Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.04.2019, RV/7104749/2016

Anspruch der in Bulgarien lebenden haushaltsführenden Großmutter geht Anspruch der in Österreich lebenden Mutter auf Familienbeihilfe bzw. Ausgleichszahlung vor

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache Bf, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe für das Kind P ab September 2015,  zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)zulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (Bf.), ihr Ehegatte und ihre beiden Söhne P (geboren am xx.xx.2000) und N (geboren am xx.xx.2004) sind bulgarische Staatsbürger. Sie leben seit in Österreich. Der Ehegatte ist in Österreich seit als Lager­hilfsarbeiter beschäftigt. Der Sohn N besucht in Wien die Neue Mittelschule. Der Sohn P geht in Bulgarien zur Schule. Er wohnt während der Schulmonate bei seinen Großeltern in Bulgarien und während der Schulferien bei seinen Eltern in Wien.

Die Bf. stellte beim Finanzamt im November 2015 Anträge auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für ihre beiden Söhne ab September 2015.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für den Sohn P ab. Der Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für den Sohn N wurde für den Monat September 2015 abgewiesen. Ab Oktober 2015 wird der Bf. für den Sohn N Familienbeihilfe gewährt. In der Bescheidbegründung ist Folgendes ausgeführt:

Ändern sich zwischen den Mitgliedstaaten während eines Kalendermonats die Rechts­vorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen, hat der Mitgliedstaat, der die Familienleistungen zu Beginn dieses Monats gewährt hat, die Familien­leistungen bis zum Ende dieses Monats auszuzahlen (Art. 59 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit).

Anspruch auf Familienbeihilfe besteht grundsätzlich nur für die Dauer einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit im Inland oder bei Bezug einer Geldleistung infolge dieser Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit. Kein Anspruch besteht jedoch, wenn die Beschäftigung gegen bestehende Vorschriften über die Beschäftigung ausländischer ArbeitnehmerInnen verstößt.

Tätigkeiten, die sich als völlig unwesentlich darstellen, bleiben dabei außer Betracht.

Zu P:

Gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Weder Haushaltszugehörigkeit noch überwiegende Kostentragung wurden, trotz Aufforderung, nachgewiesen.“

Die Bf. erhob gegen den Abweisungsbescheid Beschwerde, in welcher sie ausführte, P wohne bei ihr und ihrem Ehemann im gemeinsamen Haushalt und sie hätten auch die überwiegenden Kosten für seinen Unterhalt getragen.

Der Beschwerde waren eine Meldebestätigung für den Sohn P (Bestätigung über die Meldung des Sohnes am gemeinsamen Hauptwohnsitz in Wien), ein Einkommens­nachweis (Lohnabrechnung) des Ehegatten sowie eine Mitteilung des Arbeits­markt­service über den Bezug von Arbeitslosengeld durch die Bf. angeschlossen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde mit folgender Begründung ab:

„Gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Für die Beurteilung der Haushaltszugehörigkeit ist ausschließlich die Tatsache der Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft von Bedeutung, nicht dagegen das Erziehungsrecht ().

Gemäß § 5 Abs. 3 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 besteht für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten, kein Anspruch auf Familienbeihilfe.

Ein einjähriger Auslandsaufenthalt etwa zum Zwecke eines einjährigen Schulbesuches im Ausland ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes als ständiger Aufenthalt im Ausland anzusehen (vgl. ).

Lt. Aktenlage besucht Ihr Sohn P weiterhin eine Schule in Bulgarien und lebt auch dort im Haushalt seiner Großmutter.

Da in Ihrem Fall das Kind seinen ständigen Aufenthalt in Bulgarien bei der Großmutter hat, besteht gemäß den Bestimmungen des FLAG 1967 kein Anspruch auf die österreichische Familienbeihilfe.

Auf Grund des Anwendungsvorranges von EU-Recht ist jedoch zu prüfen, ob nicht gemäß der EU-Verordnungen Familienbeihilfenzahlungen für dieses Kind zu leisten wären.

