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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.07.2019, RV/7104873/2018

§ 9 BAO: Beibringung ungenügender Gleichbehandlungsnachweise, Verjährung, Ermessen bei Haftungsinanspruchnahme 6 1/2 Jahre nach Ende des Insolvenzverfahrens

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch Ri über die Beschwerde des X, vertreten durch V, gegen den Haftungsbescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom , Geschäftszahl 99, betreffend Haftung gemäß § 9 BAO nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

X wird für  folgende Abgaben im Gesamtausmaß von 16.098,86 Euro zur Haftung herangezogen : 


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Abgabe
Fälligkeit
Betrag (Euro)
80%
50%
Lohnsteuer 07/2010
926,39
741,11
370,56
Lohnsteuer 08/2010
546,43
437,14
218,57
Lohnsteuer 09/2010
551,59
441,27
220,64
Lohnsteuer 12/2010
1.425,83
1.140,66
570,33
Lohnsteuer 01/2011
778,78
623,02
311,51
Lohnsteuer 02/2011
740,15
592,12
296,06
Lohnsteuer 03/2011
494,31
395,45
197,73
Umsatzsteuer 04/2010
1.811,01
1.448,81
724,41
Säumniszuschlag A 2010
125,23
100,18
50,09
Umsatzsteuer 06/2010
3.444,54
 
1.722,27
Körperschaftsteuer
07-09/2010
437,00
349,60
174,80
Kammerumlage
04-06/2010
30,29
24,23
12,12
Dienstgeberbeitrag 07/2010
1.018,53
814,82
407,41
Zuschlag zum DB 07/2010
90,53
72,42
36,21
Säumniszuschlag A 2010
90,44
72,35
36,18
Umsatzsteuer 07/2010
5.011,53
4.009,22
2.004,61
Dienstgeberbeitrag 08/2010
610,19
488,15
244,08
Zuschlag zum DB 08/2010
54,24
43,39
21,70
Umsatzsteuer 08/2010
3.504,71
2.803,77
1.401,89
Dienstgeberbeitrag 09/2010
602,08
481,66
240,83
Zuschlag zum DB 09/2010
53,51
42,81
21,41
Stundungszinsen 2010
66,77
53,42
26,71
Säumniszuschlag A 2010
124,85
99,88
49,94
Körperschaftsteuer
10-12/2010
435,00
348,00
174,00
Säumniszuschlag A 2010
100,23
80,18
40,09
Säumniszuschlag A 2010
237,98
190,38
95,19
Umsatzsteuer 11/2010
3.159,37
2.527,50
1.263,75
Lohnsteuer 12/2010
1.425,83
1.140,66
570,33
Dienstgeberbeitrag 12/2010
1.524,45
1.219,56
609,78
Zuschlag zum DB 12/2010
135,50
108,40
54,20
Stundungszinsen 2010
281,75
225,40
112,70
Umsatzsteuer 2010
187,04
149,63
74,82
Umsatzsteuer 12/2010
2.894,99
2.315,99
1.158,00
Körperschaftsteuer
01-03/2011
437,00
349,60
174,80
Kammerumlage
10-12/2010
52,82
42,26
21,13
Dienstgeberbeitrag 01/2011
637,48
509,98
254,99
Zuschlag zum DB 01/2011
56,66
45,33
22,67
Säumniszuschlag A 2010
89,94
71,95
35,98
Dienstgeberbeitrag 02/2011
650,77
520,62
260,31
Zuschlag zum DB 02/2011
57,84
46,27
23,14
Säumniszuschlag A 2011
63,19
50,55
25,28
Umsatzsteuer 02/2011
3.756,46
3.005,17
1.502,59
Dienstgeberbeitrag 03/2011
555,35
444,28
222,14
Zuschlag zum DB 03/2011
49,36
39,49
19,75
Säumniszuschlag A 2011
57,90
46,32
23,16

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Der Bf. fungiert seit der Errichtung der E.GmbH (zuvor E.GmbH ***) im Jahr 2006 als deren alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer (Firmenbuchauszug FN).

Mit dem Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom x2, wurde über die E.GmbH ein Sanierungsverfahren eröffnet.

Nach rechtskräftiger Bestätigung des Sanierungsplanes (Quote 20%) wurde das Sanierungsverfahren mit dem Beschluss vom x3 aufgehoben. Die Generalversammlung der Gesellschaft beschloss im Jahr 2016 deren Fortsetzung.

