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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 09.09.2019, RV/5101832/2018

Familienbeihilfe (Differenzzahlung) bei Nichtausübung eines Gewerbes in den ersten 48 Monaten nach der Geburt eines Kindes

Rechtssätze


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Folgerechtssätze
RV/5101832/2018-RS1
wie RV/5100806/2018-RS1
Die Nichtausübung eines angemeldeten Gewerbes in den ersten 48 Monaten nach der Geburt eines Kindes zum Zwecke der Kindererziehung stellt grundsätzlich eine der selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation iSd Art 11 Abs 3 lit a sowie des Art 68 iVm Art 1 lit b Verordnung (EG) Nr 883/2004 dar. Voraussetzung dafür ist, dass keine Abmeldung des Gewerbes erfolgt und dass während dieses Zeitraumes nach der Maßgabe der österreichischen Rechtsvorschriften zumindest eine Teilversicherung (zB in der Pensionsversicherung; vgl § 3 Abs 3 Z 4 GSVG) vorliegt. Nicht maßgeblich ist demgegenüber, ob das Gewerbe bis zum Beginn des Wochengeldbezuges (durchgehend) tatsächlich ausgeübt wurde. Eine vorübergehende Unterbrechung der Erwerbstätigkeit (zB wegen Krankheit) unmittelbar vor dem Beginn des Wochengeldbezuges ist somit für den Anspruch auf Familienbeihilfe bzw Differenzzahlung gem Art 68 Abs 2 Verordnung (EG) Nr 883/2004 unschädlich, sofern durchgängig eine Pflichtversicherung nach dem GSVG vorlag.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache Bf., über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt FA vom , VNR: 0000, betreffend die Abweisung eines Antrages auf Gewährung einer Differenzzahlung für das Kind *** ****, geb. **.05.2017, für den Zeitraum „ab August 2017“  zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Bescheid vom  wies das Finanzamt einen mit datierten Antrag der Beschwerdeführerin (Bf.) auf Gewährung einer Differenzzahlung für das Kind *** ****, geb. **.05.2017, für den Zeitraum „ab August 2017“ mit nachstehender Begründung ab:
Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in der ab gültigen Fassung regelt, welcher Mitgliedstaat für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen vorrangig zur Gewährung der im jeweiligen Hoheitsgebiet vorgesehenen Familienleistungen verpflichtet ist.
Vorrangig muss grundsätzlich jener Mitgliedstaat die Familienleistungen gewähren, in dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.
Sind die Elternteile in verschiedenen Mitgliedstaaten erwerbstätig, trifft die vorrangige Verpflichtung zur Gewährung der Familienleistungen jenen Mitgliedsstaat, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen.
Sind die Familienleistungen im anderen Mitgliedsstaat höher, besteht dort gegebenenfalls ein Anspruch auf Gewährung des Unterschiedsbetrages (Artikel 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004).
Wird in jenem Mitgliedstaat, der vorrangig zur Gewährung von Familienleistungen verpflichtet ist, kein Antrag gestellt, so kann der andere Mitgliedsstaat dennoch jene Leistungen, die bei Antragstellung gewährt worden wären, bei der Berechnung des Unterschiedsbetrages berücksichtigen.
Ändern sich zwischen den Mitgliedstaaten während eines Kalendermonats die Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen, hat der Mitgliedstaat, der die Familienleistungen zu Beginn dieses Monats gewährt hat, die Familienleistungen bis zum Ende dieses Monats auszuzahlen (Art. 59 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit).
Unter dem Begriff Beschäftigung wird eine unselbständige oder selbständige Erwerbstätigkeit verstanden, welche auch tatsächlich ausgeübt wird. Ein Urlaub zum Zwecke der Kindererziehung wird nach nationalem Recht nur dann einer Beschäftigung gleichgestellt, wenn es sich um einen Karenzurlaub nach § 15 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MSchG) handelt. Auf selbständige Erwerbstätige ist das Mutterschutzgesetz aber nicht anwendbar.
Hinzu kommt, dass eine selbständige Beschäftigung auch tatsächlich ausgeübt werden muss. Da Sie im Abweisungszeitraum die selbständige Beschäftigung nicht tatsächlich ausgeübt haben und eine einer Beschäftigung gleichgestellte Situation nur während des Wochengeldbezuges vorliegt, besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe.
"

