Widersprüchlichkeit bzw. Mangelhaftigkeit von SMS-Gutachten: Laut ergänzend eingeholtem fachärztlichen Gutachten ist dauernde Erwerbsunfähigkeit VOR Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten, damit steht der Grundbetrag und der Erhöhungsbetrag an FB zu
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache A, Adr , über die Beschwerden vom und vom gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt Landeck Reutte, jeweils zu SV-Nr,
1. vom betreffend Abweisung des Antrages auf den Erhöhungsbetrag
zur Familienbeihilfe und
2. vom betreffend Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe
(Grundbetrag)
zu Recht erkannt:
Den Beschwerden wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensablauf und Sachverhalt:
Mit Antrag Beih1 vom , beim Finanzamt eingebracht am , hat Herr A (= Beschwerdeführer, Bf), geb. , die Zuerkennung von Familienbeihilfe für sich beantragt.
Angeführt wird der Bezug von Rehageld ab 2012. Dazu vorgelegt wurden eine "Rehabilitationsgeldbestätigung" der Gebietskrankenkasse über den Bezug ab und zwei Bescheide der Bezirkshauptmannschaft B betreffend Kostenübernahme für sozialpsychiatrische Einzelbegleitung, Fahrtkosten und Beschäftigung Psychiatrie des Bf in der Einrichtung "X", Beschäftigungsinitative B. Weiters beigebracht wurde eine "Fachärztliche Stellungnahme" vom des DrC, FA f. Psychiatrie, woraus hervorgeht:
Der Bf befindet sich seit 7 Jahren in dortiger fachärztlicher Behandlung, letzter stationärer Aufenthalt März 2009, Diagnose: F 20.0 Paranoide Schizophrenie; durch psychosoziale Betreuung im Verein X sei zufriedenstellende Stabilität gewährleistet, große Belastungen würden jedoch vom Bf nicht toleriert; medikamentöse Therapie: Solian und Leponex.
Am hat der Bf den Antrag Beih3 auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe, dies ab Eintritt der erheblichen Behinderung bzw. 5 Jahre rückwirkend, wegen paranoider Schizophrenie nachträglich beim Finanzamt eingebracht.
Auf Anforderung durch das Finanzamt wurde vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, nunmehr Sozialministeriumservice (kurz: SMS), ein Sachverständigengutachten (nach Untersuchung) von DrD, FA f. Psychiatrie, am (vidiert von DrE am ) auszugsweise folgenden Inhaltes erstellt:
"Anamnese:
hat mit 8 Jahren beide Eltern verloren und wurde von da ab vom Bruder betreut, bereits im frühen Jugendalter regelmäßiger Konsum von Alkohol, etwas später auch von illegalen Drogen …, musste aufgrund der Drogenproblematik den Zivildienst abbrechen, bereits im Jugendalter bei hohen Drogendosen psychotische Symptome; im Februar 2006 erste dokumentierte, stationär-psychiatrische Behandlung wegen psychotischer Symptomatik und der Diagnose einer paranoiden Schizophrenie; insgesamt bisher drei stationäre Aufenthalte, mehrere Entzugsversuche; trinke seit 2010 keinen Alkohol mehr, Konsum illegaler Drogen wird verneint; nach der abgebrochenen Kochlehre krankheitsbedingt maximal ein Monat durchgehend berufstätig, seit 2007 in geschützten Bereichen gearbeitet
Derzeitige Beschwerden:
akkustische Halluzinationen, reduzierter Antrieb, subdepressive Stimmungslage, leicht verlangsamtes Denken
Behandlungen …:
laufende fachärztliche Behandlung bei DrC … Medikation: Leponex .. Solian … derzeit in der Beschäftigungsinitiative der X
……
Zusammenfassung relevanter Befunde …:
Arztbrief, Psychiatrisches Krankenhaus Y ():
stationärer Aufenthalt von 17.2. bis ; paranoide Schizophrenie
Arztbrief, Psychiatrisches Krankenhaus Y ():
stationärer Aufenthalt von 12.2. bis ; paranoide Schizophrenie
Ärztlicher Befundbericht DrC, Ort1 ():
Paranoide Schizophrenie; Fortführung der neuroleptischen Therapie wie bisher wird empfohlen
Ärztlicher Befundbericht DrC, Ort1 ():
Paranoide Schizophrenie; neuroleptische Medikation weiterhin erforderlich, unter Belastung kommt es immer wieder zu Verschlechterungen des Zustandsbildes, sodass weiterhin keine anhaltende Stabilität und ausreichende Belastbarkeit gegeben ist
………..
