB %
1
Polytoxikomanie, rez. depr. Störung, PES vom Borderline-Typ 
Unterer Rahmensatz, da mehrere stationäre Aufenthalte, Ersatzdrogenprogramm
50
2
Hypothyreose
Unterer Rahmensatz, da unter Substitution stabil
10

Gesamtgrad der Behinderung: 50 v.H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Leiden 2 erhöht den GdB nicht, da von untergeordneter Relevanz

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

St.p. Cyste Ovar, da keine funktionellen Defizite.

Stellungnahme zu Vorgutachten:

Neuaufnahme des Leiden 2, Gleichbleiben des Hauptleidens.

Lt. Bestätigung Dr. W. vom war Frau D. von 2002-2013 mit unterschiedlicher Intensität bei ihm in Behandlung. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass schon zum damaligen Zeitpunkt ein GdB vom 50% erreicht worden wäre. Ein GdB von 50% ist ab dem 1. stationären Aufenthalt 9/2010 anzunehmen (siehe Befunde VGA 09/2016).

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja

GdB liegt vor seit: 09/2010

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:

Frau Tochter D. ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA

Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 18. Lebensjahr eingetreten.

Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten.

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

EU ab 09/2010

Nachuntersuchung: in 3 Jahren

Anmerkung hins. Nachuntersuchung: NU in 3 Jahren, da Besserung möglich.

Das FA wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom mit folgender Begründung ab:

Gemäß § 2 Abs 1 lit c Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung bestehe Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Wie schon im Gutachten vom ausgeführt, sei auch im Gutachten vom dargelegt worden, dass Frau D. mit unterschiedlicher Intensität von 2002-2013 laut Bestätigung von Dr. W. bei ihm in Behandlung gewesen sei, dass jedoch auf Grund der Dokumentation zum damaligen Zeitpunkt der Grad der Behinderung 50 % nicht erreicht habe.

Es werde schlüssig dargestellt, dass der Grad der Behinderung ab dem 1. Stationären Aufenthalt 50 % erreicht habe und auch ab diesem Zeitpunkt die dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege.

Die Bf stellte mit Schriftsatz vom einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht.

Über die Beschwerde wurde erwogen

Strittig ist im Beschwerdefall, ob bei der Tochter der Bf die dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist und sie somit außerstande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Sachverhaltsfeststellungen:

Die Tochter der Bf. wurde am GebDat. geboren und vollendete das 21. Lebensjahr am xx.xx.2006.

Tochter besuchte Volksschule, Hauptschule und Handelsschule, letztere ohne Abschluss. Danach arbeitete sie 2 Jahre als Verkäuferin, heiratete, wurde nach zwei Jahren geschieden und geht seither keiner beruflichen Tätigkeit nach.

Tochter wurde im Zuge des Antrags- und Beschwerdeverfahrens drei Mal untersucht.

Folgende relevante Befunde wurden im Zuge der Untersuchungen vorgelegt:

KFJ stationärer Aufenthalt vom 13.9. bis auf der psychiatrischen Abteilung; Diagnose: Benzodiazepinabusus bei Zustand nach Kollaps bei Benzodiazepinüberdosierung im Rahmen einer Benzodiazepinabhängigkeit, Alkoholabhängigkeit, Depression

AKH Wien, stationärer Aufenthalt vom bis ; Benzodiazepinentzugstherapie

Ybbs, stationärer Aufenthalt vom 8.1. bis : Stationäre Erstaufnahme, Borderlinebereich

Dr. B., FA für Psychiatrie und Neurologie vom

Dr. W., FA f. Psychiatrie, Befund vom

Psychologischer Befund aus 2009 von Dr. K., klinischer Psychologin

Anamnestisch wurde im Gutachten des Sozialministeriumservice vom - soweit relevant - Folgendes festgehalten:

"Letztbegutachtung 09/2016 mit Zuerkennung eines Gdb 50 v.H. für Diagnose Benzodiazepin- und Opiatabhängigkeit, rezidivierend depressive Störung, emotional labile Persönlichkeit. GdB vorliegend seit 9/2010. …

