Rückwirkende Feststellung des Grades der Behinderung ohne Befunde nicht möglich
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache BF, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Braunau Ried Schärding vom zu VNR 001, mit dem ein "Antrag vom auf erhöhte Familienbeihilfe" für das Kind K (VNR 002) für den Zeitraum November 2012 bis Februar 2017 abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:
Der Spruch des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dieser hinsichtlich seiner fehlerhaften Datumsangabe zum verfahrenseinleitenden Antrag korrigiert und wie folgt präzisiert wird:
Der Antrag vom , eingelangt am , auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung des Kindes K (VNR 002) wird für den Zeitraum November 2012 bis Februar 2017 abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin bezieht für ihren am Datum1 geborenen Sohn seit Februar 2011 den Grundbetrag an Familienbeihilfe.
Einem Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung des Kindes wurde für den Zeitraum ab März 2017 entsprochen. Dieser Gewährung des Erhöhungsbetrages lag das folgende ärztliche Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice vom bzw. die darauf fußende Bescheinigung im Sinne des § 8 Abs. 6 FLAG nach durchgeführter Untersuchung des Kindes zugrunde:
Anamnese:
Erstantrag. SS und Entbindung unauffällig
Derzeitige Beschwerden:
Sprachentwicklung war verspätet, hatte Probleme mit der Feinmotorik, war 2 Jahre Ergo. Er hat kaum Kontakte zu anderen Kindern, zappelt, ist unruhig, leicht ablenkbar; er macht Geräusche, z.B. wie der Eisenbahn etc.
Er benötigt Hilfe bei der Körperpflege, vergisst Trinken und Klogehen, benötigt überall Schritt-für-Schritt Anleitungen.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
war ergo, Logo; dzt. Pause
Sozialanamnese:
1. von 2 Kinder, Vollfamilie; hat den KiGa besucht, kommt ab Sept. 17 in der VS
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Befund Dr. E von 03/17: V.a. akzentuierte Persönlichkeitszüge im Sinne einer leichter Asperger Symptomatik; leichte Sprachentwicklungsverzögerung; leichte motorische Ungeschicklichkeit
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: gut
Ernährungszustand: leicht adipös
Größe: 126,00 cm Gewicht: 25,00 kg Blutdruck: k.A.
Status (Kopf/ Fußschema) - Fachstatus:
6-jähriger Junge, Sensorium klar, dermatologisch rein; C/P unauffällig, Abdomen ohne pathologische Resistenzen, Gelenke frei beweglich; Gesamtmobilität - Gangbild: Gang unauffällig
Psycho(patho)logischer Status: freundlich; redet viel; Artikulationsstörungen; motorische Unruhe
Als Ergebnis der Untersuchung wurden „Entwicklungsdefizite, Asperger-Symptomatik; Sprachdefizite; motorische Ungeschicklichkeit; laufende Therapien“ festgestellt. Der Grad der Behinderung wurde mit 50 % festgestellt und die Behinderung unter Punkt der Anlage zur Einschätzungsverordnung eingeordnet. Der festgestellte Grad der Behinderung liege seit 03/2017 vor (Befund Dr. E) und werde voraussichtlich mehr als drei Jahre andauern. Eine Nachuntersuchung sei in drei Jahren erforderlich; „Anmerkung hins. Nachuntersuchung: Besserung zu erwarten.“
Mit dem verfahrensgegenständlichen Antrag vom , beim Finanzamt eingelangt am , beantragte die Beschwerdeführerin „zusätzlich zur bereits gewährten erhöhten Familienbeihilfe“ für ihren Sohn die „erhöhte Familienbeihilfe rückwirkend für fünf Jahre, sofern die Voraussetzungen gegeben sind.“ Dieser Antrag wurde erst am in der Beihifendatenbank angemerkt. Ein weiterer, gesonderter Antrag - insbesondere vom - ist weder aktenkundig, noch in der Beihilfendatenbank angemerkt.
Das Finanzamt forderte daraufhin neuerlich ein ärztliches Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice an. Im Gutachten vom wird nach neuerlicher Untersuchung des Kindes festgestellt:
Anamnese:
Vorgutachten 7/2017 mit GDB: 50% wegen EWR, Asperger-Symptomatik; Sprachdefizite; motorische Ungeschicklichkeit; Zwischenzeitlich keine Operationen.