Psycho(patho)logischer Status:
wach, voll orientiert, Aufmerksamkeit … mittelgradig eingeschränkt, … Antriebslage reduziert, Stimmungslage subdepressiv ….
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
… Paranoide Schizophrenie Pos. Nr. GdB 60 %
durchgängig geringe Belastbarkeit in allen Lebensbereichen, psychotische Symptome im Status, kombinierte antipsychotische Pharmakotherapie, psychosozialer Betreuungsbedarf
Gesamtgrad der Behinderung 60 v. H.
…..
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja
GdB liegt vor seit: 04/2006
Herr A ist voraussichtlich dauernd außerstande , sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 18. Lebensjahr eingetreten.
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten.
Anmerkung bzw Begründung betreffend die Fähigkeit bzw voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
chronifizierte Symptomatik, zunehmende Residualsymptomatik, anhaltende psychopathologische Instabilität
Dauerzustand …..".
A) Das Finanzamt hat daraufhin mit Bescheid vom , SV-Nr, den Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe für den Zeitraum "ab September 2012" abgewiesen und nach Darstellung des § 2 Abs. 1 lit c Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung begründend ausgeführt:
Da laut ärztlichem Sachverständigengutachten eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr nicht gegeben war, war wie im Spruch angeführt zu entscheiden.
In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde wird eingewendet, dem Bf sei bereits im Mai 2005 Krankengeld/Sonderfall gewährt worden. Nach dem ersten stationären Aufenthalt seien weitere Aufenthalte im PKH Y gefolgt. Der Bf habe auch den Zivildienst nicht ableisten können (nur vom 1.2. – ). Es werde um nochmalige Überprüfung ersucht.
Es wurde ein nochmaliges Sachverständigengutachten (mit Untersuchung), erstellt am von DrF, Fa f. Psychiatrie (vidiert am von DrE), beim SMS eingeholt, woraus ua. hervorkommt:
"Anamnese:
siehe Gutachten DrD, ergänzend dazu:
…. Nikotin seit 2010. Im Alter von 17-18 Konsum unterschiedlicher illegaler psychotrope Substanzen … beide Elternteile verstorben, unklare Ursachen und Anamnese bezüglich psychischer Erkrankungen
Derzeitige Beschwerden:
… seit Reduktion von Solian … sei es zu einer Verbesserung des Antriebes gekommen, er fühle sich jedoch weiterhin gedämpft. … Laut Betreuerin seien die Wahnsymptome ... und formalen Denkstörungen … abhängig von den Anforderungen des Alltags und Belastungen in der Betreuung und würden 2 bis dreimal im Monat stärker auftreten.
…..
Sozialanamnese:
Familienstand: alleinstehend. Wohnsituation: alleine lebend. Ausbildung: Volksschule, Hauptschule, Polytechnikum, Kochlehre abgebrochen.
……
Zusammenfassung relevanter Befunde … ergänzend:
….. , Befundbericht DrC …
, Bestätigung X über regelmäßige psychosoziale Betreuung seit April 2006
………..
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
… Schizophrene Störungen, mittelschwere Verlaufsform Pos. Nr.
