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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 25.07.2019, RV/1100082/2017

Liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Kinderbetreuungskosten vor?

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Peter Bilger in der Beschwerdesache Bf., vertreten durch die Seeberger Steuerberatungs-GmbH, Wichnerstraße 12, 6700 Bludenz, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Feldkirch vom betreffend Einkommensteuer 2011 zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Beschwerdevorentscheidung vom abgeändert.

Für die Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe wird auf die Beschwerdevorentscheidung vom verwiesen.

Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (Bf.) machte mit Einkommensteuererklärung für das Jahr 2011 u.a. Kinderbetreuungskosten für seine beiden Kinder A., geboren am tt.mm.2009 und B., geboren am tt.mm.2010, in Höhe von 4.600,00 Euro als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 Abs. 9 EStG 1988 geltend.

2. Das Finanzamt anerkannte diese geltend gemachten Kosten sowohl im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2011 vom als auch in der Beschwerdevorentscheidung vom nicht als außergewöhnliche Belastung. Zur Begründung führte es zusammengefasst aus, Kinderbetreuungskosten stünden für Kinder iSd § 106 Abs. 1 EStG zu, das seien Kinder, für die dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehe(Partner) der Kinderabsetzbetrag für mehr als sechs Monate im Kalenderjahr zustehe. Der Kinderabsetzbetrag sei an die Auszahlung der Familienbeihilfe geknüpft. Im Beschwerdefall sei die Auszahlung der Familienbeihilfe erst ab Juli 2011 erfolgt, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung der Kinderbetreuungskosten nicht gegeben seien.

3. In der gegen diesen Bescheid am erhobenen und in dem nach Erlassen einer diesbezüglich abweisenden Beschwerdevorentscheidung am gestellten Vorlageantrag wandte der Bf. gegen die Nichtberücksichtigung der Kindebetreuungskosten zusammengefasst ein:
Seine Frau, seine beiden Söhne und er selbst hätten seit den Hauptwohnsitz in Österreich. Damit bestehe ab Juni 2011 auch ein Anspruch auf Familienbeihilfe in Österreich. Dass die Familienbeihilfe im Juni 2011 noch durch Frankreich ausbezahlt worden sei, sei in diesem Zusammenhang irrelevant. Das Einkommensteuergesetz sehe nicht zwingend vor, dass die Familienbeihilfe durch eine österreichische Behörde ausbezahlt werde. Er verweise in diesem Zusammenhang auf Artikel 59 Abs. 1 der Verordnung EG 987/2009, wonach ausländische Kinderbeihilfen der österreichischen Familienbeihilfe gleichgestellt seien.

4. Im Vorlageantrag beantragte der Bf., dass das Bundesfinanzgericht nur mehr über die nach der Beschwerdevorentscheidung noch strittigen Kinderbetreuungskosten entscheiden solle. Nur für den Fall, dass das Bundesfinanzgericht auch andere, bereits mit der Beschwerdevorentscheidung entschiedene Beschwerdepunkte einer neuerlichen Prüfung unterziehe, beantrage er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

II. Sachverhalt

1. Der Bf. und seine Familie sind im Jahr 2011 von Frankreich nach Österreich zugezogen. Ab  hatten er, seine Ehegattin und seine beiden Söhne A., geboren am tt.mm.2009 und B., geboren am tt.mm.2010, ihren Hauptwohnsitz in Wohnort1 (Beweis: Angaben des Bf. im Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe; Abfrage zentrales Melderegister).

2. Der Bf. war bis im Kanton K. in der Schweiz unselbständig beschäftigt. Aufgrund seines Wohnsitzes in Frankreich bezog er während dieser Beschäftigung in Frankreich eine Differenzzahlung zur Familienbeihilfe. Ab bekam er die Beihilfe aufgrund des Wohnsitzes von Frankreich ausbezahlt. Nach der Beendigung der Tätigkeit in der Schweiz beantragte er in Frankreich Arbeitslosenunterstützung (für Zwecke der Krankenversicherung), Arbeitslosenzahlungen erhielt er aber keine. Seine Ehefrau war bis Ende Jänner im Kanton K. unselbständig beschäftigt, danach ging sie keiner Beschäftigung mehr nach. Für diese Feststellungen folgt das Bundesfinanzgericht den Angaben des Bf. gegenüber dem Bundesfinanzgericht.

