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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 05.09.2019, RV/7100250/2018

Antrag auf Familienbeihilfe des in Österreich erwerbstätigen (geschiedenen) Kindesvaters für ein Kind, das bei der Mutter in Ungarn wohnt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. in der Beschwerdesache Bf., Adresse, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Hollabrunn Korneuburg Tulln vom , betreffend Abweisung auf Ausgleichszahlung für das Kind B. V., geb. xxx, ab Okt. 2016 zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer (Bf.) Bf. arbeitet seit bei der Firma K. GmbH in Adresse***.
Er leistet Unterhalt für sein in Ungarn lebendes Kind.
Dieses gehört dem Haushalt der geschiedenen Gattin an.

Der Bf. stellte am  den Antrag auf Zuerkennung der österreichischen Familienbeihilfe auf Grund der Unterhaltsleistungen an sein Kind.

Das Finanzamt wies den Antrag auf Gewährung auf Ausgleichszahlung für das Kind V. B., geb. xxx, ab Okt. 2016, mit Bescheid ab.

Begründend führte das Finanzamt aus, dass gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 (Familienausgleichsgesetz 1967) Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind haben, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
Da V. im Haushalt der Mutter wohnt, habe der Bf. keinen Anspruch auf Familienleistungen.

Gegen den Abweisungsbescheid brachte der Bf. fristgerecht Beschwerde ein und führte (lediglich) begründend aus, da er Unterhalt für das Kind V. B., geb. xxx überwiegend bezahle, habe er einen Anspruch auf die Familienbeihilfe aus Österreich. Er ersuche ab um Berücksichtigung der Familienbeihilfe.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab und führte Folgendes aus:
"Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichsgesetzes - FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.
Abs. 2 FLAG 1967 bestimmt, dass die Person Anspruch auf Familienbeihilfe hat, zu deren
Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG anspruchsberechtigt ist.
Gemäß § 53 Abs. 1 FLAG 1967 sind Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt.
Hierbei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom in der
Rechtssache EuGH C-378/14 (Tomislaw Trapkowski) obliegt es der zuständigen nationalen Behörde, zu bestimmen, welche Personen nach nationalem Recht Anspruch auf Familienleistungen haben.
Da in Österreich vorrangig anspruchsberechtigt jener Elternteil ist, der das Kind in seinem
Haushalt hat, besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe, da das Kind V. im Haushalt der Mutter lebt.
Ihre Beschwerde war somit abzuweisen."

Der Bf. brachte einen Vorlageantrag ein und führte, wie in der Beschwerde, lediglich begründend aus, dass er für den genannten Zeitraum überwiegend Unterhalt für das Kind im Wert von mind. € 200 monatlich bezahlt habe.

Eine Bestätigung über Unterhaltszahlungen liege beim Finanzamt vor.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (Bf.)****, ungarischer Staatsbürger, arbeitet seit bei der Firma K. GmbH in Adresse***.

Er ist geschieden. Seine geschiedene Gattin und sein Kind leben in Ungarn im gemeinsamen Haushalt.

Der Bf. leistete an sein Kind V. monatlich € 200 an Unterhalt. Eine Bestätigung der Unterhaltszahlungen legte der Bf. vor.

Die geschiedene Gattin hat in Ungarn laut dem Formular 441 keinen Anspruch auf Familienbeihilfe.

Die Familienbeihilfe wurde dem Bf. vom Finanzamt nicht gewährt, mit dem Hinweis auf die fehlende gemeinsame Haushaltsführung mit der Tochter und das Erkenntnis des , Tomislaw Trapkowski.

Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich auf Grund der Aktenlage.

Rechtslage /Erwägungen

Gemeinschaftsrecht

Gemäß Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt diese Verordnung für den Bf, die Kindesmutter und deren Tochter, da diese ungarische Staatsbürger und damit Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union sind.

Der Kindesvater unterliegt gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 aufgrund seiner nichtselbständigen Erwerbstätigkeit in Österreich den österreichischen Rechtsvorschriften, die (geschiedene)  Kindesmutter unterliegt den ungarischen Rechtsvorschriften.

In diesem Fall werden nach den in Art. 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 normierten Prioritätsregeln die Familienleistungen primär nach den ungarischen Rechtsvorschriften gewährt; ein Unterschiedsbetrag in Höhe der darüber hinausgehenden Familienleistungen ist nach den sekundär anzuwendenden österreichischen Bestimmungen zu gewähren, solange der Bf. in Österreich erwerbstätig ist (Differenzzahlungen).

Ein Anspruch auf Differenzzahlungen ist im vorliegenden Fall grundsätzlich gegeben. Zu klären ist aber die Frage, ob dieser Anspruch dem Kindesvater zusteht.

Dazu bestimmt Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009:

"Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird."

Im , Tomislaw Trapkowski, hat der EuGH unter Hinweis auf die Familienbetrachtungsweise (Rn. 36 "als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen") mehrfach betont, dass die Frage, wem der Anspruch auf Differenzzahlungen zusteht, ausschließlich nach den innerstaatlichen (hier also österreichischen) Rechtsvorschriften zu prüfen ist (siehe insbesondere die Rn. 38 ff dieser Entscheidung), was sich im Übrigen schon unmissverständlich aus dem klaren und eindeutigen Wortlaut des Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 ergibt. Der EuGH stellte daher fest, dass der Anspruch auf Familienleistung auch einer Person zustehen kann, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung der Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind (Rn. 41).

