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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 21.11.2019, RV/5100447/2019

Schlüssigkeit der Gutachten des Sozialministeriumservice

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache BF, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Amstetten Melk Scheibbs vom zu VNR 001, mit dem der Antrag vom auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung des Kindes K (VNR 002) für den Zeitraum ab September 2018 abgewiesen wurde, zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt

Die Beschwerdeführer bezieht für ihren Sohn seit August 2012 den Grundbetrag an Familienbeihilfe.

Mit Formblatt Beih 3 beantragte die Beschwerdeführerin am die zusätzliche Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ihres Sohnes ab dem Zeitpunkt des Eintrittes dieser Behinderung, den der medizinische Sachverständige feststelle (im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung). Als Behinderung bzw. Erkrankung des Kindes wurde angegeben: „Pes plaovalgus mit deutlicher muskulärer Insuffizienz (Knick-Plattfuß)“.

Das Finanzamt forderte daraufhin vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) ein ärztliches Sachverständigengutachten an. In diesem Gutachten vom wurde festgestellt, dass das Kind beidseits Knickplattfüße habe. Laut Angaben der Kindesmutter habe er Schmerzen in den Füßen nach längerer Belastung und stolpere auch häufiger, weshalb er mit Einlagen versorgt sei. Am sei von Dr. S, Facharzt für Orthopädie, Heilgymnastik wegen pes planovalgus, massivem Knicken, muskulärer Insuffizienz verordnet worden. Das Gangbild sei (bis auf mediales Einknicken) unauffällig, im Zehenballenstand zufriedenstellende Aufrichtung des Längsgewölbes. Der Grad der Behinderung wurde gemäß Pos.Nr. der Anlage zur Einschätzungsverordnung mit 10 % bestimmt und dies wie folgt begründet: „Unterer Rahmensatz, da mit Einlagenversorgung zufriedenstellender Befund erreichbar“. Der Grad der Behinderung liege seit 09/2018 vor (ab Vorlage Befund; Dauerzustand).

Daraufhin wies das Finanzamt mit Bescheid vom den Antrag vom für den Zeitraum ab September 2018 ab, da für die Gewährung des Erhöhungsbetrages gemäß § 8 Abs. 5 FLAG ein Grad der Behinderung von mindestens 50 % vorliegen müsste.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom . Darin ersuchte die Beschwerdeführerin um einen „neuen Termin für die Untersuchung (Kontrolltermin)". Als Mutter sehe sie, dass der Dauerzustand der Behinderung auf beiden Füssen sich ohne Therapie nicht bessere. Ihr Sohn brauche eine Fußgymnastik (Heilgymnastik), die von der Gebietskrankenkasse nicht bezahlt werde. Ihr Sohn sei sechseinhalb Jahre alt, und sie habe gehört, dass er vielleicht mit zwölf Jahren operiert werden müsse. Um das zu verhindern, ersuche sie um Unterstützung.

Der Beschwerde waren eine Ablichtung des Gutachtens vom sowie des darin zitierten Befundes des Dr. S vom angeschlossen.

Daraufhin veranlasste das Finanzamt neuerlich die Untersuchung des Kindes durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen. Im ärztlichen Gutachten vom wurde neuerlich der Befund des Dr. S vom zitiert. Ferner wurden Befunde der Gruppenpraxis Radiologie vom und ein Gutachten Dr. H vom angeführt: Pes planovalgus, Grad der Behinderung 10 %. Vom untersuchenden Arzt wurde der Grad der Behinderung neuerlich mit 10 % (Pos.Nr. ) bestimmt und dies wie folgt begründet: „Wahl dieser Position aufgrund eines Pes planovalgus beidseit, unterer Rahmensatz unter laufender Therapie flüssiges Gangbild, gute Ausbildung eines Fußgewölbes im Zehenstand“.

Da in diesem Gutachten neuerlich ein Grad der Behinderung von nur 10 % festgestellt worden war, wies das Finanzamt die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab.

Dagegen richtet sich der Vorlageantrag vom . Darin brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie das Sachverständigengutachten vom „zur Zeit nicht ausreichend“ finde. Die Therapien seien sehr wichtig für ihren Sohn, um seinen Gesundheitszustand zu verbessern. Leider habe sich auch „ein weiteres Problem“ ergeben, und er müsse zu einem Ergotherapeuten gehen. Es werde um eine „weitere Kontrolle“ und Verständnis ersucht.

Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte die Abweisung derselben.

Ungeachtet des offenen Beschwerdeverfahrens beantragte die Beschwerdeführerin mit einem am unterfertigten und am beim Finanzamt eingelangten Formblatt Beih 3 neuerlich die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für ihren Sohn ab dem Zeitpunkt des Eintrittes dieser Behinderung, den der medizinische Sachverständige feststelle (im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung). Als Behinderung bzw. Erkrankung wurde die in einem Arztbrief des Dr. T vom gestellte Diagnose angeführt: „Haltungsschwäche, Einwärtsgang bei reduzierter Tibiatorsion bds (10 °) hypotoner Knick-Senk-Fuß, Beckenschiefstand, Pektoralissymmetrie rechts, Tonuserhöhung UE bds“. Als Therapie werden in diesem Arztbrief eine Einlagenversorgung (ggf. Ringorthese) und eine Physiotherapie mit Haltungstraining vorgeschlagen.

Das Finanzamt veranlasste daraufhin eine neuerliche Untersuchung durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (die bereits dritte innerhalb eines Jahres). Im Gutachten vom wurde der Grad der Behinderung ab mit 10 % und ab mit 20 % festgestellt. In diesem Gutachten wird der Befund des Dr. T vom berücksichtigt und die Erhöhung des Grades der Behinderung mit der zusätzlich diagnostizierten Haltungsschwäche begründet. Die Einschätzung erfolgte unter Punkt der Anlage zur Einschätzungsverordnung, die im Punkt 02.02 generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparates erfasst. Sofern diese mit funktionellen Auswirkungen geringen Grades verbunden sind, fallen diese unter Punkt , welcher leichte Beschwerden mit geringer Bewegungs- und Belastungseinschränkung umfasst und dafür den Grad der Behinderung mit 10 bis 20 % bestimmt. 

Das Finanzamt wies angesichts dessen mit Bescheid vom den am eingelangten neuerlichen Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wiederum für den Zeitraum ab September 2018 ab.

Die gegen diesen Bescheid mit Eingabe vom eingebrachte Beschwerde ist laut den Anmerkungen in der Beihilfendatenbank derzeit noch unerledigt offen. In dieser Beschwerde werden im Wesentlichen nur die ohnehin von den untersuchenden Ärzten festgestellten Beeinträchtigungen des Kindes wiederholt, die nach Ansicht der Beschwerdeführerin im „Alltag eine Behinderung“ darstellen würden, da ihr Sohn nicht mit seinen „Artgenossen (Freunden)“ mitspielen könne. Es sei ein Termin wegen der vorgeschlagenen Physiotherapie geplant, weiters ein Gespräch wegen der Entwicklungsstörung der motorischen Funktion, weil es in der Schule wegen der „Schreibweise“ Probleme gegeben habe.

Rechtslage und Erwägungen

1) Voraussetzungen für die Gewährung des Erhöhungsbetrages

Gemäß § 8 Abs. 4 Z 3 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist, ab um 155,90 € (Erhöhungsbetrag).

Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen (§ 8 Abs. 5 FLAG).

Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen (§ 8 Abs. 6 FLAG).

Durch die Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG hat der Gesetzgeber die Frage des Grades der Behinderung der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt (). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend waren (z.B. mwN). Daraus folgt, dass de facto eine Bindung der Beihilfenbehörden an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes erstellten Gutachten gegeben ist. Die Tätigkeit der Behörden (bzw. des Bundesfinanzgerichtes) hat sich daher im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, ob die Gutachten als schlüssig anzusehen sind (vgl. Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 29 mwN; ebenso z.B. ; ; ; ).