In einem Beschwerdeschreiben … wird angeführt: "Aufgrund des Sachverständigengutachtens Dr. GF vom ergibt sich, dass meine Tochter wegen schwerer Depressionen bereits seit dem Jahr 2002 in psychiatrischer Behandlung war und die nunmehr festgestellte Situation (50% Behinderung) bereits seit zumindest 14 Jahren besteht und eine entsprechende passive Beeinträchtigung schon lange vor der Volljährigkeit gegeben ist. Das bedeutet aber, dass die Erwerbsfähigkeit vordem 21. Lebensjahr vorgelegen hat..."

Derzeitige Beschwerden:
Die Antragstellerin gibt an, dass bei ihr mehrere psychiatrische Erkrankungen vorliegen würden und sie sich deshalb "nichts machen" könne. Frau D. hätte zwar eine eigene Wohnung, ihre Mutter wäre jedoch ständig bei ihr oder sie bei ihrer Mutter. Psychiatrische Probleme hätten schon seit dem 12. LJ bestanden; Frau D. wäre in der Schule "sehr zurückgezogen" gewesen; mit 16 Jahren hätte sie erstmals einen Psychiater aufgesucht. Dazumal hätte sie sich auch selbst verletzt, aktuell würden keine Selbstverletzungen mehr vorkommen, zuletzt ca. 2017 (am Bauch geritzt)."

Von den sachverständigen Fachärzten wurden in ihren Gutachten folgende Feststellungen getroffen:

Gutachten Dr.in AB vom :

Es wurde ein Grad der Behinderung von 50% und die dauernde Erwerbsunfähigkeit rückwirkend ab dem ersten stationären Aufenthalt seit September 2010 festgestellt.

Gutachten Dr.in F. vom :


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
GdB %
1
Benzodiazepin- und Opiatabhängigkeit, rezidivierende depressive Störung, emotional labile Persönlichkeit.
Unterer Rahmensatz, da Therapieerfordernis.
50

Der Behinderungsgrund von 50 % und die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit wurden von der Sachverständigen rückwirkend ab September 2010 bescheinigt.

Gutachten Dr.in RR vom :


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
GdB %
1
Polytoxikomanie*, rez. depr. Störung, PES vom Borderline-Typ 
Unterer Rahmensatz, da mehrere stationäre Aufenthalte, Ersatzdrogenprogramm
50
2
Hypothyreose
Unterer Rahmensatz, da unter Substitution stabil
10

*) Unter einer Polytoxikomanie versteht man den gleichzeitigen Konsum von verschiedenen psychotrop wirkenden Substanzen über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten.

Der Behinderungsgrund von 50 % und die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit wurden von der Sachverständigen - wie schon in den Vorgutachten vom und - rückwirkend ab September 2010 bescheinigt.

Festgehalten wurde, dass die Tochter der Bf laut Bestätigung Dr. W. vom von 2002 bis 2013 mit unterschiedlicher Intensität bei ihm in Behandlung gewesen sei. Es sei jedoch nicht davon auszugehen, dass schon zum damaligen Zeitpunkt ein GdB vom 50% erreicht worden wäre. Ein GdB von 50% sei ab dem ersten stationären Aufenthalt 9/2010 anzunehmen (siehe Befunde VGA 09/2016).

Festgehalten wurde weiters, dass die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen weder vor vollendetem 18. Lebensjahr noch vor dem vollendeten 21. Lebensjahr eingetreten ist.

In allen Sachverständigengutachten wurde Tochter somit übereinstimmend eine 50%ige Behinderung und eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit rückwirkend ab September 2010, und damit nicht vor dem 21. Lebensjahr, bescheinigt.

Somit wurde in den drei Gutachten übereinstimmend bestätigt, dass eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bei der Tochter der Bf nicht vor dem 21. Lebensjahr gegeben war.

Das Bundesfinanzgericht nimmt es als erwiesen an, dass bei der Tochter der Bf keine Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr vorgelegen ist.

