Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 12.09.2019, RV/5101043/2018

Vorliegen einer Berufsausbildung bei Nachholung des Handelsschulabschlusses durch Besuch der Handelsakademie für Berufstätige

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache BF, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Lilienfeld St. Pölten vom zu VNR, betreffend Rückforderung zu Unrecht für das Kind K für den Zeitraum Februar 2016 bis Juni 2017 bezogener Beträge an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen in Höhe von insgesamt 4.379,20 € zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der Spruch des angefochtenen Bescheides dahingehend abgeändert, dass dieser nunmehr lautet:

Die für den Zeitraum August 2016 zu Unrecht bezogenen Beträge an Familienbeihilfe in Höhe von 199,20 € und Kinderabsetzbeträgen in Höhe von 58,40 €, insgesamt somit 257,60 €, werden gemäß § 26 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 in Verbindung mit § 33 Abs. 3 Einkommensteuergesetz 1988 zurückgefordert.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt

Die am Datum1 geborene Tochter der Beschwerdeführerin besuchte in den Schuljahren 2012/13 und 2013/14 erfolgreich den ersten und zweiten Jahrgang an der Handelsakademie in St. Pölten (Tagesschule) und wurde dort nach dem Lehrplan 2004 unterrichtet.

Ab dem Schuljahr 2014/15 wechselte sie am selben Schulstandort in die Handelsakademie für Berufstätige (Lehrplan 2006, Abendschule) ohne Ausbildungsschwerpunkt/Fachrichtung. Laut aktenkundigem Semesterzeugnis für den im Wintersemester 2014/15 absolvierten Modulverband 3AB wurde sie in neun Fächern mit einem Umfang von insgesamt 23 Semesterwochenstunden (SWS) unterrichtet und in allen Fächern mit Ausnahme Religion (1 SWS) auch beurteilt; in allen beurteilten Fächern wurden positive Beurteilungsstufen erzielt.

Die Tochter der Beschwerdeführerin brach diese Ausbildung an der Handelsakademie für Berufstätige jedoch ab und meldete sich ab beim AMS St. Pölten als arbeitssuchend, ohne in weiterer Folge jedoch eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen.

Im Dezember 2015 schloss die Tochter der Beschwerdeführerin mit dem Wirtschaftsförderungsinstitut der Wirtschaftskammer Niederösterreich eine Ausbildungsvereinbarung gemäß § 30 BAG mit dem Ziel ab, eine Berufsausbildung im Lehrberuf Einzelhandelskauffrau-Textilhandel zu absolvieren bzw. eine reguläre Lehrstelle zu finden. Als Ausbildungsbetrieb fungierte die X-GmbH in St. Pölten.

Gemäß § 30 Abs. 7 BAG ist die im Zuge einer solchen Ausbildungsvereinbarung in einer Ausbildungseinrichtung zurückgelegte Zeit der Ausbildung der Lehrzeit im betreffenden Lehrberuf gleichgestellt.

Die Lehrgangsvereinbarung wurde per aufgelöst.

Der Tochter der Beschwerdeführerin war nach dem Vorbringen im Vorlageantrag während dieses Lehrganges dringend geraten worden, ihre abgebrochene Schulausbildung abzuschließen um ihre Zukunftschancen zu verbessern. Angestrebt worden sei jedoch nicht ein Abschluss der Handelsakademie, sondern der Handelsschule. Dieser Abschluss sei nur im Rahmen der HAK-Abendschule möglich gewesen.

Auf der Homepage der Handelsakademie St. Pölten wird dazu im Einklang mit diesem Vorbringen zur Abendschule unter anderem ausgeführt, dass die Abend-HAK für Berufstätige auf einem ähnlichen Lehrplan wie die Tagesschule basiere. Es würden dieselben Fächer unterrichtet, allerdings in etwas geringerem Ausmaß, dem veränderten Zeitplan angepasst. Die HAK für Berufstätige schließe nach vier Jahren mit einer vollwertigen Matura ab. Nach erfolgreicher Teilnahme an den ersten vier Semestern könne (zusätzlich oder alternativ) eine Handelsschulabschlussprüfung abgelegt werden. Habe ein Studienanfänger schon einige Schuljahre an einer mittleren oder höheren Schule absolviert, so sei es möglich, um Anrechnung einzelner Gegenstände anzusuchen, was durch die vor einigen Jahren erfolgte „Modularisierung“ der HAKB sehr flexibel gehandhabt werden könne.