Gemäß Artikel 1 Buchstabe i der VERORDNUNG (EG) Nr. 883/2004 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom gilt als Familienangehöriger jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird.

Wird nach diesen anzuwendenden Rechtsvorschriften eine Person nur dann als Familien- oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Versicherten in häuslicher Gemeinschaft lebt (wie auch im § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 bestimmt), so gilt diese Voraussetzung auch dann als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von dem Versicherten bestritten wird.

Da sich das Kind in Bulgarien im Haushalt der Großmutter befindet, ist somit zu prüfen, ob zumindest der Unterhalt von P von Ihnen überwiegend getragen wird.

Mangels Vorliegens von Unterhaltsnachweisen ergingen daher am 22.3. und am zwei Ersuchen um Ergänzung mit folgendem Inhalt:

„Lt. Aktenlage lebt P in Bulgarien im Haushalt der Großmutter!

Sie werden daher ersucht, Ihre monatlichen Unterhaltsleistungen für P ab Oktober 2015 nachzuweisen.“

Trotz dieser Aufforderungen erfolgte bis heute kein entsprechender Nachweis.

Da weder nach den innerstaatlichen, noch nach EU-Rechtsvorschriften ein Anspruch auf Familienleistungen für P besteht, muss Ihre Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.“

Die Bf. stellte gegen die Beschwerdevorentscheidung einen Vorlageantrag, in welchem sie ausführte, das Einkommen ihrer Schwiegereltern in Bulgarien betrage nur ca. 120,00 €. Ihr Ehegatte und sie schickten den Schwiegereltern regelmäßig Geld. Dies erfolge nicht immer durch Banküberweisung, da ihr Sohn die Ferien bei ihnen in Österreich verbringe und Geld nach Bulgarien mitnehme.

Dem Vorlageantrag waren Kopien von Überweisungsbelegen angeschlossen.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gemäß Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt diese Verordnung für die Bf. und deren Kinder, da diese bulgarische Staatsbürger und damit Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union sind. Da aber weiters auch die Mutter der Bf. - wie unten noch näher ausgeführt wird - als Familienangehörige iSd obigen Bestimmungen anzusehen ist, gilt die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auch für sie.

Die Kindesmutter unterliegt aufgrund ihres Arbeitslosengeldbezuges in Österreich gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 den österreichischen Rechts­vorschriften, die Großmutter unterliegt den bulgarischen Rechtsvorschriften.

In diesem Fall werden nach den in Art. 68 der Verordnung normierten Prioritätsregeln die Familienleistungen primär nach den bulgarischen Rechtsvorschriften gewährt; ein Unterschieds­betrag in Höhe der darüber hinausgehenden Familienleistungen ist nach den sekundär anzuwendenden österreichischen Bestimmungen zu gewähren (Differenzzahlungen).

Ein Anspruch auf Differenzzahlungen ist im vorliegenden Fall grundsätzlich gegeben. Zu klären ist lediglich die Frage, ob dieser Anspruch der Kindesmutter zusteht.

Dazu bestimmt Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009:

„Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird.“

Im , Tomislaw Trapkowski, hat der Gerichtshof unter Hinweis auf die Familienbetrachtungsweise (Rn 36) mehrfach betont, dass die Frage, wem der Anspruch auf Differenzzahlungen zusteht, ausschließlich nach den innerstaatlichen (hier also österreichischen) Rechtsvorschriften zu prüfen ist (siehe insbesondere die Rn 38 ff dieser Entscheidung), was sich im Übrigen schon unmiss­ver­ständlich aus dem klaren und unzweideutigen Wortlaut des Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 ergibt. Der EuGH stellte daher fest, dass der Anspruch auf Familienleistung auch einer Person zustehen kann, die nicht in dem Mitgliedsstaat wohnt, der für die Gewährung der Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind (Rn 41).