Beweiswürdigung:

Der als erwiesen angenommener Sachverhalt beruht auf den drei im Wege des Sozialministeriumservice erstellten Gutachten.

Nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren durch ein ärztliches Gutachten (vgl dazu , und , sowie ) hat sich darauf zu erstrecken, ob eine Antragstellerin/ein Antragsteller wegen einer vor Vollendung seines 21. Lebensjahres (oder - für den Berufungsfall nicht relevant - während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl etwa ).

Ein Gutachten ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sachverhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen.

Bei der Antwort auf die Frage, ob eine körperliche oder geistige Behinderung, die zur Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, führt, vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder allenfalls während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetreten ist, sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher: Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen) zugrunde liegenden Gutachten gebunden. Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen.

Die ärztliche Bescheinigung bildet die Grundlage für die Entscheidung, ob die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung einwandfrei daraus hervorgehen.

Nach der Rechtsprechung des VwGH hat ein ärztliches Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung im Sinne des FLAG Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten (vgl , ).

Der Verwaltungsgerichtshof sprach im Erkenntnis vom , Ra 2014/16/0010, aus, dass es weder auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu irgendeiner Behinderung führt, sondern dass der Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem diejenige Behinderung (als Folge einer allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt.

Das Bundesfinanzgericht hat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nur zu prüfen, ob das Gutachten schlüssig und vollständig ist, sowie im Falle mehrerer Gutachten, dass diese einander nicht widersprechen (vgl. , Erkenntnisse und 2009/16/0310).

Im vorliegenden Fall haben die Gutachter bei ihrer Einschätzung sämtliche ihnen vorliegende Unterlagen gewürdigt und sind nach den durchgeführten Untersuchungen zu der übereinstimmenden Feststellung gelangt, dass die Erkrankungen der Tochter der Bf. vor dem 18./21. Lebensjahr nicht in einem solchen Ausmaß vorgelegen sind, dass sich daraus eine anhaltende Erwerbsunfähigkeit ergeben hätte.

Dazu ist festzuhalten, dass alleine auf Grund des Bestehens einer Drogenabhängigkeit (Benzodiazepin- und Opiatabhängigkeit) und einer rezidivierenden depressiven Störung, eine behinderungskausale Einschränkung der (grundsätzlichen) Arbeitsfähigkeit nicht zwangsläufig angenommen werden muss (vgl dazu zB OLG Wien , 7Rs12/97d, und die darin angeführten Feststellungen in den ärztlichen Sachverständigengutachten).

Für die Beurteilung des vorliegenden Falles ist es von entscheidender Bedeutung, ob ein Anspruch auf den Grundbetrag an Familienbeihilfe besteht. Ein derartiger Anspruch besteht - hinsichtlich der Bezugsdauer ohne altersbedingte Grenzen -, wenn das "Kind", neben dem Vorliegen anderer Voraussetzungen (und nach den im vorliegenden Fall unbestrittenen Feststellungen zur Dauer der Berufsausbildung), wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Das Gesetz geht klar davon aus, dass die Behinderung kausal für das geforderte "außer Stande sein" sein muss und dieser Umstand bereits vor Vollendung des - gegenständlich - 21. Lebensjahres gegeben sein musste (vgl Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Tz 21). Andere als behinderungskausale Gründe (wie zB mangelnde oder nicht spezifische Ausbildung, die Arbeitsplatzsituation, Arbeitswilligkeit oÄ - siehe zu einer vergleichbaren Rechtslage im Bereich der Invaliditätspension ) dürfen für die Beurteilung ebenso wenig herangezogen werden, wie eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes (etwa auch durch Folgeschäden) nach Vollendung des 21. Lebensjahres.

Die Bf vermeint in ihrer Beschwerde , dass sich auf Grund des Sachverständigengutachtens Dr.in GF vom ergeben habe, dass ihre Tochter wegen schwerer Depressionen bereits seit dem Jahr 2002 in psychiatrischer Behandlung gewesen sei und die nunmehr festgestellte Situation (50% Behinderung) bereits seit zumindest 14 Jahren bestehe und eine entsprechende passive Beeinträchtigung schon lange vor der Volljährigkeit gegeben gewesen sei. Das bedeute aber, dass die Erwerbsfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr vorgelegen sei.

