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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 13.05.2019, RV/7103991/2017

Anspruch auf Differenzzahlungen einer slowakischen selbständig Erwerbstätigen in der Karenzzeit für ihre in der Slowakei wohnenden Kinder.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. über die Beschwerde der Bf., Adresse, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Bruck Eisenstadt Oberwart vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Ausgleichszahlung ab Oktober 2016 zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (Bf.) ist slowakische Staatsbürgerin und stellte am beim Finanzamt einen Antrag auf Gewährung einer Ausgleichszahlung für ihre Kinder K., geb. **.09.2014, und M., geb. **.02.2016, ab Oktober 2016 bis laufend.

In der Beilage zum Antrag führte die Bf. ua. aus, dass ihr erstes Kind am **.09.2014 und noch während der Karenz ihr zweites Kind am **.02.2016 geboren sei. Sie habe für ihr erstes Kind bis September 2016 die Familienbeihilfe bekommen.
Nach österreichischem Recht habe sie auch Anspruch für das am **.02.2016 geborene Kind. Der Anspruch auf Wochengeld bei der Sozialversicherungsanstalt habe am **.01.2016 angefangen, acht Monate vorher bis ihr erstes Kind zwei Jahre alt geworden sei.
Ihr Gewerbe in Österreich sei aufrecht, die Bescheinigung, dass sie Wochengeld für das zweite Kind bekommen habe, habe sie dem Finanzamt übermittelt.

Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom mit der Begründung ab, dass für den Fall, dass während der Karenzzeit des ersten Kindes ein zweites Kind geboren wird, sich nicht die Karenzzeit, und somit auch nicht der Anspruch auf Familienbeihilfe, in Österreich verlängere. Der Familienbeihilfenanspruch bestehe bis zum zweiten Geburtstag des ersten Kindes.

Die Bf. brachte gegen den Abweisungsbescheid fristgerecht Beschwerde ein und führte begründend aus, dass im Sinne des Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 die Ansprüche auf Familienleistungen nicht nur für die Dauer einer tatsächlichen Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gelten würden, sondern auch während Zeiten einer vorübergehenden Unterbrechung einer solchen Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit, zB wegen Mutterschaft oder auch durch unbezahlten Urlaub zum Zweck der Kindererziehung, solange diese einer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt sei. Zeiten der Kindererziehung während der gesetzlichen Karenzzeit von zwei Jahren seien einer Erwerbstätigkeit in Österreich gleichgestellt, wenn anlässlich der Geburt ein Wochengeld bezogen werde, wobei nicht vorgegeben sei, ob es sich um das erste oder zweite Kind handle.
Da sie aufgrund eines aufrechten Gewerbes ununterbrochen in vollem Umfang in Österreich pflichtversichert gewesen sei, sei ihr anlässlich der Geburt ihres zweiten Kindes vom **.01.2016 bis Wochengeldbezug gewährt worden. Durch den Bezug des Wochengeldes vor der Geburt ihres zweiten Kindes liege also eine Erwerbstätigkeit im Sinne der Verordnung 883/2004 vor und es würden sich dadurch auch ihre Ansprüche auf die gesetzliche Karenzzeit von zwei Jahren für ihr zweites Kind, die ebenfalls der Erwerbstätigkeit im Sinne der Verordnung gleichgestellt sei, ergeben. Sie sei daher bis zum zweiten Lebensjahr ihres zweiten Kindes zum Bezug der Familienleistungen bzw. der Ausgleichzahlungen berechtigt.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Berufungsvorentscheidung vom mit folgender Begründung ab:

"Die Beschwerdeführerin lebt in der Slowakei und war bis vor der Geburt ihres ersten Kindes in Österreich als Pflegerin selbständig erwerbstätig. Am **.09.2014 wurde das Kind K. geboren, am **.02.2016 das Kind M.. Das Gewerbe ist nach wie vor aufrecht gemeldet. Lt. Antrag vom für den Zeitraum ab 10/2016 bis laufend ist die Antragstellerin in Karenz und Bezieherin von Kinderbetreuungsgeld; der Kindesvater ist selbständig erwerbstätig in der Slowakei. Im Antrag führte die Beschwerdeführerin auch einen Dienstgeber an. Eine Überprüfung ergab, dass die vermeintliche Dienstgeberin, A.B., geb. **.**.1926 seit im Pflegeheim in Rust ist und somit kein Dienstverhältnis vorliegen kann. Aufgrund der Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin in Österreich liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt vor, weshalb die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 anzuwenden ist. Gem. Art. 11 dieser Verordnung unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates.