Die Tochter der Beschwerdeführerin besuchte ab dem Wintersemester 2016/17 neuerlich die Handelsakademie für Berufstätige in St. Pölten mit dem Ziel, einen Handelsschulabschluss zu erreichen.

Im Semesterzeugnis für das Wintersemester 2016/17 (wiederum Modulverband 3AB) vom werden einschließlich Religion Fächer im Umfang von 22 SWS ausgewiesen. Im Fach Religion (1 SWS) wurde die Tochter der Beschwerdeführerin nicht beurteilt. Ferner wurde sie von der Teilnahme in den Pflichtgegenständen Deutsch (3 SWS), Französisch (3 SWS), Officemanagement und angewandte Informatik (2 SWS) und Naturwissenschaften (2 SWS) gemäß § 13 Abs. 5 des SchUG-BKV befreit, da sie diese bzw. vergleichbare Fächer bereits in dem im Wintersemester 2014/15 besuchten Modullehrgang 3AB bzw. im Rahmen ihres Besuches der Handelsakademie in den Schuljahren 2012/13 und 2013/14 erfolgreich abgeschlossen hatte. Durch die mit dieser Anrechnung verbundenen Befreiung von der neuerlichen Ablegung von Prüfungen in diesen Fächern reduzierten sich die SWS in diesem Semester von 22 SWS auf 12 SWS, von denen aufgrund der Nichtbeurteilung in Religion nur vier Fächer im Umfang von 11 SWS beurteilt wurden (zwei Fächer mit "Seht gut", zwei Fächer mit "Gut").

Im Semesterzeugnis für das Sommersemester 2017 (Modulverband 4AB) werden Pflichtgegenstände im Umfang von insgesamt 15 SWS ausgewiesen. In Religion (1 SWS) wurde die Tochter der Beschwerdeführerin nicht beurteilt, in allen übrigen Gegenständen im Umfang von 14 SWS in einem Fach mit "Sehr gut" und in den übrigen vier Fächern jeweils mit "Gut".

Am legte die Tochter der Beschwerdeführerin vor der zuständigen Prüfungskommission gemäß den Vorschriften der Verordnung des Bundesministers für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten vom , BGBl II 70/2000 idgF über die abschließenden Prüfungen in berufsbildenden mittleren und höheren Schulen die Abschlussprüfung ab und bestand diese "mit gutem Erfolg". Mit dieser Abschlussprüfung hat sie den Abschluss einer Handelsschule mit allen daraus resultierenden Berechtigungen und Berufsmöglichkeiten erzielt.

Mit Bescheid vom forderte das Finanzamt von der Beschwerdeführerin die für den Zeitraum Februar 2016 bis Juni 2017 für ihre Tochter gewährten Beträge an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen in Höhe von insgesamt 4.379,20 € zurück und begründete dies wie folgt: „Familienbeihilfenanspruch besteht nur dann, wenn die Ausbildung ernsthaft und zielstrebig betrieben wird. Dies wird dann anzunehmen sein, wenn die Vorbereitung auf die Ablegung der Prüfungen die volle Zeit des Kindes in Anspruch nimmt und das Kind zu den Prüfungsterminen innerhalb eines angemessenen Zeitraums antritt.“

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom . Darin wurde ausgeführt, dass die Tochter der Beschwerdeführerin im Februar 2016 noch bei X gearbeitet habe. Sie sei Lehrling im WIFI gewesen und habe in der Woche 38,5 Stunden gearbeitet. Seit September 2016 besuche sie die HAK für Berufstätige und mache gerade ihren Handelsschulabschluss. Diese Angaben bestätigende Unterlagen wurden der Beschwerde angeschlossen.

