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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 22.10.2019, RV/7101369/2016

Amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens; eine mangelnde Ermessensbegründung ist im Rechtsmittelverfahren sanierbar

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Senatsvorsitzenden Dr. Peter Unger, den Richter Mag. Daniel Philip Pfau sowie die Laienrichter Mag. Franz Josef Gross und Mag. Martin Saringer in der Beschwerdesache Bf, vertreten durch Eckhardt Wirtschaftsprüfung und Steuerberatungs GmbH, Hauptstraße 58, 7033 Pöttsching, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt Bruck Eisenstadt Oberwart vom , betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer für die Jahre 2011 bis 2012, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Beisein der Schriftführerin Lisa Eder am , zu Recht erkannt: 

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführende Gesellschaft (in Folge: Beschwerdeführerin) betreibt ein Innenausstattungsunternehmen.

Im Zuge einer ua die hier streitgegenständlichen Abgaben und Zeiträume (Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer der Jahre 2011 bis 2012) betreffenden abgabenbehördlichen Prüfung wurden ua folgende Feststellungen getroffen:

"Tz. 2 Repräsentationsaufwand

Einladung Festspiele

Aufwendungen iZm Einladungen zu den Seefestspielen Mörbisch stellen nichtabziehbare Repräsentationsaufwendungen dar. Diese werden von der BP außerbil. zugerechnet.

[…]

Tz. 5 Zuschätzung lt. BP iSd § 184 BAO

Arbeitsaufzeichnungen / Lieferscheine

Die gepr. Ges. führt Zeitaufzeichnungen für seine Arbeitnehmer und lässt diese auch abzeichnen. Aus den Zeitaufzeichnungen geht jew. die konkrete Tagesarbeitszeit hervor.

Im Zuge der Prüfung hat sich nun ergeben, dass Belege über Materialabholungen (Lieferscheine), aus denen die jew. für die Firma tätige Person hervorgeht, in größerem Umfang für jene Tage vorhanden sind, an denen lt. vorliegenden Arbeitszeitaufzeichnungen (der betr. Bediensteten) im Betrieb nicht gearbeitet wurde.

Diese Umstände wurden bisher so erklärt, dass die Arbeitszeitaufzeichnungen zum Teil (in Bezug auf die tatsächlichen Arbeitstage) nicht genau geführt wurden, jedoch die Gesamtsumme der monatlichen Arbeitsstunden korrekt seien. Die BP wurde auf diese Umstände vor Durchsicht der o.g. Unterlagen nicht hingewiesen, noch konnten diese aus den der BP bisher vorgelegten Unterlagen irgendwie abgeleitet werden.

[…]

Im ggstl. Fall erscheint die bloße mündliche Auskunft hins. der unkorrekten Führung der Arbeitszeitaufzeichnungen nicht ausreichend, um jeglichen Zweifel in Bezug auf die sachliche Richtigkeit der Bücher und Aufzeichnungen ausräumen zu können (§ 184 Abs 2 bzw. Abs 3 BAO).

Nachdem der prüfenden Behörde keine anderen Unterlagen (sonstiger Schriftverkehr, Kalender, Baustelleneiteilungen [Baustelleneinteilungen], Bautagebücher, Aufzeichnungen v. Bauleitern oder anderen Aufsichtspersonen auf Baustellen, etc.) vorgelegt wurden, welche die Aussagen der Vertreter der gepr. Ges. untermauern könnten, wird eine Zuschätzung iSd § 184 BAO zu den bisher erklärten Besteuerungsgrundlagen (USt/KöSt) vorgenommen."

Unter Hinweis auf die in konkreten Textziffern des Prüfungsberichts vorgenommenen Feststellungen wurde als Prüfungsabschluss die Erforderlichkeit der hier strittigen Wiederaufnahmen der Verfahren begründet und zur Ermessensübung ausgeführt:

"Die Wiederaufnahme erfolgt unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung und der sich daraus ergebenden Gesamtauswirkung. Im vorliegenden Fall können die steuerlichen Auswirkungen nicht als geringfügig angesehen werden. Bei der im Sinne des § 20 BAO vorgenommenen Interessensabwägung war dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit (Parteiinteresse an der Rechtskraft) einzuräumen."