Derzeitige Beschwerden:
Es gibt keine Befunde vor 3/2017, bei den Mutter-Kindpassuntersuchungen sei er immer laut Kinderarzt nur leicht zurück gewesen, hatte nie Therapien empfohlen. Erst im letzten Jahr Kindergarten wurde Ergoth. empfohlen. Mathematik liegt ihm gut, da hat er sich schon früh dafür interessiert, Lesen geht auch, das Schriftbild ist wegen der Motorik ein Problem. Er benötigt Hilfe bei der Körperpflege, vergisst Trinken und Klogehen, benötigt überall Schritt-für-Schritt Anleitungen. Spielt kaum mit Kindern, in der Schule ist es nicht leicht mit ihm, ein Schulwechsel wurde schon geraten.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Ergoth.
Sozialanamnese:
1 Schwester, 3 Jahre Regelkindergarten, derzeit 1. Kl. VS.
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Kinderarztbefund Therapiezentrum P 11/2017: EW-Störung der Motorik und der Sprache, Wahrnehmungsstörung, EW-St. der Selbständigkeit, V.a Autismusspektrumstörung. Bereits in der Spielgruppe und im Kindergarten Verhaltensauffälligkeiten und im Spielverhalten, Essverhalten; neuerl. klein. psych. Testung 3/2018 , Ergoth. weiter, evtl. Schulwechsel
Befund Dr. E von 03/17: V.a. akzentuierte Persönlichkeitszüge im Sinne einer leichten Asperger Symptomatik; leichte Sprachentwicklungsverzögerung; leichte motorische Ungeschicklichkeit
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: gut
Ernährungszustand:
Größe: 127,00 cm Gewicht: 28,00 kg Blutdruck: normal
Status (Kopf/ Fußschema) - Fachstatus:
Kopf/ Hals : o. B.; Sprache: Schetismus und leichter Sigmatismus; int. Status: C/P: frei, WS und Gelenke: altersgemäß beweglich, neuromot. Defizite, Einbeinstand nur kurz, Seiltänzergang neg, feinmot. Defizite, Gesamtmobilität Gangbild: frei
Psycho(patho)logischer Status:
freundlich, zugänglich, kooperativ, unbeobachtet: liegt er unter der Liege oder schleicht sich aus dem Zimmer; kann noch nicht Rad fahren und nicht schwimmen
Als Ergebnis der Begutachtung wurde festgestellt; „Entwicklungsrückstand der Motorik und der Sprache; wegen der notwendigen Fördermaßnahmen, erhöhter Zuwendungsaufwand ist bei Verhaltensauffälligkeiten gegeben, es besteht der Verdacht einer Autismusspektrumstörung mit Aspergersymptomatik, die Diagnose wurde noch nicht gestellt.“ Der Grad der Behinderung wurde wiederum mit 50 % festgestellt und die Behinderung unter Punkt der Anlage zur Einschätzungsverordnung eingeordnet.
In der Stellungnahme zum Vorgutachten wurde ausgeführt: „Keine Änderung des Gdb gegenüber dem Vorgutachten. Rückwirkende Anerkennung des GdB von 50% ist ab befundmäßiger Feststellung der Entwicklungsverzögerung 3/2017 möglich. Die bereits davor bestätigten Verhaltensauffälligkeiten ohne Befundnachweise können einem geringeren GdB zugeordnet werden. Eine genaue Einschätzung ist bei fehlenden Befunden aus der Zeit vor 3/2017 nicht möglich.“
Der festgestellte Grad der Behinderung liege seit 03/2017 vor und werde voraussichtlich mehr als drei Jahre andauern. Eine Nachuntersuchung sei in drei Jahren erforderlich; „Anmerkung hins. Nachuntersuchung: „Zur Verlaufskontrolle, Besserung ist möglich.“
Ein weiteres ärztliches Sachverständigengutachten (Aktengutachten) datiert vom (vidiert am und in der Beihilfendatenbank erfasst am ) und berücksichtigt weitere von der Beschwerdeführerin vorgelegte Unterlagen wie folgt:
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Vorgutachten 12/2017 mit GdB: 50 wegen Entwicklungsrückstand der Motorik und der Sprache
Ein Entwicklungsbericht, wahrscheinlich des Kindergartens aus 9/2014 bis 6/2015 (ohne Anschrift, Unterschrift und Stempel) wird 1/2018 nachgereicht: Verhaltensauffälligkeiten und Stimmungsschwankungen werden beschrieben, hatte sich im Verlauf der Kindergartenjahre in allen Bereichen gut weiterentwickelt, brauchte pädagogische Begleitung in schwierigen Situationen und im emotional sozialen Bereich.
