Geschäftsführerhaftung, interne Geschäftsaufteilung, rechtzeitiger Rücktritt
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. in der Beschwerdesache Bf., Anschrift, vertreten durch Novacount Wirtschaftstreuhand GmbH, Vinzenzgasse 16, 1180 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 1/23 vom , Steuernummer N-1, betreffend Haftung gemäß § 9 BAO für Abgabenschulden der G-1 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführer (Bf.) gemäß § 9 Abs. 1 BAO iVm § 80 BAO als ehemaliges Vorstandsmitglied der G-1 für nachstehende Abgaben in der Höhe von insgesamt € 68.920,32 zur Haftung herangezogen:
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Abgabe | Zeitraum | Betrag | Fälligkeit |
Dienstgeberbeitrag | 08/2011 | 317,86 | |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 08/2011 | 45,15 | |
Lohnsteuer | 09/2011 | 1.736,41 | |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 09/2011 | 45,15 | |
Umsatzsteuer | 09/2011 | 38.538,23 | |
Lohnsteuer | 10/2011 | 2.648,33 | |
Dienstgeberbeitrag | 10/2011 | 507,95 | |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 10/2011 | 45,15 | |
Umsatzsteuer | 10/2011 | 4.363,76 | |
Lohnsteuer | 11/2011 | 2.648,33 | |
Dienstgeberbeitrag | 11/2011 | 507,95 | |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 11/2011 | 45,15 | |
Säumniszuschlag 1 | 2011 | 52,01 | |
Lohnsteuer | 12/2011 | 2.947,14 | |
Dienstgeberbeitrag | 12/2011 | 774,34 | |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 12/2011 | 68,83 | |
Umsatzsteuer | 12/2011 | 1.635,82 | |
Lohnsteuer | 01/2012 | 2.648,52 | |
Dienstgeberbeitrag | 01/2012 | 509,73 | |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 01/2012 | 45,31 | |
Säumniszuschlag 1 | 2011 | 52,97 | |
Säumniszuschlag 1 | 2011 | 87,28 | |
Säumniszuschlag 1 | 2011 | 52,97 | |
Säumniszuschlag 1 | 2011 | 770,76 | |
Umsatzsteuer | 01/2012 | 1.120,59 | |
Lohnsteuer | 02/2012 | 2.666,43 | |
Dienstgeberbeitrag | 02/2012 | 583,39 | |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 02/2012 | 51,86 | |
Säumniszuschlag 1 | 2012 | 58,94 | |
Säumniszuschlag 1 | 2012 | 52,97 | |
Lohnsteuer | 03/2012 | 2.734,25 | |
Dienstgeberbeitrag | 03/2012 | 511,34 | |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 03/2012 | 45,45 |
Mit Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg vom D-1 sei über das Vermögen der AG das Konkursverfahren eröffnet worden. Der Konkurs sei mangels Kostendeckung aufgehoben worden.
Aufgrund der Vermögenslosigkeit und der Beendigung der Tätigkeit der Gesellschaft, da diese im Firmenbuch bereits gelöscht worden sei, sei die Uneinbringlichkeit der aushaftenden Abgabenschulden nachgewiesen.
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO hafteten die in § 80 Abs. 1 BAO erwähnten Personen neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für diese Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht hätten eingebracht werden können.
Gemäß § 80 Abs. 1 BAO hätten die zur Vertretung juristischer Personen Berufenen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen oblägen, und insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalteten, entrichtet würden.
Persönliche Haftungen erstreckten sich gemäß § 7 Abs. 2 BAO auch auf Nebenansprüche im Sinne des § 3 Abs. 1 und 2 BAO. Zu diesen Nebenansprüchen gehörten gemäß § 3 Abs. 2 lit. d BAO insbesondere die Nebengebühren der Abgaben, wie die Stundungs- und Aussetzungszinsen, der Säumniszuschlag und die Kosten des Vollstreckungs- und Sicherungsverfahrens.
Der Rückstand bestehe infolge Nichtentrichtung der im Zeitraum von bis fälligen Abgaben.
Der Bf. sei vom D-2 bis D-3 zum Vorstand der Gesellschaft, also einer juristischen Person, bestellt und daher gemäß § 71 AktG zu deren Vertretung berufen gewesen. Er sei somit auch verpflichtet gewesen, die Abgaben aus deren Mitteln zu bezahlen.
Hinsichtlich der Heranziehung für aushaftende Umsatzsteuer sei Folgendes festzuhalten:
Gemäß § 21 Abs. 1 UStG habe der Unternehmer spätestens am 15. Tag (Fälligkeitstag) des auf den Kalendermonat (Voranmeldungszeitraum) zweitfolgenden Kalendermonats eine Voranmeldung bei dem für die Einhebung der Umsatzsteuer zuständigen Finanzamt einzureichen, in der er die für den Voranmeldungszeitraum zu entrichtende Steuer (Vorauszahlung) oder den auf den Voranmeldungszeitraum entfallenden Überschuss unter entsprechender Anwendung des § 20 Abs. 1 und 2 UStG und des § 16 UStG selbst zu berechnen habe. Der Unternehmer habe eine sich ergebende Vorauszahlung spätestens am Fälligkeitstag zu entrichten. Für die haftungsgegenständlichen Zeiträume sei die Umsatzsteuer gemeldet, jedoch nicht entrichtet worden.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ) obliege es dem Vertreter, nachzuweisen, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre.
Demnach laste auf dem Vertreter die Verpflichtung, eine ziffermäßig konkretisierte Darstellung der behaupteten Gleichbehandlung der Gläubiger beizubringen. Eine solche rechnerische Darstellung sei nicht vorgelegt worden. Der Bf. sei somit seiner Konkretisierungspflicht nicht nachgekommen. Werde aber der Nachweis, dass keine liquiden Mittel vorhanden gewesen wären oder welcher Betrag aus vorhandenen Mitteln bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, vom Vertreter nicht erbracht, könne ihm die uneinbringliche Abgabe zur Gänze vorgeschrieben werden (vgl. ).
Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz würden für Abfuhrabgaben, insbesondere für die Lohnsteuer gelten. Nach § 78 Abs. 3 EStG habe der Arbeitgeber, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlichen zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen, einzubehalten und abzuführen. Die Verpflichtung eines Vertreters nach § 80 BAO gehe daher hinsichtlich der Lohnsteuer über das Gebot der gleichmäßigen Behandlung aller Schulden bzw. aller Gläubiger hinaus. Daher sei ungeachtet der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der AG von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Vertreters auszugehen, wenn die Lohnsteuer - wie im vorliegenden Fall - nicht einbehalten und an das Finanzamt abgeführt werde.
Der Bf. sei mit Schreiben vom aufgefordert worden, darzulegen, dass er ohne sein Verschulden gehindert gewesen sei, für die Entrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben zu sorgen. Er sei dieser Aufforderung - sohin seiner Verpflichtung, Behauptungen und Beweisangebote zu seiner Entlastung darzutun - nicht nachgekommen.
Die höchstgerichtliche Judikatur gehe davon aus, dass der Vertreter, der auf Grund gesetzlicher Bestimmungen abgabenrechtliche Pflichten zu erfüllen habe, diesen ihm obliegenden Pflichten aber nicht nachkomme, einer besonderen Darlegungspflicht unterliege. Es treffe ihn die Beweislast, nämlich die besondere Verpflichtung, „darzutun“, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung unmöglich gewesen sei, widrigenfalls angenommen werden dürfe, er wäre seinen Pflichten schuldhafterweise nicht nachgekommen (vgl. und ).
Die im Rahmen des § 224 BAO zu treffende Ermessensentscheidung iSd § 20 BAO sei innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenze nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände zu treffen. Wesentliches Ermessenskriterium sei die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalls. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folge, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform sei, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich sei (vgl. ). Letzteres stehe hier fest.
Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
*****
In der dagegen am rechtzeitig eingebrachten Berufung wandte der Bf. ein, dass er entgegen der Behauptung des Finanzamtes am eine Stellungnahme zum Haftungsvorhalt abgegeben habe. Darin habe er ausgeführt, vom D-4 bis D-5 als Vorstand tätig gewesen zu sein, nicht jedoch bis D-3. Durch Schreiben (E-Mail) vom D-5 habe er seinen Rücktritt als Vorstand erklärt, diese E-Mails seien an den Vorstandsvorsitzenden und an den Aufsichtsratsvorsitzenden gerichtet gewesen. Kurz danach, am , habe eine Besprechung stattgefunden, in der sein Rücktritt akzeptiert und ihm die Löschung im Firmenbuch bis zum versprochen worden sei.
Zum Zeitpunkt seiner Vorstandsbestellung (der Bf. sei de facto Angestellter dieses Unternehmens gewesen) habe es einen Dreiervorstand gegeben, bestehend aus P-1 (einzelzeichnungsbefugt), P-2 (kollektiv mit einem weiteren Vorstandsmitglied zeichnungsbefugt) und dem Bf. (kollektiv mit einem weiteren Vorstandsmitglied zeichnungsbefugt). P-2 sei per D-6 aus dem Vorstand ausgeschieden, sodass P-1 weiterhin selbständig zeichnungsbefugt gewesen sei, der Bf. hingegen nur gemeinsam mit P-1. Es wäre auch eine gemeinsame Zeichnungsbefugnis mit einem Prokuristen möglich gewesen, ein Prokurist sei aber nicht bestellt gewesen.
Da er nur kollektiv zeichnungsbefugt gewesen sei, habe der Bf. nicht alleine Eingaben fertigen bzw. einen Notar mit der Löschung seiner „Aufsichtsratsfunktion“ (gemeint wohl: Vorstandsfunktion) im Firmenbuch beauftragen. Tatsächlich dürfte die Löschung seiner Vorstandsfunktion erst am D-3 erfolgt sein, dies aber, wie ausgeführt, entgegen der tatsächlichen Verhältnisse. Mit D-7 sei er technischer Angestellter des Unternehmens geworden und habe einen entsprechenden Vertrag erhalten. Vom Aufsichtsrat sei ihm in der ersten Aufsichtsratssitzung nach seinem Rücktritt am D-8 erklärt worden, dass eine satzungsmäßige dreimonatige Periode abzuwarten sei und seine Funktion danach gelöscht würde. Der Bf. habe aber, wie gesagt, keine Vorstandshandlungen mehr gesetzt, es wäre auch nicht sinnvoll gewesen, irgendwelche Streitigkeiten zu beginnen, da diese vor Ende Jänner 2012 ohnehin nicht erledigt gewesen wären.
Zum Beleg lege der Bf. das E-Mail vom D-5, gerichtet an den Aufsichtsratsvorsitzenden, sowie das Protokoll der ersten Aufsichtsratssitzung vom D-8 bei.
Sie hätten auch eine Ressortverteilung gehabt, der Bf. sei nicht für finanzielle Angelegenheiten zuständig gewesen, sondern sei ihm der Bereich Technik, Produktentwicklung, Auftragsplanung und Abwicklung oblegen. Der Vorstandsvorsitzende P-1 habe die Bereiche Strategie, Finanzen, Personal, Recht und Qualitätsverantwortung übergehabt. Die Geschäftsverteilung sei schriftlich fixiert und auch faktisch so eingehalten worden. Der Bf. habe keine Einsicht in die Bankkonten gehabt, dort (mit Ausnahme von geringfügigen Bankomatabhebungen mit seiner Karte) keinerlei Dispositionen getroffen und sei auch nicht in die Buchhaltung involviert gewesen. Seine fachliche Qualifikation befähige ihn zu technischen und produktbezogenen Handlungen, er habe aber keine Kompetenz im Bereich Finanzwesen.
Zum Beweis lege er die Geschäftsverteilung in Kopie vor und verweise auf die Einvernahme des Herrn P-1 und auf seine Einvernahme.
