Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.05.2019, RV/7106437/2016

Mittelpunkt der Lebensinteressen im Inland als Voraussetzung für den Bezug der Familienbeihilfe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache Bf, vertreten durch S, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 2/20/21/22 vom , betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum Juni 2015 bis Juni 2016, zu Recht erkannt:  

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (Bf.), geboren am xx.xx.1992 in O, Serbien und Montenegro, lebt seit Juli 2003 in Österreich. Sie war ab Juli 2003 am Wohnsitz ihres Vaters in Wien gemeldet und verfügt seit Juli 2004 über die österreichische Staatsbürgerschaft.

Die Bf. bezog für ihren am xx.xx.2012 geborenen Sohn A und ihre am xx.xx.2015 geborene Tochter I laufend die Familienbeihilfe. Die beiden Kinder sind in Wien geboren und besitzen die österreichische Staatsbürgerschaft.

Im Mai 2016 wurde dem Finanzamt von der Wiener Gebietskrankenkasse (Abteilung für Kinderbetreuungsgeld) mitgeteilt, dass die Bf. am Datum**** September 2015 in Mazedonien die Ehe mit Herrn E, welcher nicht der Kindesvater sei, geschlossen habe. Da die Eheschließung in Mazedonien stattgefunden habe und der Ehegatte in Mazedonien lebe seien Unterlagen zum Nachweis des Lebensmittelpunktes in Österreich angefordert worden. Aus den vorgelegten Unterlagen (Kopien des Reisepasses und der Kontoauszüge der Bf.) ergebe sich, dass sich die Bf. zu folgenden Zeiten in Mazedonien aufgehalten habe: bis , bis , bis , bis , bis , bis , bis .

Demnach liege der Lebensmittelpunkt der Familie in Mazedonien.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom forderte das Finanzamt von der Bf. die von ihr für ihre beiden Kinder im Zeitraum Juni 2015 bis Juni 2016 bezogene Familien­beihilfe und die Kinderabsetzbeträge in Höhe von insgesamt 4.634,40 € gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 iVm § 33 Abs. 3 EStG 1988 zurück. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, der Lebensmittelpunkt der Familie liege in Mazedonien.

Die Bf. erhob gegen den Bescheid vom Beschwerde, in welcher sie Folgendes ausführte:

Das Finanzamt habe in keiner Weise begründet, warum es zur Ansicht, der Lebens­mittelpunkt der Familie liege in Mazedonien, gelange. Richtig sei, dass ihr Ehemann, der Vater der Kinder, in Mazedonien lebe. Er habe einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel eingebracht.

Sie habe ihren Ehemann ca. einmal pro Monat in Mazedonien besucht und sich dort maximal eine Woche aufgehalten. Lediglich im vergangenen Sommer sei sie länger in Mazedonien gewesen. Sie habe dort die Ferien verbracht und auch einmal in Mazedonien beim Bankomaten Geld behoben. Ansonsten gebe es keinerlei Geldbehebungen in Mazedonien. Sie lebe in Österreich. Das Finanzamt verfüge über die Kontoauszüge, aus denen sich ergebe, dass sie in Österreich mit der Bankkarte Einkäufe bezahlt habe. In Österreich seien immer wieder Abbuchungen erfolgt.

Zum Beweis beantrage sie die Einvernahme ihres Vaters.

Sie stelle daher den Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben.

Der Vater der Bf. wurde am im Finanzamt einvernommen und gab laut der hierüber aufgenommenen Niederschrift Folgendes an:

„Meine Tochter T und ihre beiden Kinder leben in meinem Haushalt. Meine Enkelkinder sind in Österreich geboren und besitzen die österreichische Staatsbürgerschaft. Sie leben die überwiegende Zeit des Jahres bei mir und verbringen gelegentlich mit ihrer Mutter Urlaube in Mazedonien. Meine Tochter fährt öfters nach Mazedonien, aber immer nur für ein paar Tage. Die sonstige Zeit lebt sie bei mir. Ich bestätige, dass sich ihr Lebensmittelpunkt in Österreich befindet.“

Mit Beschwerdevorentscheidung vom gab das Finanzamt der Beschwerde teilweise statt. Die Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen wurde auf den Zeitraum Juni 2015 bis März 2016 eingeschränkt.

In der Begründung ist nach Darstellung der Sach- und Rechtslage Folgendes ausgeführt:

Die Behauptung, den Mittelpunkt der Lebensinteressen durchgehend in Österreich zu haben, müsse auch durch objektiv verifizierbare Umstände, die sich in der Gestaltung der individuellen Lebensverhältnisse manifestieren, gestützt werden.