In diesem Gutachten wird jedoch der Behinderungsgrund von 50 % und die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit rückwirkend ab November 2010 bescheinigt, wobei bezüglich der Rückwirkung explizit auf den Befund Dr. W. eingegangen wird. Es sei zwar eine Behandlung in unterschiedlicher Intensität dokumentiert, jedoch sei nicht davon auszugehen, dass schon zum damaligen Zeitpunkt ein GdB von 50% erreicht worden wäre, sondern erst seit 9/2010.

Dies wird im Gutachten vom ausdrücklich bestätigt, wobei auch auf die Beschwerden und Befunde seit der letzten Untersuchung, so auf den Befund Dr. W. aus 10/2017, wonach die Tochter der Bf von 2003 bis 2013 mit unterschiedlicher Intensität wegen einer depressiven Störung und einer Polytoxikomanie inkl. Morphine bei ihm in Behandlung gewesen sei und auf Befunde des OWS/Zentrum für Suchtkranke aus 11/2017 und 01/2018, wonach Abhängigkeits- und Entzugssyndrome gegeben seien, eingegangen wird.

In allen Gutachten wird schlüssig und übereinstimmend dargestellt, dass der Grad der Behinderung seit dem ersten stationären Aufenthalt im September 2010 50% erreicht und ab diesem Zeitpunkt auch die dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt.

Daran kann auch der nachgereichte Befundbericht Dr. W. vom , der zum wiederholten Male die Gründe dafür darlegt, dass die Tochter der Bf seit Juli 2002 (bis 2015) Patientin bei ihm gewesen sei, nichts ändern, auch wenn darin ausgeführt wird, dass die Tochter der Bf damals "nicht arbeitsfähig" gewesen sei. Diese allgemeine Feststellung ist nicht geeignet, den von den ärztlichen Sachverständigen des SMS übereinstimmend festgestellten rückwirkenden Zeitpunkt der eingetretenen dauerhaften Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, in Frage zu stellen, zumal daraus weder ein genauer Zeitpunkt der Erwerbsunfähigkeit noch deren - vom Gesetz geforderte - Dauerhaftigkeit abgeleitet werden kann.

Anzumerken ist, dass die Tochter der Bf 1985 geboren wurde und im Jahr 2006 das 21. Lebensjahr vollendete. Die gegenständliche Antragstellung erfolgte im Jahr 2015 und somit rund 11 Jahre nach dem entscheidungsrelevanten Zeitpunkt. Die Beurteilung eines medizinischen Sachverhaltes zu einem Zeitpunkt, der so lange zurückliegt, bereitet vor allem in jenen Fällen besondere Schwierigkeiten, in denen ein entsprechendes Krankheitsbild - im Gegensatz zu beispielsweise unfallbedingten körperlichen Beeinträchtigungen - in unterschiedlichsten Ausprägungen und unterschiedlicher Schwere bestehen kann. In derartigen Fällen kann auch ein medizinischer Sachverständiger lediglich auf Grund von Indizien, insbesondere an Hand von vorliegenden Befunden, in Verbindung mit seinem spezifischen Fachwissen Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt nun tatsächlich eine erhebliche Behinderung oder die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, eingetreten ist.

Damit liegt aber auf der Hand, dass es - insbesondere beim vorliegenden Sachverhalt - Sache der Bf gewesen wäre, insbesondere bei den bei ihrer Tochter diagnostizierten Erkrankungen, bei dem Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit in unterschiedlichster Ausprägung zu Tage treten können, die Sachverständigen durch Vorlage entsprechender Beweismittel in die Lage zu versetzen, eine verlässliche Beurteilung für den für die gegenständliche Entscheidung relevanten Zeitraum abgeben zu können. Dies umso mehr, als durch Medikamenten- und Drogenmissbrauch hervorgerufene, sich erst im Laufe eines länger andauernden Missbrauches manifestierende zusätzliche Erkrankungen wesentlichen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit haben können.