Mit dem Haftungsbescheid vom wurde der Bf. zur Haftung für aushaftende Abgaben der E.GmbH in der Gesamthöhe von 49.967,58 Euro herangezogen.

Begründend führte das Finanzamt aus, der Geschäftsführer hafte für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung standen, nicht ausreichten, es sei denn, er weise nach, dass er diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet und die Abgabenschulden nicht schlechter behandelt habe als die übrigen Verbindlichkeiten.

Der Bf. sei als Haftungspflichtiger in Anspruch zu nehmen gewesen, da er weder das Fehlen ausreichender Mittel nachgewiesen noch dargetan habe, dass er die Abgabenforderungen bei der Verwendung der vorhandenen Mittel nicht benachteiligt habe und die Abgaben bei der Gesellschaft uneinbringlich seien.

In der gegen diesen Haftungsbescheid vom Rechtsvertreter des Bf. erhobenen Beschwerde vom wurde ausgeführt, der Bf. habe die im Sanierungsplan festgelegte Quote von 20% an das Finanzamt bezahlt, sodass sich die Haftung jedenfalls um 20% reduziere.

Der Bf. brachte mit Stichtag zum Ende jedes Monats erstellte Gleichbehandlungsnachweise bei. Auf Grund des langen Zeitraums, der seit der Eröffnung des Sanierungsverfahrens ergangen sei, sei es lediglich möglich gewesen, die bereits erstellten Gleichbehandlungsnachweise für andere geltend gemachte Haftungen zu adaptieren. Die Gleichbehandlung der Gläubiger könne aber auch damit nachgewiesen werden.

Über den gesamten Haftungszeitraum gesehen sei das Finanzamt im Ausmaß von 19% schlechter behandelt worden als die übrigen Gläubiger. Abzüglich der geleisteten Quote von 20% ergebe sich daher eine Haftung des Bf. für einen Betrag in der Höhe von 7.595,07 Euro.

Mit der Beschwerdevorentscheidung vom gab das Finanzamt der Beschwerde teilweise statt.

In den übermittelten Gleichbehandlungsnachweisen seien nicht alle Verbindlichkeiten angeführt worden. Die angeführten Prozentsätze seien nicht nachvollziehbar. Ein Nachweis für die ab nicht mehr bezahlten Verbindlichkeiten (auch Löhne) sei nicht erbracht worden.

Die im Sanierungsplan bezahlte Quote von 20% sei im Haftungsbescheid bereits berücksichtigt worden.

Die Umsatzsteuer 04/11 sowie der Dienstgeberbeitrag und der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 05/11 seien jedoch aus der Haftung auszuscheiden, weil ihr Fälligkeitstag nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens liege. Es ergebe sich daher ein relevanter Haftungsbetrag in der Höhe von 42.703,66 Euro.

Im Vorlageantrag vom brachte der Bf. vor, es seien neue Gleichbehandlungsnachweise erstellt worden, die dem Finanzamt im März 2018 telefonisch angekündigt und am übermittelt worden seien. Die Vorlage der Nachweise habe sich jedoch mit der am erlassenen Beschwerdevorentscheidung überschnitten.

Sämtliche Haftungsansprüche aus den Jahren 2010 und 2011 seien spätestens am verjährt; der Haftungsbescheid datiere vom .

Hinsichtlich der Lohnsteuer 07/10 bis 04/11 sei davon auszugehen, dass der Bf. für die nicht abgeführte Lohnsteuer hafte (insgesamt 6.086,70 Euro). Der Ausfall beim Finanzamt sei mit der Bestätigung des Sanierungsplanes am x3 fest gestanden. Der Haftungsbescheid sei erst 6 1/2 Jahre nach der Aufhebung des Sanierungsverfahrens erlassen worden. Die übermäßig lange Verfahrensdauer sei vom Finanzamt nicht erklärt worden. Mit dieser Verzögerung werde die Erstellung der Gleichbehandlungsnachweise unnötig und übermäßig erschwert. Der Bf. habe nach so langer Zeit auch nicht mehr mit der Haftungsinanspruchnahme rechnen müssen.