Ergotherapeutischer Bericht 11/2015: Probleme in der Wahrnehmungsverarbeitung, (v.a. eine massive taktile und vestibuläre Abwehr). Sowohl feinmotorisch, als auch grobmotorisch war K nicht altersentsprechend entwickelt.
HNO Bef. 4/2016: Cerumen obt. bilat Seromucotympanon bilat Schalleitungsschwerh. bilat rez Rhinitis, Adenoide
Logopäd. Bef. 5/2016 bis 11/2016: Verbesserung der phonologischen Bewusstheit, der Zungenmotilität und der kommunikativen Fähigkeiten als Intention
Kinderarztbefund 12/2017 : bis auf einen verzögerten Sprachebginn, altersgemäße Entwicklung.
Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:
Ergoth.
Das Ergebnis der durchgeführten Begutachtung (Bezeichnung der Funktionseinschränkung), der Grad der Behinderung und die Begründung der Rahmensätze entsprechen den Vorgutachten. Zu diesen wird in einer Stellungnahme weiter ausgeführt:
„Keine Änderung des GdB; Rückwirkende Anerkennung des GdB von 50% ist ab ärztlicher befundmäßiger Feststellung der Entwicklungsverzögerung 3/2017 möglich. Die neu beigebrachten Bestätigungen und Beschreibungen bestätigen die Annahme eines GdB geringer als 50%, eine genaue Bestimmung des niedrigeren GdB ist für den Bezug der erhöhten Kinderbeihilfe nicht relevant und rückwirkend ohne ausführliche ärztliche Befunde nicht möglich.“
Daraufhin wies das Finanzamt den verfahrensgegenständlichen Antrag vom mit Bescheid vom für den Zeitraum November 2012 bis Februar 2017 ab, wobei allerdings im Spruch des Bescheides insofern ein Schreibfehler unterlief, als darin ein fehlerhaftes Antragsdatum („Antrag vom “) angeführt wird. Ferner findet sich in der Bescheidbegründung ein für den vorliegenden Fall irrelevanter, formelhafter Text zur Frage, wann eine Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG vorliegt. Schließlich wird ausgeführt: „Laut ärztlichen Sachverständigengutachten vom beträgt der Grad der Behinderung für Ihren Sohn 50% ab . Ein Anspruch auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe für den Zeitraum ab November 2012 ist daher nicht gegeben.“ In einem an die Rechtsmittelbelehrung anschließenden „Hinweis“ wird auf das ärztliche Sachverständigengutachten („Bescheinigung“) vom hingewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom , in welcher nur ausgeführt wird: „Sehr geehrte Damen und Herren, um zu beweisen das K bereits ab November 2012 zu 50 % behindert war übergeben wir mehrere Gutachten. Ein noch ausstehendes Hauptgutachten, Ados Test 2, reichen wir innerhalb von 14 Tagen nach.“
In den vom Finanzamt vorgelegten Aktenteilen finden sich dazu Klinisch Psychologische Befunde der Dr. E, Praxis für klinisch-psychologische Diagnostik, vom und , ein Befund Dr. G., Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde von der Gesellschaft für ganzheitliche Förderung und Therapie OÖ GmbH, Therapiezentrum P, vom , sowie eine ärztliche Bestätigung des Dr. H, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde vom mit folgendem Inhalt: „Bei K wurde erstmals im November 2015 die Diagnose V.a. Wahrnehmungsstörung gestellt.“
Daraufhin veranlasste das Finanzamt neuerlich die Erstellung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens durch das Sozialministeriumservice (das vierte innerhalb eines Jahres). Im Gutachten vom wird festgestellt:
Anamnese:
Vorgutachten von Dr. S von 09/2017 mit der Diagnose: Entwicklungsdefizite, Asperger Symptometik, Sprachdefizite, motorische Ungeschicklichkeit, laufende Therapien = GdB 50 %.
