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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 04.07.2019, RV/5101073/2013

Geschäftsführerhaftung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache BF, vertreten durch RA, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Kirchdorf Perg Steyr vom zu StNr, mit dem der Beschwerdeführer gemäß §§ 9, 80 BAO zur Haftung für Abgabenschuldigkeiten der Firma M-GmbH im Ausmaß von 14.282,54 € herangezogen wurde, zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO dahingehend Folge gegeben, dass die Haftungsinanspruchnahme auf folgende Abgabenschuldigkeiten eingeschränkt wird:


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Abgabe
Zeitraum
Fälligkeit
Betrag
Lohnsteuer
02/2009
4.233,83
Dienstgeberbeitrag
02/2009
1.669,21
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
02/2009
133,54
Lohnsteuer
03/2009
456,02
Dienstgeberbeitrag
03/2009
304,77
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
03/2009
24,38
Umsatzsteuer
02/2009
809,06
Summe
 
 
7.630,81

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt

Mit Gesellschaftsvertrag vom war die Firma M GmbH gegründet worden, deren alleiniger Geschäftsführer der Beschwerdeführer war.

Über das Vermögen der Gesellschaft wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Linz vom das Konkursverfahren eröffnet, welches mit Beschluss vom nach Verteilung einer Quote von nur rund 0,04 % wieder aufgehoben wurde. Am wurde die Firma im Firmenbuch gelöscht.

Mit Haftungsbescheid vom nahm das Finanzamt den Beschwerdeführer gemäß §§ 9, 80 BAO für folgende aushaftende Abgabenschuldigkeiten der Gesellschaft in Anspruch:


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Abgabe
Zeitraum
Fälligkeit
Betrag
Lohnsteuer
02/2009
4.666,41
Dienstgeberbeitrag
02/2009
1.839,76
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
02/2009
147,18
Lohnsteuer
03/2009
2.626,83
Dienstgeberbeitrag
03/2009
1.755,60
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
03/2009
140,45
Umsatzsteuer
02/2009
809,06
Dienstgeberbeitrag
04/2009
1.526,36
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
04/2009
122,11
Kammerumlage
01-03/2009
211,78
Körperschaftsteuer
04-06/2009
437,00
Summe
 
 
14.282,54

In der Bescheidbegründung wurde auf das Konkursverfahren beim Landesgericht Linz, die Stellung des Beschwerdeführers als verantwortlicher Geschäftsführer der primärschuldnerischen Gesellschaft sowie darauf verwiesen, dass von einer Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes bei der Verfügung über die Gesellschaftsmittel auszugehen sei. Die haftungsgegenständliche Lohnsteuer sei vom Gleichbehandlungsgebot ausgenommen. Die Geltendmachung der Haftung stelle die einzige Möglichkeit zur Durchsetzung des Abgabenanspruches dar. Aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse bzw. künftigen Erwerbsmöglichkeiten des Beschwerdeführers könne nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass die Abgabenschulden auch beim ihm uneinbringlich wären.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom Bundesfinanzgericht gemäß § 323 Abs. 38 BAO als Beschwerde im Sinne des Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigende Berufung vom . Darin wurde zusammengefasst eine Benachteiligung des Finanzamtes bestritten. Noch im Februar 2009 sei eine Zahlung an das Finanzamt in Höhe von 19.466,16 € erfolgt (mit der die am fällig gewesenen Selbstbemessungsabgaben entrichtet worden waren). Die letzte Zahlung an die Gebietskrankenkasse sei dagegen im Dezember 2008 erfolgt. Die Entgelte der Arbeitnehmer seien laut Forderungsanmeldungen „vermehrt ab März 2009“ offen geblieben. Die Gesamtverbindlichkeiten der Primärschuldnerin hätten sich im Zeitraum bis zur Konkurseröffnung insgesamt erhöht. Die haftungsgegenständlichen Abgaben seien im Zeitraum Februar bis Mai 2009 fällig gewesen. Liquide Mittel wären in diesem Zeitraum „nicht bzw. nur mehr eingeschränkt vorhanden“ gewesen. Zur Berechnung des Quotenschadens könne nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Vermeidung einer Überspannung der Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten auch eine überschlägige Ermittlung der Quote ausreichen (). Im Zeitpunkt der Überweisung der Löhne für Februar 2009 sei für den Beschwerdeführer (noch) nicht erkennbar gewesen, dass erwartete Aufträge nicht realisiert werden können und ausständige Zahlungen endgültig verweigert würden. Aufgrund der angespannten Liquiditätssituation wären die Löhne im März nur mehr reduziert im Umfang von rund 5.200,00 € ausbezahlt worden. Die Haftung für Lohnsteuer 03/2009 könne sich daher nicht auf die tatsächlich ausbezahlten Löhne beziehen. Die Nichtdurchführung bzw. die fehlende Möglichkeit der Bezahlung der Lohnsteuer für Februar und März 2009 sei für den Beschwerdeführer nicht vorhersehbar gewesen. Die Geltendmachung der Haftung sei gegenüber dem Beschwerdeführer unbillig, da dieser redlich bemüht gewesen sei, die fälligen Abgaben zu entrichten. Es werde neuerlich auf die noch im Februar 2009 – trotz objektiv bereits vorliegender Zahlungsunfähigkeit – an den Abgabengläubiger geleistete Zahlung verwiesen.