GdB 60 %
durchgängig geringe Belastbarkeit in allen Lebensbereichen, soziale Isolation, intensiver psychosozialer Betreuungsbedarf, psychotische Symptome trotz adäquater Therapie (antipsychotische Kombinationstherapie) im psychopathologischen Status
Gesamtgrad der Behinderung 60 v. H.
…..
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja
GdB liegt vor seit: 02/2006
Herr A ist voraussichtlich dauernd außerstande , sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN
Anmerkung bzw Begründung betreffend die Fähigkeit bzw voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Erster stationärer Aufenthalt aufgrund paranoider Schizophrenie im Februar 2006 im psychiatrischen Krankenhaus Y. Der Patient ist zu diesem Zeitpunkt 20 Jahre alt (Geburtstag ) und hat das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet.
Nachuntersuchung: in 5 Jahren
Anmerkung hins. Nachuntersuchung: Unter laufender Therapie ist eine Reduktion des GdB unter 50 % möglich. ….."
Die abweisende Beschwerdevorentscheidung vom wurde vom Finanzamt unter Verweis auf § 6 Abs. 2 lit d FLAG 1967 dahin begründet, dass laut neuerlichem Gutachten der Grad der Behinderung 60 % betrage, jedoch KEINE dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege.
Im Vorlageantrag wurde ergänzend vorgebracht, die beiden Gutachten würden sich hinsichtlich der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit gänzlich widersprechen und seien insofern nicht nachvollziehbar.
B) Mit Bescheid vom hat das Finanzamt den Antrag vom auf Familienbeihilfe (FB) abgewiesen und in der Begründung nach Darstellung der bezughabenden gesetzlichen Bestimmungen sowie der Ergebnisse der zwei SMS-Sachverständigengutachten ausgeführt:
Da der Bf bereits 2003 das 18. Lebensjahr vollendet habe und keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege, sei der Antrag auf FB abzuweisen.
In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde wurde unter Wiederholung des bisherigen Vorbringens, insbesondere unter Verweis auf die widersprüchlichen Gutachten, vom Bf die Auffassung vertreten, dass bei ihm eine dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr gegeben sei.
Es wurde die direkteVorlage der Beschwerde iSd § 262 Abs. 2 BAO an das Bundesfinanzgericht beantragt.
Das Bundesfinanzgericht (BFG) hat nach Vorlage der Beschwerden folgende Erhebungen durchgeführt:
1) Laut Abfrage im Zentralen Melderegister (ZMR) ist der Bf, Familienstand: ledig, seit April 2006 durchgehend mit Hauptwohnsitz am Wohnort XX, zuletzt seit Feber 2015 bis dato an der Adresse X-Straße, gemeldet.
2) Anforderung eines weiteren SMS-Gutachtens bzw. Ergänzung der bisherigen Gutachten mit Schreiben vom im Wege der Weiterleitung über das Finanzamt mit folgendem Begehren:
"1) Betrifft Ersuchen an das Sozialministeriumservice:
In og. Beschwerdesache ist der Eigenanspruch auf Familienbeihilfe samt Erhöhung der Familienbeihilfe des Beschwerdeführers (Bf) A, geb. , iSd § 2 Abs. 1 lit c iVm § 6 Abs. 2 lit d FLAG 1967 idgF strittig.
Wesentlichste Voraussetzung wäre, dass der Bf bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres, dh. vor dem , voraussichtlich dauernd außerstande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (= voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit).
Diesbezüglich liegen bislang zwei SMS-Gutachten vor:
- In dem am von DrD erstellten Gutachten wurde beim Bf (Diagnose: Paranoide Schizophrenie) aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde (4 ärztl. Befunde seit bis zuletzt ) ein GdB von 60 % rückwirkend ab 04/2006 - dh. noch VOR Vollendung des 21. Lj. des Bf - sowie festgestellt, dass voraussichtlich eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt.
Zugleich wird festgehalten, dass die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zuverschaffen, NICHT vor dem vollendeten 21. Lj. eingetreten sei.
