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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.07.2019, RV/5100759/2019

Steuerfreiheit des deutschen Elterngeldes in Österreich

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache Franziska BF, vertreten durch Steuerberater StB, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Braunau Ried Schärding vom zu StNr betreffend Einkommensteuer 2017 zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin ist Grenzgängerin, wohnt in Österreich und arbeitet bei der Sparkasse A in Deutschland.

Mit Bescheid vom wurde die Beschwerdeführerin zur Einkommensteuer 2017 veranlagt. Dabei wurde das steuerpflichtige Einkommen (die beim deutschen Arbeitgeber erzielten Einkünfte) mit 16.424,92 € bestimmt. Bei der Festsetzung der Einkommensteuer wurden als Bemessungsgrundlage für den nach Ansicht des Finanzamtes zu ermittelnden Durchschnittssteuersatz jedoch nicht nur diese Einkünfte berücksichtigt, sondern weitere „ausländische Einkünfte“ in Höhe von 7.141,64 €. Dabei handelt es sich um deutsches Elterngeld, welches der Beschwerdeführerin für ihre am geborene Tochter vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, Region Oberbayern, mit Bewilligung vom zuerkannt worden war und dem Veranlagungsjahr 2017 zuzurechnen ist.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die via FinanzOnline bereits am eingelangte Beschwerde. Die Beschwerdeführerin habe im Jahr 2017 vom Zentrum Bayern Familie und Soziales Elterngeld in Höhe von 7.141,64 € erhalten. Zusammen mit dem Elterngeld im Jahr 2018 beziehe die Beschwerdeführerin in Summe 11.729,24 €. Das deutsche Elterngeld entspreche dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld und die deutschen Zahlungen würden auf den österreichischen Maximalbetrag angerechnet. Das Kinderbetreuungsgeld könne in Österreich maximal 12.365,00 € betragen. Nachdem das deutsche Elterngeld um 566,00 € (richtig unter Zugrundelegung der von der Beschwerdeführerin genannten Zahlen: 635,76 €) niedriger sei, erhalte die Beschwerdeführerin diese Differenz im Jahr 2018 nach Ende des Elterngeldes in Deutschland. Das Kinderbetreuungsgeld in Österreich sei steuerfrei. Daraus ergebe sich, dass das deutsche Elterngeld ebenfalls steuerfrei sei. Es werde beantragt, die Veranlagung 2017 ohne Berücksichtigung von Progressionseinkünften neu durchzuführen.

Der Beschwerde wurde eine Ablichtung der Bewilligung des deutschen Elterngeldes vom angeschlossen. In der Begründung wird unter anderem ausgeführt, dass Elterngeld in Höhe von 67 % des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt werde. Es werde bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 € monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit habe. Das Einkommen aus Erwerbstätigkeit errechne sich aus der um pauschalierte Abzüge für Steuern und Sozialabgaben verminderten Summe der positiven Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nummer 4 des dEStG.

Ferner war der Beschwerde eine Information der österreichischen Bundesministerin für Frauen, Jugend und Familie zum Kinderbetreuungsgeld angeschlossen, aus der sich ein Höchstbetrag an Kinderbetreuungsgeld von 12.366,20 € (in der kürzesten Grundvariante von 365 Tagen zu je 33,88 €) ergibt.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde vom mit folgender Begründung ab: „Gemäß § 3 Abs. 1 Z 5 lit. b EStG 1988 ist das Kinderbetreuungsgeld steuerfrei. Anders als bei den Leistungen nach Z 4 lit. a bis d leg.cit (Wochengeld, Erstattungsbeträge iZm Kranken/Unfallbehandlung, Reha-Maßnahmen, usw.) gibt es bei den Leistungen nach der Z 5 keine Klausel, wonach auch bestimmte vergleichbare Bezüge unter diese Befreiung fallen. Elterngeld aus Deutschland ist nicht mit dem Kinderbetreuungsgeld vergleichbar und daher nicht nach § 3 (5) lit. b EStG steuerfrei. Das deutsche Elterngeld ist in Österreich mit Progressionsvorbehalt zu behandeln.“

