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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 09.09.2019, RV/3200004/2017

Haftungungsinanspruchnahme des verurteilten Finanzstraftäters nach § 11 BAO

Beachte

VfGH-Beschwerde zur Zahl E 3910/2019 anhängig. Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom abgelehnt.; Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2020/13/0029. Mit Erk. v. hinsichtlich Spruchpunkt II des Haftungsbescheides vom wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben, im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Fortgesetztes Verfahren mit Erkenntnis zur Zahl RV/3200003/2020 erledigt.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Ri. in der Beschwerdesache Bf., Adresse, vertreten durch Rechtsanwalt RA, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Zollamt Innsbruck vom , Zahl * betreffend Haftung gemäß § 11 BAO zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Urteil des Landesgerichts X ***, wurde der Beschwerdeführer (Bf) mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Hinterziehung von Mineralölsteuer nach §§ 11 3. Alternative, 33 Abs. 1 (38 Abs. 1 MinStG), 38 Abs. 1 FinStrG rechtskräftig schuldig erkannt.

Mit Bescheid vom , Zahl *, zog das Zollamt den Bf. gemäß § 11 BAO zur Haftung für die hinterzogenen Mineralölsteuerbeträge im Ausmaß von insgesamt € 604.822,38 heran.

In der dagegen erhobenen Beschwerde vom wurde im Wesentlichen ausgeführt, bei § 11 BAO handle es sich um eine Ermessensbestimmung, bei der vorallem auf den Grad des Verschuldens des Haftenden bei der Begehung des Finanzvergehens in Relation zum Abgabenschuldner abzustellen sei. Weiters darauf, wer durch den Verkürzungserfolg bereichert wurde.
Das Zollamt habe die Umstände des Ermessens nicht näher ausgeführt. Der Bf. sei für den vollen Betrag der Abgabenverbindlichkeit als Haftender herangezogen worden, was in dieser Form wohl keinesfalls richtig sein könne.
Desweiteren werde Verjährung eingewendet. Bei Haftungsbescheiden handle es sich um Einhebungsmaßnahmen, welche nur innerhalb der Einhebungsverjährung zulässig seien. Das Recht Abgaben einzuheben und zwangsweise einzubringen verjähre nach 5 Jahren. Es werde von Abgaben aus März 2009 und Juni 2009 gesprochen, bei denen längst Verjährung eingetreten sei.
Weiters habe das Gericht über ihn eine Wertersatzstrafe verhängt, welche als Äquivalent für den nicht oder nicht zur Gänze realisierten Verfall anzusehen sei. Im Hinblick auf die Verhängung einer Wertersatzstrafe sei ein Haftungsbescheid nach § 11 BAO ausgeschlossen.

Das Zollamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom , Zahl ***, als unbegründet ab. Verjährung sei, unter Hinweis auf die Beschwerdeverfahren betreffend die Firmen K. und M. s.r.o. nicht eingetreten.
Bei der Haftung nach § 11 BAO handle es sich um eine uneingeschränkte Primärhaftung. Die Abgabenvorschreibung an die Fa. K. GmbH und M. s.r.o blieben infolge Vermögenslosigkeit erfolglos.
Im Übrigen sei der Bf. maßgeblich an der Umsetzung des betrügerischen Geschäftsmodelles beteiligt gewesen und habe daraus laut den Urteilsausführungen einen hohen Gewinn lukriert.

Mit Schriftsatz vom beantragte der Bf. die Vorlage an das Bundesfinanzgericht. Auf die beantragte Durchführung der mündlichen Verhandlung wurde verzichtet.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Gem. § 11 BAO haften bei vorsätzlichen Finanzvergehen und bei vorsätzlicher Verletzung von Abgabenvorschriften der Länder und Gemeinden rechtskräftig verurteilte Täter und andere an der Tat Beteiligte für den Betrag, um den die Abgaben verkürzt wurden.