In Folge dessen verfügte die belangte Behörde mit Bescheiden vom die hier angefochtenen Wiederaufnahmen der Verfahren und begründete dies (bei allen vier Bescheiden ident) wie folgt:

"Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte gem. § 303 (1) BAO aufgrund der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen sind. Daraus ist auch die Begründung für die Abweichungen vom bisherigen im Spruch bezeichneten Bescheid zu ersehen. Die Wiederaufnahme wurde unter Abwägung von Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsgründen (§ 20 BAO) verfügt. Im vorliegenden Fall überwiegt das Interesse an der Rechtsrichtigkeit das Interesse auf Rechtsbeständigkeit. Die steuerlichen Auswirkungen können auch nicht als bloß geringfügig angesehen werden."

In ihrer dagegen erhobenen Beschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Begründung der Ermessensübung in den Wiederaufnahmeverfügungen und führt ua aus:

"Die Begründung hat die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen, als dies für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erforderlich ist. Weiters hat die Begründung die für die Ermessensübung maßgebenden Überlegungen zu enthalten. Nur formelhaft auf den Grundsatz des Vorranges der Rechtsrichtigkeit zu verweisen verstößt gegen die Begründungspflicht. Warum wie in der Begründung ausgeführt die Rechtsrichtigkeit überwiegen sollte, ist nicht nachvollziehbar und überprüfbar."

Die belangte Behörde wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung als unbegründet ab und begründete dies wie folgt:

"Die Fa. [Bf] betreibt ein Innenausstattungsunternehmen. Im Zuge der abgabenbehördlichen Prüfung für die streitgegenständlichen Jahre wurde bezüglich Arbeitsaufzeichnungen und Lieferscheine festgestellt, dass Belege über Materiallieferungen in größerem Umfang für Tage an denen im Unternehmen gar nicht gearbeitet wurde, vorhanden waren.
Das Finanzamt würdigte diesen Sachverhalt als rechtsrelevante, unkorrekte Führung von
Arbeitsaufzeichnungen, zumal der Behörde auch keine anderen Unterlagen vorgelegt werden konnten und verfügte die Wiederaufnahme des Verfahrens.
Die Wiederaufnahmebescheide vom enthalten den Verweis auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, sowie der Niederschrift und weisen bezüglich des Ermessens auf die nicht bloß geringfügige steuerliche Auswirkung der sachlichen Feststellungen hin. Die auf Grund der unkorrekten Arbeitsaufzeichnungen entspringenden körperschaftsteuerpflichtigen Beträge wurden in Tz 5-6 des Betriebsprüfungsberichtes, entsprechend den zuordenbaren Jahren aufgelistet.

Dieser Sachverhalt war auf Grund der Aktenlage und unter Berücksichtigung der
Beschwerdeeinwendungen wie folgt zu würdigen:

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b) BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens
zusammenhängende tatsächliche Umstände.
Neu hervorkommen können als Beweismittel etwa Urkunden und Aufzeichnungen.
Bei einer Beschwerde gegen die Wiederaufnehme
[Wiederaufnahme] von Amts wegen ist zu prüfen, ob das
Verfahren aus den vom Finanzamt gebrauchten Gründen wieder aufgenommen werden durfte.