Zum Beweis des Beschwerdevorbringens wurden Auszüge aus einem umfangreichen Buchsachverständigengutachtens im Verfahren gegen den Beschwerdeführer wegen §§ 153c und 159 StGB vorgelegt.

In Beantwortung eines Vorhaltes des Finanzamtes vom wurden mit Schreiben vom Kontoauszüge aller Banken für den Zeitraum bis zur Konkurseröffnung und ein Vermögensverzeichnis des Beschwerdeführers vorgelegt. Schriftverkehr hinsichtlich der Kontensperren liege nicht vor. Aus den Unterlagen sei aber ersichtlich, dass seitens der Banken bereits ab März 2009 nur mehr betraglich geringfügige Zahlungen – oft erst nach Rücksprache mit dem Beschwerdeführer – durchgeführt worden wären. Die ursprünglich gewährten Kreditrahmen wären somit schlicht nicht mehr zur Verfügung gestellt worden. Nachdem aber mit größeren Zahlungseingängen aus offenen Forderungen gegen zwei Großkunden gerechnet worden sei, wäre die fehlende Möglichkeit der Bezahlung der Lohnsteuern für Februar und März 2009 im Zeitpunkt der Lohnzahlung nicht vorhersehbar gewesen.

Mit Berufungsvorentscheidung vom gab das Finanzamt der Berufung teilweise statt und schied aus der Haftungsinanspruchnahme die am fällig gewesenen Abgabenschuldigkeiten aus, wodurch sich die Haftungssumme auf 11.985,29 € reduzierte. In der Begründung wurde ausgeführt, dass die Konkursquote von 0,04 % bei der Bemessung der Haftungsbeträge berücksichtigt worden sei. Aus den vorgelegten Bankkontoauszügen gehe hervor, dass bis (Konkurseröffnung) immer wieder Gutschriften verbucht worden seien. Es sei daher nicht verständlich, dass zwar Lohnzahlungen durchgeführt, die darauf entfallenden Lohnabgaben aber nicht abgeführt worden wären. Da Überweisungen der Bank oft erst nach telefonischer Rücksprache erfolgt wären, sei dem Beschwerdeführer schon seit längerer Zeit „jegliche Verfügungsgewalt über einlangende Kundenzahlungen aus der Hand genommen“ worden. Aus den Masseverwalterberichten gehe hervor, dass sämtliche Kundenforderungen unanfechtbar an die Banken zediert gewesen wären.