Im Zeitpunkt seines Austritts zum D-5 seien ihm keinerlei Finanzamtsschulden oder außerordentliche Verbindlichkeiten (abgesehen von den bekannten Bank- und Konzernverbindlichkeiten) bekannt gewesen. Die Buchhalterin, Frau P-3, habe auch keine diesbezüglichen Hinweise gegeben. Die Buchführung sei grundsätzlich sehr ordentlich geführt worden und habe keine Auffälligkeiten gezeigt. Aus dem Rechnungswesen seien regelmäßig die Informationen gekommen, die auch für einen ordnungsgemäßen Jahresabschluss genügt hätten. Über den Stand der Projekte und Aufträge habe der Bf. im Wesentlichen aufgrund seiner Ressortzuständigkeit auch innere Einblicke gehabt.
Nach der vom Finanzamt übermittelten Rückstandsaufgliederung habe ein starker Rückstandsaufbau ab begonnen. Eine große Position sei dabei eine Buchung einer Umsatzsteuer von € 38.538,23 aus dem Zeitraum 09/2011, fällig am , gewesen. Ein Umsatz in dieser Größenordnung (also ein Nettobetrag von rund € 180.000,00) sei dem Bf. aber sicherlich aufgefallen. Er wüsste nicht, welches Projekt zu einer derartigen Rechnungssumme geführt hätte. Eine derart hohe Faktura sei nicht mit seinem Wissen gelegt worden. Da er von einem derartigen Geschäft bzw. der entsprechenden Rechnungslegung nichts gewusst habe, habe es auch keine Zustimmung von ihm gegeben und habe er auch keinen Zahlungsfluss erwartet. Es sei daher nicht vorhersehbar gewesen, für ein derartig außerordentliches Geschäft eine Vorsorge zur Bezahlung der Umsatzsteuer zu treffen.
Der Bf. verfüge nicht über die Buchhaltung und noch weniger über Rechnungsexemplare. Dieses könne nur der Buchhaltung der AG entnommen werden, die ihm nicht mehr zur Verfügung stehe, sondern Herrn P-1, da der Bf. aus dem Unternehmen ausgeschieden sei. Es sei jedenfalls auszuschließen, dass liquide Mittel zur Umsatzsteuerbezahlung vorgelegen seien, da ein Zahlungseingang in dieser Höhe sicherlich im ganzen Unternehmen bemerkt worden wäre.
Der Aufforderung des Finanzamtes, eine Auflistung sämtlicher Gläubiger bis zum Zeitpunkt der Abgabenfälligkeit gleichzeitig oder früher fällig gewordenen Forderungen ziffernmäßig darzulegen, könne der Bf. nicht nachkommen, da er keinen Einblick in die Finanzgebarung habe und die entsprechenden Daten aus den Offenen-Posten-Listen des Rechnungswesens ersichtlich sein müssten. Er könne sich heute auch keinen Zugang zum Rechnungswesen mehr verschaffen und verfüge weder über Kontoausdrucke noch über Belege. Diese Auskünfte könne einzig P-1 geben, dessen Einvernehme er ausdrücklich beantrage.
Sein Ausscheiden mit D-5 sei auch damit begründet gewesen, dass der Bf. nicht mehr die notwendigen, zur Beurteilung des Geschäftsverlaufes erforderlichen Informationen erhalten und sich deshalb nicht mehr in der Lage gesehen habe, die Funktion ordnungsgemäß auszuüben.
In Ergänzung und konkretisierend dazu sei auszuführen, dass der Hauptgrund, weshalb der Bf. mit D-5 seine Vorstandsfunktion niedergelegt und ab diesem Tag auch keinerlei Vorstandstätigkeit mehr ausgeübt habe, der gewesen sei, dass - und dies sei auch in Punkt 2. im Protokoll der 1. Aufsichtsratssitzung 2012 der AG andeutungsweise festgehalten - der Vorstandsvorsitzende P-1 aufgrund seiner Ressortzuständigkeit und Vertretungsmacht allein Initiativen gesetzt und Entscheidungen getroffen habe und dem Bf. die entsprechenden Informationen und Details, insbesondere was den Bereich der Finanzen anbelangt habe, nicht zur Verfügung gestellt worden seien, ihm eine entsprechende Kontrolle daher verwehrt gewesen sei. Da ihm in der Phase vor seinem Ausscheiden - wenngleich P-1 für das Ressort Finanzen allein verantwortlich gewesen sei - nicht einmal eine überwachende Kontrolle der Finanzgebarung ermöglicht gewesen sei, habe der Bf. die entsprechenden Konsequenzen gezogen und per D-5 seine Funktion niedergelegt.
Dass im vorgenannten Protokoll von D-9 die Rede sei, sei daraus resultiert, dass für die Beendigung eine satzungsmäßige Frist von 3 Monaten einzuhalten gewesen sei - es sei jedoch mit dem verbliebenen Vorstandsvorsitzenden P-1 und dem Aufsichtsrat abgestimmt gewesen, dass ab D-5 vom Bf. keine Vorstandstätigkeit mehr ausgeübt werde und tatsächlich auch nicht mehr ausgeübt worden sei. In diesem Zusammenhang sei auf die Rechtsprechung des VwGH zu verweisen, wonach eine solche einseitige Niederlegung der Vertretungsbefugnis, wie dem Geschäftsführer einer GmbH, auch dem Vorstandsmitglied einer AG möglich sei und die Rücktrittserklärung Geltung erlange, sobald sie der Gesellschaft in rechtsgültiger Weise zugekommen sei (). Ab Zurücklegung der Geschäftsführung, die unabhängig von der Eintragung im Firmenbuch wirke, sei der Betreffende nicht mehr iSd § 80 Abs. 1 BAO Vertreter der Gesellschaft.
Aus den dargelegten Gründen stehe daher fest, dass der Bf. keinerlei abgabenrechtliche Pflichten schuldhaft verletzt und zu vertreten habe, weshalb er für die verfahrensgegenständlichen Abgabenschulden der AG, deren Fälligkeiten überwiegend nach Beendigung seiner Funktion eingetreten seien, auch nicht hafte.