3. Mit trat der Bf. eine Beschäftigung bei der X AG im Fürstentum Liechtenstein an (Beweis: Angabe des Bf. im Formular über die Aufnahme als Grenzgänger).

4. Am und stellte der Bf. in Österreich einen Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe für seine beiden Söhne (Beweis: Antragsformular Beih 1; Antwortschreiben vom ). Mit Bescheid vom wurde dem Bf. die beantragte Familienbeihilfe ab Juli 2011 zugesprochen. Einen Antrag des Bf. auf Wiederaufnahme des Familienbeihilfeverfahrens und Gewährung der Familienbeihilfe auch für den Monat Juni 2011 wies das Finanzamt mit Bescheid vom zurück (Beweis: Bescheide vom und vom ).

5. Bis einschließlich Juni 2011 erhielt der Bf. eine der Familienbeihilfe vergleichbare Beihilfe vom französischen Staat. Dies ist den vom Finanzamt unwidersprochen gebliebenen Angaben des Bf. sowie dem von ihm vorgelegten Schreiben der „Caisse d´allocations familiales de l´ain“ vom zu entnehmen. Dort heißt es wörtlich: „Vous ne remplissez plus toutes les conditions pour beneficier des prestations familiales. Nous avons donc etudies vos droits. Ils changent a partir du . En fonction des elements connus de votre dossier, vous n´aurez droit a aucune prestation mensuelle a compter de julliet 2011“.
Übersetzt: „Sie erfüllen nicht mehr sämtliche Voraussetzungen für den Erhalt einer Familienunterstützung. Wie haben ihre Ansprüche geprüft. Sie haben sich vom an geändert. Aufgrund der uns vorliegenden Tatsachen haben sie ab Juli 2011 keinen Anspruch mehr auf eine monatliche Unterstützung“.

III. Rechtslage

1. Gemäß § 1 Abs. 2 erster EStG 1988 sind jene Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt steuerpflichtig.

2. Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen.

3. Aufwendungen für die Betreuung von Kindern bis höchstens 2.300 Euro pro Kind und Kalenderjahr gelten gemäß § 34 Abs. 9 EStG unter folgenden Voraussetzungen als außergewöhnliche Belastung:
1. Die Betreuung betrifft
- ein Kind im Sinne des § 106 Abs. 1 oder
- ein Kind im Sinne des § 106 Abs. 2.
2. Das Kind hat zu Beginn des Kalendermonats das zehnte Lebensjahr oder, im Falle des Bezugs erhöhter Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 für das Kind, das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet. Aufwendungen für die Betreuung können nur soweit abgezogen werden, als sie die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.
3. Die Betreuung erfolgt in einer öffentlichen institutionellen Kinderbetreuungseinrichtung, die den landesgesetzlichen Vorschriften über Kinderbetreuungseinrichtungen entspricht, oder durch eine pädagogisch qualifizierte Person, ausgenommen haushaltszugehörige Angehörige.
4. Der Steuerpflichtige gibt in der Einkommensteuererklärung die Betreuungskosten unter Zuordnung der Versicherungsnummer (§ 31 ASVG) oder der Kennnummer der Europäischen Krankenversicherungskarte (§ 31 a ASVG) des Kindes an.

5. Als Kinder im Sinne des § 106 Abs. 1 EStG 1988 gelten Kinder, für die dem Steuerpflichtigen oder seinem (Ehe)Partner (Abs. 3) für mehr als sechs Monate der Kinderabsetzbetrag nach § 33 Abs. 3 zusteht.
Als Kinder im Sinne des § 106 Abs. 2 EStG 1988 gelten Kinder, für die dem Steuerpflichtigen  für mehr als sechs Monate im Kalenderjahr der Unterhaltsabsetzbetrag nach § 33 Abs. 4 Z 3 zusteht.

6. Gemäß § 33 Abs. 3 EStG steht Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind zu. Für Kinder, die sich ständig im Ausland außerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines Staates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft oder der Schweiz aufhalten, steht kein Kinderabsetzbetrag zu. Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden.