Gegenständlich erlangte die Behörde erst im Zuge der Außenprüfung bezüglich
Arbeitsaufzeichnungen und Lieferscheinen von der Tatsache Kenntnis, dass Belege über
Materiallieferungen in größerem Umfang für Tage an denen im Unternehmen gar nicht
gearbeitet wurde vorhanden waren.
Vor diesem Hintergrund wurde der Behörde ein neu hervorgekommener Sachverhalt samt
Beweismitteln bekannt.
Das Finanzamt hat in den Wiederaufnahmebescheiden zur Körperschaftsteuer und
Umsatzsteuer 2011 bis 2012 auf eine zusätzliche Begründung im Prüfungsbericht verwiesen.
Diesem Bericht sind all jene Änderungen zu entnehmen, die zur Wiederaufnahme der Verfahren führten. Die daraus entspringenden Änderungen der Steuerbemessungsgrundlage wurden in Tz 5-6 des Betriebsprüfungsberichtes dargestellt und nach zuordenbaren Jahren aufgelistet. Der Zeitpunkt des Bekanntwerdens der maßgebenden Tatsachen ergibt sich aus Tz 5 des Berichtes nämlich Juni 2015. Bei verständiger Würdigung dieses Betriebsprüfungsberichtes kann daher kein Zweifel darüber bestehen, welche neuen Tatsachen oder Beweismittel (unrichtige Belege
bezüglich Materiallieferungen) das Finanzamt dazu veranlassten, die Wiederaufnahme der Verfahren zu verfügen.

Die Geltendmachung der Haftung im Sinne des § 303 BAO liegt im Ermessen der
Abgabenbehörde, das sich innerhalb der vom Gesetz aufgezeigten Grenzen des § 20 BAO zu halten hat. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff Billigkeit ist dabei berechtigtes Interesse der Partei, dem Gesetzesbegriff Zweckmäßigkeit das öffentliche Anliegen an der Festsetzung der Abgaben mit allen gesetzlich vorgesehenen Mitteln und Möglichkeiten beizumessen.

Dabei wird sowohl vom Verwaltungsgerichtshof als auch von der Verwaltungspraxis regelmäßig betont, dass dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit gegenüber dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit der Vorrang einzuräumen ist. Je schwerer sich die festgestellten Wiederaufnahmegründe in ihrer steuerlichen Auswirkung manifestieren, desto weniger Gewicht ist den rechtlichen Interessen des Abgabepflichtigen am Weiterbestand des bisher erlassenen rechtskräftigen Bescheides beizumessen.

Im vorliegenden Fall enthalten die Wiederaufnahmebescheide 2011 und 2012 den Hinweis
einer nicht bloß geringfügigen Auswirkung der steuerlichen Feststellung. Auch der zusätzlichen Begründung in Tz 5-6 des Betriebsprüfungsberichtes ist, abgesehen von den neuen Tatsachen oder Beweismitteln, die Erhöhung der Besteuerungsgrundlagen für 2011 und 2012 zu entnehmen. Die dadurch festgesetzte körperschaftsteuerliche und umsatzsteuerliche Auswirkung ist weder absolut noch relativ als geringfügig zu bezeichnen.
Es wurde daher dem Interesse der Zweckmäßigkeit zu Recht der Vorrang eingeräumt.

Damit erweist sich die Wiederaufnahme der Verfahren nach § 303 Abs. 1 BAO für die Jahre 2011 und 2012 betreffend Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer als mit der Rechtslage im Einklang."

Nach Einbringung eines Vorlageantrages (ohne weiteres inhaltliches Vorbringen) durch die Beschwerdeführerin, legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Akten dem Bundesfinanzgericht vor.

Am wurde in Anwesenheit des steuerlichen Vertreters der Beschwerdeführerin die beantragte mündliche Verhandlung vor dem Senat durchgeführt und hierüber folgende auszugsweise wiedergegebene Niederschrift aufgenommen:

"[…]

Der Senatsvorsitzende erteilt der beschwerdeführenden Partei das Wort.

Die beschwerdeführende Partei führt aus wie in den bisherigen Schriftsätzen im Rechtsmittelverfahren und ergänzt:

Es wurde dem Gericht eine Stellungnahme vom übermittelt, welche sich nicht nur auf das Verfahren KöSt 2006 bezieht, sondern auch auf das Verfahren WA USt und KöSt 2011 und 2012. Auf diese Ausführungen wird verwiesen.