Im Vorlageantrag vom wurde die Berufung gegen die Haftung für Lohnsteuer 2/2009 und 3/2009 dem Grunde nach zurückgezogen, der Höhe nach aber weiter bestritten, da nicht mehr die vollen Löhne und Gehälter ausbezahlt worden wären. Auch die Dienstgeberbeiträge samt Zuschlägen wären zu hoch bemessen. Auf die bereits vorgelegten Auszüge aus dem Buchsachverständigengutachten werde verwiesen. Hinsichtlich der vom Gleichbehandlungsgebot umfassten Abgaben wurde neuerlich eine Benachteiligung des Abgabengläubigers in Anbetracht der bereits zum bestehenden Gesamtverbindlichkeiten von 934.000,00 € und der noch im Februar 2009 an das Finanzamt geleisteten Zahlung bestritten.

Am legte das Finanzamt die Berufung dem damals für deren Erledigung noch zuständig gewesenen unabhängigen Finanzsenat vor.

Nach Übergang der Entscheidungspflicht auf das Bundesfinanzgericht blieb der gegenständliche Beschwerdefall bei der zuständigen Richterin jedoch unerledigt. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesfinanzgerichtes vom wurde die Gerichtsabteilung des erkennenden Richters zur Erledigung der Beschwerde zuständig.

Dieser wies das Finanzamt nach erfolgter ergänzender Aktenvorlage mit E-Mail vom auf die Feststellungen im oben erwähnten Buchsachverständigengutachten hin, wonach die haftungsrelevanten Löhne und Gehälter für Februar und März tatsächlich nicht mehr zur Gänze ausbezahlt wurden, sondern für Februar nur mehr mit 90,73 % und für März nur mehr mit 17,36 %. Da bei von der Primärschuldnerin dem Finanzamt bekannt gegebenen, haftungsverfangenen Selbstbemessungsabgaben über den Abgabenanspruch im Haftungsverfahren selbst abzusprechen sei, eine Neuberechnung der Lohnabgaben für die beiden Monate aber selbst dann, wenn die Lohnbuchhaltung für das Jahr 2009 noch vorhanden sein sollte, mit unvertretbarem Aufwand verbunden wäre, werde um Mitteilung ersucht, ob seitens des Finanzamtes Bedenken gegen eine aliquote Einschränkung der Lohnabgaben auf die genannten prozentuellen Ausmaße bestünden. Die Haftungsschuld würde sich dadurch wie in einer angeschlossenen Beilage dargestellt reduzieren.

Das Finanzamt teilte dazu in einer Antwortmail vom selben Tag mit, dass dagegen kein Einwand erhoben werde.

In einem Vorhalt des Bundesfinanzgerichtes vom wurde der Beschwerdeführer ersucht, zu folgenden Punkten binnen einer Frist von vier Wochen Stellung zu nehmen und die angeführten Unterlagen zu übermitteln:

1) In der Beschwerde wurde eingewendet, dass die den haftungsgegenständlichen Lohnabgaben 02/2009 und 03/2009 zugrunde liegenden Löhne nicht mehr zur Gänze ausbezahlt worden wären.

Diese Lohnabgaben waren Gegenstand einer Prüfung anlässlich der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Primärschuldnerin. Der Arbeitsbogen des Prüfers konnte vom Finanzamt jedoch nicht mehr aufgefunden werden, weshalb daraus keine konkreten Feststellungen einerseits zur Frage der Höhe der tatsächlich für Februar und März 2009 noch ausbezahlten Löhne sowie der darauf entfallenden Lohnabgaben getroffen werden können.

Im Haftungsverfahren haben Sie sich auf das im Strafverfahren wegen §§ 153c, 159 StGB eingeholte Buchsachverständigengutachten berufen, in dem unter anderem festgestellt wurde, dass die haftungsrelevanten Löhne und Gehälter für Februar und März tatsächlich nicht mehr zur Gänze ausbezahlt wurden, sondern für Februar nur mehr mit 90,73 % und für März nur mehr mit 17,36 %.