Dagegen wurde mit Eingabe vom fristgerecht eine Bescheidbeschwerde eingebracht. Dies im Wesentlichen mit folgender Begründung:
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde mein Antrag auf Ausgleichzahlung von August 2017 für meine Tochter ***** ****, geb. **.06.2015, und für meine neugeborene Tochter *** ****, geb. **.05.2017, abgewiesen, mit der Begründung, dass ich ab August 2017 in Österreich keine selbständige Beschäftigung tatsächlich ausgeübt habe und eine der Beschäftigung gleichgestellte Situation nur während des Wochengeldbezuges vorliegt.
Da die vorgelegten Dokumente wahrscheinlich als nicht genügende Nachweise betrachtet wurden, lege ich dieser Beschwerde die Bestätigung über die bezahlten Sozialversicherungsbeiträge bis vor, aus der hervorgeht, dass ich aufrecht pflichtversichert war sowie Bestätigung über Wochengeldbezug während meines gesetzlichen Mutterschutzes.
Ich möchte darauf hinweisen, dass die Ansprüche auf Familienleistungen nicht nur für die Dauer einer tatsächlichen Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gelten, sondern auch während Zeiten einer vorübergehenden Unterbrechung einer solchen Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit, z.B. wegen Mutterschaft oder auch durch unbezahlten Urlaub zum Zweck der Kindererziehung, solange dieser einer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt ist. Für selbständig Erwerbstätige liegt zum Zweck der Kinderbetreuung und -erziehung bis zum 2. Geburtstag eines Kindes eine karenzähnliche Situation vor und die Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser Erwerbstätigkeit gelten im Sinne der Verordnung (EG) 883/2004 als der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellte Zeiten.
Deswegen sehe ich mich weiterhin zum Bezug der Familienleistungen bzw. der Ausgleichzahlungen berechtigt, mindestens bis zum zweiten Lebensjahr meines zweiten Kindes, für welches ich den unbezahlten Urlaub zum Zweck der Kindererziehung beanspruche.
Ich beantrage daher den oben genannten Abweisungsbescheid unter Berücksichtigung der beigelegten Dokumente und vorwiegend der genannten Tatsachen aufzuheben und die Familienbeihilfe bzw. Ausgleichzahlung für meine neugeborene Tochter *** 
**** sowie für meine ältere Tochter ***** **** zu genehmigen.
Alle anderen Unterlagen, die für Gewährung der Familienbeihilfe notwendig sind, befinden sich bereits in meiner Akte.
"

Das Finanzamt wies in der Folge die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab. Die Bf. habe in der Zeit vor der Geburt ihres zweiten Kindes die selbständige Tätigkeit in Österreich nicht tatsächlich ausgeübt. Die Beschäftigungsgleichstellung ende mit dem Ablauf der gesetzlichen Karenz, d.h. mit dem zweiten Geburtstag des ersten Kindes im Juni 2017.

Mit der fristgerechten Einbringung des Vorlageantrags gilt die Bescheidbeschwerde wiederum als unerledigt (§ 264 Abs. 3 BAO).
Der Bf. bringt in diesem als Widerspruch gegen den Bescheid vom bezeichneten Schreibens sinngemäß vor, dass eine Ausübung ihrer Tätigkeit in der Zeit des Mutterschaftsurlaubes nicht möglich gewesen sei. 

Über die Beschwerde wurde erwogen:

I.) Rechtslage:

§ 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) lautet auszugsweise:

"§ 2. (1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
a) für minderjährige Kinder,
b) ...

(2) Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind hat die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

(3) Im Sinne dieses Abschnittes sind Kinder einer Person
a) deren Nachkommen,
b) ..."

§ 2a FLAG 1967 lautet:

"§ 2a (1) Gehört ein Kind zum gemeinsamen Haushalt der Eltern, so geht der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vor. Bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, dass die Mutter den Haushalt überwiegend führt.

(2) In den Fällen des Abs. 1 kann der Elternteil, der einen vorrangigen Anspruch hat, zugunsten des anderen Elternteiles verzichten. Der Verzicht kann auch rückwirkend abgegeben werden, allerdings nur für Zeiträume, für die die Familienbeihilfe noch nicht bezogen wurde. Der Verzicht kann widerrufen werden."

§ 53 Abs. 1 FLAG 1967 lautet:

"§ 53. (1) Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hiebei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten."