[…]

Ende des Beweisverfahrens.

[…]

Nach Fortsetzung der Verhandlung verkündet der Senatsvorsitzende das folgende Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen:

Die Beschwerde betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer der Jahre 2011 und 2012 wird abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision nicht zulässig.

Im Übrigen wird auf die schriftlichen Ausfertigungen verwiesen."

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Das Bundesfinanzgericht stellt auf Basis des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest:

Mit den angefochtenen Bescheiden verfügte die belangte Behörde die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer 2011 bis 2012 aufgrund von im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung für die belangte Behörde neu hervorgekommenen Tatsachen, deren zeitgerechte Kenntnis anderslautende Umsatz- bzw Körperschaftsteuerbescheide herbeigeführt hätten.

Die steuerlichen Auswirkungen (allein) der oben zitierten Tz 2 ("Repräsentationsaufwendungen") und Tz 5 ("Zuschätzung lt. BP iSd § 184 BAO") betragen im Jahr 2011: 21.421,37 € und im Jahr 2012: 23.135 €, in Summe somit: 44.556,37 €. Die Auswirkungen der Tz 2 ("Repräsentationsaufwendungen") betragen allein 2.056,37 €. 

2. Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen sind allesamt aktenkundig. Insbesondere die unbestrittenen steuerlichen Auswirkungen sind den Tz 2 und 5 des aktenkundigen Prüfungsberichts zu entnehmen.

Dass die im Zuge der abgabenbehördlichen Prüfung getroffenen Feststellungen keine neu hervorgekommenen Tatsachen für die belangte Behörde darstellen würden, wurde auch von der Beschwerdeführerin im Verfahren nicht behauptet (insbesondere auch nicht in der mündlichen Verhandlung) und kann auch sonst aufgrund der Aktenlage, insbesondere den Feststellungen im Prüfungsbericht (zumal in den Tz 2 und 5) keinerlei Hinweis darauf gefunden werden.

Vor diesem Hintergrund durfte das Bundesfinanzgericht die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs 2 BAO als erwiesen annehmen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Beschwerdeabweisung)

Gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen zulässig, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Bei einer Beschwerde gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist die Sache, über welche das Bundesfinanzgericht gemäß § 279 Abs 1 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltsmomente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Unter Sache ist in diesem Zusammenhang die Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Abgabenbehörde gebildet hatte. Die Identität der Sache, über die abgesprochen wurde, wird durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde. Aufgabe des Bundesfinanzgerichts bei Entscheidungen über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch ein Finanzamt ist es daher, zu prüfen, ob dieses Verfahren aus den vom Finanzamt gebrauchten Gründen wieder aufgenommen werden durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss das Bundesfinanzgericht den vor ihm bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben (vgl für viele zB , mwN).

Da nach den obigen Sachverhaltsfeststellungen im gegenständlichen Verfahren das Vorliegen von zulässigen Wiederaufnahmegründen aufgrund neu hervorgekommener Tatsachen außer Streit steht, bleibt für das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen die Beurteilung der von der Beschwerdeführerin als mangelhaft gerügten Ermessensbegründung.

Bei der amtswegigen Wiederaufnahme nach § 303 BAO ist nämlich zwischen der Rechtsfrage, ob der Tatbestand einer Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens gegeben ist, und der Frage der Durchführung der Wiederaufnahme, die im Ermessen der Behörde liegt, zu unterscheiden. Wenn die Rechtsfrage dahingehend geklärt ist, dass ein Wiederaufnahmegrund tatsächlich gegeben ist, hat die Behörde in Ausübung ihres Ermessens zu entscheiden, ob die Wiederaufnahme zu verfügen ist. Dabei sind der Sinn des Gesetzes (vgl Art 133 Abs 3 B-VG) und § 20 BAO als Ermessensrichtlinien zu berücksichtigen (vgl zB , mwN; ).