Derzeitige Beschwerden:
Der Patient ist lt. Auskunft der Mutter eher sehr introvertiert, zieht sich zurück, Entwicklungsstörung im Bereiche der Motorik, eingeschränkte Hand- und Augenkoordination, Entwicklungsstörung der Sprache und des Sprechens, Wahrnehmungsstörung. Wurde von der Volksschule in die Vorschule zurückgestuft. Das Kind kann Verkehrssituationen nicht einschätzen, kann auf den Verkehr nicht achten, braucht somit eine Begleitperson.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
laufende Ergotherapie und Logopädie, konduktive Mehrfachtherapie im Therapiezentrum P; nimmt zur Zeit keine Medikation ein
Sozialanamnese:
7 jähriger Bub, besucht die Vorschule. Hat eine jüngere Schwester mit 3 Jahren, die ist gesund und hat keine körperlichen und mentalen Beschwerden.
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Mag. Dr. F, psychologischer Befund vom : Asperger Syndrom, tiefgreifende Entwicklungsstörung im Sinne einer Autismusspektrumstörung, Schwierigkeiten in der Eltern-Kind-Bindung, Rückstände in der motorischen Entwicklung, intellektuelle Fähigkeiten unter dem Durchschnittsbereich der Altersnorm, Testbefund lQ 77, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsdefizite, mangelnde Integration in die Peer-Gruppe, ernsthafte soziale Beeinträchtigung.
Dr. H, ärztliche Bestätigung vom : Bei K wurde erstmals im November 2015 die Diagnose Wahrnehmungsstörung gestellt.
Dr. O, Facharzt für Chirurgie, Medizinisches Sachverständigengutachten betreffend Pflegegeld vom : Autismusspektrumstörung - Entwicklungsrückstand, motorische Defizite/motorische Ungeschicklichkeit, Verhaltensstörung, Lernstörung.
Dr. E, klinisch psychologischer Befund/Verlaufskontrolluntersuchung vom : Asperger-Syndrom, motorische Ticstörung, larvierte emotionale Belastungsstörung
Untersuchungsbefund:
Aligemeinzustand: gut, Ernährungszustand: gut
Größe: 130,00 cm Gewicht: 26,00 kg Blutdruck:
Status (Kopf/ Fußschema) Fachstatus:
Herz: leise, rein, rhythmisch, keine vitiumtypischen Geräusche; Lunge: sonoren Klopfschall und VA, die Lungenbasen sind gut verschieblich; Abdomen: im Thoraxniveau, keine pathologische Resistenz; Haut: unauffällig; Gliedmaßen: frei beweglich; WS: altersgemäß, normal beweglich
Gesamtmobilität - Gangbild:Einbeinstand kann bds. für 10 Sekunden gehalten werden, das Hüpfen auf der Stelle plump, Scheren- und Hampelmannsprung sind gut koordiniert.
Psycho(patho)logischer Status:
Der Bub nimmt in keiner weise Kontakt, auch keinen Blickkontakt, kann auch nicht ruhig sitzen bleiben, es besteht auch eine erkennbare psychomotorische Unruhe, eine verkürzte Aufmerksamkeitsspanne und eine kognitiv unterdurchschnittliche Leistungsfähigkeit, IQ getestet mit 77, das Schriftbild leserlich.
Als Ergebnis der durchgeführten Begutachtung wurde festgestellt: „tiefgreifende Entwicklungsstörung im Sinne einer Autismusspektrumstörung, Rückstände in der motorischen Entwicklung, intellektuelle Fähigkeiten unter dem Durchschnittsbereich, ernsthafte soziale Beeinträchtigung; 60 % aufgrund des doch ausgeprägten Asperger Syndrom, die kognitive Leistungsfähigkeit ist unterdurchschnittlich, lQ = 77.“
Der Grad der Behinderung wurde mit 60 % ab 3/2018 festgestellt (Pos.Nr. der Anlage zur Einschätzungsverordnung).
In der Stellungnahme zu den Vorgutachten wurde ausgeführt:
„Die Erhöhung auf 60 % findet statt aufgrund der Befundung . 50 % sind nach wie vor ab 03/2017 zu bewilligen, in der Bestätigung von 03/2018 Dr. H werden Wahrnehmungsstörungen seit 2015 bestätigt, aus dieser Bestätigung ist kein GdB von 50 % ableitbar, daher kann die rückwirkende Einstufung nicht gewährt werden.“
Daraufhin wies das Finanzamt unter Hinweis auf dieses ärztliche Gutachten die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom ab.