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 166, S. 1 (im Folgenden Verordnung (EG) Nr. 883/2004) lauten (auszugsweise):

„ Artikel 1

Definitionen

Für Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

a) „Beschäftigung“ jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;

b) „selbstständige Erwerbstätigkeit“ jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;

...

i) „ Familienangehöriger":

1. i) jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird;

...

j) „Wohnort“ den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person;

..."

„ Artikel 2

Persönlicher Geltungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familien­an­ge­hörigen und Hinterbliebenen.

(2) .."

„ Artikel 3

Sachlicher Geltungsbereich

(1)  Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:

...

j) Familienleistungen.

..."

„ Artikel 4

Gleichbehandlung

Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates."

„ Artikel 7

Aufhebung der Wohnortklauseln

Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat."

„ Artikel 11

Allgemeine Regelung

(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheiten, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

...

e) jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats.

..."

„Artikel 67

Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen

Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Rentner hat jedoch Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats."

„Artikel 68

Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen

(1)  Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2)  Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

(3)  Wird nach Artikel 67 beim zuständigen Träger eines Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften gelten, aber nach den Prioritätsregeln der Absätze 1 und 2 des vorliegenden Artikels nachrangig sind, ein Antrag auf Familienleistungen gestellt, so gilt Folgendes:

a) Dieser Träger leitet den Antrag unverzüglich an den zuständigen Träger des Mitgliedstaats weiter, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, teilt dies der betroffenen Person mit und zahlt unbeschadet der Bestimmungen der Durchführungsverordnung über die vorläufige Gewährung von Leistungen erforderlichenfalls den in Absatz 2 genannten Unterschiedsbetrag;

b) der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, bearbeitet den Antrag, als ob er direkt bei ihm gestellt worden wäre; der Tag der Einreichung des Antrags beim ersten Träger gilt als der Tag der Einreichung bei dem Träger, der vorrangig zuständig ist."

Die hier maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 284, S. 1 (im Folgenden Verordnung (EG) Nr. 987/2009) lauten (auszugsweise):

„ Artikel 1

Begriffsbestimmungen

(1)  Im Sinne dieser Verordnung

a) bezeichnet der Ausdruck „Grundverordnung“ die Verordnung (EG) Nr. 883/2004;

b) bezeichnet der Ausdruck „Durchführungsverordnung“ die vorliegende Verordnung; und

c) gelten die Begriffsbestimmungen der Grundverordnung.

..."

„Artikel 60

Verfahren bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung

(1) Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird.

(2) Der nach Absatz 1 in Anspruch genommene Träger prüft den Antrag anhand der detaillierten Angaben des Antragstellers und berücksichtigt dabei die gesamten tatsächlichen und rechtlichen Umstände, die die familiäre Situation ausmachen.

Kommt dieser Träger zu dem Schluss, dass seine Rechtsvorschriften nach Artikel 68 Absätze 1 und 2 der Grundverordnung prioritär anzuwenden sind, so zahlt er die Familienleistungen nach den von ihm angewandten Rechtsvorschriften.

Ist dieser Träger der Meinung, dass aufgrund der Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats ein Anspruch auf einen Unterschiedsbetrag nach Artikel 68 Abs. 2 der Grundverordnung bestehen könnte, so übermittelt er den Antrag unverzüglich dem zuständigen Träger des anderen Mitgliedstaats und informiert die betreffende Person; außerdem unterrichtet er den Träger des anderen Mitgliedstaats darüber, wie er über den Antrag entschieden hat und in welcher Höhe Familienleistungen gezahlt wurden."