Zur Umsatzsteuer betreffend Zeitraum 09/11 in Höhe von EUR 38.538,23, Fälligkeitstag am , führe der Bf. aus, dass eine dazu korrelierende Rechnung nicht mit seinem Wissen und Willen ausgestellt worden sei und ihm daher im Einzelnen auch nicht bekannt sei, über welche Leistung die AG diese Rechnung gelegt habe. Es könne auch keine Leistung der AG in einem solchen Umfang gegeben haben, die eine Umsatzsteuer in dieser Höhe ausgelöst hätte, weil der Bf. jedenfalls von entsprechenden Aktivitäten im Unternehmen, die unweigerlich mit der Leistungserbringung verbunden gewesen wären, Kenntnis erlangt hätte. Auch ein entsprechender Zahlungsfluss, wonach ein außerordentlicher Nettobetrag auf dem Konto gutgebucht hätte werden müssen, habe nach seinem Informationsstand nicht stattgefunden.
Der Bf. selbst habe als Vorstand von diesem angeblichen Umsatz sohin keine Kenntnis erlangt, offensichtlich sei dieser Betrag im Wege einer Umsatzsteuervoranmeldung gemeldet worden. Meldung und Fälligkeit seien zu einem Zeitpunkt gegeben gewesen, als er sein Vorstandsmandat bereits zurückgelegt gehabt habe.
Er halte aber auch aus den oben angeführten Gründen die Umsatzsteuerbelastung für nicht richtig, da weder ein Leistungsaustausch noch eine Zahlung stattgefunden habe.
Der Bf. erhebe aus diesem Grund Berufung gegen den Umsatzsteuerbescheid, den Monat 09/2011 mit dem gegenständlichen Umsatzsteuerbetrag von EUR 38.538,23 betreffend.
Für den Fall, dass die Behörde ungeachtet obiger Ausführungen - wonach er gerade deshalb seine Funktion (hier absolut zeitnah) zurückgelegt habe, weil er die entsprechenden Informationen, die zur Erfüllung seiner Pflichten erforderlich gewesen seien, nicht bekommen habe - wider Erwarten eine Haftung annehme, beantrage der Bf. zu erheben, welche Leistung der AG hinsichtlich der Rechnung mit der Umsatzsteuer betreffend den Zeitraum 09/11 in Höhe von EUR 38.538,23, Fälligkeitstag am , gegenübergestanden und was mit dem zugehörigen Nettobetrag geschehen sei. In diesem Zusammenhang sei ferner auszuführen, dass es ihm mangels Kenntnis über diesen Rechnungsvorgang schon faktisch gar nicht möglich gewesen sei, für die Bezahlung der Umsatzsteuer entsprechende Vorsorge zu treffen und ihm auch hier keine schuldhafte Pflichtverletzung zur Last gelegt werden könne.
Beweis:
- Einvernahme des Bf.
- Einvernahme des Herrn P-1
- E-Mail vom D-5 (Beilage ./4)
- Protokoll der 1. Aufsichtsratssitzung vom D-8 (Beilage ./5)
- Geschäftsverteilung für den Vorstand der G-1 vom D-10 (Beilage ./6)
- weitere Beweise ausdrücklich vorbehalten
Im Ergebnis sei sohin festzuhalten, dass eine schuldhafte Verletzung auferlegter Pflichten im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO iVm § 80 Abs. 1 BAO nicht vorliege und eine persönliche Haftung des Bf. für aushaftende Abgabenschulden samt Nebenansprüchen der AG nicht in Betracht komme.
Sein Vorbringen in seinem Schreiben vom 09.06.1013 sowie die übermittelten und angebotenen Beweise seien von der erstinstanzlichen Behörde nicht berücksichtigt, nicht aufgenommen und keiner Würdigung zugeführt worden. Der angefochtene Haftungsbescheid fuße daher auf einem unvollständigen und unrichtigen Sachverhalt, was im Ergebnis auch eine unrichtige rechtliche Beurteilung zur Folge gehabt habe. Der angefochtene Haftungsbescheid leide daher an entscheidungswesentlichen Sachverhalt- und Begründungsmängel sowie im Hinblick auf das faktisch unterbliebene Parteiengehör an der Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb dieser als rechtswidrig aufzuheben sei.
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Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Beschwerde dahingehend stattgeben, als der Haftungsbetrag auf nachstehende Abgabenschuldigkeiten im Gesamtbetrag von € 48.920,87 eingeschränkt wird:
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Abgabe | Zeitraum | Betrag |
Umsatzsteuer | 09/2011 | 38.211,93 |
Umsatzsteuer | 10/2011 | 3.717,20 |
Lohnsteuer | 10/2011 | 2.648,33 |
Dienstgeberbeitrag | 10/2011 | 507,95 |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 10/2011 | 45,15 |
Lohnsteuer | 12/2011 | 2.947,14 |
Dienstgeberbeitrag | 12/2011 | 774,34 |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 12/2011 | 68,83 |
Begründend wurde ausgeführt:
Die Abgabenbehörde akzeptiere die Verantwortung des Bf. insoferne, als dass sämtliche Fälligkeiten, die nach dem D-9 lägen, aus der Haftungssumme eliminiert würden.
Was den Rest der lohnabhängigen Abgaben betreffe, so seien diese vom Gleichbehandlungsgrundsatz ausgeschlossen. Gemäß § 78 Abs. 1 EStG sei bei jeder Lohnzahlung die auf die ausgezahlten Beträge entfallende Lohnsteuer einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen. Wie bereits im Haftungsbescheid zutreffend angeführt sei, sei auch bei nur geringeren zur Auszahlung vorgesehenen Mitteln von eben diesen Mitteln die anteilmäßige Steuer zu berechnen und einzubehalten und nur der „Rest“ auszuzahlen. Das Problem, dass für die Steuer keine Mittel mehr vorhanden wären, ergebe sich schon deswegen nicht, weil ja die Bestimmung des § 78 Abs. 1 EStG ausdrücklich auf tatsächlich ausgezahlte Löhne anzuwenden sei. In der Verletzung dieser Verpflichtung sei nach der Judikatur auf jeden Fall schuldhaftes Verhalten zu sehen.