Da eine Neuberechnung der Lohnabgaben für die beiden Monate aber selbst dann, wenn die Lohnbuchhaltung für das Jahr 2009 noch vorhanden sein sollte, mit unvertretbarem Aufwand verbunden wäre, wird um Mitteilung ersucht, ob Bedenken gegen eine aliquote Einschränkung der Lohnabgaben auf die genannten prozentuellen Ausmaße bestehen. Die Haftungsschuld würde sich dadurch wie in der angeschlossenen Beilage dargestellt reduzieren. Das Finanzamt hat einer solchen aliquoten Verminderung der Lohnabgaben (Einschränkung 02/2009 auf 90,73 % und 03/2009 auf 17,36 %) bereits zugestimmt.

2) Vom Finanzamt wurden in der Berufungsvorentscheidung vom die am und damit unmittelbar vor Konkurseröffnung () fällig gewesenen Abgaben aus der Haftung ausgeschieden. Hinsichtlich der verbleibenden, dem Gleichbehandlungsgebot unterliegenden Abgaben (Dienstgeberbeiträge samt Zuschlägen für Februar und März 2009, Umsatzsteuer 02/2009) wurde eine Nichtbenachteiligung des Finanzamtes aus folgenden Gründen bisher nicht ausreichend dargestellt:

Das Finanzamt hat in der Berufungsvorentscheidung zutreffend auf die Zahlungseingänge am Konto bei der Sparkasse Mühlviertel-West hingewiesen. Der Saldo am Konto 1 betrug zum (älteste Fälligkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben) laut vorgelegtem Kontoauszug 23/2009 284.655,39 € und reduzierte sich bis zur Konkurseröffnung am auf 174.474,16 € (Kontoauszug 54/2009), somit immerhin um 110.181,23 €. Grund dafür war in erster Linie die Tatsache, dass die Kundenforderungen zur Kreditbesicherung an die Bank zediert waren (vgl. dazu die Tz 162,165, 169, 186, 193 im Buchsachverständigengutachten).

Am Bankkonto bei der VKB (Konto-Nr. 2) wurde der am offene Saldo von 13.280,45 € bis zur Konkurseröffnung zur Gänze abgedeckt (Guthaben per von 403,93 €).

Bei der Raika (Konto-Nr. 3) wurde der offene Saldo von 49.565,44 € (per ) auf 45.503,93 € (letzter Kontoauszug vom ) vermindert.

Während somit im haftungsrelevanten Zeitraum die Bankverbindlichkeiten massiv reduziert wurden, sind an den Abgabengläubiger keinerlei Zahlungen mehr erfolgt. Angesichts dessen ist von einer Benachteiligung der Abgabenverbindlichkeiten im Vergleich zu den Bankverbindlichkeiten auszugehen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann im Abschluss eines (globalen) Mantelzessionsvertrages, durch den einerseits die Bank als andrängender Gläubiger begünstigt wird, andererseits andere andrängende Gläubiger - insbesondere der Bund als Abgabengläubiger - benachteiligt werden, eine dem Geschäftsführer vorzuwerfende Pflichtverletzung liegen. Der Abschluss eines Mantelzessionsvertrages ist dem Vertreter dann vorzuwerfen, wenn er es unterlassen hat - insbesondere durch entsprechende Vertragsgestaltung - vorzusorgen, dass auch im Falle einer Änderung der Verhältnisse, wenn diese bei Aufwendung entsprechender Sorgfalt als nicht unvorhersehbar zu werten ist, die Bedienung der anderen Schulden, insbesondere der Abgabenschulden, durch diesen Vertrag nicht beeinträchtigt wird. Der bloße Umstand, dass zwischen dem Abschluss des Zessionsvertrages und der Nichtentrichtung der haftungsverfangenen Abgaben ein Zeitraum von mehreren Jahren liegt, reicht allein noch nicht aus, um die Nichtvorhersehbarkeit der Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu begründen ().