II.) Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (Bf.), ihr Ehegatte und ihre beiden minderjährigen Töchter sind slowakische Staatsbürger und haben ihren gemeinsamen Hauptwohnsitz in der Slowakischen Republik.
Die Bf. betreibt in Österreich das freie Gewerbe der Personenbetreuung (§ 159 GewO 1994). Sie verfügt seit **.02.2010 über eine entsprechende Gewerbeberechtigung. Ihr Ehegatte ist in der Slowakischen Republik beschäftigt.
Ab übte die Bf. die Personenbetreuung nicht mehr aktiv aus. Vor der Geburt ihrer Tochter ***** am **.06.2015 bezog sie vom **.12.2014 bis **.01.2015 Krankengeld und im Anschluss daran aufgrund einer festgestellten Risikoschwangerschaft Wochengeld. Nach Einstellung des Wochengeldbezugs am **.07.2015 bis zum neuerlichen Wochengeldbezug ab dem **.03.2017 anlässlich der Geburt ihrer zweiten Tochter *** (geb. **.05.2017) befand sich die Bf. nach eigenen Angaben im „ Urlaub zum Zweck der Kindererziehung".
Aufgrund des Wochengeldbezuges zeigte die Bf. der zuständigen Wirtschaftskammer das Ruhen der Gewerbeausübung in der Zeit vom bis  an. Zudem liegt eine Nichtbetriebsmeldung per vor. Bis dato erfolgte keine Abmeldung des Gewerbes. Die Bf. unterliegt insoweit als gewerblich selbständig Erwerbstätige der Pflichtversicherung nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG) und hat somit Sozialversicherungsbeiträge an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) zu leisten.
Am beantragte sie bei der SVA die Ausnahme von der Pflichtversicherung bei Bestehen einer Teilversicherung in der Pensionsversicherung während der Kindererziehung. In der Folge wurde sie ab für die festgestellte Kindererziehungszeit vorläufig von der Pensions- und Krankenversicherung nach dem GSVG ausgenommen. Der gesetzliche Unfallversicherungsschutz blieb weiterhin aufrecht.

III.) Beweiswürdigung

Der dargestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten sowie aus den Angaben und Vorbringen der beschwerdeführenden Partei. Ausgehend von den Ermittlungsergebnissen sieht das Bundesfinanzgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend geklärt an. Es liegen in sachverhaltsmäßiger Hinsicht keine begründeten Zweifel vor, die durch weitere Ermittlungen zu verfolgen wären, zumal auch die Verfahrensparteien keine solchen begründeten Zweifel darlegten, dass weitere Erhebungen erforderlich und zweckmäßig erscheinen.

IV.) Rechtliche Erwägungen

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) ist die Frage, ob für einen bestimmten Zeitraum Familienbeihilfe zusteht, an Hand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beantworten. Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum für die Familienbeihilfe ist, wie sich dies den Regelungen des § 10 Abs. 2 und 4 FLAG 1967 entnehmen lässt, der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruches für ein Kind kann somit je nach Eintritt von Änderungen der Sach- und/oder Rechtslage von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein (vgl. etwa ).

Im Spruch des angefochtenen Bescheides hat das Finanzamt die Zuerkennung von Differenzzahlungen für das im Bescheid genannte Kind für Zeiträume „ab August 2017" versagt . Damit ist auch die Entscheidungsbefugnis des Bundesfinanzgerichtes auf diese Zeiträume beschränkt.

Die Bf. ist slowakische Staatsbürgerin und damit Unionsbürgerin. Aus diesem Grund ist die Bf. gemäß § 53 Abs. 1 FLAG 1967 österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Die innerstaatlichen Normen werden zugleich durch die unionsrechtlichen Regelungen überlagert.

Ab Mai 2010 gilt die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 mit der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. (vgl. Csaszar in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG Kommentar, Rz 19 und 20 zu § 53)

Diese Verordnungen sind anwendbar, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der zwei oder mehr Mitgliedstaaten berührt. Der typische Anwendungsfall ist der eines Unionsbürgers, der in einem Mitgliedstaat (Beschäftigungsland) als Arbeitnehmer oder Selbständiger beschäftigt ist, während seine Familie weiterhin in einem anderen Mitgliedstaat (Wohnsitzland) lebt. (Csaszar in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG Kommentar, Rz 39 und 40 zu § 53).

Im gegenständlichen Fall stellte die Bf. unter Verwendung des Formblattes Beih 38 einen mit datierten Antrag auf Gewährung einer Differenzzahlung für ihre Tochter *** ****. Die Bf., ihr Ehegatte und deren Kinder hatten bzw. haben ihren Familienwohnsitz in der Slowakei. Von den Parteien wird nicht in Zweifel gezogen, dass im hier zu beurteilenden Zeitraum die Slowakei jener Staat ist, in dem sich der gewöhnliche Aufenthalt der Bf. im Sinne des Art. 1 Buchstabe j der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 befindet („ Wohnortstaat").

Es wird somit von der Bf. ein Sachverhalt dargestellt, der sowohl die Slowakische Republik als auch Österreich als Mitgliedstaaten der Europäischen Union betreffen, sodass neben dem jeweiligen innerstaatlichen Recht auch die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und (EG) Nr. 987/2009 zu beachten sind.

Die Bf. sowie ihr im angefochtenen Bescheid genanntes Kind sind slowakische Staatsangehörige und sind daher vom persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 umfasst. Familienleistungen fallen nach Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe j) in den sachlichen Geltungsbereich der genannten Verordnung.