Das Unionsrecht selbst vermittelt somit keinen originären Anspruch auf nationale Familienleistungen. Es ist nach wie vor Sache der Mitgliedstaaten, wem sie unter welchen Voraussetzungen wie lange Familienleistungen zuerkennen. Das Unionsrecht verlangt allerdings im Allgemeinen, dass diese Zuerkennung diskriminierungsfrei erfolgen muss, und im Besonderen, dass die Familienangehörigen einer Person, die in den Anwendungsbereich der VO 883/2004 fällt, so zu behandeln sind, als hätten alle Familienangehörigen ihren Lebensmittelpunkt in dem Mitgliedstaat, der Familienleistungen gewähren soll (; ; ; ; ; ; ).

Die nach Art. 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO 987/2009 vorzunehmende Fiktion bewirkt, dass die Wohnsituation auf Grundlage der im Streitzeitraum im anderen EU-Mitgliedstaat gegebenen Verhältnisse (fiktiv) ins Inland übertragen wird. Diese Fiktion besagt aber nur, dass zu unterstellen ist, dass alle Familienangehörigen im zuständigen Mitgliedstaat wohnen.

Ob aber ein gemeinsamer Haushalt besteht, ist dagegen sachverhaltsbezogen festzustellen (; ; ; ;  ; ; ).

Wer von den unionsrechtlich grundsätzlich als anspruchsberechtigte Personen anzusehenden Familienangehörigen tatsächlich primär oder sekundär oder gar keinen Anspruch auf österreichische Familienleistungen hat, ist daher nach nationalem Recht zu beurteilen (; ; ; ; ).

Innerstaatliches Recht

Gemäß § 2 Abs. 1 lit a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein (im Abs. 1 genanntes) Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

§ 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 stellt hinsichtlich des Familienbeihilfenanspruchs primär auf die Haushaltszugehörigkeit mit einem Kind ab und nur subsidiär (§ 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG 1967) darauf, welche Person die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt.

Transformiert man nun entsprechend den Regelungen des Art. 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO 987/2009 die im Ausland bestehende Wohnsituation fiktiv ins Inland, und beurteilt die Frage, ob ein gemeinsamer Haushalt vorliegt, aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse, so ergibt sich, dass die (geschiedene) Mutter mit der Tochter -  in einheitlicher Haushaltsführung - eine Wohnung, teilt (vgl. § 2 Abs. 5 FLAG 1967).

Der vorrangige Anspruch auf Familienleistungen steht somit bei dem gegebenen Sachverhalt grundsätzlich der Kindesmutter, in deren Haushalt das Kind wohnt, zu (in Ungarn).

Die im Verwaltungsverfahren angesprochene Frage der überwiegenden Kostentragung durch den Bf. ist demnach nicht entscheidungsrelevant.

Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zuletzt ) ist durch die dargestellte Rechtsprechung des EuGH überholt. Hier hat der VwGH die Ansicht vertreten, dass für den Differenzzahlungsanspruch entscheidend und zu prüfen ist, ob ein in Österreich erwerbstätiger Unionsbürger die Kosten für das im Haushalt der Mutter (im anderen Mitgliedstaat) lebende Kind überwiegend trägt. Bejahendenfalls bestünde ein Beihilfenanspruch des in Österreich erwerbstätigen Unionsbürgers (im Erkenntnis war es der leibliche Vater) nach innerstaatlichem Recht.

Diese Rechtsansicht führt im Ergebnis aber regelmäßig zu einer Diskriminierung von Unionsbürgern (nämlich dem haushaltsführenden Elternteil) gegenüber inländischen Staatsbürgern, was unzulässig ist.

In diesem Zusammenhang sei nochmals auf das , Tomislaw Trapkowski, verwiesen, in dessen Randnummer 38 der Gerichtshof ausführt:

"Aus Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 in Verbindung mit Art. 60 Abs. 1 der Verordnung Nr. 987/2009 ergibt sich zum einen, dass eine Person Anspruch auf Familienleistungen auch für Familienangehörige erheben kann, die in einem anderen als dem für ihre Gewährung zuständigen Mitgliedstaat wohnen, und zum anderen, dass die Möglichkeit, Familienleistungen zu beantragen, nicht nur den Personen zuerkannt ist, die in dem zu ihrer Gewährung verpflichteten Mitgliedstaat wohnen, sondern auch allen „beteiligten Personen", die berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben, zu denen die Eltern des Kindes gehören, für das die Leistungen beantragt werden."

Familienleistungen können daher auch von allen „beteiligten Personen", die berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben, beantragt werden, wozu nach innerstaatlichem Recht die Mutter gehört, bei der ein Kind wohnt, und die nach innerstaatlichem Recht bei der gegebenen Sachlage primären Anspruch auf Familienbeihilfe hätte.

Ein Antrag der (geschiedenen) Mutter ist im beschwerdegegenständlichen Fall aber nicht zu beurteilen bzw. liegt ein solcher nicht vor, der Bf. ist der Antragsteller.

Das Finanzamt wird einen Antrag auf Ausgleichszahlung/Differenzzahlung, wenn dieser von der haushaltsführenden Mutter gestellt wird, zu prüfen haben, da diese - wiederum nach innerstaatlichem Recht - iSd Art. 60 Abs. 1 dritter Satz der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 als Elternteil behandelt wird (vgl. BFH , III R 68/13 "Zu den 'beteiligten Personen' gehören daher die nach dem nationalen Recht Anspruchsberechtigten").

Die Beschwerde war als unbegründet abzuweisen, da Partei dieses Verfahrens iSd § 78 BAO nur der Bf. ist und sich daher die Wirkung dieses Erkenntnisses nur auf ihn erstreckt.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da das Erkenntnis von der – wenn auch durch die zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes überholten – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig (vgl. ).

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 2 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 53 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 60 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
Verweise


ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.7100250.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at