Aber selbst bei Annahme einer schuldhaften Pflichtverletzung durch Abschluss einer den Abgabengläubiger benachteiligenden Zession ist eine Differenzquotenberechnung (siehe Punkt 3) zulässig (). In eine solche Berechnung sind aber die aufgrund der Zession an die Bank geflossenen Beträge als der Gesellschaft zur Verfügung stehende liquide Mittel, die zur gleichmäßigen Bedienung aller Gläubiger zu verwenden gewesen wären, zu berücksichtigen.

3) Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliegt dem Vertreter. Auf diesem, nicht aber auf der Behörde, lastet auch die Verpflichtung zur Errechnung einer entsprechenden Quote. Vermag der Vertreter nachzuweisen, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, so haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und der tatsächlich erfolgten Zahlung. Wird dieser Nachweis nicht angetreten, kann dem Vertreter die uneinbringliche Abgabe zur Gänze vorgeschrieben werden ( mwN; ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates ).

Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 9 BAO (in der Praxis bisher kaum möglich gewesener Nachweis der Gleichbehandlung bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte) haben bereits der UFS und auch das BFG wiederholt eine Zeitraumbetrachtung über den gesamten haftungsrelevanten Zeitraum zugelassen (vgl. Ritz, BAO, 6. Auflage, § 9 Tz 27 mit Hinweis auf die gleichlautende Judikatur des BFH). Auch der Verwaltungsgerichtshof selbst hat in seiner Entscheidung vom , 2012/08/0227 - allerdings zu § 25a Abs. 7 BUAG - in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung einen einheitlichen monatsübergreifenden Beurteilungszeitraum für maßgeblich erachtet (vgl. dazu auch RdW 2014/19, ARD 2014, 12; ÖStZ 2014, 323; ÖStZ 2014, 511).

Haftungsrelevant ist im gegenständlichen Fall der Zeitraum (Fälligkeit der ältesten Haftungsschuld) bis (Konkurseröffnung). Dabei sind alle Verbindlichkeiten der Primärschuldnerin, die zu Beginn des einheitlichen Beurteilungszeitraumes bereits fällig waren oder bis zum Ende des Beurteilungszeitraumes fällig geworden sind, unter Einschluss der Abgabenverbindlichkeiten (!) zu addieren. Weiters sind alle in diesem Zeitraum auf diese Verbindlichkeiten getätigten Zahlungen zu addieren und der erstgenannten Summe der fälligen bzw. fällig gewordenen Gesamtverbindlichkeiten gegenüberzustellen. Durch die Gegenüberstellung dieser Summen errechnet sich das Verhältnis, zu dem Verbindlichkeiten der Primärschuldnerin durchschnittlich im Beurteilungszeitraum getilgt worden sind ("allgemeine Zahlungsquote" im einheitlichen Beurteilungszeitraum).

Eine gleichartige Berechnung ist sodann isoliert für die Abgabenverbindlichkeiten anzustellen: Es sind die in diesem Beurteilungszeitraum getätigten Zahlungen an das Finanzamt den insgesamt zu Beginn dieses Zeitraumes fälligen samt den in diesem Zeitraum fällig gewordenen Abgabenverbindlichkeiten gegenüberzustellen ("Finanzamt-Zahlungsquote" im einheitlichen Beurteilungszeitraum). Diese beträgt im gegenständlichen Fall 0,00 %, da im haftungsrelevanten Zeitraum keinerlei Zahlungen mehr an das Finanzamt erfolgt sind.

Insoweit die Finanzamts-Zahlungsquote niedriger ist als die allgemeine Zahlungsquote (=Differenzquote), liegt eine haftungsrelevante Schlechterbehandlung der Abgabenverbindlichkeiten vor. Die Differenzquote ist mit den insgesamt im Beurteilungszeitraum fällig gewesenen und fällig gewordenen Abgabenschulden zu multiplizieren (Ausnahme Lohnsteuer: 100 %). Daraus ergibt sich die Haftungssumme.