Unstrittig ist, dass der Bf. mit Urteil des Landesgerichtes X *** rechtskräftig wegen der Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung als Beteiligter nach §§ 11 3. Alternative, 33 Abs. 1 (38 Abs. 1 MinStG), 38 Abs. 1 FinStrG schuldig erkannt wurde. Der vom Landesgericht X festgestellte Hinterziehungsbetrag an Mineralölsteuer betrug insgesamt € 604.822,38 (Faktum I: € 497.144,81 und Faktum II € 107.677,57).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entfaltet ein rechtskräftiges Strafurteil bindende Wirkung hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, auf denen sein Spruch beruht, wozu jene Tatumstände gehören, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen zusammensetzt. Die Bindungswirkung erstreckt sich auf die vom Gericht festgestellten und durch den Spruch gedeckten Tatsachen (vgl. zB ; , mwN). An die vom Strafgericht vertretenen steuerlichen Rechtsauffassungen ist die Abgabenbehörde im Abgabenverfahren und somit auch im Haftungsverfahren nicht gebunden. Die steuerrechtliche Beurteilung des Lebenssachverhaltes, an dessen Feststellung sie gebunden ist, obliegt dessen ungeachtet weiterhin der mit der Vollziehung der Abgabengesetze betrauten Abgabenbehörde (vgl. ebenso ).

Die Haftungsinanspruchnahme nach § 11 BAO ist durch jede Art der Beteiligung am Finanzvergehen erfüllt, ohne dass es darauf ankommt, welche Bedeutung dem Tatbeitrag für die Verwirklichung der Tat beizumessen ist ().

Außer Streit steht, dass der Bf. im erwähnten gerichtlichen Strafverfahren rechtskräftig wegen gewerbsmäßiger Hinterziehung von Mineralölsteuer rechtskräftig veruteilt worden ist. In der Begründung des Urteils wird u. a. ausgeführt, der Bf. sei "als ein voll eingeweihter Beitragstäter mit Kernkompetenzen nicht nur in der führungsorientierten Planung und Strategie, sondern auch im Finanzcontrolling" anzusehen. Der Bf. habe die Finanzvergehen in der Absicht begangen, "sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Nebeneinnahmequelle zu verschaffen, hohe Entnahmen, Regelmäßigkeit und hohe kriminelle Energie der Begehungsweise."

Die Beschwerde richtet sich in erster Linie gegen das vom Zollamt bei Heranziehung zur Haftung geübte Ermessen. Zum Einwand, die Inanspruchnahme des Bf. mittels Haftungsbescheides sei insgesamt ungerechtfertigt, da er unbegründet für den vollen Abgabenbetrag zur Haftung herangezogen wurde, wird ausgeführt:

Die Inanspruchnahme als Haftender nach § 11 BAO liegt im Ermessen der Abgabenbehörde (). Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), müssen sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen (§ 20 BAO; vgl. auch ).

Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen ().

Die Begründung des Haftungsbescheides hat die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen so weit aufzuzeigen, als dies für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erforderlich ist ().

Zweck des Haftungsausspruches ist die Einhebung von Abgaben. Der Haftungssausspruch ist insbesondere dann zweckmäßig, wenn eine (gänzliche oder teilweise) Abgabeneinhebung beim Haftungspflichtigen entweder sofort möglich oder zu einem späteren Zeitpunkt nicht völlig ausgeschlossen ist. In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass Vermögenslosigkeit bzw. Arbeitslosigkeit des Haftenden an sich in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung steht, zumal es eine allfällige derzeitige Uneinbringlichkeit auch nicht ausschließt, dass künftig neu hervorkommendes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen können (für viele: ).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund war es im Hinblick auf das Lebensalter des Bf. jedenfalls zweckmäßig, ihn zur Haftung für die hinterzogenen Abgaben heranzuziehen.

Der Haftungsbestimmung des § 11 BAO liegt der gesetzgeberische Wille zugrunde, dass derjenige, der eine widerrechtliche Handlung gesetzt hat, auch für die vermögensrechtlichen Folgen seines Handelns einzustehen hat (Ritz, BAO6, § 11, Tz 1).

Bei der Haftung nach § 11 BAO handelt es sich um eine unbeschränkte Primärhaftung und keine Ausfallshaftung (; ). Sie knüpft an die urteilsmäßige Bestrafung an. Deren Inanspruchnahme setzt eben nicht voraus, dass die Abgabenschuld bereits gegenüber dem Primärschuldner geltend gemacht worden ist.

Aus den vom Zollamt vorgelegten Unterlagen geht hervor, dass die Einbringung der gegenständlichen Haftungschuld bei den Primärschuldnern K. gmbH einerseits auf Grund der mit Beschluss des Landesgericht X vom Datum, erfolgten Insolvenzabweisung mangels kostendeckendem Vermögens und der erfolgten amtswegigen Löschung im Firmenbuch nicht möglich ist.
Ebenfalls gescheitert ist die Einbringung mittels Beitreibungsersuchen an die Slowakische Zollverwaltung betreffend der M. s.r.o.