Das Finanzamt gab dieser Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom betreffend den Rückforderungszeitraum Februar 2016 bis Juli 2016 statt, wies die Beschwerde jedoch betreffend den Zeitraum August 2016 bis Juni 2017 ab. Für den Zeitraum der überbetrieblichen Lehrausbildung von bis bestehe ein Familienbeihilfenanspruch, für den restlichen beschwerdegegenständlichen Zeitraum dagegen nicht. Eine Berufsausbildung im Sinne des Familienlastenausgleichsgesetzes liege generell nur dann vor, wenn ein „wöchentlicher Zeitaufwand von mindestens 20 Wochenstunden Unterricht“ vorliege. Ab September 2017 sei die Tochter der Beschwerdeführerin in der HAK für Berufstätige angemeldet gewesen. Im Wintersemester 2016 wären nur 12 Wochenstunden und im Sommersemester 2017 nur 15 Wochenstunden „absolviert bzw. beurteilt“ worden. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Familienbeihilfe lägen somit im Zeitraum August 2016 bis Juni 2017 nicht vor.

Im Vorlageantrag vom brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie anlässlich der Überprüfung der Anspruchsberechtigung auf Familienbeihilfe alle geforderten Bestätigungen vorgelegt und darauf vertraut habe, dass die Behörde die Familienbeihilfe nur dann auszahlt, wenn laut den rechtlichen Grundlagen ein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe. Diese rechtlichen Grundlagen seien ihr nicht im Detail bekannt. Laut ihren Informationen reiche der erfolgreiche Besuch einer Schule. Ihr sei nicht bewusst gewesen, dass sie das Risiko hoher Schulden (durch die hohen Rückforderungen) und zusätzlich noch das Risiko einer finanziellen Notsituation für ihre ganze Familie durch den Einbehalt der Familienbeihilfe auch für ihre anderen Kinder eingehen müsse, so wie es nun passiert sei, weil ihr Anspruch erst später geprüft werde. Ihre Familie sei neben dem geringen Lohneinkommen aus ihrer Reinigungstätigkeit und der Ergänzung durch die Mindestsicherung auf die Familienbeihilfe angewiesen, um die notwendigen Lebenskosten decken zu können. Ihrer Tochter sei während der Lehrausbildung beim AMS (im Anschluss an den Abbruch der HAK) dringend geraten worden, ihre abgebrochene Schulausbildung abzuschließen um ihre Zukunftschancen zu verbessern. Dieser Abschluss sei nur in der HAK Abendschule möglich gewesen. Da sie vor Schulabbruch schon mehrere Fächer positiv abgeschlossen hatte, hätte sie nur noch eine bestimmte Anzahl von Fächern belegen müssen. Mehrere Fächer und somit eine höhere Anzahl der Wochenstunden wären für den Handelsschulabschluss laut Entscheidung der Direktion nicht sinnvoll gewesen. Es sei daher weder in ihrem Verschulden noch in ihrem Entscheidungsbereich gelegen, wie viele Wochenstunden sie belegen bzw. abschließen konnte. Da seit dem Schulabbruch schon mehrere Monate vergangen gewesen wären, hätte sie mehr Zeit gebraucht, um sich wieder einzulesen und sich auf die Prüfungen vorzubereiten. Daher habe sie sicher ca. 40% der Lernzeit in der Schule für das Lernen und die Prüfungsvorbereitung zuhause aufwenden müssen (Bestätigung der HAK). Somit hätte sie zumindest im Sommersemester die geforderten 20 Wochenstunden erreicht.

Als Beilage zu diesem Vorlageantrag wurde eine Bestätigung der HAK für Berufstätige in St. Pölten vom vorgelegt. Darin wurde bestätigt, dass die Tochter der Beschwerdeführerin dort angemeldet sei und sich gerade im Prüfungsstadium (Abschlussprüfung Handelsschule) befinde. Im Schuljahr 2016/17 habe sie die Module 3AB und 4AB besucht, jedoch nicht alle Gegenstände belegt, da sie einige schon zuvor erfolgreich besucht bzw. nicht benötigt hätte, weil sie nicht die Reifeprüfung angestrebt habe. Somit habe sie im dritten Semester 12 Wochenstunden und im vierten Semester 15 Wochenstunden absolviert. Zusätzlich zu den belegten Stunden sei mit einem Lernaufwand zu rechnen, der sicher individuell verschieden sei und somit auf ca. 20 % bis 40 % der Wochenstunden geschätzt werden könne.

Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Beweiswürdigung

Der eingangs festgestellte Sachverhalt ist unstrittig und ergibt sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, den von ihr vorgelegten Zeugnissen und Bestätigungen, den Eintragungen in der Beihilfendatenbank, den von der Österreichischen Sozialversicherung gespeicherten Daten, dem Abgabeninformationssystem, dem vom Bundesfinanzgericht beigeschafften Abschlussprüfungszeugnis vom und der Beschreibung der Handelsakademie und der Handelsschule St. Pölten auf deren Homepage.

Im gegenständlichen Fall ist die Frage zu klären, ob sich die Tochter der Beschwerdeführerin in den verfahrensgegenständlichen Monaten Februar 2016 bis Juni 2017 in einer Berufsausbildung im Sinne des FLAG befunden hat.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Frage, ob ein Kind eine Berufsausbildung absolviert, eine "Tatfrage" (vgl. zu diesem terminus auch Stoll, BAO, 1775), welche die Behörde in freier Beweiswürdigung zu beantworten hat ( mit Hinweis auf , , und ; in diesem Sinne auch ; vgl. aus jüngster Zeit etwa ).

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet, dass alle Beweismittel grundsätzlich gleichwertig sind und es keine Beweisregeln (keine gesetzliche Rangordnung, keine formalen Regeln) gibt. Ausschlaggebend ist der innere Wahrheitsgehalt der Ergebnisse der Beweisaufnahmen (Ritz, BAO, § 167 Tz 6 mit Judikaturnachweisen).

1) Zeitraum Februar 2016 bis Juli 2016

In diesem Zeitraum befand sich die Tochter in einer Ausbildung gemäß § 30 Berufsausbildungsgesetz (BAG). Die im Zuge dieser Ausbildung in einer Ausbildungseinrichtung zurückgelegte Zeit der Ausbildung ist der Lehrzeit im betreffenden Lehrberuf gleichgestellt (§ 30 Abs. 7 BAG). Die Tochter der Beschwerdeführerin befand sich in den Monaten Februar 2016 bis Juli 2016 somit in einer Berufungsausbildung im Sinne des FLAG.

Auch das Finanzamt vertrat zutreffend diese Ansicht und gab in seiner Beschwerdevorentscheidung der Beschwerde daher insoweit statt.

2) Zeitraum August 2016

Die Berufsausbildung gemäß § 30 BAG wurde im Juli 2016 abgebrochen. Die Tochter der Beschwerdeführerin besuchte erst ab dem Schuljahr 2016/17 die Handelsakademie für Berufstätige in St. Pölten (Modulverband 3AB). Es ist daher zu prüfen, ob sich die Tochter der Beschwerdeführerin im August 2016 in einer Berufsausbildung befand. Dazu ist zu klären, wann das Schuljahr 2016/17 an der Handelsakademie für Berufstätige begann.

Nähere Regelungen zum Unterricht an dieser Schule trifft das mehrfach geänderte Bundesgesetz, mit dem die Unterrichtsordnung für Schulen für Berufstätige, Kollegs und Vorbereitungslehrgänge erlassen wird (Schulunterrichtsgesetz für Berufstätige, Kollegs und Vorbereitungslehrgänge – SchUG-BKV), BGBl I 33/1997.

Gemäß § 1 dieses Bundesgesetzes gilt es für die im Schulorganisationsgesetz geregelten öffentlichen und mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten in Semester gegliederten Sonderformen der in diesem Bundesgesetz geregelten Schularten.

Unter einem Semester ist dabei gemäß § 4 Abs. 1 SchUG-BKV das Semester im Sinne des Schulzeitgesetzes 1985, BGBl. Nr. 77, zu verstehen.

