Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.08.2019, RV/4100926/2015

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Auslandsaufenthalte)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. H.K. in der Beschwerdesache Mag. A.L, A.Str 23, L., vertreten durch O. mbH, H.G 31, S.St, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes L vom  betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 308 Bundesabgabenordnung (BAO) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am  zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf.) wurde mit Haftungsbescheid vom als Geschäftsführerin der M.A GmbH für nicht entrichtete Abgabenschuldigkeiten iHv € 10.382,40 zur Haftung herangezogen. Der Bescheid wurde am  rechtswirksam zugestellt. Die Verständigung über die Hinterlegung des Briefes beim Zustellpostamt (Haftungsbescheides) wurde in den Briefkasten eingelegt.  

Nachdem die Abgabenschuldigkeiten im Wege der Lohnpfändung (Bescheid über die Lohnpfändung vom ) einbringlich gemacht werden konnten, beantragte die Bf. mit Schriftsatz vom die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die versäumte Beschwerdefrist gegen den Haftungsbescheid vom - zugestellt am - und erhob gleichzeitig Beschwerde gegen den Haftungsbescheid.
Begründend wurde ausgeführt, dass die Bf. die GmbH betrieben habe, welche Ende 2013 im Firmenbuch gelöscht worden sei.
Infolge der Insolvenz des größten Auftraggebers sei die Firma in wirtschaftliche Schieflage geraten und habe sich die finanzielle Lage der Bf. ständig verschlechtert. Hinzu kämen die Scheidung und die Alleinerziehung ihres Sohnes.
Die Bf. habe eine neue berufliche Herausforderung angenommen, um ihre Situation zu verbessern. Die Bf. war dazu längere Zeit im Ausland, hatte längere Auslandsaufenthalte und war zeitlich sehr stark eingeschränkt, sodass es ihr nicht möglich gewesen sei, rechtzeitig Beschwerde gegen den Haftungsbescheid einzubringen.

Hinsichtlich der haftungsverhangenen Abgabenschuldigkeiten führte die Bf. aus, dass die GmbH seit Jahren keine Geschäftstätigkeit getätigt und Einnahmen erzielt habe. Die Barauslagenersätze, Verspätungszuschläge resultieren aus der Vorschreibung von Körperschaftsteuer, die tatsächlich nicht mehr angefallen sei. Sie habe keine Einnahmen für Zahlungen zur Verfügung gehabt und wurde die Löschung der GmbH im Dezember 2013 im Firmenbuch durchgeführt. Eine Ungleichbehandlung sei nicht mehr möglich gewesen. Beantragt wurde die Herabsetzung des Haftungsbetrages für Umsatzsteuern und Lohnzahlungen auf € 550,00.

Das Finanzamt wies mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet ab und führte aus, dass die Rechtsmittelfrist am  abgelaufen war und seither acht Monate ungenützt verstrichen worden wären.
Offen bleibe, warum die Bf. kein Rechtsmittel eingebracht hat. Das Vorbringen, sie sei beruflich wiederholt lange im Ausland gewesen und habe daher keine Beschwerde einbringen können, reiche für eine Begründung des Antrages auf Wiedereinsetzung nicht aus.

In der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid wiederholt die Bf. ihr bisheriges Vorbringen. Die Zeitversäumnisse werden gar nicht bestritten. Es könne jedoch nicht außer Betracht gelassen werden, dass dem Argument der Rechtsrichtigkeit der Vorrang vor der der Rechtsbeständigkeit einzuräumen ist. Dieser Aspekt beziehe sich darauf, dass die GmbH keine Geschäftstätigkeit mehr ausgeübt habe.

Nachdem das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom die Beschwerde als unbegründet abgewiesen hat, beantragte die Bf. die Vorlage der Beschwerde und Durchführung einer mündlichen Verhandlung. 

Das Finanzamt beantragte im Vorlagebericht die Abweisung der Beschwerde.

In der mündlichen Verhandlung wies die Bf. und deren steuerlicher Vertreter darauf hin, dass aufgrund der prekären finanziellen Situation, welche durch den wirtschaftlichen Niedergang der GmbH und der Scheidung ausgelöst worden ist, diese nicht mehr in der Lage gewesen sei, ihre Probleme mit dem Finanzamt fristgerecht zu lösen. Sie habe sich primär um ihre existenziellen Belange kümmern müssen. Sie habe die monatliche Miete aufbringen müssen und sei auch mit gerichtlichen Exekutionsverfahren konfrontiert gewesen. Die dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Abgaben, hätten dem Grunde und der Höhe nach nicht bestanden.

Sie habe sich als alleinerziehende Mutter und Wochenpendlerin durchgehend in einer schwierigen Ausnahmesituation befunden, welche sie an der rechtzeitigen Einbringung der Beschwerde gehindert haben. Sie habe am Montag nach L.S pendeln müssen und sei erst in der Nacht von Freitag auf Samstag wieder nach Hause gekommen.