Die im gegenständlichen Fall vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) erstellten Gutachten sind nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes schlüssig; eine allfällige Unschlüssigkeit wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht ansatzweise aufgezeigt oder zumindest behauptet. Ein Anspruch auf Gewährung des Erhöhungsbetrages würde einen Grad der Behinderung von mindestens 50 % voraussetzen. Dies wäre aber erst bei beidseitigen Funktionseinschränkungen schweren Grades gemäß Punkt der Anlage zur Einschätzungsverordnung bzw. bei generalisierten Erkrankungen des Bewegungsapparates mit funktionellen Auswirkungen fortgeschrittenen Grades gemäß Punkt  der Fall, welche aber nur dann vorlägen, wenn dauernde erhebliche Funktionseinschränkungen bzw. eine therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität gegeben wäre. Die festgestellten Beeinträchtigungen des Sohnes der Beschwerdeführerin sind von einem solchen Grad der Behinderung weit entfernt. Im Gutachten vom wurde festgestellt, dass unter laufender Therapie ein flüssiges Gangbild und eine gute Ausbildung eines Fußgewölbes im Zehenstand vorliegt. Der zusätzlich im Gutachten vom festgestellten Haltungsschwäche mit Asymmetrie der Körperachse wurde durch eine Erhöhung des Grades der Behinderung auf 20 % ab April 2019 Rechnung getragen. Der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe steht nicht allein deswegen zu, weil die Gebietskrankenkasse laut dem Beschwerdevorbringen bestimmte Kosten für Heilbehandlungen (Fußgymnastik, Heilgymastik) nicht übernimmt. Es kommt auch nicht darauf an, ob nach Ansicht der Beschwerdeführerin die Beeinträchtigung des Kindes im Umgang mit seinen Freunden eine „Behinderung“ darstellt, weil er nicht mitspielen kann, wie dies in der Eingabe vom zum Ausdruck gebracht wurde.

Da sich somit die Feststellungen des Bundessozialamtes zum Grad der Behinderung des Sohnes der Beschwerdeführerin als schlüssig erweisen, und demzufolge der von § 8 Abs. 5 FLAG geforderte Grad der Behinderung von mindestens 50 % bei weitem nicht erreicht wird, steht der Erhöhungsbetrag des § 8 Abs. 4 FLAG nicht zu und war daher spruchgemäß zu entscheiden.

2) Abweisungsbescheid als Dauerbescheid

Ein Bescheid über die Abweisung eines Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe "ab" einem bestimmten Anspruchszeitraum, ohne im Spruch einen Endpunkt festzusetzen, gilt nach der ständigen Rechtsprechung jedenfalls für den Zeitraum bis einschließlich jenes Kalendermonats, in welchem der Bescheid erlassen wird, ungeachtet dessen, ob sich zwischen dem Anfangszeitpunkt und diesem Zeitpunkt die Sach- oder Rechtslage geändert hat. Ein solcher Bescheid gilt jedoch über diesen Zeitpunkt der Bescheiderlassung hinaus solange weiter, als sich die der Bescheiderlassung zugrunde liegende Sach- und Rechtslage nicht ändert ( mit Hinweis auf und ; ; ; ).

Entschiedene Sache (res iudicata) liegt nach übereinstimmender Rechtsprechung und Literatur dann vor, wenn seit Erlassung des ersten Bescheides die maßgebende Sach- und Rechtslage in den entscheidungswichtigen Punkten unverändert geblieben ist, somit dann, wenn sich weder die Rechtslage noch der Sachverhalt derart wesentlich geändert haben, dass dies (gemessen an den dem früheren Bescheid zu Grunde liegenden Wertungen) zu einer anderen Beurteilung der Verwaltungssache führen würde ( mit Hinweis auf ).

Eine solche entscheidungswesentliche Änderung der Sachlage läge gegenständlich erst dann vor, wenn vom Sozialministeriumservice ein Grad der Behinderung des Sohnes der Beschwerdeführerin von mindestens 50 % festgestellt würde. Erst ab dem Zeitpunkt, zu dem der Eintritt eines solchen Grades der Behinderung festgestellt wird, würde der zeitliche Wirkungsbescheid des verfahrensgegenständlichen Abweisungsbescheides vom enden. Bis dahin sind neuerlich eingebrachte Anträge auf Gewährung des Erhöhungsbetrages nicht (wie mit Bescheid vom ) abzuweisen, sondern wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da im gegenständlichen Verfahren die entscheidungsrelevanten Rechtsfragen bereits ausreichend durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt sind, und die Entscheidung von dieser Rechtsprechung nicht abweicht, ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig. Der Prüfung der Schlüssigkeit von Gutachten des Sozialministeriumservice im konkreten Fall kommt keine über den Einzelfall hinausgehende und damit keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu.

Linz, am

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