E., I. und J. wurden (entsprechend den Urteilen) für Teile der gegenständlichen Abgabenschuld (im Hinblick auf ihre Tatbeiträge) als Haftungspflichtige in Anspruch genommen, jedoch ist laut Aktenlage ableitbar, dass eine Einbringlichkeit der Mineralölsteuer bei diesen voraussichtlich nicht möglich sein wird.

Zur Einrede der Einhebungsverjährung ist auf die Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung vom , Zahl ***, hinzuweisen, denen sich das Bundesfinanzgericht anschließt.

Das Recht eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, verjährt binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe (Einhebungsverjährung, § 238 Abs. 1 BAO).

Das Recht zur Festsetzung der Abgabe verjährt nach fünf Jahren, soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre (§ 207 Abs. 2 BAO). Die Verjährung beginnt in den Fällen des § 207 Abs. 2 mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist (§ 208 Abs. 1 lit. a BAO). Werden innerhalb der Verjährungsfrist (§ 207) nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches von der Abgabenbehörde unternommen, so verlängert sich die Verjährungsfrist um ein Jahr. Die Verjährungsfrist verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist. Verfolgungshandlungen (§ 14 Abs. 3 FinStrG, § 32 Abs. 2 VStG) gelten als solche Amtshandlungen (§ 209 Abs. 1 BAO).

Die Verjährung fälliger Abgaben wird durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung, wie durch Mahnung, durch Vollstreckungsmaßnahmen, durch Bewilligung einer Zahlungserleichterung oder durch Erlassung eines Haftungsbescheides unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen (§ 238 Abs. 2 BAO).

Die im bürgerlichen Recht geltenden Grundsätze über den gesonderten Ablauf von Verjährungsfristen gegen jeden einzelnen von mehreren Gesamtschuldnern gelten für das öffentlich-rechtliche Steuerschuldverhältnis nicht. Amtshandlungen nach § 238 Abs. 2 BAO unterbrechen die Verjährung des in § 238 Abs. 1 BAO genannten Rechtes gegenüber jedem, der als Zahlungspflichtiger in Betracht kommt, ohne dass es rechtlich von Bedeutung wäre, gegen wen sich solche Amtshandlungen gerichtet hatten ().

Vor diesem rechtlichen Hintergrund, insbesondere dem Umstand, dass die Frist sowohl für die Festsetzungsverjährung als auch für die Einhebungsverjährung mit Ablauf des Jahres 2010 zu laufen begonnen hat, und durch nach außen erkennbare Amtshandlungen (Abgabenvorschreibung an die Fa. K. GmbH und M. s.r.o., Aussetzungsanträge) unterbrochen wurden, ist der Einwand des Bf., die Einhebungsverjährung sei bei Erlassung des angefochtenen Haftungsbescheides im Jahr 2017 bereits eingetreten, unberechtigt.

Zum Einwand, durch die Verhängung einer Wertersatzstrafe sei eine Haftung nach § 11 BAO von vorneherein ausgeschlossen:
Die Haftung der Täter und Beteiligten für den Betrag, um den die Abgaben verkürzt wurden, besteht neben der im Finanzstrafverfahren geltend zu machenden Verpflichtung zur Leistung der Geldstrafe beziehungsweise neben der Verpflichtung zur Leistung des Wertersatzes (der unter den Voraussetzungen des § 19 FinStrG auferlegt wird). Hinsichtlich der über die Täter verhängten Geldstrafe und auferlegten Wertersätze sind die Täter (Eigen-)Schuldner, hinsichtlich der von ihnen verkürzten Abgaben haben sie neben den Abgabepflichtigen gem. § 11 BAO als Haftende einzustehen (Stoll, BAO-Kommentar, § 11, S. 144).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die mit dem vorliegenden Erkenntnis zu lösenden Rechtsfragen, sind durch die im Erkenntnis zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt bzw. ergeben sich aus dem Wortlaut der anzuwendenden einschlägigen Bestimmungen.

Salzburg-Aigen, am

Zusatzinformationen


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Materie
Zoll
betroffene Normen
§ 11 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.3200004.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at