Strittig ist im Beschwerdefall, ob die Bf. im Streitzeitraum „ ab August 2017" den österreichischen Rechtsvorschriften unterlag.

Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung zur Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 darauf hingewiesen, dass die Vorschriften des Titels II dieser Verordnung, nach denen sich die auf innerhalb der Europäischen Union zu- und abwandernde Erwerbstätige anzuwendende Rechtsvorschriften bestimmen, nach ständiger Rechtsprechung u. a. bezwecken, dass die Betroffenen grundsätzlich dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, sodass die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden. Dieser Grundsatz komme insbesondere in Art. 13 Abs. 1 dieser Verordnung zum Ausdruck (vgl. verb. Rs. C-611/10 und C-612/10, Rn 41)

Dass an diesem Grundsatz die die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 ablösende Verordnung (EG) Nr. 883/2004 etwas hätte ändern sollen, ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht ersichtlich ().

Personen, für die die zuletzt genannte Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats (Art. 11 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004).
Nach Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats.

Demzufolge unterliegt eine Person, sofern die Verordnung keine Ausnahmen vorsieht (vgl. Art. 12 bis 16), grundsätzlich immer den Rechtsvorschriften jenes Staates, in dem die Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wird (Territorialitäts- bzw. Beschäftigungslandprinzip).

Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 normiert einen Anspruch auf Export von Familienleistungen. Ob Österreich für die Erbringung von Familienleistungen (und damit auch für den etwaigen Export in einen anderen Mitgliedstaat) zuständig ist, ist auf der Grundlage der kollisionsrechtlichen Vorschriften der Art. 11 ff der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zu beurteilen. Leistungszuständig dafür ist jener Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften nach den Art. 11 ff der Verordnung anwendbar sind. Für den Fall, dass für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Ansprüche auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren sind, sieht Art. 68 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Prioritätsregeln vor. Die Bestimmung legt somit, um Doppelleistungen zu vermeiden, für den Fall der Kumulierung von Anspruchsberechtigungen fest, welche Staaten vorrangig zuständig sind (, Bogatu, Rn 24).

Art. 11 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 regelt, welche Rechtsordnung zur Anwendung kommt. Nach Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ist - unabhängig vom Wohnsitz - in erster Linie jener Mitgliedstaat zuständig, in dem eine Person einer Beschäftigung nachgeht oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt (Beschäftigungsstaat). Kann nicht an eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit angeknüpft werden, so ist gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 der Wohnsitzmitgliedstaat zuständig.

Art. 68 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 normiert Prioritätsregeln, wenn Ansprüche auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen zusammentreffen. Für den Fall der Kumulierung von Anspruchsberechtigungen aus verschiedenen Mitgliedstaaten wird festgelegt, welcher Staat vorrangig zuständig ist.

Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 bestimmt für die Anwendung der Art. 67 und 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, dass vom zuständigen Träger die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen („Familienbetrachtungsweise“).

Gemäß Art. 68 Abs. 1 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt bei Leistungsgewährung von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen folgende Rangfolge: An erster Stelle stehen Ansprüche, die deshalb bestehen, weil die betreffende Person im jeweiligen Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausübt. Diesen nachgereiht sind Ansprüche, die durch eine Rente ausgelöst werden. Darauf folgen an letzter Stelle Ansprüche, die aufgrund des Wohnsitzes bestehen.

Für den Fall, dass ein Anspruchskonflikt deshalb besteht, weil die Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten jeweils aus dem gleichen Grund (nämlich Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit) zur Anwendung kommen, bestimmt Art. 68 Abs. 1 Buchstabe b sublit. i) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 jenen Staat als vorrangig zuständig, in dem auch die Kinder ihren Wohnort haben, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird.

Überträgt man diese Grundsätze auf den vorliegenden Beschwerdefall, ergibt sich daraus Folgendes:

Die Bf. übt das Gewerbe der Personenbetreuung (§ 159 GewO 1994) aus. Damit ist zunächst die Frage zu beantworten, ob die Bf. in der hier fraglichen Zeit (ab August 2017) nach der Geburt ihrer zweiten Tochter während ihres „ Urlaubes zur Kindererziehung" eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübte oder eine der Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation vorlag.

Der Begriff „selbstständige Erwerbstätigkeit“ wird in Art. 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 definiert als jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt.
Gleichzeitig fingiert Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unter bestimmten Umständen eine selbstständige Erwerbstätigkeit: Demnach wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Tätigkeit ausüben.