Gemäß § 2 Abs. 1 des Schulzeitgesetzes beginnt das Schuljahr in den Bundesländern Burgenland, Niederösterreich und Wien am ersten Montag, in den Bundesländern Kärnten, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol und Vorarlberg am zweiten Montag im September und dauert bis zum Beginn des nächsten Schuljahres.

Das Schuljahr besteht gemäß § 2 Abs. 2 des Schulzeitgesetzes aus dem Unterrichtsjahr (Z 1) und den Hauptferien (Z 2). Das Unterrichtsjahr umfasst demnach

a) das erste Semester, welches mit dem Schuljahr beginnt und mit dem Anfang der Semesterferien endet;

b) die Semesterferien …

c) das zweite Semester, …

Der Beginn der Hauptferien wird in § 2 Abs. 2 Zif. 2 des Schulzeitgesetzes näher geregelt.

Das Schuljahr 2016/17 an der von der Tochter der Beschwerdeführerin besuchten Handelsakademie für Berufstätige in St. Pölten begann damit im September 2016. Die oben unter Punkt 1 dargestellte Ausbildung gemäß § 30 BAG wurde im Juli 2016 abgebrochen. Dass das Kind im August 2016 eine andere Berufsausbildung absolviert hätte, wurde von der Beschwerdeführerin weder vorgebracht, noch finden sich dafür Anhaltspunkte in den vorgelegten Aktenteilen. Das Bundesfinanzgericht geht daher in sachverhaltsmäßiger Hinsicht davon aus, dass sich die Tochter der Beschwerdeführerin im August 2016 in keiner Berufsausbildung im Sinne des FLAG befand.

3) Zeitraum September 2016 bis Juni 2017

In diesem Zeitraum besuchte die Tochter der Beschwerdeführerin die Handelsakademie für Berufstätige in St. Pölten mit dem Ziel, einen Handelsschulabschluss zu erreichen. Es ist daher die "Tatfrage" (Sachverhaltsfrage) zu klären, ob sich das Kind in diesem Zeitraum in einer Berufsausbildung im Sinne des FLAG befand.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen unter den Begriff der „Berufsausbildung“ alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildung, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz für das künftige Berufsleben erforderliches Wissen vermittelt wird (vgl. jüngst etwa mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat schon in seinem Erkenntnis vom , 93/14/0100, betont, dass die allgemeinbildende Schulausbildung „zweifellos“ zur Berufsausbildung gehört. Umso mehr gilt dies für den Besuch einer Handelsschule, deren „Schwerpunkt in der kaufmännischen Ausbildung liegt, und den Schülern das notwendige Wissen und Können zum sofortigen Berufseinstieg vermittelt“. Der erfolgreiche Abschluss der Handelsschule beinhaltet eine abgeschlossene Lehre als Bürokaufmann (siehe zu all dem die Beschreibung der Handelsschule auf der Homepage der Handelsakademie St. Pölten).

Ferner ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Ablegen von Prüfungen, die in einer Ausbildungsvorschrift vorgesehen sind, essentieller Bestandteil der Berufsausbildung (vgl. neuerlich mwN). Der laufende Besuch einer der Berufsausbildung dienenden schulischen Einrichtung reicht für sich allein aber noch nicht, um das Vorliegen einer Berufsausbildung im hier maßgeblichen Sinn anzunehmen. Hinzu muss vielmehr das ernstliche und zielstrebige, nach außen erkennbare Bemühen um den Ausbildungserfolg treten, das sich im Antreten zu den erforderlichen Prüfungen bzw. Vorprüfungen zu manifestieren hat. Zwar ist nicht der Prüfungserfolg ausschlaggebend. Das anspruchsvermittelnde Kind muss aber durch Prüfungsantritte innerhalb angemessener Zeit versuchen, die Voraussetzungen für den erfolgreichen Abschluss der Berufsausbildung zu erfüllen (z.B. mit Hinweis auf ).