Da im gegenständlichen Fall im haftungsrelevanten Zeitraum ( bis ) keine Zahlungen mehr an das Finanzamt erfolgten, entspricht die Differenzquote der von Ihnen zu ermittelnden allgemeinen Zahlungsquote.

4) Im Hinblick auf die Dauer des anhängigen Verfahrens bzw. den Umstand, dass die Haftungsinanspruchnahme Abgaben aus dem Jahr 2009 betrifft, dürfen die Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten nicht über das Maß des Möglichen und Zumutbaren hinaus überspannt werden, weshalb gegen eine überschlägige Ermittlung der Differenzquote () im gegenständlichen Fall keine Bedenken bestehen.

Die Frist zur Abgabe einer Stellungnahme wurde vom Bundesfinanzgericht wiederholt verlängert. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers teilte dem Bundesfinanzgericht schließlich am mit, dass sich der Beschwerdeführer mit einer Einschränkung der Haftung auf den in der Beilage zum Vorhalt angeführten Betrag von 7.630,82 € einverstanden erklärt habe. Es werde daher keine weitere Urkundenvorlage bzw. Differenzquotenberechnung erfolgen.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den zitierten Aktenteilen und dem Vorbringen des Beschwerdeführers. Hinsichtlich der Frage der Höhe der in den Monaten Februar und März 2009 tatsächlich noch ausbezahlten Löhne und Gehälter folgt das Bundesfinanzgericht den im Vorhalt zitierten Feststellungen im Buchsachverständigengutachten.

Rechtslage und Erwägungen

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 leg. cit. haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Voraussetzung für die Haftung sind eine Abgabenforderung gegen den Vertretenen, die Stellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, dessen Verschulden an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit.

Die haftungsgegenständlichen Abgabenforderungen gegen die Primärschuldnerin waren insofern strittig, als im Beschwerdeverfahren vorgebracht wurde, dass tatsächlich nicht mehr die vollen Löhne und Gehälter für die Monate Februar und März 2009 ausbezahlt worden wären.

Dieser Einwand war berechtigt und wird auch in dem auszugsweise vorgelegten Buchsachverständigengutachten bestätigt, in dem unter anderem festgestellt wurde, dass die haftungsrelevanten Löhne und Gehälter für Februar nur mehr mit 90,73 % und für März nur mehr mit 17,36 % ausbezahlt wurden (siehe dazu eingehend Punkt 1 des Vorhaltes vom , auf den zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird). Die haftungsgegenständlichen Lohnabgaben wurden daher – mit Zustimmung des Finanzamtes – aliquot auf diese Prozentsätze vermindert.

Die Stellung des Beschwerdeführers als verantwortlicher Geschäftsführer der Primärschuldnerin war unstrittig.

Gleiches gilt für die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben bei der Gesellschaft. Das Konkursverfahren wurde nach Verteilung der Quote von nur rund 0,04 % aufgehoben und die Firma der Gesellschaft im Firmenbuch gelöscht. Die Konkursquote wurde bei den haftungsgegenständlichen Abgaben berücksichtigt (vgl. dazu die unwidersprochen gebliebene Feststellung des Finanzamtes in der Berufungsvorentscheidung).

Zur Frage des Vorliegens einer schuldhaften Pflichtverletzung hat bereits das Finanzamt im angefochtenen Bescheid zutreffend darauf hingewiesen, dass die Lohnsteuer vom Gleichbehandlungsgebot ausgenommen ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt bei der Lohnsteuer der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zum Tragen. Aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988, wonach in Fällen, in denen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten ist, ergibt sich nämlich, dass jede vom Geschäftsführer einer GmbH vorgenommene Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende Lohnsteuer ausreichen, eine schuldhafte Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflicht mit den Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 BAO darstellt. Die einbehaltene Lohnsteuer ist zur Gänze zur späteren Abfuhr zu verwenden und unterliegt (auch) bei sich bis zum Abfuhrzeitpunkt geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht dem Gleichbehandlungsgebot. Somit trifft den Vertreter nach § 80 BAO die Verpflichtung, die Lohnsteuer einerseits einzubehalten und andererseits - ungeachtet wirtschaftlicher Schwierigkeiten und des Gleichbehandlungsgebotes - zur Gänze dem Finanzamt zum Fälligkeitstag abzuführen ( mwN).