Als weitere Begriffsbestimmung enthält der Beschluss Nr. F1 der Verwaltungskommission vom zur Auslegung des Artikels 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Prioritätsregeln beim Zusammentreffen von Familienleistungen, ABlEU Nr. C 106 vom . Nach dessen Nr. 1 Buchstabe b sublit. iii) gelten für die Zwecke des Art. 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Ansprüche auf Familienleistungen insbesondere dann als „durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst“, wenn sie durch unbezahlten Urlaub zum Zweck der Kindererziehung, solange dieser Urlaub nach den einschlägigen Rechtsvorschriften einer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt ist, erworben wurden.

Im fünften Erwägungsgrund des genannten Beschlusses heißt es:
„ In einer Rechtssache, in der der Arbeitnehmerstatus einer Person wegen ihres unbezahlten Urlaubs im Anschluss an die Geburt eines Kindes und für die Erziehung dieses Kindes ruhte, verwies der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (, Dodl und Oberhollenzer) auf Artikel 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates in Verbindung mit Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Ein solcher unbezahlter Urlaub muss daher auch als Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit gemäß Artikel 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gelten. In diesem Zusammenhang bekräftigte der Gerichtshof, dass diese Vorschriften nur so lange anwendbar sind, wie die betreffende Person als Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Sinne des Artikels 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 gilt; dieser Begriffsbestimmung gemäß muss die betreffende Person in zumindest einem Zweig der sozialen Sicherheit versichert sein. Personen in unbezahltem Urlaub, die von keinem System der sozialen Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats mehr erfasst werden, sind dadurch ausgeschlossen."

Zwar bezieht sich der Beschluss Nr. F1 auf die Prioritätsregeln des Art 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004; da die Prioritätsregeln aber an den anzuwendenden Rechtsvorschriften anknüpfen, ist nach der im Schrifttum vertretenen Ansicht davon auszugehen, dass der Begriff „Beschäftigung“ bzw. „selbstständige Erwerbstätigkeit“ des Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 jenem des Art. 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 entsprechend zu interpretieren ist (vgl. Felten in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, 59. Lfg. Art. 68 VO 883/2004 Rn 6 mwH).

Rechtsprechung des EuGH besteht bisher nur zur Vorgängerverordnung zur Verordnung (EG) Nr. 883/2004. Für den Anwendungsbereich der Vorgängerverordnung (EWG) 1408/71 war die Frage, ob der betroffene Mitgliedstaat für die Gewährung von Familienleistungen weiterhin zuständig bleibt und diese Leistungen als durch eine Beschäftigung ausgelöst gelten, im Beschluss der Verwaltungskommission Nr. 207 vom , ABlEG Nr. L 175 vom , näher geregelt. Danach galt unter anderem ein unbezahlter Urlaub zum Zweck der Kindererziehung als „Ausübung der Erwerbstätigkeit“, solange dieser Erziehungsurlaub nach den einschlägigen Rechtsvorschriften einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt war.

Der EuGH verwies in seiner Entscheidung vom in der Rechtssache C-516/09, Borger, auf seine frühere Rechtsprechung (, Dodl und Oberhollenzer ), wonach eine Person - trotz des Ruhens des Arbeitnehmerstatus wegen eines unbezahlten Urlaubes im Anschluss an die Geburt eines Kindes und für die Erziehung dieses Kindes - dann Arbeitnehmereigenschaft iSd Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 besitze, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art. 1 lit a dieser VO genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom aufrechten Bestehen eines Arbeitsverhältnisses.

In seiner Folgeentscheidung zum Urteil des EuGH in der Rs Borger vertrat der OGH () die Ansicht, dass die Arbeitnehmereigenschaft iSd Art. 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 iSd Rechtsprechung des EuGH auch während des Zeitraums einer sechsmonatigen Verlängerung der Karenz gegeben sei, weil während dieser Zeit nach § 8 Abs. 1 Z. 2 lit. g ASVG eine Teilversicherung in der Pensionsversicherung bestand. Die Voraussetzung der Erziehung eines Kindes in den ersten 48 Lebensmonaten im Inland liege vor, weil das Erfordernis einer Erziehung im Inland zur Vermeidung einer Diskriminierung so zu verstehen sei, dass auch eine Erziehung des Kindes in der Schweiz unschädlich ist. Gleiches gilt für die Erziehung eines Kindes in einem anderen EU-Mitgliedstaat (vgl. 10 Ob S 117/14z).