Die Bf. habe bisher in Österreich keinerlei Erwerbseinkommen erzielt, keinen eigen­ständigen Wohnsitz und keines ihrer Kinder besuche bis dato einen Kindergarten. Sie habe mit ihren Kindern im Rückforderungszeitraum bis inklusive März 2016 die überwiegende Zeit in Mazedonien verbracht. Zumindest ein Kindesvater sei Mazedonier. Ihr jetziger Gatte lebe in Mazedonien. Die Ehe mit diesem sei auch in Mazedonien geschlossen worden.

Auf Grund der bestehenden Sachlage sei daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung, wobei nach den Erfahrungen des täglichen Lebens und den logischen Denkgesetzen zu beurteilen ist, ob eine Tatsache als erwiesen anzusehen ist oder nicht, im Rückforderungs­zeitraum bis März 2016 von einem Überwiegen der persönlichen Beziehungen der Bf. zu Mazedonien auszugehen.

Seit April 2016 hielte sich die Bf. mit ihren Kindern durchgehend im Inland auf. Ihr Gatte habe einen Aufenthaltstitel für Österreich beantragt und die Bf. bemühe sich um einen Kindergartenplatz. Dadurch seien die Voraussetzungen für einen Familienbeihilfenbezug ab April 2016 wieder erfüllt.

Die Bf. stellte gegen die Beschwerdevorentscheidung einen Vorlageantrag.

Nach der Aktenlage besucht der Sohn A ab Oktober 2016 einen Kindergarten in Wien.

Laut einer vom Bundesfinanzgericht durchgeführten ZMR-Anfrage war die Bf. nur bis Jänner 2017 am Wohnsitz ihres Vaters in Wien gemeldet. Ab Jänner 2017 sind die Bf., ihre Kinder und ihr Ehegatte an der Adresse 1200 Wien, xxxxxxxxxxxxxx, gemeldet.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minder­jährige Kinder.

Gemäß § 2 Abs. 8 FLAG 1967 haben Personen nur dann Anspruch auf Familien­beihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

Unter persönlichen Beziehungen sind dabei all jene Beziehungen zu verstehen, die jemand aus in seiner Person liegenden Gründen auf Grund der Geburt, der Staats­zugehörigkeit, des Familienstandes und der Betätigungen religiöser und kultureller Art, mit anderen Worten nach allen Umständen, die den eigentlichen Sinn des Lebens aus­machen, an ein bestimmtes Land binden, während den wirtschaftlichen Beziehungen nur eine weiter­gehenden Zwecken dienende Funktion zukommt (vgl. ). Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass die stärkste persönliche Beziehung eines Menschen im Regelfall zu dem Ort besteht, an dem er regelmäßig mit seiner Familie lebt, dass also der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer verheirateten Person regelmäßig am Ort des Aufenthaltes ihrer Familie zu finden sein wird (vgl.  ).

Die Bf., geboren am xx.xx.1992 in Serbien und Montenegro, lebt seit Juli 2003 in Österreich. Sie war ab Juli 2003 am Wohnsitz ihres Vaters in Wien gemeldet und verfügt seit Juli 2004 über die österreichische Staatsbürgerschaft. Ihre beiden Kinder wurden am xx.xx.2012 bzw. xx.xx.2015 in Wien geboren und sind österreichische Staatsbürger. Der Sohn A besucht ab Oktober 2016 einen Kindergarten in Wien. Auch der Vater der Bf. lebt in Wien und besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft.

Seit Jänner 2017 verfügt die Bf. über einen eigenen Wohnsitz in 1200 Wien, xxxxxxxxxxxxxx.

Die Bf. hat zwar im September 2015 in Mazedonien die Ehe mit einem mazedonischen Staatsbürger geschlossen, hat sich jedoch nach den von ihr vorgelegten, in den Finanzamts­akten befindlichen Konto­auszügen nur in den Monaten August und September 2015 längere Zeit in Mazedonien aufgehalten. Nach den vorgelegten Konto­auszügen hat die Bf. im Streit­zeitraum überwiegend in Österreich Geld beim Bankomaten behoben. Geldbehebungen in Mazedonien wurden von ihr nur insgesamt zehnmal (je einmal im Juli und August 2015, achtmal im September 2015) getätigt. Nach der Aktenlage ist daher glaubhaft, dass die Bf. in den übrigen Monaten des Streitzeitraums jeweils nur wenige Tage in Mazedonien verbracht hat. Von einem überwiegenden Aufenthalt der Bf. in Mazedonien kann somit im Streitzeitraum nicht ausgegangen werden.

Der Ehegatte der Bf. hat im Streitzeitraum einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthalts­titels in Österreich gestellt und ist ab Jänner 2017 am Wohnsitz der Bf. in Wien gemeldet.

Die Bf. hat somit die stärksten persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Österreich. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Bf. liegt daher in Österreich.

Der Beschwerde war daher Folge zu geben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Recht­sprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor, da keine Rechtsfrage strittig ist, sondern es um Fragen der Beweiswürdigung geht.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise

ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.7106437.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at