Hinsichtlich der übrigen haftungsgegenständlichen Abgaben hätte der Beschwerdeführer den Nachweis zu erbringen gehabt, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, zu erbringen. Vermag er nämlich nachzuweisen, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, so haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und der tatsächlich erfolgten Zahlung. Wird dieser Nachweis nicht angetreten, kann dem Vertreter die uneinbringliche Abgabe zur Gänze vorgeschrieben werden. Dem Vertreter obliegt es auch, entsprechende Beweisvorsorgen - etwa durch Erstellung und Aufbewahrung von Ausdrucken - zu treffen. Es ist dem Vertreter, der fällige Abgaben der Gesellschaft nicht oder nicht zur Gänze entrichten kann, schon im Hinblick auf seine mögliche Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger zumutbar, sich - spätestens dann, wenn im Zeitpunkt der Beendigung der Vertretungstätigkeit fällige Abgabenschulden unberichtigt aushaften - jene Informationen zu sichern, die ihm im Falle der Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger die Erfüllung der Darlegungspflicht im oben beschriebenen Sinn ermöglichen ().

Der Beschwerdeführer wurde im Vorhalt des Bundesfinanzgerichtes vom zu einem solchen Nachweis aufgefordert und dabei insbesondere auf die im haftungsrelevanten Zeitraum erfolgte erhebliche Reduktion der Bankverbindlichkeiten hingewiesen (Punkte 2 und 3 des Vorhaltes).

Da vom Beschwerdeführer ein solcher Nachweis nicht erbracht wurde, waren die verbleibenden haftungsgegenständlichen Abgaben im angeführten Ausmaß vorzuschreiben.

Im Falle des Vorliegens einer schuldhaften Pflichtverletzung spricht nach der ständigen Rechtsprechung eine Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung (Ritz, BAO, § 9 Tz 24 mit Judikaturnachweisen). Es wurden keinerlei Gründe vorgebracht, die Anhaltspunkte für einen Ausschluss des Kausal- bzw. des Rechtswidrigkeitszusammenhanges bieten würden; solche sind auch nicht aktenkundig.

Die Geltendmachung der Haftung stellt die letzte Möglichkeit zur Durchsetzung des Abgabenanspruches dar. Der Beschwerdeführer trat der Feststellung des Finanzamtes, dass aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse bzw. künftigen Erwerbsmöglichkeiten nicht von vornherein davon ausgegangen werden könne, dass die Abgabenschulden auch beim ihm uneinbringlich wären, nicht entgegen. Die Geltendmachung der Haftung war daher zweckmäßig. Mit dem Einwand, dass die Geltendmachung der Haftung unbillig sei, da der Beschwerdeführer redlich bemüht gewesen wäre, die fälligen Abgaben zu entrichten, wird keine rechtswidrige Ermessensübung des Finanzamtes aufgezeigt, da das ins Treffen geführte „Bemühen“ des Beschwerdeführers nichts an den oben festgestellten Pflichtverletzungen ändert.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden, wobei bei der Ermittlung der Summe der Abgaben eine Rundungsdifferenz korrigiert wurde, die aufgrund der Verwendung von Microsoft Excel zur Erstellung der Tabelle entstanden ist.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da im gegenständlichen Verfahren die entscheidungsrelevanten Rechtsfragen bereits ausreichend durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt sind, und die Entscheidung von dieser Rechtsprechung nicht abweicht, ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 78 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.5101073.2013

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at