Die Tochter der Beschwerdeführerin wurde ausweislich der beiden aktenkundigen Semesterzeugnisse im Schuljahr 2016/17 an der Handelsakademie für Berufstätige nach dem Lehrplan BGBl II 205/2015 vom unterrichtet und legte die Prüfungen in allen Fächer, in denen sie mangels Anrechnung oder Befreiung Prüfungen ablegen musste, erfolgreich mit der Beurteilung „Sehr gut“ oder „Gut“ ab. Am ernstlichen und zielstrebigen, nach außen erkennbaren Bemühen um den Ausbildungserfolg bestehen bei dieser Sachlage für das Bundesfinanzgericht keine Zweifel. Die Schule wurde mit Ablegung der Abschlussprüfung „mit gutem Erfolg“ am erfolgreich abgeschlossen. Damit erlangte die Tochter der Beschwerdeführerin alle mit dem Abschluss einer Handelsschule verbundenen Berechtigungen.

All diese Umstände, die vom Finanzamt auch nicht in Abrede gestellt wurden, sprechen für das Vorliegen einer Berufsausbildung im Sinne des FLAG. Das Finanzamt verneint eine solche ausschließlich mit dem Argument, dass die dargestellte Ausbildung nicht die „volle Zeit“ der Tochter der Beschwerdeführerin in Anspruch genommen hätte. Eine Berufsausbildung im Sinne des FLAG liege „generell nur dann vor, wenn ein wöchentlicher Zeitaufwand von mindestens 20 Wochenstunden Unterricht“ vorliege.

Ein derartiges absolutes, auf die konkreten Umstände des Einzelfalles nicht Bedacht nehmendes Mindestmaß ist der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes allerdings aus guten Gründen nicht zu entnehmen, da dies dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung widerspräche. Wie bereits oben erläutert bedeutet dieser Grundsatz, dass alle Beweismittel grundsätzlich gleichwertig sind und es keine Beweisregeln und gerade keine formalen Regeln gibt. Eben deswegen kann das vom Finanzamt geforderte Mindestmaß kein Umstand sein, der bei seinem Fehlen in jedem Fall - und somit ohne Bedachtnahme auf den konkreten Einzelfall - alle übrigen für das Vorliegen einer Berufsausbildung sprechenden Umstände bedeutungslos erscheinen ließe. Von einer Gleichwertigkeit aller Beweismittel könnte diesfalls keine Rede mehr sein. Vielmehr sind alle für und gegen das Vorliegen einer Berufsausbildung im Sinne des FLAG sprechenden Umstände abzuwägen und diese „frei zu würdigen“. Diese Freiheit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur insofern beschränkt, als die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sein und somit den Denkgesetzen und dem allgemeinen Erfahrungsgut entsprechen müssen (vgl. aus der jüngsten Rechtsprechung z.B. ).

Im Ergebnis der freien Würdigung aller Einzelfallumstände kann diesem Aspekt des quantitativen Umfanges der Ausbildung somit in Abwägung mit den übrigen Merkmalen einmal größere und einmal geringere Bedeutung zugemessen werden, etwa je nachdem in welchem Ausmaß sich dieser quantitative Umfang der Ausbildung vom Umfang von Lehrveranstaltungen und Kursen unterscheidet, die aus privatem Interesse besucht werden. In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise das Vorliegen einer Berufsausbildung verneint, wenn nur Lehrveranstaltungen an einer Universität im Umfang von zwei Wochenstunden besucht werden, um die Zulassung zur Studienberechtigungsprüfung zu erreichen (). In einem anderen Fall () hat dagegen die Tochter der Beschwerdeführerin als außerordentliche Schülerin keinerlei Unterrichtsstunden besucht, sondern ist nur zu den Prüfungen angetreten und hat diese erfolgreich abgelegt. Selbst in diesem Fall ist aber nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes das Vorliegen einer Berufsausbildung im Sinne des FLAG nicht ausgeschlossen, wenn Art und Umfang der Lehrveranstaltungen (Unterrichtsgegenstände), in denen Prüfungen mit Erfolg abgelegt wurden und Art und Weise der Vorbereitung auf die Ablegung der Prüfungen dergestalt sind, dass sie „die volle oder überwiegende Zeit“ in Anspruch nahmen. Nicht einmal die Ausübung einer Vollzeitbeschäftigung mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden schließt es aus, dass neben dieser ein Studium betrieben wird und in diesem „die quantitativen Erfordernisse für eine Berufsausbildung“ erreicht werden ().

