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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.10.2019, RV/5100388/2019

Erhöhte Familienbeihilfe - voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache Bf., vertreten durch V., gegen den Bescheid des Finanzamtes FA vom , zu VNR: 0000, betreffend Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe für den Zeitraum „ ab September 2013" zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies das Finanzamt einen Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für die Zeit „ ab September 2013" ab.
In der Begründung wurde nach Anführung der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmung auf eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) vom verwiesen. In dieser Bescheinigung war festgestellt worden, dass die voraussichtliche Selbsterhaltungsunfähigkeit nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres der Beschwerdeführerin, eingetreten sei.

Die dagegen fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom wurde vom Finanzamt mit dem Hinweis auf eine weitere vom Sozialministeriumservice eingeholte Bescheinigung vom mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen.

Mit der fristgerechten Einbringung des Vorlageantrages vom gilt die Bescheidbeschwerde wiederum als unerledigt (§ 264 Abs. 3 BAO).

Mit Vorlagebericht vom wurde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Aufgrund der Vorlage weiterer Beweismittel beauftragte das Bundesfinanzgericht das Finanzamt gemäß § 269 Abs. 2 BAO, ein die bisherigen Gutachten ergänzendes ärztliches Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservice zur Frage einzuholen, ob bei der Beschwerdeführerin als Folge einer körperlichen oder geistigen Behinderung eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor Vollendung ihres 21. Lebensjahres eingetreten ist.

In der Folge wurde ein weiteres ärztliches Sachverständigengutachten (vom ) nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) erstellt.
Die ärztliche Sachverständige stellte unter Hinweis auf die Vorgutachten und nach Auflistung der Diagnosen einen Gesamtgrad der Behinderung von 70 v.H. fest und bescheinigte d er Beschwerdeführerin, dass sei voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist diesem Gutachten zufolge vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten.
Nach den Feststellungen der ärztlichen Sachverständigen habe sich im Gutachten mit Untersuchung und nach Vorlage weiterer antragsrelevanter Befunde aufgrund eines Herzleidens ab Geburt ein GdB 50 v.H. gezeigt, der aber nicht alleine eine Selbsterhaltungsunfähigkeit auf Dauer bedingt habe. Im Zusammenschau mit der Entwicklung des psychiatrischen Leidens (einer Essstörung sowie einer Abhängigkeitserkrankung von Opiaten, Canabinoiden, Benzodiazepinen und Alkohol) könne davon ausgegangen werden, dass eine dauerhafte Unfähigkeit sich den Unterhalt selbst zu verschaffen ab 07/1996 (Erstaufnahme Psychosomatik und Diagnosestellung) eingetreten sei. Dafür spreche zusätzlich die Abnahme des ersten Kindes, sowie der Umstand, dass die Beschwerdeführerin trotz Lehrabschlusses und Schulabschlusses kein längeres Dienstverhältnis gehabt habe und ab 2003 eine unbefristete Invaliditätspension erhalte.

Diesem Gutachten hat die leitende Ärztin des Bundessozialamtes am zugestimmt.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 1 und 2 lit. d des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 - FLAG 1967, sowohl idF des BudBG 2011, BGBl I Nr. 111/2010, als auch in der mit in Kraft getretenen Fassung des BGBl. I Nr. 77/2018 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie - im Beschwerdefall nicht strittige - Voraussetzungen zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

§ 6 Abs. 5 FLAG 1967 in der mit in Kraft getretenen Fassung des BGBl. I Nr. 77/2018 lautet:
„Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).“

Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe kann nur für höchstens fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt werden (§ 10 Abs. 3 FLAG 1967).

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist. Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht.

Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen (§ 8 Abs. 5 FLAG 1967).

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Nach der Bestimmung des § 8 Abs. 7 FLAG 1967 gelten die Abs. 4 bis 6 sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

Im Beschwerdefall ist entscheidend, ob die am **.**.**** geborene Beschwerdeführerin bereits vor Vollendung ihres 21. Lebensjahres in einem Ausmaß behindert war, sodass sie schon damals voraussichtlich dauernd außerstande gewesen ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Zur Frage der dauernden Erwerbsunfähigkeit führt der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis , aus:

§ 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 stellt darauf ab, dass der Vollwaise auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit Längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt."

Das Gesetz geht klar davon aus, dass die Behinderung kausal sein muss für das geforderte „außer Stande Sein" und dieser Umstand bereits vor Vollendung des - gegenständlich - 21. Lebensjahres gegeben sein musste (vgl. Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, § 8 Tz 21). Andere als behinderungskausale Gründe (wie z.B. mangelnde oder nicht spezifische Ausbildung, die Arbeitsplatzsituation, Arbeitswilligkeit oÄ - siehe zu einer vergleichbaren Rechtslage im Bereich der Invaliditätspension ) dürfen für die Beurteilung ebenso wenig herangezogen werden wie eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes (etwa auch durch Folgeschäden) nach Vollendung des 21. Lebensjahres.

Hat das Gutachten des Sozialministeriumservice die Frage zu beantworten, ob eine Person wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, muss das Gutachten daher erstens feststellen, ob diese Person auf Grund einer körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und zweitens, ob dafür der Grund darin liegt, dass diese körperliche oder geistige Behinderung bei ihr vor den im Gesetz genannten Zeitpunkten eingetreten ist.

Bei der Antwort auf die Frage, ob eine solche Behinderung, die zur Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, führt, vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetreten ist, sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (vgl. etwa ; und , mwN).

Auch das Bundesfinanzgericht hat somit für seine Entscheidung die ärztlichen Sachverständigengutachten heranzuziehen, sofern diese als schlüssig und vollständig anzusehen sind.

Die vorliegenden Gutachten widersprechen einander nicht, sondern ergänzen sich auf Grundlage der neu beigebrachten Beweismittel. Das hier maßgebliche Drittgutachten vom ist schlüssig und vollständig, sodass das Bundesfinanzgericht diese Bescheinigung des Sozialministeriumservice dem gegenständlichen Erkenntnis zu Grunde zu legen hat.

Aus den dargestellten Gründen war daher der angefochtene Bescheid aufzuheben.

Zulässigkeit einer Revision

Das Revisionsmodell soll sich nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP, 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt ().
Das vorliegende Erkenntnis beruht im Wesentlichen auf der Beweiswürdigung, ob bei der Beschwerdeführerin eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor dem 21. Lebensjahr vorlag.
Weder die im Rahmen der freien Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen noch die einzelfallbezogene rechtliche Beurteilung weisen eine Bedeutung auf, die über den Beschwerdefall hinausginge.
Die Revision ist daher gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise

ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.5100388.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at