- Am wurde im Zweitgutachten von DrF festgestellt, es liege eine "mittelschwere schizophrene Störung" mit einem GdB von wiederum 60 % nunmehr ab 02/2006 (offenkundig wg. stationärem Aufenthalt ab ) vor.
Zudem wird nur wenige Monate nach dem Erstgutachten attestiert, dass der Untersuchte NICHT dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die diesbezügliche "Begründung", der Bf sei beim ersten stationären Aufenthalt ab Feber 2006 20 Jahre alt gewesen bzw. habe das 21. Lj. noch nicht vollendet gehabt, ergibt für das BFG keinerlei Sinn.
Entscheidungswesentlich ist, ob beim Bf und wenn ja, ab wann genau eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorgelegen war bzw. seit wann diese vorliegt.
Die bisherigen Gutachten sind zu dieser Frage teils in sich widersprüchlich bzw. mangelt es ihnen an einer nachvollziehbaren Begründung und sind daher als unschlüssig zu qualifizieren.
Aus diesem Grund bedarf es eines weiteren SMS-Gutachtens. Das Sozialministeriumservice wird daher ehestmöglich (ca. binnen 1 Monat) um Erstellung eines nochmaligen Gutachtens und Beantwortung folgender Fragen ersucht:
a) Aus welchen Umständen hat der Erstgutachter erschlossen, dass die von ihm attestierte Erwerbsunfähigkeit - bei einem GdB von 60 % ab 04/2006 - dennoch nicht vor Vollendung des 21. Lj. des Bf vorgelegen war ?
Um eingehende Begründung wird gebeten.
b) Welche Umstände haben dazu geführt, dass im Zweitgutachten vom , dh. relativ zeitnah zum Erstgutachten und gestützt im Wesentlichen auf dieselben vorliegenden Befunde, anstelle der bisher festgestellten Erwerbsunfähigkeit nunmehr festgestellt wurde, dass A voraussichtlich NICHT dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ?
Um eine konkrete, nachvollziehbare Begründung wird ersucht.
c) Falls im neuerlichen Gutachten eine "dauernde Erwerbsunfähigkeit" festgestellt werden sollte:
Ab welchem Zeitpunkt ist beim Bf diese dauernde Erwerbunfähigkeit im Hinblick auf die vorhandenen relevanten Befunde eingetreten ?
Es wird ersucht, die Festlegung des Zeitpunktes näher zu begründen."
3) In Entsprechung dessen wurde vom Sozialministeriumservice nach der am nochmals durchgeführten Untersuchung neuerlich ein ärztliches Gutachten auszugsweise folgenden Inhaltes erstellt (siehe Beilage):
"Anamnese:
seit früher Jugendzeit missbräuchlicher Konsum von Alkohol und Cannabis, später auch von anderen illegalen Substanzen (Kokain, Psilocybin, Opiate), hat von 15 bis 18 Jahren eine Kochlehre absolviert, konnte dieser aber aufgrund psychotischer Symptomatik nicht abschließen, auch Zivildienst krankheitsbedingt abbrechen müssen, im Februar 2006 (also im Alter von 20 Jahren) erste stationäre Aufnahme aufgrund eines psychotischen Syndroms im Rahmen einer schizophrenen Psychose, damals hartnäckige Symptomatik, die auf antipsychotische Standardtherapie zunächst nicht ansprach und den Einsatz von Clozapin erforderte, insgesamt bisher drei vollstationäre psychiatrische Behandlungen aufgrund psychotischer Episoden, seit 2010 drogenabstinent
Derzeitige Beschwerden:
deutlich reduzierte Antriebslage und soziale Rückzugstendenz, subdepressive Stimmungslage mit reduzierter Affizierbarkeit, verlangsamtes Denken, deutlich reduzierte psychische Belastbarkeit, weiterhin gelegentlich akustische Halluzinationen (Stimmenhören)
Behandlung(en)/Medikamente/Hilfsmittel:
laufende fachärztlich-psychiatrische Behandlung bei DrC, Ort1; Medikation: Solian: 250 mg/d, Leponex: 25 mg/d; psychosoziale Betreuung über X
…..