Das Unionsrecht selbst vermittelt somit keinen originären Anspruch auf nationale Familienleistungen. Es ist nach wie vor Sache der Mitgliedstaaten, wem sie unter welchen Voraussetzungen wie lange Familienleistungen zuerkennen. Das Unionsrecht verlangt allerdings im Allgemeinen, dass diese Zuerkennung diskriminierungsfrei erfolgen muss, und im Besonderen, dass die Familienangehörigen einer Person, die in den Anwendungsbereich der VO 883/2004 fällt, so zu behandeln sind, als hätten alle Familienangehörigen ihren Lebensmittelpunkt in dem Mitgliedstaat, der Familienleistungen gewähren soll (; ; ; ; ; ).

Die nach Art. 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO 987/2009 vorzunehmende Fiktion bewirkt, dass die Wohnsituation auf Grundlage der im Streitzeitraum im anderen EU-Mitgliedstaat gegebenen Verhältnisse (fiktiv) ins Inland übertragen wird. Diese Fiktion besagt aber nur, dass zu unterstellen ist, dass alle Familienangehörigen im zuständigen Mitgliedstaat wohnen. Ob etwa ein gemeinsamer Haushalt besteht, ist dagegen sachverhalts­bezogen festzustellen (; ; ; ; ; ).

Wer von den unionsrechtlich grundsätzlich als anspruchsberechtigte Personen anzusehenden Familienangehörigen tatsächlich primär oder sekundär oder gar keinen Anspruch auf österreichische Familienleistungen hat, ist daher nach nationalem Recht zu beurteilen (; ; ; ).

Nach Art. I Buchstabe i Nummer 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 bezeichnet der Ausdruck „Familienangehöriger“ „jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltszugehöriger bezeichnet wird.“

Gemäß § 2 Abs. 3 FLAG 1967 „sind Kinder einer Person

a) deren Nachkommen,

b) deren Wahlkinder und deren Nachkommen,

c) deren Stiefkinder,

d) deren Pflegekinder (§§ 186 und 186a des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches.“

Aus dem bereits oben zitierten , Tomislaw Trapkowski, geht hervor, dass auch die Frage, welche Personen als Familienangehörige iSd Art. I Buchstabe i Nummer 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 anzusehen sind, nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen ist. Dies ergibt sich aus den Rz 29-31 dieses Urteils:

„29 Wie jedoch das vorlegende Gericht darlegt, steht der Anspruch auf Familienleistungen für ein Kind nach deutschem Recht den mit dem Kind im ersten Grad verwandten Eltern zu, gleich ob sie verheiratet sind oder nicht.

30 Auf dieser Grundlage meint das vorlegende Gericht, das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Kind und seine Mutter seien, was den Anspruch auf Familienleistungen betreffe, als Familienangehörige von Herrn Trapkowski im Sinne des deutschen Rechts anzusehen.

31 Es ist indessen nicht Sache des Gerichtshofs, eine solche Feststellung, die auf das nationale Recht in der Auslegung durch das nationale Gericht gestützt ist, in Frage zu stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil Slanina, C-363/08, EU:C:2009:732, Rn. 27).“

Da der Kindesbegriff des § 2 Abs. 3 FLAG 1967 auch die Großeltern umfasst (lit. a: „deren Nachkommen“), ist im Beschwerdefall die Großmutter als Familienangehörige zu betrachten.

Gemäß § 2 Abs. 1 FLAG 1967 haben Personen unter den in dieser Bestimmung näher angeführten Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder.

Gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein (im Abs. 1 genanntes) Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Gemäß § 2 Abs. 5 FLAG 1967 gehört ein Kind zum Haushalt einer Person dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt.

Gemäß § 7 FLAG 1967 wird Familienbeihilfe für ein Kind nur einer Person gewährt.