Im Vorlageantrag vom bringt die Beschwerdeführerin vor: Da sie die Behinderung ihres Sohnes ab November 2012 niemals beweisen konnte, sei doch klar, dass ihr der Anspruch ab 11/2012 nicht zustehe. Aber die vorliegende ärztliche Bestätigung der Wahrnehmungsstörung ab dem November 2015 sei doch „ein handfester Beweis“, dass das Kind ab 11/2015 „geistig behindert“ sei. Sie bitte daher um positive Entscheidung ab 11/2015.
Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zu Entscheidung vor und beantragte eine Abweisung derselben.
Rechtslage und Erwägungen
1) Sache des Beschwerdeverfahrens
Gemäß § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht (außer in den Fällen des § 278) immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabebehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen. Diese Bestimmung entspricht inhaltlich dem bis zum FVwGG 2012 für Berufungsentscheidungen in Geltung gestandenen § 289 Abs. 2 BAO aF. Die Änderungsbefugnis ist durch die „Sache“ begrenzt. „Sache“ ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat (Ritz, BAO, § 279 Tz 10 mit Hinweis auf ; und ).
Inhalt des Spruches erster Instanz war der „Antrag vom auf erhöhte Familienbeihilfe“. Bei der unrichtigen Datumsangabe betreffend den dem Bescheid zugrundeliegenden Antrag (tatsächlich vom , eingelangt am ) handelt es sich um einen Fehler im Sinne des § 293 BAO, der aus der Anmerkung des offenen Antrages vom in der Beihilfendatenbank am resultierte. Wie bereits oben festgestellt wurde, ist ein weiterer, gesonderter Antrag – insbesondere vom – weder aktenkundig, noch ist ein solcher in der Beihilfendatenbank angemerkt. Der im Rahmen der Bescheiderlassung in der Bezeichnung des Antragsdatums unterlaufene Fehler im Sinne des § 293 BAO war daher im Zuge der Beschwerdeerledigung im Spruch des gegenständlichen Erkenntnisses richtigzustellen (Stoll, BAO, 2826, vorletzter Absatz; ).
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf „erhöhte Familienbeihilfe“ (präzise: Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe) für den Zeitraum November 2012 bis Februar 2017 abgewiesen. Dieser Zeitraum ist daher „Sache“ des Erstbescheides und damit „Sache“ des Beschwerdeverfahrens.
2) Entscheidung in der Sache
Gemäß § 8 Abs. 1 FLAG 1967 bestimmt sich der einer Person zustehende Betrag an Familienbeihilfe nach der Anzahl und dem Alter der Kinder, für die ihr Familienbeihilfe gewährt wird. Die Höhe dieses Grundbetrages wird in § 8 Abs. 2 und 3 FLAG näher geregelt.
Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist, um die dort angeführten Beträge (Erhöhungsbetrag).
Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen (§ 8 Abs. 5 FLAG).
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen (§ 8 Abs. 6 FLAG).
Durch diese Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG hat der Gesetzgeber die Frage des Grades der Behinderung der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend waren (z.B. mwN). Daraus folgt, dass de facto eine Bindung der Beihilfenbehörden an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes erstellten Gutachten gegeben ist. Die Tätigkeit der Behörden (bzw. des Bundesfinanzgerichtes) hat sich daher im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, ob die Gutachten als schlüssig anzusehen sind (vgl. Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 29 mwN; ebenso z.B. ; ; ; ).
Dies gilt auch für rückwirkende Feststellungen im Gutachten zur Frage, ab wann der festgestellte Grad der Behinderung eingetreten ist. Der Sachverständige kann dabei in der Regel nur aufgrund von vorliegen Befunden Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung eingetreten ist (vgl. Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 32; ; ).
Im gegenständlichen Fall wurde in allen vorliegenden ärztlichen Gutachten des Sozialministeriumservice übereinstimmend ein Grad der Behinderung von 50 % rückwirkend ab März 2017 festgestellt, und diese Feststellung auf den in diesem Monat erstellten Befund der Dr. E, Fachpsychologin für Klinische Psychologie, gestützt. Eine weitergehende rückwirkende Feststellung dieses Grades der Behinderung war nach den Ausführungen in diesen Gutachten mangels entsprechender befundmäßiger Feststellungen nicht möglich.