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Fachärztliche Stellungnahme, DrC, Ort1 ():
Diagnose: Paranoide Schizophrenie; oben erwähnte Medikation wird bestätigt
Bestätigung, X, B ():
nimmt regelmäßig am Rehabilitationsprogramm der X teil, dieses beinhaltet sowohl Gruppenprogramme als auch Einzelgespräche
…..
Psycho(patho)logischer Status:
wach, in allen vier Ebenen voll orientiert, Aufmerksamkeit, Auffassung, Konzentration und Gedächtnis mittelgradig eingeschränkt, psychomotorisch ruhig, Antriebslage reduziert, soziale Rückzugstendenz, Stimmungslage subdepressiv, Affektverflachung, kohärenter, aber leicht verlangsamter Gedankenductus, keine inhaltlichen Denkstörungen, gelegentlich akustische Halluzinationen, keine Ich-Psychopathologie, vegetativ unauffällig, Schlaf ausreichend, keine selbst- oder fremdaggressive Muster fassbar
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Paranoide Schizophrenie, durchgängig geringe Belastbarkeit in allen Lebensbereichen, soziale Isolation, sozialer Abstieg, laufende kombinierte Psychopharmakotherapie, psychosozialer Betreuungsbedarf
Pos. Nr.
Gesamtgrad der Behinderung 60 v. H.
…..
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Im eigenen Erstgutachten vom wurde noch nicht berücksichtigt, dass die Erwerbsunfähigkeit mit dem Zeitpunkt der ersten stationären Aufnahme (Februar 2006) eingetreten ist. Zwar war der Antragsteller zuvor als Kochlehrling erwerbstätig, er konnte jedoch krankheitsbedingt diese Lehre nicht mehr abschließen. Die dauerhafte Erwerbsunfähigkeit trat also noch vor Vollendung des 21. Lebensjahres ein. Die Feststellung im Zweitgutachten von DrF vom , dass der Antragsteller nicht dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist angesichts des seit Februar 2006 chronischen Krankheitsverlaufes nicht nachvollziehbar. Herr A ist seit Erstmanifestation seiner Erkrankung in dauernder psychiatrischer Behandlung und psychosozialer Betreuung. Trotz adäquater Therapie seit erstmaligem Auftreten der Symptomatik bildete sich das psychische Leiden nicht vollständig zurück. Mit einer wesentlichen Verbesserung der Psychopathologie ist angesichts des bisherigen Krankheitsverlaufes auch langfristig nicht mehr zu rechnen. Unter Belastung kommt es seit Erstmanifestation des Leidens regelmäßig zu Verschlechterungen des Zustandsbildes.
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja
GdB liegt vor seit: 02/2006
Begründung – GdB liegt rückwirkend vor:
Herr A ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem
18. Lebensjahr eingetreten.
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist vor vollendetem
21. Lebensjahr eingetreten.
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Hr. A wurde im Februar 2002 (Anm. des BFG: zutreffend wäre 2006) mit dem klinischen Bild einer psychotischen Episode im Rahmen einer paranoiden Schizophrenie erstmals vollstationär behandelt. Abdiesem Zeitpunkt lag eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit vor, da sich das Leiden trotz adäquater Therapie und Betreuung nicht vollständig zurückbildete und eine Chronifizierung eintrat. Unter psychischer Belastung kommt es regelmäßig zu einer deutlichen Verschlechterung der Psychopathologie.