Dagegen richtet sich der via FinanzOnline eingebrachte Vorlageantrag vom . Die Beschwerdeführerin habe am eine Tochter geboren und beziehe vom bis deutsches Elterngeld. Im Steuerbescheid habe das Finanzamt das deutsche Elterngeld als Progressionseinkünfte eingestuft, weil das Elterngeld nicht mit dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld vergleichbar sei. Es stimme, dass das deutsche Elterngeld nicht ausdrücklich im § 3 Abs. 1 Z 5 lit. b EStG 1988 angeführt sei. Dies ist aber auch gar nicht notwendig, denn in diesem Fall gehe die EU Verordnung Nr. 883/2004 vor und stehe somit über dem nationalen Recht. Diese Verordnung regle die Zuschüsse oder Zulagen, welche die Familien erhalten, bis die Kinder selbst für ihren Unterhalt sorgen können. Diese Verordnung werde bei den Gebietskrankenkassen schon laufend angewendet. Für die Gebietskrankenkassen sei das deutsche Elterngeld mit dem Kinderbetreuungsgeld vergleichbar und wenn das deutsche Elterngeld niedriger als das Kindergeld sei, würden die Gebietskrankenkassen die Differenz als Ausgleichszahlung auszahlen. Wenn die Gebietskrankenkassen das deutsche Elterngeld als Ersatz für das Kinderbetreuungsgeld anerkennen, müsse dies auch für das Finanzamt gelten. Sowohl das Elterngeld als auch das Kinderbetreuungsgeld seien Familienleistungen im Sinne der EU-Verordnung 883/2004 und müssten somit steuerlich gleichbehandelt werden. Selbst wenn Deutschland ein höheres Elterngeld als das österreichische Kinderbetreuungsgeld bezahlen würde, müsse die Steuerfreiheit gegeben sein. In Deutschland betrage das höchste Elterngeld 1.800,00 € monatlich. In Österreich betrage das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld maximal 1.980,00 € monatlich. Weiters sei zu bedenken, dass die Steuerfreiheit auch gegeben sein müsse, wenn der Vater deutsches Elterngeld beziehe. Die rechtlichen Unterlagen zu diesem Vorlageantrag würden unter Sonstige Anbringen mitgeschickt. Es werde beantragt, das deutsche Elterngeld komplett steuerfrei nach § 3 Abs 1 Z 5 b EStG 1988 zu belassen.

Mit weiterer elektronischer Eingabe wurde diese Beilagen übermittelt und dazu erläuternd ausgeführt: „In der Anlage werden die Beilagen zum Vorlageantrag betreffend Einkommensteuer 2017 übermittelt. Als Erstes wird das Infoblatt zum Kinderbetreuungsgeld für Geburten ab übermittelt. Im Infoblatt ist angeführt, dass das Kinderbetreuungsgeld eine Familienleistung im Sinne der EU-Verordnung 883/2004 ist. Als Zweites wird der Wegweiser A4 Familie von der Homepage des AMS www.ams.at/_docs/A_04_Familie.pdf mitschickt. In diesem Wegweiser sind auf Seite 6 die Besonderheiten für Grenzgänger angeführt. Aus dem Punkt Ausgleichszahlungen geht hervor, dass das deutsche Elterngeld mit dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld verglichen wird und entsprechende Ausgleichszahlungen auslösen kann. Als Drittes folgt der § 3 des EStG 1988. Unter Abs 1 Z 7 wird die Familienbeihilfe angeführt. Im Gesetzestext ist angeführt: und gleichartige ausländische Leistungen. Unter Abs 1 Z 5b ist das Kinderbetreuungsgeld angeführt. Der Gesetzgeber hat es bisher verabsäumt im Gesetzestext ebenfalls den Zusatz - und gleichartige ausländische Familienleistungen - einzufügen. Als Viertes wird ein OGH Urteil OHG 10 Ob S 148/14h im Zusammenhang mit dem deutschen Elterngeld übermittelt. Auf Seite 2 des Urteiles sind die Erkenntnisse des Senats angeführt. Unter Punkt 2.1. wird angeführt, dass das österreichische Kindergeld unter den Begriff Familienleistung fällt. Auf Seite 3 des Urteiles unter Punkt 2.1. steht: Es ist - wie auch das Elterngeld nach dem deutschen Bundeselterngeld- und Elternteilzeitgesetz - BEEG - eine Geldleistung an Eltern, die im Hinblick auf die Betreuung (Erziehung) des Kindes für eine bestimmte Zeit nicht oder nur eingeschränkt erwerbstätig sind.“

Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und führte in seiner Stellungnahme aus, dass laut Ansicht des bundesweiten Fachbereiches Lohnsteuer – auch nach Rücksprache mit der BMF-Fachabteilung – das deutsche Elterngeld mangels Erfüllens eines Befreiungstatbestandes „auf der ersten Stufe“ in Österreich steuerpflichtig sei. Dies würde bedeuten, dass diese Einkünfte in Österreich – im Gegensatz zur Behandlung im angefochtenen Bescheid – voll steuerpflichtig seien und eine „Verböserung“ zu erfolgen hätte.

Beweiswürdigung

Der festgestellte und unstrittige Sachverhalt ergibt sich aus den zitierten Aktenteilen, dem Vorbringen der Beschwerdeführerin und den im Abgabeninformationssystem gespeicherten Daten. Zu klären ist im vorliegenden Fall die Rechtsfrage, wie das von der Beschwerdeführerin bezogene deutsche Elterngeld im Rahmen der Besteuerung der Einkünfte in Österreich im Zuge der Veranlagung für das Jahr 2017 zu berücksichtigen ist.

Rechtslage und Erwägungen

1) Doppelbesteuerungsabkommen Österreich - Deutschland

Gemäß Art. 1 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen (BGBl III 182/2002 idF BGBl III 32/2012) gilt dieses Abkommen für Personen, die in einem Vertragsstaat oder in beiden Vertragsstaaten ansässig sind.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich ansässig, da sie nach österreichischem Recht auf Grund ihres Wohnsitzes hier unbeschränkt steuerpflichtig ist (Art. 4 Abs. 1 DBA; § 1 Abs. 2 EStG).

Gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA dürfen – vorbehaltlich der im gegenständlichen Fall nicht in Betracht kommenden Art. 16 bis 20 – Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden.

Diese Bestimmung gilt aber gemäß Art. 15 Abs. 6 DBA nicht, wenn die Person in dem einen Staat in der Nähe der Grenze ihren Wohnsitz und in dem anderen Staat in der Nähe der Grenze ihren Arbeitsort hat und täglich von ihrem Arbeitsort an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Grenzgänger).

Bei einer in Österreich ansässigen Person wird die Steuer gemäß Art. 23 Abs. 2 lit. a DBA wie folgt festgesetzt:

Bezieht die in der Republik Österreich ansässige Person Einkünfte und dürfen diese Einkünfte nach dem DBA in der Bundesrepublik Deutschland besteuert werden, so nimmt die Republik Österreich diese Einkünfte von der Besteuerung aus.

Gemäß Art 23 Abs. 2 lit. d DBA dürfen Einkünfte einer in der Republik Österreich ansässigen Person, die nach dem Abkommen von der Besteuerung in der Republik Österreich auszunehmen sind, gleichwohl in der Republik Österreich bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen der Person einbezogen werden (Progressionsvorbehalt).

Da die Beschwerdeführerin eine Grenzgängerin im Sinne des Art. 15 Abs. 6 DBA ist, gelten für sie weder die Bestimmungen des Art. 15 Abs. 1 DBA noch jene des Art. 23 Abs. 2 lit. a und d DBA. Das Besteuerungsrecht am Einkommen der Beschwerdeführerin steht allein und unbeschränkt der Republik Österreich zu.

2) Einkommensteuerbefreiungen gemäß § 3 EStG 1988

Von der Einkommensteuer sind gemäß § 3 Abs. 1 Zif 4, 5 und 7 EStG unter anderem befreit:

4. a) das Wochengeld und vergleichbare Bezüge aus der gesetzlichen Sozialversicherung sowie dem Grunde und der Höhe nach gleichartige Zuwendungen aus Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen

b) Erstattungsbeträge aus einer gesetzlichen Sozialversicherung für Kosten der Krankenheilbehandlung und für Maßnahmen der Rehabilitation sowie dem Grunde und der Höhe nach gleichartige Beträge aus Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen

c) Erstattungsbeträge für Kosten im Zusammenhang mit der Unfallheilbehandlung oder mit Rehabilitationsmaßnahmen, weiters Geldleistungen aus einer gesetzlichen Unfallversorgung sowie dem Grunde und der Höhe nach gleichartige Beträge aus einer ausländischen gesetzlichen Unfallversorgung, die einer inländischen gesetzlichen Unfallversorgung entspricht, oder aus Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbstständig Erwerbstätigen.

