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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 09.09.2019, RV/6100484/2016

Voraussetzungen der Akteneinsicht im Vollstreckungsverfahren

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter

A

in der Beschwerdesache

BF,

vertreten durch

RA

gegen 

FA

vertreten durch

AB

wegen

behaupteter Rechtswidrigkeit des Bescheides vom betreffend die Abweisung eines Antrages auf Akteneinsicht in die Vollstreckungsakten 

zu Recht erkannt: 

1. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird – ersatzlos – aufgehoben.

2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Gegen den BF wurden vom FA Exekutionsmaßnahmen gesetzt. Mit Bescheiden vom wurde die Forderung des BF gegen seine ehemalige Gattin aus einem Scheidungsvergleich gepfändet. Diese überwies in der Folge den im Scheidungsvergleich vereinbarten Betrag an das FA.

Mit Antrag vom begehrte der rechtsfreundliche Vertreter des BF unter Verweis auf das Pfändungsverfahren und seine Vollmacht nach § 8 RAO Mitteilung darüber, woher das FA Kenntnis von dem Vergleich vor dem BG gehabt habe. In eventu begehrte der Vertreter des BF Akteneinsicht in den Steuerakt des BF.

Dies beantwortete das FA mit Schreiben vom dahingehend, dass Akteneinsicht nach § 90 Abs. 1 BAO nur dann gestattet sei, wenn die Kenntnis oder Geltendmachung oder Verteidigung der abgabenrechtlichen Essen oder abgabenrechtlicher Pflichten des BF erforderlich sei.

Darauf erläuterte der Vertreter des BF in einer E-Mail vom die Gründe für den Antrag auf Akteneinsicht. Das FA teilte dem Vertreter in der Folge mit, dass Anbringen mit E-Mail nicht gültig seien worauf dieser mit unter Anführung des Namens des BF und Angabe seiner Steuernummer einen Antrag auf Akteneinsicht stellte. Zur Begründung führte der Vertreter des BF aus, dass die ehemalige Gattin des BF trotz eines bevorrechteten Kostenpfandrechtes des Vertreters im Scheidungsverfahren dem Beschluss des FA Folge geleistet habe und nunmehr - um Regressansprüche gegen die ehemalige Ehegattin des BF erheben zu können - aufzuklären sei, welche Umstände zum Pfändungsbescheid des FA geführt hätten.

Diesen Antrag wies das FA mit Bescheid vom ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass nach § 25 Abs. 1, 1. Satz AbgEO der Abgabenschuldner Einsicht in die Vollstreckungsverfahren betreffenden Akten begehren könne. Während im allgemeinen Abgabenverfahren der Partei unter bestimmten Voraussetzungen ein Rechtsanspruch auf Akteneinsicht eingeräumt sei, liege die Gewährung der Einsicht in die Akten des Vollstreckungsverfahrens im Ermessen der Behörde. Diese Einsicht werde zu gewähren seien, wenn ein rechtliches Interesse nachgewiesen werde und die Kenntnis der Akten zur verfolgenden Verteidigung der Rechte erforderlich sei, sofern öffentliche Interessen dadurch nicht verletzt werden würden. Aus dem Antrag gehe weder hervor dass die Kenntnis des Akteninhaltes zur Verteidigung der abgabenrechtlichen Interessen oder zur Erfüllung abgabenrechtlichen Pflichten erforderlich sei noch dass die Kenntnis des Aktes zur Verfolgung oder Verteidigung der Rechte erforderlich sei. Die Schuldnerin sei mit der Überweisung der finanzbehördlich gepfändeten Forderung ihrer Zahlungsverpflichtung aus dem Vergleich nachgekommen und werde damit von ihrer Verbindlichkeit befreit.

Gegen diesen Bescheid erhob der rechtsfreundliche Vertreter fristgerecht Beschwerde, verwies auf sein Vorbringen im Antrag und führte dabei im Wesentlichen aus, dass eine Klärung der Umstände erforderlich sei, die zum Pfändungsbeschluss geführt hätten und sohin den Vertretern einen Betrag von € 35.000,00 den bevorrechteten Kostenpfandrecht entzogen habe. Ein Teil der Klärung dieser Umstände sei die Einsichtnahme in den Vollstreckungsakt.