Dauerzustand
Gutachten erstellt am von DrD
Gutachten vidiert am von DrE"
Über die Beschwerden wurde erwogen:
1. Sachverhalt:
Aufgrund des Akteninhaltes, der durchgeführten Erhebungen und insbesondere auch der Gutachtens-Anamnesen ist an Sachverhalt davon auszugehen, dass der Bf, geb. September 1985, seit dem 8. Lebensjahr Vollwaise ist. Er ist alleinstehend und lebt allein selbständig in einem eigenen Haushalt an dem in OrtXX gemeldeten Hauptwohnsitz. Seit 2006 bzw. 2007 wird er vom Verein X in B psychosozial betreut und ist in einem geschützten Bereich tätig. Er erhält diesbezüglich Leistungen nach dem xx Rehabilitationsgesetz. Der Bf hat nach eigenen Angaben maximal für einen Monat und ansonsten nie eine Berufstätigkeit ausgeübt, sondern vielmehr eine im Alter von 15 bis 18 Jahren ausgeübte Kochlehre wie auch dann den Zivildienst krankheitsbedingt abgebrochen.
2.Gesetzliche Grundlagen:
Nach § 2 Abs 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG), BGBl 1967/376 idgF., haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe nach
lit c) für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Betreffend den "Eigenanspruch auf Familienbeihilfe" wird in § 6 FLAG 1967 in der bis Ende 2015 geltenden Fassung bestimmt:
(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.
(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraus-setzungen des Abs. 1 lit a bis c zutreffen und wenn sie
...
d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden, ...
§ 6 Abs. 2 lit d FLAG idF BGBl. I Nr. 77/2018, in Geltung ab , lautet:
"(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraus-setzungen des Abs. 1 lit a bis c zutreffen und wenn sie
...
d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; …"
Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist.
Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr Sozialministeriumservice) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Gemäß § 8 Abs. 7 FLAG 1967 gelten die Abs. 4 bis 6 sinngemäß auch für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.
3. Rechtslage/Judikatur:
Ein "Eigenanspruch" auf FB kommt nach Obigem grundsätzlich dann in Betracht, wenn nach § 6 Abs. 2 lit d FLAG beim Antragsteller vor Vollendung des 21. Lebensjahres aufgrund einer Behinderung eine dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist. In diesem Fall steht sowohl der Grundbetrag wie auch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu. Nach der Rechtslage ab tritt an Erfordernis - verkürzt gesagt - hinzu, dass es sich um einen Vollwaisen handelt, dessen Unterhalt nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln bestritten wird, außer er führt einen eigenständigen Haushalt.
Zum Nachweis der Voraussetzung der dauernden Erwerbsunfähigkeit (sowie auch des Grades der Behinderung) ist eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice iSd § 8 Abs. 6 FLAG zwingend erforderlich. Die Abgabenbehörden sowie der UFS, nunmehr das Bundesfinanzgericht, sind an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes erstellten Gutachten grundsätzlich gebunden (vgl. ua.).
Gleichzeitig hat das BFG die Beweiskraft - insbesondere Nachvollziehbarkeit bzw. Schlüssigkeit - der Gutachten zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen (vgl. ).
Sollte das Gutachten ohne nähere Begründung Annahmen zB betreffend den Zeitpunkt des Eintritts eines 50%igen Behinderungsgrades treffen, kommt dieser Annahme kein entsprechender Beweiswert zu. Diesfalls ist durch den UFS (nunmehr das BFG) oder bereits durch das Finanzamt eine Ergänzung des Sachverständigengutachtens zu veranlassen ( mwN)
(siehe zu vor in: Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, Rzn. 24, 29 und 31 zu
§ 8 FLAG).
4. Rechtliche Würdigung:
Gegenständlich wurde, veranlaßt durch die in wesentlichen Teilen vorliegende Mangelhaftigkeit bzw. Widersprüchlichkeit und damit insgesamt die zu folgernde Unschlüssigkeit der beiden Vorgutachten, zwecks nochmaliger Überprüfung und insbesondere zwecks Klarstellung des gesetzlich wesentlichen Zeitpunktes, ab wann beim Bf eine allfällige dauernde Erwerbsunfähigkeit vorgelegen war, vom BFG ein weiteres Gutachten beim Sozialministeriumservice eingeholt.