d) Sachleistungen aus der gesetzlichen Sozialversicherung oder aus einer ausländischen gesetzlichen Sozialversicherung, die der inländischen gesetzlichen Sozialversicherung entspricht

5. b) Leistungen nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG), BGBl. I Nr. 103/2001, der Familienzeitbonus nach dem FamZeitbG, BGBl I Nr. 53/2016, sowie das Pflegekarenzgeld

7. Leistungen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 und gleichartige ausländische Leistungen, die den Anspruch auf Familienbeihilfe gemäß § 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 ausschließen.

Das deutsche Elterngeld wird in § 3 Abs. 1 EStG naturgemäß nicht ausdrücklich erwähnt. Die Bestimmung der Zif. 5 lit. b umfasst aber auch nicht dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld vergleichbare (in- oder ausländische) Leistungen. Damit wäre das deutsche Elterngeld in Österreich voll zu versteuern.

3) Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist ein Kernbestandteil des für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlich geltenden Unionsrechts. Sie stellt gemeinsam mit der Niederlassungsfreiheit eine besondere Form der Personenfreizügigkeit dar. Jeder Unionsbürger hat hiernach die Möglichkeit, ungeachtet seines Wohnortes in jedem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, unter den gleichen Voraussetzungen eine Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben wie ein Angehöriger dieses Staates. Freizügigkeit ist also gegeben, wenn es keine auf der Nationalität beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf den Zugang zur Beschäftigung, die Beschäftigung, die Entlohnung und die sonstigen Arbeitsbedingungen gibt.

Rechtsgrundlage der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Diese Vorschrift war bis zum nach der durch den Maastrichtvertrag eingeführten Nummerierung Artikel 39 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag), nach der zuvor bis zum geltenden Nummerierung Artikel 48 des EG-Vertrags.

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit gewährleistet den freien Zugang zu einer Beschäftigung. Sie ist unmittelbar anwendbar. Weder durch Maßnahmen des fremden Mitgliedstaates noch des Heimatstaates darf eine grenzüberschreitende Betätigung behindert werden.

Nach der Rechtsprechung des EuGH soll die Bestimmung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer den Gemeinschaftsangehörigen die Ausübung beruflicher Tätigkeiten im gesamten Gebiet der Gemeinschaft erleichtern und steht Maßnahmen entgegen, die die Gemeinschaftsangehörigen benachteiligen könnten, wenn sie eine Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausüben wollen. Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich weiters, dass die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, auch wenn sie nach ihrem Wortlaut insbesondere die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern sollen, es doch auch verbieten, dass der Herkunftsstaat die freie Annahme und Ausübung einer Beschäftigung durch einen seiner Staatsangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat behindert ( mit Hinweisen auf die einschlägige EuGH-Judikatur).

Eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit kann sich daraus ergeben, dass unterschiedliche Vorschriften auf vergleichbare Situationen angewendet werden oder dass dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewendet wird. Entscheidend ist, dass aus der Sicht der durch Österreich vorgenommenen Besteuerung davon auszugehen ist, dass sich in Österreich ansässige Personen unabhängig davon in einer vergleichbaren Situation befinden, ob sie ihre Einkünfte durch eine Berufstätigkeit in Österreich oder als Tagespendler durch eine Berufstätigkeit im benachbarten Ausland erzielen (; ).

Es ist somit zu prüfen, ob das deutsche Elterngeld mit dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld, welches nach § 3 Abs 1 Z 5 lit. b EStG von der Steuer befreit ist, vergleichbar ist. Soweit eine Vergleichbarkeit gegeben ist, liegt in der Besteuerung dieser aus Deutschland bezogenen Leistung eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und bewirkt deshalb die unmittelbar anzuwendende Bestimmung des Art. 45 AEUV eine Steuerbefreiung, wie sie dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld zukommt (vgl. neuerlich zur Frage der Vergleichbarkeit der von einer liechtensteinischen Arbeitgeberin gewährten Geldleistung aus Anlass der Mutterschaft mit dem österreichischen Wochengeld).