Die geschiedene Gattin des BF sei durch die Zahlung an eine andere Zahlstelle nicht von ihrer Verbindlichkeit befreit worden. Zudem habe sie gegen ihre Verpflichtung verstoßen, eine dritte Person von der zu erwartenden Zahlung zu verständigen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das FA die Beschwerde als unbegründet ab und führte nach Verweis auf die Bestimmungen des § 90 BAO bzw. § 25 Abs. 1, 1. Satz AbgEO aus, dass die Regressansprüche gegen die Drittschuldnerin nicht nachvollziehbar seien, sei jedoch durch den von Amts wegen erlassenen Bescheid der Pfändung einer Geldforderung vom verboten worden, an den Abgabenschuldner zu zahlen. Aus dem Scheidungsvergleich gehe klar hervor, dass der BF aus diesem Vergleich forderungsberechtigt sei, nicht seine rechtsfreundliche Vertretung. Durch die Überweisung sei die geschiedene Gattin von ihrer Zahlungspflicht gegenüber dem BF befreit worden. Ihre Schuld als Drittschuldnerin sei durch die Zahlung an das FA getilgt worden.

Darauf beantragte der ausgewiesene Vertreter fristgerecht die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht.

Mit Beschluss des GV-Ausschusses vom wurde die gegenständliche Beschwerdesache der damit belasteten Gerichtsabteilung gemäß § 9 Abs. 9 BFGG abgenommen und der derzeit damit befassten Gerichtsabteilung am zugeteilt.

Das BFG hat dazu erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 9 BFGG kann der Geschäftsverteilungsausschuss einer Einzelrichterin oder einem Einzelrichter oder Senat eine ihr oder ihm zufallende Rechtssache durch Verfügung abnehmen, wenn die Einzelrichterin oder der Einzelrichter oder Senat verhindert oder wegen des Umfangs ihrer oder seiner Aufgaben an deren Erledigung innerhalb einer angemessenen Frist gehindert ist. Auf Grund des im Verfahrensgang dargestellten Beschlusses des Geschäftsverteilungsausschusses ist sohin die nun zur Entscheidung des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens berufene Gerichtsabteilung zuständig.

Der oben dargestellte Verfahrensgang gibt auch den Sachverhalt wider, den das BFG im Folgenden seiner Entscheidung zu Grunde legt. Er ist von den Parteien des Verfahrens unbestritten.

Mit schloss der BF mit seiner Ehegattin einen Scheidungsvergleich, worin sich diese unter anderem dazu verpflichtete, dem BF bis , einen Betrag von € 35.000,00 auf ein Konto der rechtsfreundlichen Vertreter des BF im Scheidungsverfahren zu bezahlen. Dies ergibt sich aus dem Vorbringen der Parteien und dem im Akt erliegenden Protokoll des BG Zell am See vom .

Mit Bescheid vom pfändete das FA bei der ehemaligen Ehegattin des BF eine Geldforderung gegen den BF. Dieser schulde einschließlich der Nebengebühren Abgaben i.H.v. € 40.000,00 zuzüglich der Gebühren und Barauslagen für diese Pfändung i.H.v. € 16,62. Dem BF stehe gegen die ehemalige Ehegattin eine Forderung in unbekannter Höhe aufgrund des Vergleiches vor dem BG Zell am See vom zu. Diese werde gemäß § 65 AbgEO gepfändet. Soweit diese Forderung gepfändet sei, dürfe die Ehegattin keine Zahlung an den BF mehr leisten.

Mit einem weiteren Bescheid ebenfalls vom forderte das FA die ehemalige Ehegattin des BF zur Überweisung der Geldforderung gemäß § 71 AbgEO „ohne Beeinträchtigung früher erworbener Rechte dritter Personen bis zur Höhe der vollstreckbaren Forderung zur Einziehung“ auf.

Ebenfalls mit Bescheid vom erließ das FA gegenüber dem BF ein Verfügungsverbot über die gepfändeten Forderungen gemäß § 65 Abs. 1 AbgEO.

Die ehemalige Gattin des BF überwies den Vergleichsbetrag an das FA.

Dieser Sachverhalt ergibt sich aus den Exekutionsakten des FA.

In weiterer Folge beantragte der BF durch seinen ausgewiesenen Vertreter Einsicht in die Akten des Vollstreckungsverfahrens.

Dies ergibt sich aus den im Verfahrensgang dargestellten Schriftsätzen des Vertreters des BF im gegenständlichen Verfahren. Das BFG hat keinen Zweifel daran, dass der Rechtsanwalt, nicht im eigenen Namen, sondern als Vertreter des BF aufgetreten ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Schreiben vom .

Das BFG hat darüber hinaus keine Zweifel daran, dass der BF durch seinen Vertreter Einsicht in die Akten des Vollstreckungsverfahrens und nicht in den Steuerakt begehrt hat. Dies ergibt sich für das BFG zweifelsfrei trotz der Bezeichnung „Einsicht … In den Steuerakt“ im Schreiben vom nicht nur aus der E-Mail vom sondern auch aus dem Antrag auf Akteneinsicht, vom .