Nach der von Rief (Zuständigkeit für Familienleistungen – aktuelle EuGH-Judikatur und die neue Rechtslage, DRdA 2011, 480 [484]) vertretenen Ansicht sei die zur Verordnung (EWG) 1408/71 ergangene EuGH-Rechtsprechung auch auf die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zu übertragen, da sich die allgemeinen Zuständigkeitsregelungen in Art. 13 Abs. 2 Buchstaben a und f der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 inhaltlich kaum von jenen in Art. 11 Abs. 3 Buchstaben a und e der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unterscheiden würden.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund gelangte das Bundesfinanzgericht (BFG) in seinen Erkenntnissen , und , zum Ergebnis, dass die Nichtausübung eines angemeldeten Gewerbes in den ersten 48 Monaten nach der Geburt eines Kindes zum Zwecke der Kindererziehung eine der selbständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation im Sinne des Art. 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 darstelle. Voraussetzung dafür sei, dass keine Gewerbeabmeldung erfolge und während dieses Zeitraumes nach Maßgabe der österreichischen Rechtsvorschriften zumindest eine Teilversicherung, z.B. in der Pensionsversicherung nach § 3 Abs. 3 Z. 4 GSVG, vorliege. Nicht maßgeblich sei demgegenüber, ob das Gewerbe bis zum Beginn des Wochengeldbezuges tatsächlich (durchgehend) ausgeübt worden sei. 

Das BFG verwies in diesem Zusammenhang auf die Materialien zu BGBl. I Nr. 116/2009 (Änderung des KBGG; RV 340 BlgNR XXIV. GP 16), in denen es heißt:
„ Weiters gelten Zeiträume, in denen die Erwerbstätigkeit unterbrochen wurde, um sich der Kindererziehung zu widmen, als der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt, sofern es sich um Zeiten der gesetzlichen Karenz nach dem MSchG oder VKG handelt (aufrechtes, ruhendes Dienstverhältnis). Darunter fällt auch eine der einer Karenz nach MSchG und VKG nachgebildeten Karenz nach anderen gleichartigen österreichischen Rechtsvorschriften, (zB LAG), dazu gehören aber auch Zeiten der einer solchen Karenz vergleichbaren Situation, etwa die einer Selbständigen oder Gewerbetreibenden, die ihr Gewerbe anlässlich der Geburt eines Kindes zum Zwecke der Kindererziehung ruhend meldet (nicht jedoch abmeldet)."

Die Gesetzesmaterialien gehen sohin davon aus, dass nicht nur die gesetzliche Karenzierung nach dem MSchG bzw dem VKG die Fiktion eines durchgehenden Beschäftigungsverhältnisses ermöglicht, sondern auch eine gleich gewichtig angesehene Situation wie etwa die Ruhendmeldung des Gewerbes durch eine selbständig Erwerbstätige.

Ebenso wie § 8 Abs. 1 Z. 2 lit. g ASVG sieht § 3 Abs. 3 Z. 4 GSVG für diesen Fall eine Teilversicherung in der Pensionsversicherung vor.
Nach § 3 Abs. 3 Z. 4 GSVG besteht für Personen, die ihr Kind in den ersten 48 Kalendermonaten nach der Geburt (oder im Falle einer Mehrlingsgeburt ihre Kinder in den ersten 60 Kalendermonaten nach der Geburt) tatsächlich und überwiegend im Inland erziehen, eine Teilversicherung in der Pensionsversicherung. Das Erfordernis der Erziehung im Inland ist zur Vermeidung einer Diskriminierung so zu verstehen, dass auch eine Erziehung des Kindes in einem anderen EU-Mitgliedstaat (hier: Slowakei) unschädlich ist (vgl. ).

Im gegenständlichen Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht legte die Bf. ein Schreiben der SVA, Landesstelle Niederösterreich, vom  vor, in dem es zusammengefasst heißt, dass die Bf. am die Ausnahme von der Pflichtversicherung bei Bestehen einer Teilversicherung in der Pensionsversicherung während der Kindererziehung beantragt habe, die SVA diesen Antrag geprüft habe, die Bf. die Voraussetzungen für die Ausnahme von der GSVG-Pflichtversicherung erfülle und sie daher ab vorläufig von der Pensions- und Krankenversicherung nach dem GSVG ausgenommen werde. Die Ausnahme ende spätestens mit dem Wegfall der vorläufig festgestellten Kindererziehungszeit. Der gesetzliche Unfallversicherungsschutz bei Arbeitsunfällen bleibe weiterhin aufrecht und die Beiträge dazu würden quartalsweise zur Vorschreibung gelangen.