Der größte Teil des Haftungsbetrages betreffe indes die Umsatzsteuer für September 2011 in Höhe von € 38.211,93 (dies sei der gegenwärtig noch aushaftende Betrag, welcher sich seit Ausstellung des Haftungsbescheides geringfügig vermindert gehabt habe). Diese Schuld von ursprünglich € 38.583,23 sei von der Primärschuldnerin selbst errechnet und bekanntgegeben worden. Es habe sich dabei um eine Zahlung mit Verrechnungsweisung gehandelt. Die Zahlung (Buchungstag = Entrichtungstag: ) habe € 0,00 betragen. Eine bescheidmäßige Festsetzung sei nicht erfolgt. Allerdings sei mit Datum ein Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2011 erlassen worden.
Gleichzeitig mit der Beschwerde (Berufung) gegen den Haftungsbescheid habe der nunmehrige Beschwerdeführer am auch gegen den „Umsatzsteuerbescheid 09/11“ ein Rechtsmittel erhoben. Da dieser Bescheid jedoch nie erlassen worden sei, sollte die diesbezügliche Beschwerde ins Leere gehen. Außerdem sei zu diesem Zeitpunkt bereits der Umsatzsteuer-Jahresbescheid erlassen worden, sodass eine allfällige Festsetzung für den September 2011 damit außer Kraft getreten wäre. Ebenfalls liege kein Anwendungsfall des § 253 BAO vor, da die Beschwerde gemäß § 248 BAO erst nach Ergehen des Umsatzsteuerbescheides 2011 erhoben worden sei.
Sollte der Beschwerdetext jedoch dahingehend umzudeuten sein, dass er sich in Wahrheit gegen den Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2011 richte, so könne nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs im Verfahren über den Haftungsbescheid an sich nicht auch über die Richtigkeit der Umsatzsteuer-Vorschreibung für das Jahr 2011 mit abgesprochen werden. In diesem Fall erübrigten sich sämtliche weitere Ausführungen zur Richtigkeit der Abgabenvorschreibung für die Umsatzsteuer.
Aus Gründen der Vorsicht werde zu diesem Thema jedoch ausgeführt, dass der Umsatzsteuerbescheid 2011 mangels Abgabe einer Erklärung im Schätzungsweg gemäß § 184 BAO ergangen und die Umsatzsteuer auf Basis der abgegebenen Voranmeldungen festgesetzt worden sei. Der Gesamtbetrag der steuerpflichtigen Lieferungen etc habe knapp € 400.000,00, die festgesetzte Umsatzsteuerschuld € 48.570,89 betragen.
Aus diesem Zahlenmaterial ergebe sich, dass der im September 2011 erzielte Umsatz etwa die Hälfte des Jahresumsatzes ausgemacht gehabt habe. Da der nunmehrige Beschwerdeführer eine wichtige Rolle bei der technischen Entwicklung der Produkte gespielt habe, sei seine Verantwortung unglaubwürdig, wonach ihm der im September 2011 erzielte Umsatz völlig unbekannt gewesen sein sollte. Nach Auffassung der Abgabenbehörde seien die von der Primärschuldnerin selbst bekannt gegebenen Zahlen als zutreffend anzusehen. Das ergebe sich auch daraus, dass trotz der dadurch eingetretenen beengten Liquiditätslage keine Versuche unternommen worden seien, allfällige diesbezügliche Unzulänglichkeiten zu korrigieren.
Möge der Beschwerdeführer auch nur gemeinsam mit einem zweiten Vorstandsmitglied zeichnungsberechtigt gewesen sein und möge auch dieser andere Vorstand hauptsächlich für die Finanzen zuständig gewesen sein, so wäre es dem Bf. dennoch zumutbar gewesen, die große Entwicklung des Unternehmens im Auge zu behalten. Die komplette Einstellung der Zahlungen an das Finanzamt hätte ihm auffallen müssen, zumal schon seit September (von einer Überrechnung abgesehen) keine Zahlungen mehr geleistet, wohl aber die geschuldeten Beträge bekanntgeben worden seien.
Eine Auflistung der Beträge, welche zu den einzelnen Fälligkeiten tatsächlich zur Ausbezahlung gelangt seien, gegenübergestellt mit den Mitteln, die zu diesen Zeitpunkten noch zur Verfügung gestanden seien, sei bis dato nicht vorgelegt worden. Nach Meinung der Behörde wäre dies jedoch Sache des Beschwerdeführers gewesen, und zwar für den Zeitraum November 2011 bis D-9, also dem Tag der wirksamen Niederlegung der Vorstandsfunktion.
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Fristgerecht beantragte der Bf. mit Schreiben vom die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht und brachte ergänzend vor:
Herr P-1 habe seinen Aufgabenbereich auf Grund seiner Einzelzeichnungsbefugnis selbständig und unabhängig verwaltet, während der Bf. auf seine Gegenzeichnung angewiesen gewesen sei. Auch habe er durch seine indirekte Beteiligung an der Gesellschaft (Beteiligungen seiner Familie und in seinem Besitz stehender Gesellschaften) einen beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen ausgeübt. Auf gelegentliche Nachfrage seitens des Bf. nach der finanziellen Lage der Gesellschaft habe er stets zur Antwort gegeben, dass die Lage unter Kontrolle sei und ordentlich abgewickelt werde. Über Abgabenrückstände sei dem Bf. nichts bekannt gewesen. Auch als sich die finanzielle Lage des Unternehmens verschlechtert habe, habe er versichert, für eine ausreichende finanzielle Ausstattung der Gesellschaft zu sorgen. Erst Mitte 2011 seien dem Bf. Zweifel an der finanziellen Lage der Gesellschaft gekommen. Nachdem es ihm nicht gelungen sei, einen sicheren Überblick über die Situation zu erhalten – er sei auch nicht dafür ausgebildet gewesen, habe der Bf. am D-5 sein Vorstandsmandat niedergelegt. Da er in diesem Gespräch auf die satzungsgemäße Kündigungsfrist von 3 Monaten hingewiesen worden sei, habe er sich bereit erklärt, die Kündigungsfrist einzuhalten, um eine Kreditschädigung des Unternehmens zu vermeiden, habe aber im Gegenzug erklärt, sich künftig geschäftsführender Tätigkeiten zu enthalten. De facto habe seine Vorstandstätigkeit daher am D-5 geendet (siehe Beweisbeilage ./1).