Die österreichische gesetzliche Karenz nach dem Mutterschutz- oder Väterkarenzgesetz oder nach gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften ist der Ausübung einer Beschäftigung gleichgestellt. Somit unterliegt die Beschwerdeführerin grundsätzlich den Rechtsvorschriften der Republik Österreich. Der Kindesvater arbeitet in der Slowakei, weshalb er den slowakischen Rechtsvorschriften unterliegt.

Gem. den Prioritätsregeln des Art. 68 Abs. 1 der Verordnung stehen an erster Stelle die durch eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche. Da beide Elternteile einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen, ist der Wohnort der Kinder das entscheidende Kriterium. Beide Kinder wohnen in der Slowakei bei der Beschwerdeführerin, weshalb die Slowakei für die Auszahlung von Familienleistungen vorrangig zuständig ist. In Österreich besteht grundsätzlich nur ein Anspruch auf Differenzzahlung.

In Anwendung der Verordnung erhalten in Österreich selbständig Erwerbstätige österreichische Familienbeihilfe für die Dauer des Wochengeldbezugs und darüber hinaus, wenn das Gewerbe nicht ruhend gemeldet ist, bis längstens zum zweiten Geburtstag des Kindes, das die Karenz auslöst. Wird während der Karenz ein weiteres Kind geboren, verlängert dies nicht die Karenz und auch nicht den Anspruch auf österreichische Familienleistung.

Aus dargelegten Gründen bestand ein Anspruch auf Differenzzahlung für K. und M. bis September 2016."

Die Bf. stellte fristgerecht einen Vorlageantrag:

Als Begründung brachte die Bf. im Wesentlichen vor, dass der Anspruch auf Wochengeld am **.01.2016 entstanden sei. Sie habe eine Karenz beendet und eine zweite begonnen. Dies bedeute, dass die zweite Karenz zwei Jahre dauere. Sie wisse von anderen Fällen, dass die Frauen die zwischen den Schwangerschaften nicht gearbeitet hätten, trotzdem die Familienbeihilfe bekommen hätten.

In dem Vorlagebericht wies das Finanzamt auf die vorgelegten Unterlagen und beantragte die Beschwerde abzuweisen.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Ausgehend vom Inhalt des Verwaltungsaktes und den Ergänzungen wird der Entscheidung folgender unstrittige Sachverhalt zu Grunde gelegt:

Die Bf., ihr Gatte und die Kinder sind slowakische Staatsbürger mit Familienwohnsitz in der Slowakei. Der Ehegatte ist in der Slowakei selbständig erwerbstätig.

Die Bf. übte in Österreich bis zur Geburt ihres ersten Kindes K. am **.09.2014 das Gewerbe als selbständige Pflegerin aus.

Die Bf. hat ihr Gewerbe nicht ruhend gestellt.

Am **.02.2016 hat sie ihr zweites Kind M. geboren.

Beide Kinder wohnen mit der Mutter und dem Vater in der Slowakei im gemeinsamen Haushalt.

Die Bf. bezog Differenzzahlungen für das erstgeborene Kind (K.) bis zu dessen zweiten Geburtstag, somit bis September 2016.

Laut Schreiben der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom erhielt die Bf. für den am **.02.2016 geborenen Sohn M. vom **.01.2016 bis Wochengeld iHv € 52,00 täglich.

Die Differenzzahlungen für M. wurden ebenfalls bis September 2016 gewährt.

Der Antrag auf Weitergewährung der Differenzzahlungen für den Zeitraum ab Oktober 2016 wurde mit der Begründung abgewiesen, dass nach österreichischem Recht, wenn während der Karenzzeit des ersten Kindes ein zweites Kind geboren wird, sich nicht die Karenzzeit, und somit auch nicht der Anspruch auf Familienbeihilfe, verlängere. Der Familienbeihilfenanspruch bestehe bis zum zweiten Geburtstag des ersten Kindes.

Unstrittig ist, dass die Bf. in Österreich die Sozialversicherung im strittigen Zeitraum bezahlt hat und ihr Gewerbe aufrecht gemeldet war.

Strittig ist, ob der Bf. auch für das 2.Kind, welches während der Karenzzeit des 1.Kindes geboren wurde, zwei Jahre Karenzzeit ab dessen Geburt zusteht und damit die Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, dass die Bf. in dem streitgegenständlichen Zeitraum als in Österreich beschäftigt gilt, gegeben ist.

Gesetzliche Grundlagen und rechtliche Würdigung:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Nach § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Gemäß § 53 Abs. 1 FLAG 1967 sind Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hiebei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.