3.1 Vergleichbarkeit des deutschen Elterngeldes mit dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld

a) Deutsches Elterngeld

Rechtsgrundlage für das deutsche Elterngeld ist das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz vom (deutsches BGBl I S. 2748), welches am in Kraft getreten ist.

Das Elterngeld ist eine vom Nettoeinkommen abhängige Transferzahlung als Ausgleich für konkrete Nachteile in der Frühphase der Familiengründung und somit eine elternbezogene, zeitlich befristete Entgeltersatzleistung. Das Elterngeld tritt an die Stelle des früheren Erziehungsgeldes. Anspruch auf Elterngeld haben Eltern, die wegen der Betreuung eines Kindes nicht oder nicht voll erwerbstätig sind oder ihre Erwerbstätigkeit für die Betreuung ihres Kindes unterbrechen. Es soll die Eltern bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage unterstützen und ist deshalb als Entgeltersatzleistung ausgestaltet (https://de.wikipedia.org/wiki/Elterngeld_(Deutschland).

Das Elterngeld gehört zu den Familienleistungen in Deutschland. Es sichert die wirtschaftliche Existenz der Familien und hilft Vätern und Müttern, Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Eltern können zwischen Elterngeld (Basiselterngeld) und ElterngeldPlus wählen oder beides miteinander kombinieren (https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/familienleistungen/elterngeld/elterngeld-und-elterngeldplus/73752).

Nähere Erläuterungen zum deutschen Elterngeld finden sich in der rund 180 Seiten umfassenden Broschüre des deutschen Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/elterngeld--elterngeldplus-und-elternzeit-/73770.

Elterngeld gibt es demnach in folgenden drei Varianten:

1. Basiselterngeld

2. ElterngeldPlus

3. Partnerschaftsbonus

b) Österreichisches Kinderbetreuungsgeld

Rechtsgrundlage für das österreichische Kinderbetreuungsgeld ist das Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG), BGBl I 103/2001, welches am in Kraft getreten ist.

Wie den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (620 der Beilagen XXI. GP) zu entnehmen ist, wird durch das Kinderbetreuungsgeld die Betreuungsleistung der Eltern anerkannt und teilweise abgegolten und gleichzeitig, im Sinne einer größeren Wahlfreiheit bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Art der Kinderbetreuung, die mit einer außerhäuslichen Betreuung von Kindern verbundene finanzielle Belastung teilweise abgegolten. Das Kinderbetreuungsgeld stellt eine universelle Familienleistung dar und trat an die Stelle des bisherigen Karenzgeldes. Das Kinderbetreuungsgeld soll einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Absicherung in der Phase der Familiengründung für die Zeit der notwendigen intensiven Betreuung von Kleinkindern leisten. Mit dem Kinderbetreuungsgeld würden Eltern von Kleinkindern, unabhängig vom Zeitpunkt eines (Wieder-)Einstiegs in das Erwerbsleben, jedenfalls über höhere finanzielle Mittel zur Finanzierung einer (zeitweisen) außerhäuslichen Kinderbetreuung verfügen.

Derzeit werden gemäß § 1 KBGG als Leistungen gewährt:

1. das pauschale Kinderbetreuungsgeld als Konto

2. das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens

3. die Beihilfe zum pauschalen Kinderbetreuungsgeld

4. der Partnerschaftsbonus

c) Vergleichbarkeit des deutschen Elterngeldes mit dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld

Nach den aufgezeigten Zielsetzungen sind das deutsche Elterngeld und das österreichische Kinderbetreuungsgeld vergleichbare Transferleistungen. Zutreffend wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass es sich bei beiden Leistungen um Familienleistungen im Sinne des Art. 1 lit. z der Verordnung (EG) 883/2004 handelt, wonach unter Familienleistungen „alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I“ zu verstehen sind.

Für die Vergleichbarkeit spricht ferner die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Entscheidung des 10 Ob S 148/14h, in der nicht nur betont wird, dass sowohl das deutsche Elterngeld als auch das österreichische Kinderbetreuungsgeld unter den Begriff der Familienleistungen im Sinne der Verordnung (EG) 883/2004 fallen, sondern auch die Prioritätsregelungen des Art. 68 dieser Verordnung anzuwenden sind (Punkt 3.9 der Erwägungen des OGH). Bei Vorliegen der Voraussetzungen sind daher vom nachrangig zuständigen Staat Differenzzahlungen zu leisten.