In weiterer Folge habe sich die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft rasant verschlechtert, sodass mit Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg vom D-1 über das Vermögen der AG das Konkursverfahren eröffnet und der Konkurs mangels Kostendeckung aufgehoben worden sei.
In ihrer Entscheidung habe sich die Abgabenbehörde überwiegend (auf annähernd drei von vier Seiten) mit dem betragsmäßig zwar bedeutenden Punkt der Umsatzsteuervorauszahlung 09/2011 beschäftigt, aber da nur mit dem nicht rechtserheblichen Aspekt der inhaltlichen Richtigkeit dieses Betrages. Die Frage des Verschuldens, vor allem in Ansehung der Geschäftsverteilung und der Rücklegung des Vorstandsmandates, sowie die Frage der Höhe und Verfügungsmöglichkeit der vorhandenen Mittel sei nur oberflächlich abgehandelt worden. Die Reduktion des Haftungsbetrages sei durch Einschränkung auf jene Zeiträume erfolgt, in denen der Bf. Vorstand gewesen sei, einschließlich der Periode der Kündigungsfrist.
Die Geltendmachung der Haftung liege im Ermessen der Behörde. Seien mehrere potentiell Haftende vorhanden, richte sich die haftungsrechtliche Verantwortung nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (, 0038) danach, wer mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut sei. Verletze der mit abgabenrechtlichen Angelegenheiten nicht befasste Vertreter seine eigenen Pflichten dadurch grob, dass er trotz Unregelmäßigkeiten des zur Wahrnehmung abgabenrechtlicher Angelegenheiten Bestellten nichts unternehme, um Abhilfe zu schaffen, so sei auch er haftbar, es sei denn, dass ihm triftige Gründe die Erfüllung dieser wechselseitigen Überwachungspflicht unmöglich machten (UFS RV/3619-W/09).
lm konkreten Fall stehe es außer Zweifel, dass der Bf. durch die Geschäftsverteilung des Vorstandes mit Abgabensachen nicht befasst gewesen sei. Diese seien vielmehr dem einzelzeichnungsberechtigten Vorstandsvorsitzenden P-1 oblegen. Der Bf. selbst hätte auch auf Grund mangelnder Zeichnungsberechtigungen keine Möglichkeit gehabt, abgabenrechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. Er habe sich nach den gegebenen Möglichkeiten regelmäßig informiert, ob die abgabenrechtlichen Verpflichtungen eingehalten würden, und keine Unregelmäßigkeiten feststellen können. Solche seien auch von der Abgabenbehörde nicht behauptet worden. In diesem Zusammenhang verweise er darauf, dass sämtliche von der Abgabenbehörde je in diesem Fall in Haftung gezogenen Beträge nach dem fällig geworden seien, die betraglich gewichtigen sogar ab dem , also nach der Zurücklegung seines Vorstandsmandats am D-5. Der Bf. habe also zuvor keine abgabenrechtlichen Verfehlungen erkennen können und nach der Entdeckung möglicher Unregelmäßigkeiten unverzüglich mit der Zurücklegung seiner Funktion reagiert und habe, gleich wie man die „Kündigungsfrist“ rechtlich werte, auch innerhalb dieser mangels Zeichnungsberechtigung nicht die faktische Möglichkeit gehabt, auf die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten Einfluss zu nehmen. Aus den genannten Gründen könne ihm kein Verschulden am Zahlungsausfall des Steuergläubigers angelastet werden (vgl. RV/3619-W/0).
Aber auch ohne diesen Schuldausschlussgrund könnte dem Bf. nach der Sachlage ein Fehlverhalten höchstens durch Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgeworfen werden. Eine solche sei aber bei der haftungsbegründenden Gesellschaft objektiv nicht gegeben gewesen. Im Haftungsverfahren gegen den, nach den Regeln der Ermessensübung (, 0038) primär zur Haftung heranzuziehenden ressortzuständigen Vorstandsvorsitzenden P-1 sei nachgewiesen worden, dass das Gleichbehandlungsgebot nicht verletzt worden sei.
Zwar habe der Bf. vielleicht - mangels Zugriff auf die erforderlichen Daten - nach Ansicht der Abgabenbehörde in der angefochtenen Berufungsvorentscheidung keine ausreichenden Beweise für die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes beigebracht. Diese Verpflichtung seinerseits entbinde aber die Abgabenbehörde nicht von jeglicher amtswegiger Ermittlungspflicht. Und wenn die unter derselben Aktenzahl von derselben Abgabenbehörde im annähernd selben Verfahren aufliegenden Beweismittel nicht gewürdigt würden, lägen zweifellos eine Missachtung der amtswegigen Wahrheitsfindungspflicht und ein wesentlicher Verfahrensmangel vor. Der Bf. beantrage daher im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht, den gesamten Akt, einschließlich der Unterlagen betreffend P-1 vorzulegen und die sich daraus ergebende Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes entsprechend zu berücksichtigen.
Bleibe noch zu prüfen, welche verfahrensgegenständlichen Abgaben in eventu nicht vom Gleichheitsgrundsatz erfasst seien (vgl. zB ). So habe der Arbeitgeber gemäß § 78 Abs. 3 EStG in jenen Fällen, in denen die zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes ausreichten, die Lohnsteuer (nur) von dem tatsächlich ausbezahlten niedrigeren Betrag zu berechnen, einzubehalten und abzuführen. Selbiges gelte für die Kapitalertragsteuer (); jedoch nicht für Abfuhrabgaben, wie zumal die Lohnsteuer, seien vom Gleichbehandlungsgrundsatz grundsätzlich ausgenommen Dienstgeberbeiträge () oder auch die Umsatzsteuer, weil hier der Abfuhrpflichtige gleichzeitig Steuerschuldner sei (vgl. Tanzer/Unger, BAO 2014/15, Seite 24 zu § 9). Von den in der angefochtenen Berufungsvorentscheidung geltend gemachten Haftungsbeträgen seien demnach nur die Lohnsteuer 10/11 mit € 2.648,33 und Lohnsteuer 12/11 mit € 2.947,14 nicht vom Gleichbehandlungsgrundsatz erfasst.