Der Kinderabsetzbetrag ist an die Familienbeihilfe gekoppelt. Der Kinderabsetzbetrag steht dann zu, wenn ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht.

Im Anwendungsbereich der V (EWG) 1408/71 bzw. der V (EG) 883/04 vermittelt auch der Bezug einer der Familienbeihilfe vergleichbaren ausländischen Beihilfe einen Anspruch auf den Kinderabsetzbetrag (vgl. WGW/Wanke § 33 Rz 25; Jakom/Kanduth-Kristen EStG 1988 § 33 Tz 42; RV/6100267/2013).

Für Kinder aus der EU oder aus EWR-Staaten, die dem Grunde nach einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen im Sinne des § 4 Abs. 2 FLAG vermitteln, genügt bereits der abstrakte Anspruch, auch wenn die Ausgleichszahlung wegen höherer ausländischer Beihilfe nicht zum Tragen kommt (vgl. Doralt/Kirchmayr/Meyer/Zorn, EStG18, § 33 Tz 52).

7. Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, einen Anspruch auf Familienbeihilfe für ihre minderjährigen Kinder.

Personen, die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe haben, haben gemäß § 4 Abs. 1 FLAG keinen Anspruch auf Familienbeihilfe.

Österreichische Staatsbürger, die gemäß Abs. 1 oder gem. § 5 Abs. 5 vom Anspruch auf die Familienbeihilfe ausgeschlossen sind, erhalten gemäß § 4 Abs. 2 eine Ausgleichszahlung, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach diesem Bundesgesetz ansonsten gewährt wird.

Gemäß § 10 Abs. 2 FLAG wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden.

8. Artikel 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rats vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. EU Nr. L 166 vom in der durch Abl. EU L 200 vom berichtigten Fassung (im Folgenden: VO 883/2004) lautet auszugsweise:

„Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen“

(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

9. Artikel 59 der VO (EG) 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sieht für den Fall, in dem sich die anzuwendenden Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen ändern (in der Folge: DVO 987/2009), u.a. vor:

(1) Ändern sich zwischen den Mitgliedstaaten während eines Kalendermonats die Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen, so setzt der Träger, der die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gezahlt hat, nach denen die Leistungen zu Beginn dieses Monats gewährt wurden, unabhängig von den in den Rechtsvorschriften dieser Mitgliedstaaten für die Gewährung von Familienleistungen vorgesehenen Zahlungsfristen die Zahlungen bis zum Ende des laufenden Monats fort.

IV. Rechtliche Würdigung

1. Im Beschwerdefall steht außer Streit, dass dem Bf. für die Betreuung seiner beiden Kinder tatsächlich Kosten erwachsen sind, für die die steuerliche Begünstigung des § 34 Abs. 9 EStG 1988 zusteht. In Streit steht aber, ob es sich bei den Söhnen um Kinder im Sinne des § 106 Abs. 1 EStG gehandelt hat. Voraussetzung für eine derartige Qualifikation ist, dass dem Bf. oder seinem (Ehe)Partner für mehr als sechs Monate der Kinderabsetzbetrag nach § 33 Abs. 3 EStG zustand.

2. Wie erwähnt, steht der Kinderabsetzbetrag dann zu, wenn ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht. Der Bf. hat seit seinen Hauptwohnsitz im Inland. Damit wurde ab diesem Zeitpunkt Österreich für die Gewährung der Familienbeihilfe zuständig und stand ihm diese gemäß § 10 Abs. 2 FLAG ab Beginn des Monats Juni zu. Bis zu diesem Zeitpunkt war aber noch Frankreich für die Familienbeihilfe zuständig, weil der Bf. und seine Familie bis dahin in Frankreich wohnhaft waren und auch Frankreich die Leistung derartiger Beihilfen an den Wohnsitz des Anspruchsberechtigten knüpft. Gemäß Artikel L 512-1 des französischen Sozialgesetzbuches „beziehen alle Franzosen und Ausländer, die in Frankreich wohnen und ein oder mehrere Kinder versorgen, für diese Kinder Familienleistungen“ (vgl. Das französische Sozialversicherungssystem, IV-Familie auf https://www.cleiss.fr/docs/regimes/regime_france/al_4.html). Somit waren während des Monats Juni zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union aus denselben Gründen, nämlich dem Wohnort, für die Gewährung der Familienbeihilfe zuständig.