Vorrangig sei es in diesem Verfahren, dem Grundsatz der Rechtsrichtigkeit den Vorrang der Rechtsbeständigkeit einzuräumen.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

§ 308 Abs. 1 und 2 lauten:

"(1) Gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen einer Frist von drei Monaten nach Aufhören des Hindernisses bei der Behörde (Abgabenbehörde oder Verwaltungsgericht), bei der die Frist wahrzunehmen war bzw. bei der die Verhandlung stattfinden sollte, eingebracht werden. Bei Versäumnis einer Beschwerdefrist (§ 245) oder einer Frist zur Stellung eines Vorlageantrages (§ 264) gilt § 249 Abs. 1 dritter Satz sinngemäß. Im Fall der Versäumung einer Frist hat der Antragsteller spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachzuholen."

Ereignis im Sinne des § 308 Abs 1 BAO ist jedes Geschehen, daher auch ein "Vergessen" oder ein "schlichtes Übersehen." Die genannte Bestimmung fordert ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis.

Gemäß § 308 Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein Mindergrad des Versehens trifft.

Ein Ereignis ist als unabwendbar zu qualifizieren, wenn sein Eintritt von der Partei mit den einem Durchschnittsmenschen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht verhindert werden kann, auch wenn er dieses Ereignis voraussah; als unvorhergesehen, wenn die Partei dieses tatsächlich nicht mit einberechnet hat und sie dessen Eintritt unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, Seite 2983; Ritz, BAO6, § 308 Tz 8 ff, und die dort zitierte VwGH-Judikatur).

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Auffassung, dass ein bloßes "Vergessen" oder ein "schlichtes Übersehen" ohne das Hinzutreten besonderer, hiefür ausschlaggebender Umstände — wie zB das Vorliegen eines bestürzenden Ereignisses oder seelischer Erschütterungen (vgl. Stoll, BAO, Seite 2984; ) —  kein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 308 Abs. 1 BAO darstellt und somit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu begründen vermag ().

Der Begriff des minderen Grad des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen ().

Liegt ein minderer Grad des Versehens im Sinne leichter Fahrlässigkeit nach § 1332 ABGB vor, so schließt dies eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aus. Leichte Fahrlässigkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht.

Keine leichte Fahrlässigkeit liegt aber vor, wenn jemand auffallend sorglos handelt. Auffallend sorglos handelt, wer die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und nach den persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt (vgl. ).

Der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages ist nun nicht zu entnehmen, worin das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis, das die Frist einzuhalten verhindert hat, bestanden hat bzw. warum ein minderer Grad des Versehens vorliegen soll.

Die Bf. führte nachvollziehbar aus, dass sie aufgrund ihrer beruflichen Neuorientierung dauernd im Ausland beruflich tätig gewesen ist und daher die Beschwerde nicht fristgerecht einbringen habe können. Die Bf. ist Alleinerzieherin.

Primär werde dem Argument der Rechtsrichtigkeit der Vorrang vor der Rechtsbeständigkeit einzuräumen sein. Daher sei ihr Antrag und die Beschwerde berechtigt.

Die berufliche Neuorientierung, verbunden mit länger dauernden, wiederholten Auslandaufenthalten und die Scheidung der Bf., verbunden mit ihrer privaten Aufgabe als alleinerziehende Mutter stellen unbestritten eine große Herausforderung dar.

Diese vermögen jedoch nichts daran zu ändern, dass es der Bf. ausgehend von der Betrachtung eines sorgfältigen Durchschnittsmenschen zumutbar gewesen ist, rechtzeitig einen Beschwerdeschriftsatz einzubringen und Beschwerde zu erheben. Es wäre der Bf. zumutbar gewesen, von ihrem neuen Dienstort aus Beschwerde zu erheben. Die Tatsache, dass die Bf. Alleinerzieherin und Wochenpendlerin gewesen ist, rechtfertigen nach Ansicht des erkennenden Richters nicht die Versäumung einer Beschwerdefrist, zumal im Umgang mit Behörden eine erhöhte Aufmerksamkeit geboten ist. 

Die Bf. und der steuerliche Vertreter waren seit Mai 2015 mit der Abgabenbehörde wegen der eingeleiteten Lohnpfändung im Februar 2015 in Kontakt.

Besondere Umstände im Sinne des § 308 BAO, welche das Überschreiten der Beschwerdefrist um mehr als sieben Monate rechtfertigen, liegen dem Antrag nicht zu Grunde, weil es an dem unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis fehlt. Offen bleibt, warum die Bf. nicht während ihres Auslandsaufenthaltes einen Beschwerdeschriftsatz eingereicht hat.

Da die Voraussetzungen für eine Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorliegen, war der Antrag mit Beschluss (vgl. § 33 Abs. 4 VwVGV und § 46 Abs. 4 VwGG) abzuweisen.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da sich das Erkenntnis auf die zitierte höchstgerichtliche Judikatur stützt, ist eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht gegeben, weshalb die Revision als unzulässig zu erklären war.

Klagenfurt am Wörthersee, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 308 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
wiederholte Auslandsaufenthalte
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.4100926.2015

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at