Im gegenständlichen Fall wurden von der Tochter der Beschwerdeführerin im Wintersemester 2016/17 Lehrveranstaltungen im Umfang von 11 Wochenstunden besucht und beurteilt. Dabei ist nicht gänzlich außer Acht zu lassen, dass im Semesterzeugnis insgesamt Fächer im Umfang von 22 Wochenstunden ausgewiesen werden (was auch nach Ansicht des Finanzamtes für das Vorliegen einer Berufsausbildung ausreichend wäre), die Schülerin jedoch von der Teilnahme und der Ablegung von Prüfungen in vier Fächern gemäß § 13 Abs. 5 SchUG-BKV befreit war. Grund dafür war, dass sie diese bzw. vergleichbare Fächer bereits in dem im Wintersemester 2014/15 besuchten Modullehrgang 3AB bzw. im Rahmen ihres Besuches der Handelsakademie in den Schuljahren 2012/13 und 2013/14 erfolgreich abgeschlossen hatte. Im Vordergrund sollte bei der Klärung der Frage, ob eine konkrete Ausbildung eine Berufsausbildung im Sinne des FLAG darstellt, das objektive zeitliche Erfordernis für die Ausbildung stehen. Selbst wenn man hier aber nur auf die tatsächlich besuchten und beurteilten Fächer abstellt (11 Wochenstunden) und dazu im Einklang mit dem Vorbringen im Vorlageantrag und der vorgelegten Bestätigung vom einen zusätzlichen Lernaufwand von 40 % annimmt, ergibt sich ein Zeitaufwand von rund 15 Wochenstunden. Dieser Aufwand ist zwar bezogen auf die einzelne Kalenderwoche relativ gering, geht bei Berücksichtigung des Umstandes, dass die Nachholung des Abschlusses der Handelsschule zwei volle Semester in Anspruch nahm, insgesamt aber doch über den durchschnittlichen Zeitaufwand, der für Kurse und Lehrveranstaltungen aus privatem Interesse aufgewendet wird, deutlich hinaus; im Übrigen ist ein Handelsschulabschluss bei ausschließlichem Besuch der Handelsakademie für Berufstätige erst nach vier Semestern möglich. Eine „Nachholung“ der ersten beiden Semester war für die Tochter im Hinblick auf ihre schulische Laufbahn (Besuch der HAK-Tagesschule in den Schuljahren 2012/13 und 2013/14) nicht erforderlich.

Für das Wintersemester 2016/17 gilt entsprechendes. Hier ergibt sich unter Berücksichtigung eines Lernaufwandes von 40 % ein Zeitaufwand von rund 20 Wochenstunden.

Schließlich ist noch zu bedenken, dass sowohl der Abschluss der Handelsakademie für Berufstätige als auch der Abschluss der Handelsschule im Rahmen eines Besuches der Handelsakademie für Berufstätige zu Schulabschlüssen führen, die mit denselben Berechtigungen verbunden sind, die auch mit dem Besuch dieser Schulen als Tagesschulen einher gehen und damit dieselben Berufsmöglichkeiten bieten. Daran ändert der unterschiedliche zeitliche Umfang der jeweiligen Ausbildungsform (Tagesschule oder Abendschule) nichts (Handelsakademie durchschnittlich 31,6 Wochenstunden zuzüglich Pflichtpraktikum von 300 Stunden; Handelsschule durchschnittlich 31 Wochenstunden zuzüglich Pflichtpraktikum von 150 Stunden; Handelsakademie für Berufungstätige durchschnittlich 24,1 Wochenstunden; siehe dazu die Stundentafeln auf der Homepage der HAK St. Pölten). Es wäre daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht sachgerecht, inhaltlich gleichwertige Ausbildungen unterschiedlich zu behandeln und ihnen abhängig allein vom zeitlichen Umfang der Ausbildungsform im einen Fall die Eigenschaft einer Berufsausbildung im Sinne des FLAG zuzuerkennen und im anderen Fall abzusprechen.