Die Bf. legte im Zuge des Antragverfahrens zwar diverse Befunde vor, der älteste Befund datiert jedoch aus dem Jahr 2009, die weiteren Befunde aus den Folgejahren.

Insgesamt ergibt sich aus den Anamnesen bzw. Diagnosen der Befunde, dass Tochter nach ihren eigenen Angaben seit ihrem 16. Lebensjahr regelmäßig Xanor (Anm.: Xanor besitzt angstlösende Eigenschaften und wirkt auch gegen Depressionen) in unterschiedlicher Dosierung einnahm. Mit Einnahme von Benzodiazepinen (Anm.: Benzodiazepine sind polycyclische organische Verbindungen auf Basis eines bicyclischen Grundkörpers, in dem ein Benzol- mit einem Diazepinring verbunden ist. Benzodiazepine wirken anxiolytisch, sedierend, muskelrelaxierend und hypnotisch) sei es ihr viel leichter gefallen, gegen ihre Probleme anzukämpfen. Im Alter von 16 Jahren habe sie auch für kurze Zeit Speed und Cannabis konsumiert. Depressionen, Angstzustände sowie aggressives Verhalten seien zum ersten Mal mit etwa 13 Jahren aufgetreten und würden bis heute in unterschiedlicher Ausprägung andauern.

Die Anamnesen bzw. Diagnosen der vorgelegten Befunde wurden in die Gutachten des SMS eingearbeitet und flossen in die Beurteilung der Sachverständigen mit ein.

Es ist schlüssig, dass sich die bei der Tochter der Bf gegebenen psychischen Erkrankungen erst nach mehreren oder vielen Jahre derart manifestierten, dass eine dauernde Erwerbsunfähigkeit gegeben war, was durch den ersten stationären Aufenthalt auf einer psychiatrischen Abteilung zum Ausdruck gebracht wurde und demnach als Zeitpunkt für den Beginn der dauernden Erwerbsunfähigkeit heranzuziehen war.  

Das Bundesfinanzgericht sieht die eingeholten ärztlichen Gutachten als schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei an. Auf die Art der Leiden und deren Ausmaß wurde ausführlich eingegangen. Die vorgelegten Beweismittel sind in die Beurteilung eingeflossen. Die Beweismittel stehen nicht im Widerspruch zu den gutachterlichen Beurteilungen.

Eine Unschlüssigkeit der Gutachten vermochte die Bf mit ihrem Vorbringen nicht aufzuzeigen.

Im vorliegenden Fall steht somit fest, dass vom Sozialministeriumservice keine Bescheinigung ausgestellt wurde, mit welcher bestätigt wird, dass die Tochter der Bf bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres wegen einer körperlichen oder geistigen Behinderung dauernd außer Stande gewesen wäre, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen,  sondern dass die ärztlichen Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice übereinstimmend und schlüssig die Erwerbsunfähigkeit (erst) ab September 2010 feststellen.  

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs 3 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4) höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

Gemäß § 8 Abs 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe um näher angeführte Beträge monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

Gemäß § 8 Abs 5  FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht (vgl FLAG Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke, Rz 5 zu § 8).

Wie aus den oben zitierten Gesetzesbestimmungen ersichtlich ist, ist der Anspruch auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe nur dann gegeben, wenn auch der Grundbetrag zusteht.

Dies bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grund­betrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor dem 21. (25.) Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungs­betrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungs­betrag zu (Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 21).

Da bei der Tochter der Bf vor dem 21. Lebensjahr keine Erwerbsunfähigkeit vorgelegten ist, war der Antrag der Bf auf Gewährung der Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag rückwirkend ab November 2010 abzuweisen und spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor. Sowohl VfGH als auch VwGH bejahen eine Bindung an die im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen erstellten Gutachten. Die vom Bundesfinanzgericht durchzuführende Schlüssigkeitsprüfung betrifft keine Rechtsfrage, sondern ist Ausfluss der dem BFG obliegenden freien Beweiswürdigung (vgl. ).

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at