3. Nach der Prioritätsregel des Artikel 68 Abs. 1 lit. b iii) VO 883/2004 ist bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden, der Wohnort der Kinder entscheidend. Im Juni 2011 hat sich aber durch die Übersiedelung nach Österreich auch der Wohnort der Kinder geändert und waren damit nach Artikel 68 VO 883/2004 im selben Monat zwei Mitgliedstaaten nacheinander für die Gewährung der Familienbeighilfe zuständig.  

4. Für einen während eines Monats eintretenden Zuständigkeitswechsel sieht Art. 59 Abs. 1 DVO 987/2009 vor, dass derjenige Mitgliedstaat die Zahlungen bis zum Ende dieses Monats fortsetzt, der zu Beginn dieses Monats für die Leistungen zuständig war, unabhängig von den in diesen Mitgliedstaaten für die Gewährung von Familienleistungen vorgesehenen Zahlungsfristen. Dieser Staat war Frankreich. Und tatsächlich hat Frankreich die Familienleistungen bis Ende Juni 2011 weiter an den Bf. ausbezahlt und diese Zahlungen erst mit eingestellt.

5. Die DVO 987/2009 gilt ebenso wie die VO 883/2004 in jedem Mitgliedstaat unmittelbar („Durchgriffswirkung) und geht dem nationalen Recht vor. Daher stand dem Bf. trotz der des §10 Abs. 2 FLAG aufgrund der Bestimmung der Art. 59 Abs. 1 DVO 987/2009 im Kalendermonat Juni 2011 noch keine Familienbeihilfe zu.

6. Der Bf. hatte in diesem Monat in Österreich aber auch keinen Anspruch auf eine Differenzzahlung. Eine solche wäre ihm nach Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004 nur dann zugestanden, wenn nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der beiden Mitgliedstaaten im selben Zeitraum gleichzeitig Familienbeihilfe zu gewähren wäre und nach der Prioritätsregelung des Art. 68 VO 883/2004 einem der beiden Ansprüche der Vorrang gegenüber dem anderen Anspruch eingeräumt worden wäre. Im Beschwerdefall waren nach den Prioritätsregeln aber beide Staaten innerhalb eine Monats nacheinander zur Familienleistung zuständig. In diesem Falle greift Art. 68 Abs. 2 DVO 987/2009 nicht (vgl. auch ; BFG RV/7104699/2017; VwGH Ra 2015/16/0088). Damit lag aber auch kein den Kinderabsetzbetrag begründender abstrakter Anspruch auf eine Differenzzahlung (Ausgleichszahlung) vor.

7. Der Umstand allein, dass der Bf. im Juni 2011 in Frankreich Familienbeihilfe bezogen hat, ist für einen Anspruch auf den Kinderabsetzbetrag in diesem Monat nicht ausreichend (vgl. ). Entscheidend für einen solchen Anspruch ist ausschließlich, dass in Österreich im entsprechenden Monat zumindest ein abstrakter Anspruch auf Familienbeihilfe bestanden hat. Da ein solcher Anspruch im Juni 2011 nicht bestanden hat, hatte der Bf. im Juni 2011  auch keinen Anspruch auf Gewährung eines Kinderabsetzbetrages.

8. Somit stand dem Bf. im Jahr 2011 für seien Kinder nur für sechs Monate der Kinderabsetzbetrag zu. Ein Anspruch auf die Kinderbetreuungskosten gemäß § 34 Abs. 9 EStG 1988 bestand daher nicht.

V. Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall sind die entscheidungswesentlichen Rechtsfragen bereits durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinreichend geklärt. Das Erkenntnis des Bundesfinangerichtes hängt daher nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ab und ist eine (ordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshofes nicht zulässig.

Feldkirch, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 34 Abs. 9 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 106 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Art. 68 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 59 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
Verweise

ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.1100082.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at