In freier Würdigung all dieser Umstände steht daher für das Bundesfinanzgericht fest, dass sich die Tochter der Beschwerdeführerin im Zeitraum September 2016 bis Juni 2017 in einer Berufsausbildung im Sinne des FLAG befand.

Rechtslage und Erwägungen

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet werden.

Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen (§ 26 Abs. 1 FLAG). Dies gilt gemäß § 33 EStG iVm § 26 FLAG auch für zu Unrecht bezogene Kinderabsetzbeträge.

Da sich die Tochter der Beschwerdeführerin in den beschwerdegegenständlichen Monaten Februar 2016 bis Juli 2016 und September 2016 bis Juni 2017 nach den oben getroffenen Sachverhaltsfeststellungen in einer Berufsausbildung im Sinne des FLAG befand, erweist sich der angefochtene Rückforderungsbescheid hinsichtlich dieser Zeiträume als rechtswidrig und war der Beschwerde insoweit stattzugeben.

Im Zeitraum August 2016 lag dagegen – wie oben festgestellt – keine Berufsausbildung vor, sodass der Rückforderungsbescheid insofern zu Recht erging.

Aus § 26 Abs. 1 FLAG ergibt sich eine objektive Erstattungspflicht zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe. Subjektive Momente, wie Verschulden, Gutgläubigkeit oder die Verwendung der Familienbeihilfe, sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge unerheblich. Entscheidend ist lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat (Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 26 Rz 3 mit Hinweis auf ). Nach der Regelung des § 26 Abs. 1 FLAG stünde es der Rückforderung auch nicht entgegen, wenn der unrechtmäßige Bezug ausschließlich durch eine unrichtige Auszahlung durch das Finanzamt verursacht worden wäre. Die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge ist von subjektiven Momenten unabhängig und allein an die Voraussetzung des Fehlens der Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug geknüpft; ob und gegebenenfalls wie der Bezieher die erhaltenen Beträge verwendet hat, ist ebenfalls unerheblich ( mit Hinweis auf , und ). Für eine Berücksichtigung der im Vorlageantrag angeführten subjektiven Momente (Vertrauen auf Auszahlung der Familienbeihilfe nur bei Bestehen eines Anspruches, fehlendes eigenes Verschulden, finanzielle Notlage durch die Rückforderung – die im Zuge der gegenständlichen Entscheidung ohnehin auf nur mehr den Monat August 2017 eingeschränkt wurde, sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin und ihrer Familie) ist daher im Anwendungsbereich des § 26 Abs. 1 FLAG kein Raum.

Zur Höhe der für den Zeitraum August 2016 rückgeforderten Familienbeihilfe wird noch bemerkt, dass diese für die am Datum1 geborene Tochter der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 2 Zif. 2 lit. d FLAG 162,00 € zuzüglich des Erhöhungsbetrages gemäß § 8 Abs. 3 Zif. 2 lit. b in Höhe von 17,00 €, insgesamt somit 179,00 € betragen hatte. Da aufgrund der Rückforderung dieser Familienbeihilfe die Beschwerdeführerin für diesen Zeitraum nur mehr Anspruch auf Familienbeihilfe für zwei weitere Kinder hatte, reduziert sich der für jedes dieser Kinder gebührende Erhöhungsbetrag im Sinne des § 8 Abs. 3 FLAG von 17,00 € auf 6,90 € (§ 8 Abs. 3 Zif. 2 lit. a FLAG), sodass auch der Überbezug an Erhöhungsbeträgen (Differenz von 10,10 € für die beiden anderen Kinder, insgesamt somit 20,20 €) mit dem angefochtenen Bescheid zutreffend für den Zeitraum August 2016 zurückgefordert worden war.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig und zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung läge eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (). Eine im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung wirft daher nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG auf (vgl. mwN). Eine ordentliche Revision ist daher im gegenständlichen Fall nicht zulässig.

Linz, am

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