Aus dem unstrittig vorliegenden Sachverhalt und der darauf anwendbaren Rechtslage ergebe sich, dass der Bf. als ehemaliger Vorstand der AG schon infolge Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für die Abgaben der Gesellschaft mit Ausnahme der Lohnsteuer für die Zeiträume Oktober und Dezember nicht der Haftung unterliege. Da er aber auch für diese Abgaben aufgrund tatsächlicher Einschränkungen nicht in der Lage gewesen sei, die Einhaltung abgabenrechtlicher Verpflichtungen durchzusetzen, beantrage er, die geltend gemachte Haftung vollinhaltlich aufzuheben.
Abschließend beantragte der Bf. vorsorglich die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 274 Abs. 1 Z 1 BAO, um je nach Gang des Ermittlungsverfahrens noch Beweismittel, insbesondere Zeugeneinvernahmen, beantragen bzw. beibringen zu können.
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Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom wurden Altakten wie das gegenständliche Beschwerdeverfahren innerhalb des Bundesfinanzgerichtes neu verteilt und die nunmehrige Gerichtsabteilung mit Wirksamkeit vom dafür erstmals zuständig.
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Mit Schreiben vom zog der Bf. seinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück, da diese infolge geklärter Rechts- und Sachverhaltslage zur Durchsetzung seiner rechtlichen Interessen nicht erforderlich sei.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Persönliche Haftungen erstrecken sich gemäß § 7 Abs. 2 BAO auch auf Nebenansprüche im Sinne des § 3 Abs. 1 und 2 BAO. Zu diesen Nebenansprüchen gehören gemäß § 3 Abs. 2 lit. d BAO insbesondere die Nebengebühren der Abgaben, wie die Stundungs- und Aussetzungszinsen, der Säumniszuschlag und die Kosten (Gebühren und Auslagenersätze) des Vollstreckungs- und Sicherungsverfahrens, worunter gemäß § 26 AbgEO insbesondere Pfändungsgebühren und die durch die Vollstreckungsmaßnahmen verursachten Barauslagen (somit auch Postgebühren) fallen.
Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Voraussetzungen für die Haftung gemäß § 9 Abs. 1 BAO sind:
- Stellung des Geschäftsführers als Vertreter
- Abgabenforderungen gegen die vertretene Gesellschaft
- Uneinbringlichkeit der Abgabenforderungen
- abgabenrechtliche Pflichtverletzung des Vertreters
- dessen Verschulden an der Pflichtverletzung
- Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit der Abgaben (Kausalität)
Die Haftung nach § 9 Abs. 1 BAO ist eine Ausfallshaftung (). Voraussetzung ist die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden (). Uneinbringlichkeit liegt vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären ().
Im gegenständlichen Fall steht die Uneinbringlichkeit fest, da m it Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg vom D-11 das über das Vermögen der G-1 am D-1 eröffnete Insolvenzverfahren (wurde zunächst als Sanierungsverfahren, ab D-12 als Konkursverfahren geführt) mangels Kostendeckung aufgehoben wurde.
Bestritten wurde, dass dem Bf. als ehemaligem Vorstandsmitglied der genannten AG die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft, insbesondere der Verpflichtung, für die rechtzeitige und vollständige Entrichtung der Abgaben Sorge zu tragen, oblag.
Dazu legte er eine vom Vorsitzenden des Aufsichtsrates P-4 und von den nachstehenden Vorstandsmitgliedern am D-10 (gleichzeitig mit der Satzung) unterfertigte Geschäftsverteilung für den Vorstand der Gesellschaft vor:
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Aufgabenbereich | Vorstand |
1. Strategie-Management, Finanzen, Personal, Recht und Oberste Qualitätsverantwortung | P-1 |
2. Marketing und Vertrieb | P-2 |
3. Technik, Produktentwicklung, Auftragsplanung und –abwicklung | Bf. |
Der Schwerpunkt des Beschwerdevorbringens liegt zunächst auf der Behauptung, dass der Bf. nicht für wirtschaftliche, finanzielle und rechtliche Belange der genannten Gesellschaft zuständig gewesen sei. Diesem Einwand kann sich das Bundesfinanzgericht aufgrund des schriftlichen Nachweises und der Judikatur, wonach durch vertragliche Vereinbarungen zwischen Gesamtschuldnern die Abgabepflicht eines Gesamtschuldners zwar nicht ausschließbar, aber für die Ermessensübung von Bedeutung ist (), da die Abgabenbehörde sich nicht ohne sachgerechten Grund an die Person halten darf, die nach dem vertraglichen Innenverhältnis die Steuerlast nicht tragen sollte (), anschließen.
Sind mehrere potentiell Haftende vorhanden, richtet sich die haftungsrechtliche Verantwortung danach, wer mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut ist. Der von den finanziellen, insbesondere steuerlichen Angelegenheiten ausgeschlossene Geschäftsführer ist in der Regel nicht in Anspruch zu nehmen. Verletzt jedoch der mit abgabenrechtlichen Angelegenheiten nicht befasste Vertreter seine eigenen Pflichten dadurch grob, dass er trotz Unregelmäßigkeiten des zur Wahrnehmung abgabenrechtlicher Angelegenheiten Bestellten nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen, so ist auch er haftbar, es sei denn, dass ihm triftige Gründe die Erfüllung dieser wechselseitigen Überwachungspflicht unmöglich machen. Allerdings kommt eine Überprüfung der Tätigkeit des mit der Abgabenentrichtung betrauten oder hiefür verantwortlichen Geschäftsführers durch den anderen Geschäftsführer nur dann in Betracht, wenn ein Anlass vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu zweifeln (vgl. ; ).