Der Bf. sei immer noch Geschäftsführer der E.GmbH. Auf Grund der angespannten finanziellen Situation habe der Bf. in den letzten zwei Jahren immer wieder auf seinen Geschäftsführerbezug verzichtet.

Es werde der Antrag gestellt, den Haftungsbescheid ersatzlos zu beheben, in eventu die Haftung mit einem Betrag bis maximal 11.652,48 Euro festzusetzen. Die mündliche Verhandlung vor einem Senat wurde beantragt.

Im Zuge eines am abgehaltenen Erörterungstermines zog die Vertreterin der Bf. den Antrag auf mündliche Verhandlung sowie die Entscheidung durch den Senat zurück.

Das Bundesfinanzgericht hat über die Beschwerde erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Vertreterstellung

Gemäß § 18 Abs. 1 GmbHG wird die Gesellschaft durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten.

Die Haftung des § 9 trifft die Vertreter gemäß § 80 BAO, somit u.a. die Geschäftsführer einer GmbH.

Unbestritten war der Bf. im haftungsrelevanten Zeitraum alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer der E.GmbH (Firmenbuchauszug FN).

Als bestellter Geschäftsführer war er verpflichtet, die abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft zu erfüllen.  Zu den Pflichten des Bf. als Geschäftsführer der Gesellschaft gehörten u.a. die Pflicht zur Führung von Büchern und Aufzeichnungen sowie deren Aufbewahrung, die Erfüllung der Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflichten der Gesellschaft, die Abgabenerklärungspflicht sowie die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen der Gesellschaft und die Sorgetragung für die Entrichtung der Abgaben aus den verwalteten Mitteln (siehe ).

Uneinbringlichkeit der Abgaben

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung und setzt die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden voraus ().

Die objektive Uneinbringlichkeit der verfahrensgegenständlichen Abgaben steht zweifelsfrei fest, da eine Einbringlichmachung der aushaftenden Abgabenverbindlichkeiten bei der Primärschuldnerin in Folge der Aufhebung des Sanierungsverfahrens und der Erfüllung des rechtskräftig bestätigten Sanierungsplanes nicht mehr möglich ist.

Das Finanzamt stellte in der Beschwerdevorentscheidung vom fest, die im Sanierungsplan entrichtete Quote von 20% sei im Haftungsbescheid bereits berücksichtigt worden. Nach der Aktenlage erfolgte die Berücksichtigung durch Anrechnung der Gutschrift auf die ältesten Abgabenverbindlichkeiten. Die bezahlte Insolvenzquote ist jedoch auf jede angemeldete Forderung anzurechnen. Im vorliegenden Fall wurden die Haftungsbeträge daher um die entrichtete Quote von 20% gekürzt. Davon ausgenommen bleibt die Umsatzsteuer 06/2010, die im Zuge der Verbuchung bereits in einem höheren Ausmaß als 20% gekürzt wurde.

Verjährung

Die Erlassung eines Haftungsbescheides ist eine Einhebungsmaßnahme und als solche daher nur innerhalb der Einhebungsverjährungsfrist des § 238 BAO zulässig (vgl. ).

Der Bf. wendet im Vorlageantrag ein, sämtliche haftungsgegenständlichen Ansprüche seien einhebungsverjährt.

Gemäß § 238 Abs. 1 BAO verjährt das Recht eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe. § 209a gilt sinngemäß.

Gemäß § 238 Abs. 2 BAO wird die Verjährung fälliger Abgaben durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung, wie durch Mahnung, durch Vollstreckungsmaßnahmen, durch Bewilligung einer Zahlungserleichterung oder durch Erlassung eines Haftungsbescheides unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen.

Gemäß § 9 Abs.  1 IO  wird durch die Anmeldung im Insolvenzverfahren die Verjährung der angemeldeten Forderung unterbrochen. Die Verjährung der Forderung gegen den Schuldner beginnt von neuem mit dem Ablauf des Tages, an dem der Beschluss über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens rechtskräftig geworden ist.

Im vorliegenden Fall begann die Verjährungsfrist der Abgabenforderungen mit Ablauf des x3 (Beschluss des Handelsgerichtes Wien über die rechtskräftige Bestätigung des Sanierungsplanes) (neu) zu laufen.