Die Vergleichbarkeit der beiden Transferleistungen wird auch im vorgelegten, von der deutschen Bundesagentur für Arbeit sowie dem österreichischen Arbeitsmarktservice gemeinsam erstellten Wegweiser A4 Familie betont, wenn dort unter anderem ausgeführt wird: „Familienbeihilfe heißt in Deutschland Kindergeld … Kinderbetreuungsgeld (früher Karenzgeld) wird in Deutschland Elterngeld (früher: Erziehungsgeld) genannt …“.

Insgesamt gesehen sind daher das deutsche Elterngeld und das österreichische Kinderbetreuungsgeld vergleichbare Transferleistungen des Staates mit identer Zielsetzung. Die vernachlässigbaren Unterschiede in der konkreten Ausgestaltung dieser Leistungen ändern daran nichts.

3.2 Bemessung des deutschen Elterngeldes und des österreichischen Kinderbetreuungsgeldes

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , G 198/98, ausgesprochen hat, ist - ungeachtet des einkommensteuerrechtlichen Grundsatzes, Einkommensersatz wie Erwerbseinkommen zu besteuern - die Ausnahme der Steuerpflicht für das Wochengeld (§ 3 Abs 1 Z 4 lit a EStG) im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass es sich nach dem Nettoarbeitsverdienst bemisst. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes war daher im Rahmen seiner bereits mehrfach zitierten Entscheidung vom zu prüfen, ob sich die in Rede stehenden Bezüge, welche die Abgabepflichtige von ihrem liechtensteinischen Arbeitgeber erhalten hat, dem § 162 Abs. 3 ASVG vergleichbar nach ihrem früheren Nettoarbeitsverdienst bemessen haben und ob sich solcherart aus der Besteuerung der Bezüge ein Nachteil im Verhältnis zur Steuerfreiheit des bereits nach dem Nettoarbeitsverdienst bemessenen österreichischen Wochengeldes ergab.

Insofern das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens bezogen wird, beträgt es gemäß § 24a KBGG 80 % des Wochengeldes (Zif. 1) bzw. 80 % des in den Fällen der Zif. 2 bis 4 fiktiv zu berechnenden Wochengeldes. Das Wochengeld wird gemäß § 162 Abs. 3 ASVG unverändert nach dem Nettoverdienst (arg.: „vermindert um die gesetzlichen Abzüge“) bemessen. Eine Heranziehung nur des Nettoverdienstes liegt im Ergebnis auch der in § 24a Abs. 1 Zif. 5 dargestellten Berechnungsformel zugrunde, die nur subsidiär zur Anwendung gelangt, wenn die Zif. 1 bis 4 nicht zutreffen.

Das deutsche Elterngeld wird ebenfalls nach dem Nettoeinkommen berechnet. Gemäß § 2 Abs. 1 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz wird Elterngeld in Höhe von 67 % des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt. Das Einkommen aus Erwerbstätigkeit errechnet sich nach Maßgabe der §§ 2c bis 2 f aus der um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben verminderten Summe der positiven Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Solcherart ergäbe sich daher für die Beschwerdeführerin ein Nachteil aus der Besteuerung des deutschen Elterngeldes im Verhältnis zur Steuerfreiheit des (ebenfalls) nach dem Nettoverdienst bemessenen Kinderbetreuungsgeldes.

Die Besteuerung des deutschen Elterngeldes in Österreich würde daher eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit darstellen. Es bewirkt deshalb die unmittelbar anzuwendende Bestimmung des Art. 45 AEUV eine Steuerbefreiung, wie sie dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld zukommt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Die gegenständliche Entscheidung orientiert sich am Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2005/15/0166. Da dieses Erkenntnis allerdings zum Wochengeld ergangen ist und eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zum Kinderbetreuungsgeld fehlt, ist eine ordentlichen Revision zulässig.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 3 Abs. 1 Z 5 lit. b EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 1 KBGG, Kinderbetreuungsgeldgesetz, BGBl. I Nr. 103/2001
§ 24a KBGG, Kinderbetreuungsgeldgesetz, BGBl. I Nr. 103/2001
Art. 45 AEUV, ABl. Nr. C 83 vom S. 47
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.5100759.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at