Diese für die Agendenverteilung zwischen mehreren Geschäftsführern einer GesmbH entwickelten Grundsätze müssen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch für das Verhältnis zwischen mehreren Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft gelten. Wie der OGH in seinem Urteil vom , 3 Ob 536/77, ausgeführt hat, kann, wenn der Vorstand aus mehreren Personen besteht, kein Vorstandsmitglied von der Geschäftsführung ausgeschlossen werden. Für die Ausübung der Geschäftsführung trifft das Gesetz keine allgemeine Regelung. Der Vorstand selbst, die Satzung oder der Aufsichtsrat können anordnen, dass die Aufgaben der Geschäftsführung unter die Vorstandsmitglieder verteilt werden. Eine solche - zulässige - Geschäftsverteilung wirkt sich auf die Verantwortlichkeit der einzelnen Vorstandsmitglieder aus. Jedes Vorstandsmitglied trägt dann zunächst für sein ihm zugewiesenes Arbeitsgebiet die volle Verantwortung. Eine Arbeitsaufteilung bewirkt jedoch, selbst bei größter Spezialisierung, nicht, dass ein Vorstandsmitglied sich nur noch auf sein eigenes Arbeitsgebiet beschränken darf und sich um die Tätigkeit der anderen Mitglieder nicht mehr zu kümmern braucht. Die Pflicht zur unmittelbar verwaltenden Tätigkeit beschränkt sich auf den eigenen Arbeitskreis, hinsichtlich der Arbeitskreise der anderen Vorstandsmitglieder ist sie eine Pflicht zur allgemeinen Beaufsichtigung (Überwachung) geworden. Besteht Verdacht, dass im Arbeitsbereich eines anderen Vorstandsmitgliedes Missstände vorliegen, muss das Vorstandsmitglied sich einschalten, um nicht selbst ersatzpflichtig zu werden ().
Der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, dass der Geschäftsführer einer GesmbH, der sich in der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Pflichten durch die Gesellschafter oder durch dritte Personen behindert sieht, entweder sofort im Rechtsweg die Möglichkeit der unbehinderten Ausübung seiner Funktion zu erzwingen oder seine Funktion niederzulegen und als Geschäftsführer auszuscheiden hat; der Geschäftsführer, der weiterhin als solcher tätig bleibt, obwohl er sich in seiner Pflichterfüllung behindert sieht, hat (beim Vorliegen aller anderen Voraussetzungen) auch seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Entrichtung der die GesmbH treffenden Abgaben verletzt (vgl. ; ).
Es zählt zwar nicht zu den abgabenrechtlichen Pflichten des Vertreters des Abgabenschuldners, die Vertreterstellung durch Rücktritt zur Aufhebung zu bringen (). Allerdings hat es der Vertreter in der Hand bzw. ist es seine Sache, im Rechtsweg die Ausübung seiner Rechte zu erzwingen oder die Geschäftsführungsbefugnis zurückzulegen (; ).
Eine solche einseitige Niederlegung der Vertretungsbefugnis ist, wie dem Geschäftsführer einer GmbH, auch dem Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft möglich. Als empfangsbedürftige Willenserklärung erlangt die Rücktrittserklärung eines bestellten Vorstandsmitglieds verbandsrechtliche Geltung, sobald sie der Gesellschaft in rechtsgültiger Weise zugekommen ist (vgl. ).
Nach dem Vorbringen des Bf. im Vorlageantrag kamen ihm Mitte 2011 Zweifel an der finanziellen Lage der Gesellschaft. Diese Aussage korrespondiert auch mit dem Abgabenkonto, wonach ab die Selbstbemessungsabgaben lediglich gemeldet, aber nicht mehr (mit Ausnahme einer Überrechnung von € 2.800,00 vom ) entrichtet wurden.
Weiters brachte der Bf. vor, dass es ihm nicht gelungen sei, einen Überblick über die Situation zu erhalten, weshalb er am D-5 sein Vorstandsmandat niedergelegt habe.
Ist ein Geschäftsführer an der ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner Obliegenheiten gehindert, so muss er entweder sofort die Behinderung seiner Funktion - allenfalls im Rechtsweg - abstellen oder seine Funktion niederlegen und als Geschäftsführer ausscheiden.
Ob der Rücktritt „unverzüglich“ erfolgt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Auch ein Zeitraum von nahezu drei Monaten zwischen der Bestellung zum Geschäftsführer und dessen Rücktritt wegen einer Behinderung in der Ausübung seiner Funktion schließt eine Beurteilung des Rücktrittes als „unverzüglich“ nicht von vornherein aus, weil die Verpflichtung zum Rücktritt erst durch die Erkennbarkeit der Behinderung und der Ergebnislosigkeit der Bemühungen, diese zu beseitigen, ausgelöst wird ().
Sein am D-5 gegenüber dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates erklärter Rücktritt erfolgte daher rechtzeitig im Sinne eines Verschuldensauschlusses. Ob daran noch eine satzungsgemäße Frist von drei Monaten anschloss, vermag an der Rechtzeitigkeit der Niederlegung seines Vorstandsmandates nichts zu ändern, zumal nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes ein Vorstandsmitglied, wenn ihm die Fortsetzung des Vorstands-Dienstverhältnisses aus wichtigem Grund unzumutbar ist, den vorzeitigen Austritt gegenüber der AG mit sofortiger Wirkung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist erklären kann, wenn es zB wahrnimmt, dass ein anderes Vorstandsmitglied seine Pflichten (zB betreffend das Rechnungswesen) vernachlässigt und demgemäß die Gefahr besteht, dass sämtliche Vorstandsmitglieder zur Haftung herangezogen werden könnten ().
Auf Grund des mangelnden Verschuldens des Bf. an der Nichtentrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben erfolgte somit seine Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger für die Abgabenschuldigkeiten der G-1 nicht zu Recht.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Die Entscheidung folgt vielmehr der dargestellten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2019:RV.7105706.2015 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at