Demnach bestand für die Bf. im hier maßgeblichen Zeitraum gemäß § 3 Abs. 3 Z. 4 GSVG während der Kindererziehungszeit eine Teilversicherung in der Pensionsversicherung (max. 48 Kalendermonate pro Kind), wodurch ebenfalls Pensionsversicherungszeiten erworben wurden. Auch der gesetzliche Unfallversicherungsschutz blieb weiterhin aufrecht.

Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes ist daher aufgrund der aufrechten Gewerbeanmeldung und der Teilversicherung in der Pensionsversicherung in den ersten 48 Monaten nach der Geburt des im angefochtenen Bescheid genannten zweiten Kindes der Bf. insoweit eine der selbständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation im Sinne des Art. 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 anzunehmen (vgl. in diesem Sinne auch ). Die Aneinanderreihung von „ Karenzen" führte im Beschwerdefall nicht zu einem Ende des vorübergehenden Charakters der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit.

Auch das Finanzamt nahm zunächst für einen zweijährigen Zeitraum nach der Geburt des ersten Kindes eine der selbständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation im Sinne des Art. 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 an. Allerdings steht es auf dem Standpunkt, dass die Bf. in der Zeit von Juli 2015 (Ende des Wochengeldbezuges aufgrund der Geburt des ersten Kindes) bis zum Wochengeldbezug acht Wochen vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin des zweiten Kindes eine tatsächliche Tätigkeit nicht ausgeübt habe und somit von einer vorübergehenden Unterbrechung der selbständigen Erwerbstätigkeit nicht mehr ausgegangen werden könne; daher ende die Gleichstellung mit einer selbständigen Erwerbstätigkeit mit dem zweiten Geburtstag des ersten Kindes im Juni 2017.

Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass eine derartige Voraussetzung weder dem Unionsrecht noch den Bestimmungen des GSVG oder des FLAG 1967 zu entnehmen ist. Eine solche Voraussetzung wird ausschließlich im sachlichen Anwendungsbereich des KBGG normiert. Dafür, dass der Gesetzgeber mit § 24 Abs. 2 KBGG einen über den sachlichen Anwendungsbereich des KBGG hinausgehenden nationalen Begriff der Beschäftigung bzw. selbständigen Erwerbstätigkeit - insbesondere auch für Zwecke der Familienbeihilfe - definieren wollte, fehlen aber jegliche Anhaltspunkte (; ). Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auch auf die in der Literatur geäußerten Zweifel an der Unionsrechtskonformität der in Art. 24 Abs. 3 KBGG normierten Einschränkungen der gleichgestellten Situationen (vgl. Felten in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, 59. Lfg. Art. 68 VO 883/2004 Rn 6/1).

Gemäß Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unterliegt die Bf. im hier maßgeblichen Zeitraum daher den österreichischen Rechtsvorschriften, ihr Ehegatte aufgrund seiner Beschäftigung in der Slowakei hingegen den slowakischen Rechtsvorschriften. Nach den zitierten Prioritätsregeln des Art. 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ist daher die Slowakische Republik für die Gewährung von Familienleistungen vorrangig zuständig (Art. 68 Abs. 1 Buchstabe b leg. cit.).

Österreich ist jedoch aufgrund der Höhe der Leistungen gemäß Art. 68 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 verpflichtet, den Unterschiedsbetrag zu gewähren (Differenzzahlung).

Der Beschwerde war daher Folge zugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

V.) Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Es fehlt eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die Nichtausübung eines angemeldeten Gewerbes in den ersten 48 Monaten nach der Geburt eines Kindes zum Zwecke der Kindererziehung als eine der selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation im Sinne des Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a in Verbindung mit Art. 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 anzusehen ist, wenn in der Zeit vom Ende des Wochengeldbezuges aufgrund der Geburt des ersten Kindes bis zum Wochengeldbezug anlässlich der Geburt des zweiten Kindes eine tatsächliche Tätigkeit nicht ausgeübt wurde.
Eine ordentliche Revision ist daher zulässig.

Linz, am

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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 1 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 11 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 68 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.5101832.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at