Gemäß § 15 Mutterschutzgesetz 1979 ist auf Verlangen der Dienstnehmerin im Anschluss an die Frist des § 5 Abs. 1 und 2 (Beschäftigungsverbot nach der Entbindung) Karenz gegen Entfall des Arbeitsentgelts bis Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist, zu gewähren, wenn sie mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt.

Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 kommt zur Anwendung bei länderübergreifende Sachverhaltselementen. Sie ist nur anwendbar, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der zwei oder mehr Mitgliedstaaten berührt. Dies ist der Fall, wenn ein Unionsbürger von seiner Freizügigkeit Gebrauch macht oder gemacht hat und in einem anderen als dem Wohnsitzstaat einer Erwerbstätigkeit nachgeht oder nachgegangen ist und dafür zB eine Rente oder eine Leistung bei Arbeitslosigkeit erhält.

Der typische Anwendungsfall ist der eines Versicherten, der in einem Mitgliedstaat (Beschäftigungsland) als Arbeitnehmer oder Selbständiger beschäftigt ist, während seine Familie weiterhin in einem anderen Mitgliedstaat (Wohnsitzland) lebt.

Die VO ist vom Grundsatz getragen, dass Personen, für die sie gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates unterliegen (Art. 11 Abs. 1 VO  (EG) Nr. 883/2004 ).

In der VO ist geregelt, welcher von mehreren Mitgliedstaaten zuständig ist. Es sind grundsätzlich immer nur die Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaates anzuwenden, und zwar in der Regel jenes Staats, in dem eine (nichtselbständige oder selbständige) Tätigkeit ausgeübt wird. Das sogenannte "Beschäftigungsland" ist damit der "zuständige Staat" und die Rechtsvorschriften dieses Staats sind für die Ansprüche aller hier beschäftigten Unionsbürger anzuwenden ("Beschäftigungslandprinzip").

Anders als die alte Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, die grundsätzlich nur für Erwerbstätige galt, gilt die neue Verordnung (EG) Nr. 883/2004 für alle versicherten Personen, auch für Nichterwerbstätige, zB freiwillig versicherte Personen. Die Erweiterung ist im Zusammenhang mit der "Freizügigkeitsrichtlinie" (RL 2004/38/EG) zu sehen.

Unterliegen die beiden Elternteile den Rechtsvorschriften unterschiedlicher Mitgliedsstaaten, legt die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in ihren Artikeln 67 und 68 anhand von Prioritätsregeln fest, welche Rechtsvorschriften primär zur Anwendung gelangen.

Aufgrund des weiteren Grundsatzes, dass für ein Kind immer die höchste der in einem von mehreren Mitgliedstaaten vorgesehenen Familienleistungen gewährt werden, kann es zu Differenzzahlungen an den anderen Elternteil durch den sekundär zuständigen Mitgliedstaat kommen.
(vgl. Csaszar in Csaszar/Lenneris/Wanke, FLAG, § 53 RZ Tz 39ff)

Artikel 67 VO (EG) Nr. 883/2004
Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaates, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedsstaat wohnen würden.

Somit besteht auch für Nichtösterreicher der Anspruch auf Differenzzahlungen, da sich dieser an der Erwerbstätigkeit anhängt.

Artikel 68 VO (EG) Nr. 883/2004 regelt:
(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:
a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.
b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:
i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;
ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;
iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

Im gegenständlichen Fall ist die Bf. slowakische Staatsbürgerin. Die Kinder, ihr Ehegatte und sie bewohnen einen gemeinsamen Familienwohnsitz in der Slowakei. Der Ehegatte ist in der Slowakei beschäftigt. Da die Slowakei Mitglied der Europäischen Union ist, ist die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 grundsätzlich auf die Bf. anwendbar. Voraussetzung für die Anwendbarkeit ist, dass die Bf. in Österreich als beschäftigt gilt.

Für EWR- bzw. EU- und Schweizer-Bürger/-innen gilt die EWR-Verordnung Nr. 883/2004 (vorm VO Nr. 1408/71) zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer/-innen und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, welche regelt, von welchem Staat die Familienleistungen zu erbringen sind.