Sinn und Zweck des § 303 BAO ist es, eine neuerliche Bescheid­erlassung dann zu ermöglichen, wenn Umstände gewichtiger Art hervorkommen. Ziel ist ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis (vgl zB ; ).

Gemäß § 20 BAO sind Ermessensentscheidungen innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dabei ist dem Begriff "Billigkeit" die Bedeutung von Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei und dem Begriff "Zweckmäßigkeit" das öffentliche Interesse, insbesondere an der Einhebung der Abgaben, beizumessen (vgl zB ; , mwN).

Eine derartige Interessensabwägung verbietet bei Geringfügigkeit der neu hervorgekommenen Tatsachen in der Regel den Gebrauch der Wiederaufnahmemöglichkeit. Die Geringfügigkeit ist dabei an Hand der steuerlichen Auswirkungen der konkreten Wiederaufnahmegründe und nicht auf Grund der steuerlichen Gesamtauswirkungen zu beurteilen, die infolge Änderungen auf Grund anderer rechtlicher Beurteilungen im Sachbescheid vorzunehmen wären. Nur im Falle der Geringfügigkeit neu hervorgekommener Tatsachen hat die Behörde Verhältnismäßigkeitsüberlegungen - insbesondere auch in Bezug auf das Ergebnis der neuen Sachentscheidung - in ihre Ermessensentscheidung einzubeziehen (vgl nochmals zB ; , mwN).

Bei der im vorliegenden Fall allein anhand von zwei Textziffern des Prüfungsberichtes festgestellten steuerlichen Auswirkung der maßgeblichsten Wiederaufnahmegründe von in Summe 44.556,37 € (zur gemeinsamen Betrachtung mehrerer Verfahren vgl ; , mwN), kann von einer Geringfügigkeit der steuerlichen Auswirkung jedoch keine Rede sein (vgl , mwN, betreffend eine steuerliche Auswirkung von jährlich 654 € und in Summe 2.616 €; , betreffend eine steuerliche Auswirkung iHv 1.260 €). Hinzu tritt noch erschwerend der Umstand, dass allein 2.056,37 € an steuerlicher Auswirkung die Verlagerung von Kosten der privaten Lebensführung in den Bereich der Betriebsausgaben betreffen (vgl hierzu nochmals ).

Daraus folgt, dass die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens das ihr eingeräumte Ermessen  - im Ergebnis - im Sinne des Gesetzes ausgeübt hat. Soweit die Beschwerdeführerin Mängel in der Begründung der Ermessensübung durch die belangte Behörde vorbringt, ist auf die vorstehenden Ausführungen in diesem Erkenntnis zu verweisen, welche gemäß § 279 Abs 1 BAO an die Stelle der Begründung der belangten Behörde treten.

Soweit schließlich die Beschwerdeführerin in ihren in der mündlichen Verhandlung vorgelegten schriftlichen Ausführungen Mängel im Wiederaufnahmeverfahren darin sieht, dass sich der Gegenstand eines bestimmten seitens der belangten Behörde angemeldeten Gesprächstermins unerwartet als Schlussbesprechung herausgestellt habe und deshalb ein Verstoß gegen das Überraschungsverbot vorläge, kann dieser Umstand schon aufgrund der Sanierungsfunktion des Beschwerdeverfahrens nicht zur Aufhebung der angefochtenen Wiederaufnahmebescheide führen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Unzulässigkeit der Revision)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gegen eine Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Mit dem vorliegenden Erkenntnis weicht das Bundesfinanzgericht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Ermessensübung im Zusammenhang mit einer amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens ab, sondern folgt der insbesondere im Erkenntnis vom , 2010/15/0159, mit zahlreichen weiteren Nachweisen zum Ausdruck gebrachten Judikaturlinie, weshalb gemäß § 25a Abs 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden war.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 279 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Art. 133 Abs. 3 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.7101369.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at