Strittig ist somit im gegenständlichen Fall die Frage, ob dem BF Akteneinsicht in die Akten des Vollstreckungsverfahrens beim FA gewährt werden kann bzw. zu gewähren ist, allenfalls um Umstände aufklären zu können, die zum Pfändungsbescheid des FA geführt haben und Regressansprüche gegen die ehemalige Gattin des BF erheben zu können, die aus ihrer Verpflichtung im Scheidungsverfahren herrühren.

Das FA ist davon ausgegangen, dass die Ermessensentscheidung ob Akteneinsicht gewährt wird, auch in der AbgEO durchgängig und damit auch gegenüber dem Abgabenschuldner selbst anzuwenden sei.

Gemäß § 90 Absatz 1 BAO hat d ie Abgabenbehörde den Parteien die Einsicht und Abschriftnahme der Akten oder Aktenteile zu gestatten, deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer abgabenrechtlichen Interessen oder zur Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten erforderlich ist.

Gemäß § 25 Abs. 1 AbgEO kann der Abgabenschuldner Einsicht in die das Vollstreckungsverfahren betreffenden Akten begehren und auf seine Kosten von einzelnen Aktenstücken Abschriften verlangen. Solche Einsicht- und Abschriftnahme kann auch dritten Personen vom Vorstand des Finanzamtes gestattet werden, insoweit sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen und keine zu beachtende Geheimhaltungspflicht entgegensteht. Durch die Abschriftnahme dürfen jedoch die gerade dringend benötigten Aktenstücke dem Vollstrecker nicht entzogen werden.

§ 25 AbgEO enthält abweichend von den Bestimmungen der BAO, die nach § 1 AbgEO im Vollstreckungsverfahren anzuwenden sind, eine eigene Regelung über die Akteneinsicht. (Liebeg, AbgEO, Kommentar zu § 25)

Wie oben dargestellt, zielt der Antrag auf Akteneinsicht auf die Einsichtnahme in den Vollstreckungsakt des BF durch dessen ausgewiesenen Vertreter. Damit ist entgegen der Begründung des FA im Erstbescheid über die Abweisung des Antrages auf Akteneinsicht, über den das BFG im gegenständlichen Verfahren zu entscheiden hat, nicht § 90 Abs. 1 BAO iVm mit § 25 Abs. 1 AbgEO, sondern ausschließlich § 25 Abs. 1 AbgEO einschlägig. Zudem tritt – wie oben dargestellt - der Rechtsanwalt auch ganz eindeutig als Vertreter des BF und nicht im eigenen Namen auf.

§ 25 Abs. 1 AbgEO unterscheidet sich hinsichtlich der Einsichtnahme des Abgabenschuldners in die Akten des Vollstreckungsverfahrens jedoch wesentlich von § 90 Abs. 1 BAO. Fordert die BAO, wie das FA zutreffend ausgeführt hat, zur Einsichtnahme in die Akten die Notwendigkeit der Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung abgabenrechtlicher Interessen oder zur Erfüllung abgabenrechtlichen Pflichten, so trifft § 25 Abs. 1, erster Satz AbgEO diese Einschränkung nicht. Dem Abgabenschuldner selbst ist die Einsichtnahme in den Vollstreckungsakt über seinen Antrag zu gewähren. Die einzige Einschränkung ergibt sich aus dem letzten Satz des § 25 Abs. 1 AbgEO, wonach durch die Abschriftnahme dem Vollstrecker die gerade dringend benötigten Aktenstücke nicht entzogen werden dürfen.

Damit ist aber das gegenständliche Verfahren entschieden. Dem BF steht bei der gegenständlichen Sachlage die Akteneinsicht, gegebenenfalls durch seinen ausgewiesenen Vertreter, zu.

Der gegenständliche Beschwerde ist daher stattzugeben. Da die Gewährung der Akteneinsicht keines Bescheides bedarf, (Ritz, BAO6, § 90 Tz. 9 mwN) ist der angefochtene Bescheid gemäß § 279 Abs. 1 BAO ersatzlos zu beheben.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf den klaren Gesetzeswortlaut des § 25 Abs. 1 AbgEO. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt daher nicht vor.

Salzburg-Aigen, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 25 Abs. 1 AbgEO, Abgabenexekutionsordnung, BGBl. Nr. 104/1949
Schlagworte
Akteneinsicht des Abgabenschuldners
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.6100484.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at