Nach den vom Finanzamt übermittelten und dem Bf. zur Kenntnis gebrachten Unterlagen hat das Finanzamt am eine Firmenbuchabfrage zur Nachforschung haftungspflichtiger Personen getätigt. Diese Behördenmaßnahme hat nach der Aktenlage eindeutig den Amtsbereich der Behörde verlassen und war auf die Durchsetzung des konkreten Abgabenanspruches gerichtet. Sie stellt daher eine Unterbrechungshandlung im Sinne des § 238 Abs. 2 BAO dar, weshalb die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2016 neu zu laufen begann. Im Zeitpunkt der Erlassung des hier angefochtenen Haftungsbescheides am war daher entgegen der Rechtsansicht des Bf. Einhebungsverjährung noch nicht eingetreten.

Schuldhafte Pflichtverletzung

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine verschuldensabhängige Haftung. Voraussetzung für die Haftung nach § 9 BAO ist daher ein Verschulden des Vertreters an der Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten der vertretenen Gesellschaft.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf der Vertreter bei der Entrichtung von Schulden die Abgabenschulden nicht schlechter behandeln als andere Schulden; er hat die Schulden im gleichen Verhältnis zu befriedigen (Gleichbehandlungsgrundsatz).

Der Vertreter erfährt nur dann eine Einschränkung der Haftung, wenn er den Nachweis erbringt, welcher konkrete Abgabenbetrag auch bei einer gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger uneinbringlich geworden wäre ().

Wird dieser Nachweis nicht angetreten, kann dem Vertreter die uneinbringliche Abgabe zur Gänze vorgeschrieben werden ().

Der Bf. hat im Zuge des Verfahrens Gleichbehandlungsnachweise vorgelegt. Diese entsprechen jedoch nicht den von der Rechtsprechung entwickelten Erfordernissen, weil der Bf. bei der Quotenberechnung weder die ihm in den einzelnen Monaten zur Verfügung gestandenen liquiden Mittel angeführt - so fehlen in den Aufstellungen die Veränderungen des Bankkontos als Belastungen bzw. geleistete Zahlungen - noch für die Höhe der insgesamt bestehenden Verbindlichkeiten die Abgabenverbindlichkeiten berücksichtigt hat. Bei der Berechnung der Quote der entrichteten Abgabenverbindlichkeiten wurden die Gesamtverbindlichkeiten (Stand am jeweiligen 1. des Monats plus Zugänge) nicht berücksichtigt. Die Quotenberechnung erfolgte auch lediglich auf die im Haftungsbescheid angeführten Abgaben, nicht aber auf die in den jeweiligen Monaten fälligen Abgaben. Die Berechnungen enthalten darüberhinaus zahlreiche Rechenfehler, sodass der Ansicht des Finanzamtes, die Quotenberechnungen seien nicht nachvollziehbar, zuzustimmen ist. Einen Nachweis, welcher konkrete Abgabenbetrag auch bei einer gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger hinsichtlich der haftungsrelevanten Zeiträume uneinbringlich geworden wäre, hat der Bf. somit nicht erbracht.

Hat der Geschäftsführer aber nicht dargetan, weshalb er für die rechtzeitige Entrichtung der bei der Gesellschaft angefallenen Abgaben gesorgt hat, darf die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen (siehe ).

Im Zuge des Erörterungstermines wurde vorgebracht, dass Gläubiger nach der am stattgefunden Besprechung mit dem Schuldnervertreter nicht mehr bedient wurden. Eine Benachteiligung der Abgabenbehörde ist daher für die im Mai fälligen Abgabenverbindlichkeiten glaubhaft nicht eingetreten, weshalb eine Haftung für diese Verbindlichkeiten nicht besteht.

Lohnsteuer

Gemäß § 78 Abs. 1 EStG 1988 hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung einzubehalten. Der Arbeitgeber hat die gesamte Lohnsteuer, die in einem Kalendermonat einzubehalten war, spätestens am 15. Tag nach Ablauf des Kalendermonates in einem Betrag an das Finanzamt der Betriebsstätte abzuführen (§ 79 Abs. 1 EStG 1988).

Für aushaftende Abfuhrabgaben wie die Lohnsteuer gilt daher eine Ausnahme vom Gleichheitsgrundsatz ( siehe ).