Im nunmehr abschließend vorliegenden ärztlichen Sachverständigen-Gutachten vom 5.9./ wird zunächst wiederum festgestellt, dass beim Bf wegen der Erkrankung "Paranoide Schizophrenie" ein Grad der Behinderung von 60 %, voraussichtlich mehr als
3 Jahre andauernd bzw. als Dauerzustand, seit Feber 2006 vorliegt.
Des Weiteren wird im Abschnitt "Stellungnahme zu den Vorgutachten" festgehalten, dass "die Erwerbsunfähigkeit mit dem Zeitpunkt der ersten stationären Aufnahme (Februar 2006)" und damit noch vor Vollendung des 21. Lebensjahres beim Bf eingetreten ist. Es handle sich laut Gutachter (Facharzt für Psychiatrie) seit dieser Erstmanifestation um einen chronischen Verlauf der Krankheit, deretwegen sich der Bf in dauernder psychiatrischer Behandlung und psychosozialer Betreuung befindet. Das Leiden habe sich dennoch nicht zurück gebildet und sei auch langfristig nicht mehr mit einer Verbesserung zu rechnen.
Im Gutachten wird daher abschließend mit nochmals näherer Begründung dahin, dass nach erstmaliger vollstationärer Behandlung sich das Leiden trotz adäquater Therapie und Betreuung nicht zurückbildete und vielmehr eine Chronifizierung eintrat, festgestellt, dass der Bf voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, sowie dezidiert rückwirkend bescheinigt, dass diese vorliegende Erwerbsunfähigkeit noch VOR dem vollendeten 21. Lebensjahr eingetreten ist.
Im Hinblick auf die ab geänderte Bestimmung des § 6 Abs. 2 lit d FLAG 1967, wonach weitere Erfordernisse zwecks Zuerkennung des Eigenanspruches an FB hinzutreten müssen, gilt festzuhalten, dass es sich beim Bf um einen Vollwaisen handelt, der erwiesenermaßen einen eigenständigen Haushalt an der (inländischen) Wohnadresse in OrtXX führt, sich jedenfalls nicht in dauernder und durch öffentliche Mittel finanzierter Anstaltspflege befindet. Aus diesem Grund kann auch dahingestellt bleiben, inwieweit und aus welchen Mitteln der Unterhalt und der Wohnbedarf des Bf bestritten wird. Aufgrund dieser Umstände sind nach dem Dafürhalten des BFG auch sämtliche weitere, nach geänderter Rechtslage maßgebenden Voraussetzungen für den Eigenanspruch erfüllt.
5. Ergebnis:
Aufgrund des Nachweises einer wegen (erheblicher) Behinderung noch vor dem vollendeten 21. Lebensjahr eingetretenen, voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (dauernde Erwerbsunfähigkeit), sind im Beschwerdefall sämtliche Voraussetzungen gemäß § 6 Abs. 2 lit d iVm § 8 Abs. 5 und
6 FLAG erfüllt.
Dem Bf steht damit sowohl der Grundbetrag als auch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu (vgl. in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, Rzn. 19 - 21 zu § 8).
Den Beschwerden war daher Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.
Unzulässigkeit einer Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Lösung der Frage, unter welcher Voraussetzung die erhöhte Familienbeihilfe (Grundbetrag und Erhöhungsbetrag) zusteht, ergibt sich aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen. Bei der Frage, ob und ab wann eine "dauernde Erwerbsunfähigkeit" gegeben ist, handelt es sich um eine Tatfrage und ist insoweit das BFG an das – wie gegenständlich – abschließend zwecks Ergänzung/Klarstellung vom Sozialministeriumservice erstellte ärztliche Gutachten gebunden.
Da sohin keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher Bedeutung" zugrunde liegt, ist eine Revision nicht zulässig.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 8 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Schlagworte | Eigenanspruch auf Familienbeihilfe erhebliche Behinderung Bescheinigung dauernde Erwerbsunfähigkeit |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2019:RV.3100889.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at