In der von der Beschwerdeführerin vorgelegten ärztlichen Bestätigung des Dr. H vom wird zwar ausgeführt, dass beim Sohn der Beschwerdeführerin erstmals im November 2015 die Diagnose „V. a. Wahrnehmungsstörung“ (Verdacht auf Wahrnehmungsstörung) gestellt worden sei. Die zu dieser Bestätigung im Gutachten vom getroffene Feststellung, dass daraus kein Grad der Behinderung von 50 % ableitbar sei, ist aber nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes schlüssig. Ein „Befund“ bezeichnet medizinisch relevante, körperliche oder psychische Erscheinungen, Gegebenheiten, Veränderungen und Zustände eines Patienten, die durch Fachpersonal (Ärzte, anderes medizinisches Personal) als Untersuchungsresultat erhoben werden. Dies geschieht durch unterschiedlichste Untersuchungsmethoden und Hilfsmittel und die Ergebnisse werden auf verschiedenste Weise dokumentiert (Text, Grafik, Bild, Ton etc.). Die Befundung folgt in der Regel einer systematisch durchgeführten Untersuchung. Eine Zusammenfassung aller Einzelbefunde findet sich in einem Befundbericht, wobei sich deren Ergebnisse immer auf den Untersuchungszeitpunkt beziehen. Diesen Anforderungen an einen Befund entspricht die vorgelegte ärztliche Bestätigung aber nicht, da daraus für den begutachtenden Arzt des Sozialministeriumservice keine substantiierten und nachvollziehbaren Schlüsse auf das konkrete Ausmaß der Einschränkungen des Kindes zum damaligen Zeitpunkt gezogen werden konnten. Im Übrigen ist ein bloßer „Verdacht“ auf das Vorliegen einer Wahrnehmungsstörung noch keine Feststellung derselben. Schließlich ist noch zu bedenken, dass Entwicklungsstörungen unterschiedlich schwer ausgebildet sein können, je nach Ursache unterschiedlichste Defizite und Symptome zeigen und vor allem immer auch im Zusammenhang mit dem Alter des Kindes stehen. So wurde in den Gutachten eine Nachuntersuchung zur Verlaufskontrolle als erforderlich angesehen, da eine „Besserung zu erwarten“ (Gutachten vom ) bzw. eine „Besserung möglich“ sei (Gutachten vom ). Das Ausmaß der Defizite (Symptome) hängt demzufolge nicht nur von der Ursache der Erkrankung ab, sondern auch von anderen Faktoren (therapeutische Interventionen, soziales Lebensumfeld, Fördermaßnahmen). Angesichts dessen können die Schwere der Erkrankung und das Ausmaß der Defizite immer nur im Zuge einer aktuellen umfassenden Untersuchung festgestellt werden. Fehlen derart umfassende Untersuchungen, wie eben ein umfassendes Gutachten oder ein ärztlicher Befund im oben aufgezeigten Sinn, kann nur der aktuelle Zustand beurteilt werden, und sind rückwirkende Beurteilungen dann auch für den medizinischen Sachverständigen ausgeschlossen (vgl. ).
Insgesamt gesehen liegen daher im vorliegenden Fall schlüssige Gutachten des Sozialministeriumservice auch zur Frage der rückwirkenden Feststellung des Grades der Behinderung vor. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Vorlageantrag ist die vorgelegte ärztliche Bestätigung des Dr. H kein „handfester Beweis“, dass seit November 2015 ein Grad der Behinderung ihres Sohnes von mindestens 50 % vorliegt, sondern wurde im Gutachten vom schlüssig festgestellt, dass aus dieser Bestätigung dieser Grad der Behinderung gerade nicht abgeleitet werden kann.
Aufgrund der aufgezeigten Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts sind die Gutachten des Sozialministeriumservice somit für das Beihilfenverfahren bindend, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da im gegenständlichen Verfahren die entscheidungsrelevanten Rechtsfragen bereits ausreichend durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt sind, und die Entscheidung von dieser Rechtsprechung nicht abweicht, ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig. Der Prüfung der Schlüssigkeit von Gutachten des Sozialministeriumservice im konkreten Fall kommt keine über den Einzelfall hinausgehende und damit keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 8 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2019:RV.5101887.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at