Wird die Lohnsteuer nicht einbehalten und an das Finanzamt abgeführt, so ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ungeachtet der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gesellschaft von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Geschäftsführers auszugehen. Nach der durch das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom ,0038, Slg.N.G. Nr. 7038/F, ausdrücklich aufrechterhaltenen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fällt es nämlich einem Vertreter im Sinne des § 80 BAO als Verschulden zur Last, wenn er Löhne auszahlt, aber die darauf entfallende Lohnsteuer nicht an das Finanzamt entrichtet (, ).

Das Vorbringen des Bf., die Löhne für April 2011 seien nicht mehr ausbezahlt worden, ist nach der vorgelegten Kontoauszugsliste erwiesen, weshalb hinsichtlich der Lohnabgaben 04/2011 eine Geltendmachung der Haftung nicht erfolgt.

Kausalität

Im Fall des Vorliegens einer schuldhaften Pflichtverletzung spricht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung und den Rechtswidrigkeitszusammenhang. Die Pflichtverletzung ist demnach kausal für die Uneinbringlichkeit (siehe dazu , ). 

Fest steht, dass die pflichtwidrige Nichtentrichtung der im Haftungsbescheid angeführten Abgaben kausal für deren Uneinbringlichkeit ist und dieses pflichtwidrige Verhalten dem Bf. als verantwortlichen Geschäftsführer der Gesellschaft zuzurechnen ist. Von einem Rechtswidrigkeitszusammenhang ist demnach auszugehen.

Diesbezüglich wird auch vom Bf. selbst nichts Gegenteiliges vorbringt.

Ermessen

Nach Lehre und Rechtsprechung ist die Heranziehung zur Haftung in das Ermessen der Abgabenbehörde gestellt, wobei die Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen.

Wesentliches Ermessenskriterium ist die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalls. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftung folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist ().

Ist eine Einbringlichmachung bei der Primärschuldnerin unzweifelhaft nicht möglich, kann die Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschuld beim Haftenden von der Abgabenbehörde bei ihren Zweckmäßigkeitsüberlegungen vernachlässigt werden ().

Das diesbezügliche Vorbringen der angespannten finanziellen Situation der fortbetriebenen GmbH sowie des Bf. ist daher im Sinne der zitierten Rechtsprechung nicht zu berücksichtigen.

Dem Bf. ist aber insoweit zuzustimmen, als der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, dass die Frage der Zumutbarkeit der Heranziehung eines Haftungspflichtigen angesichts lange verstrichener Zeit bei der Ermessensübung berücksichtigt werden muss. Dabei ist den jeweiligen Umständen des Einzelfalles in der gebotenen Weise Rechnung zu tragen, um Unbilligkeiten hintanzuhalten, die aus einer späten Geltendmachung der Haftung resultieren (). Auch aus dem Erkenntnis vom , 2006/13/0159, ergibt sich, dass die Heranziehung eines Haftungspflichtigen angesichts lange verstrichener Zeit zur Hintanhaltung von Unbilligkeiten bei der Ermessensübung nicht ohne weiteres außer Betracht gelassen werden darf. Im Erkennntis vom , 2009/16/0108, hat der Verwaltungsgerichtshof wiederum auf die Notwendigkeit einer Berücksichtigung der langen Verfahrensdauer bei der Ermessensentscheidung hingewiesen, weil diese – sollten nicht außergewöhnliche Gründe vorliegen – der Inanspruchnahme zur vollen Haftung entgegenstehen könne.

Im vorliegenden Fall wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Primärschuldnerin im x3 beendet und der Bf. im April 2017 zur Haftung herangezogen.

Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes lässt der Umstand, dass die Haftungsinanspruchnahme des Bf. erst ca. 6 1/2 Jahre nach der Beendigung des Insolvenzverfahren erfolgte, eine Reduktion der Haftungsbeträge um 50 % gerechtfertigt erscheinen. Damit wird der vom Bf. ins Treffen geführten langen Verfahrensdauer angemessen Rechnung getragen. 

Es war daher zweckmäßig, den Bf. zur Haftung für 50% jener Abgaben, die aufgrund seines pflichtwidrigen Verhaltens (Nichtabfuhr) bei der Gesellschaft uneinbringlich geworden sind, heranzuziehen.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Erkenntnis gründet sich auf die oben wieder gegebene ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, weshalb eine Revision nicht zulässig ist.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 238 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.7104873.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at