"Ziel dieser Verordnung ist es, die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen (zu denen zweifellos auch die Gewährung einer Ausgleichszahlung gehört) zu regeln, wenn ein Arbeitnehmer in einem Mitgliedstaat beschäftigt ist, aber in einem anderen Mitgliedstaat wohnt. Wie der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache EuGH C-543/03 Dodl, Oberhollenzer ausgesprochen hat, ist Ziel der Verordnung, die Mobilität der Arbeitnehmer zu fördern und bei möglichen Ansprüchen auf Familienleistungen in zwei beteiligten Staaten ihnen das höchste Anspruchsniveau zu garantieren. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass Personen, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, deshalb nicht schlechter gestellt werden dürfen, als wenn sie von diesem Recht nicht Gebrauch gemacht hätten. Folgt man dieser Rechtsauffassung, dann ist Österreich für die Gewährung der Ausgleichszahlung zuständig, wenn die Bw. die Mindestanforderung der Verordnung, nämlich Arbeitnehmerin i.S. der Verordnung zu sein, erfüllt. Damit eine Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der VO 1408/71 vorliegt ist es demnach ausreichend, wenn die betreffende Person auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art. 1 lit. genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses.
Daraus folgt, dass auch in Karenz befindliche Personen als Dienstnehmer der VO 1408/71 unterliegen (vgl. wiederum die bereits angeführte Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-543/03 und )."

(vgl. )

Im Artikel 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit wird der Ausdruck „Beschäftigung“ als jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaates, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, definiert.

Eine "gleichgestellte Situation" beschreibt die Zeit, für die eine auf eine Beschäftigung zurückführende Leistung bezogen wird (zB Krankengeld, Wochengeld, ...)
Mütter - Väter- und Elternkarenz nach § 15 des Mutterschutzgesetzes und § 2 des Väter-Karenzgesetzes schaffen bis zum Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes ebenfalls eine gleichgestellte Situation.
( Csaszar in Csaszar/Lenneris/Wanke, FLAG, § 53 RZ Tz 75)

Nach § 15 Mutterschutzgesetz 1979 ist einer nichtselbständig Erwerbstätigen auf Verlangen 2 Jahre Karenzzeit für ein Kind zu gewähren; wenn ein weiteres Kind während dieser Karenz geboren wird, ist für dieses Kind ab dessen Geburt auf Verlangen ebenfalls 2 Jahre Karenzzeit zu gewähren.

Die Karenzzeit gilt nach der EU-Verordnung als erwerbstätiger Zeitraum.
Nach vorstehenden Ausführungen liegt eine einer Beschäftigung gleichgestellte Situation nach Artikel 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004  vor.

Im gegenständlichen Fall war die Bf. in Österreich selbständig beschäftigt. Sie hat 2 Kinder bekommen, wovon das 2. Kind während der zweijährigen Karenzzeit des erste Kind geboren wurde.

Die Bf. hat ihr Gewerbe nicht ruhend gestellt und die Sozialversicherung weiter geleistet.

Selbständige erhalten Wochengeld, sofern sie pflichtversichert sind.
Die Bf. bezog für das 2. Kind Wochengeld.

Eine Selbständige wird schwanger und bezieht vor der Geburt Wochengeld. Bleibt das Gewerbe nach der Geburt aufrecht oder wird zum Zwecke der Kindererziehung ruhend gemeldet, so befindet sich die Frau bis max. zum 2. Geburtstag des Kindes in einer der Beschäftigung gleichgestellten Situation.
Eine der Karenz nach dem Mutterschutz- oder Väterkarenzgesetz gleichgestellte Situation liegt auch für selbständige Erwerbstätige (bis max. 2 Geburtstag eines Kindes) vor.
(vgl. Csaszar in Csaszar/Lenneris/Wanke, FLAG, Durchführungsrichtlinien Tz 4.2.1.2.).

Das Bundesfinanzgericht geht auch im gegenständlichen Fall davon aus, dass die zweijährige Karenzzeit für das zweite Kind der selbständig erwerbstätigen Bf. als der einer Beschäftigung „gleichgestellte Situation“ gilt und da der Ehegatte und Vater der Kinder in der Slowakei zu dieser Zeit einer Beschäftigung iSd Verordnung nachging, der Beschäftigungsstaat einerseits Österreich ist, andererseits die Slowakei.
Wohnsitzstaat der Bf., ihres Gatten und der haushaltszugehörigen Kinder ist die Slowakei. Damit ist primär die Slowakei zur Erbringung der Familienleistungen zuständig.

Österreich ist als einer der Beschäftigungsstaaten jedoch zur Leistung von Differenzzahlungen verpflichtet.

Es war somit wie im Spruch zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da sich das Bundesfinanzgericht bei den zu lösenden Rechtsfragen am Gesetz und an der Judikatur des EuGH in der Rechtssache C-543/03 orientiert, ist die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht unzulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 53 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 11 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 68 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 15 MSchG, Mutterschutzgesetz 1979, BGBl. Nr. 221/1979
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.7103991.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at