§ 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 stellt hinsichtlich des Familienbeihilfenanspruchs primär auf die Haushaltszugehörigkeit mit einem Kind ab und nur subsidiär (§ 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG 1967) darauf, welche Person die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt. Dabei geht das Gesetz erkennbar davon aus, dass ein Kind nur einem Haushalt angehören kann. Einerseits wird gemäß § 7 FLAG 1967 für ein Kind Familien­beihilfe nur einer Person gewährt, andererseits gibt es unter dem Gesichtspunkt „Haus­halts­zugehörigkeit“ keine Regelungen über eine Reihung von potenziell anspruchs­berechtigten Personen, etwa nach der Dauer oder dem Grad der Intensität einer solchen Zugehörigkeit. Lediglich dann, wenn ein Kind dem gemeinsamen Haushalt beider Elternteile angehört, kennt das FLAG einen „Konkurrenzfall“, der in § 2a geregelt ist ( ; ; ).

Die Bedingungen einer Haushaltszugehörigkeit sind in § 2 Abs. 5 FLAG 1967 näher umschrieben. Demnach kommt es ausschließlich auf die einheitliche Wirtschaftsführung mit dem Kind im Rahmen einer Wohngemeinschaft (Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft) an (vgl.  ; ).

Gehört ein Kind zum gemeinsamen Haushalt der Eltern, so geht nach § 2a Abs. 1 FLAG 1967 der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vor. Bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, dass die Mutter den Haushalt überwiegend führt.

Als „ Mutter“ iSd § 2a Abs. 1 FLAG 1967 kommen in Hinblick auf § 2 Abs. 3 FLAG 1967 auch die Großmutter, Wahlmutter, Stiefmutter und Pflegemutter in Betracht (vgl. Nowotny in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 2a Rz 1).

Die Bf. und ihr Ehegatte leben seit September 2015 in Österreich. Ihr Sohn P geht jedoch in Bulgarien zur Schule. Er wohnt während der Schulmonate – und somit die weitaus überwiegende Zeit im Jahr – bei seinen Großeltern in Bulgarien und nur während der Schulferien bei seinen Eltern in Wien.

P lebt demnach den größten Teil des Jahres in Wohn- und Wirtschafts­gemeinschaft mit den Großeltern und gehört somit deren Haushalt an.

Die von der Bf. vorgelegte Meldebestätigung (Bestätigung über die Meldung des Sohnes P am gemeinsamen Hauptwohnsitz in Wien) vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Eine Meldebestätigung stellt lediglich ein - widerlegbares - Indiz für das Bestehen einer Wohn­gemeinschaft dar, ist jedoch nicht geeignet, einen vollen Beweis über die tatsächlichen Verhältnisse (Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft bzw. -zugehörigkeit) zu liefern (vgl. ; Nowotny in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 2 Rz 141).

Der vorrangige Anspruch auf Familienleistungen steht somit bei dem gegebenen Sachverhalt der Mutter der Bf. zu, solange die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach in der Person der Bf. erfüllt sind. Der im Verwaltungsverfahren erörterten Frage der überwiegenden Kostentragung durch die Bf. kommt keine Entscheidungsrelevanz zu.

Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zuletzt ) ist durch die dargestellte Rechtsprechung des EuGH überholt. Die Ansicht des VwGH, dass eine überwiegende Kostentragung eines in Österreich erwerbstätigen Unionsbürgers, die bei bestehender Haushaltszugehörigkeit der Kinder zum anderen Elternteil (bzw. zu einer anderen Person, gegenüber der Kindeseigenschaft gegeben ist) nach dem anzuwendenden innerstaatlichem Recht keine Entscheidungsrelevanz hat, hier doch Voraussetzung für einen Differenzzahlungsanspruch sein soll, findet weder im Unionsrecht noch im innerstaatlichen Recht Deckung. Diese Rechtsansicht führte im Ergebnis regelmäßig zu einer Diskriminierung von Unionsbürgern (der haushalts­führenden Mutter der Bf.) gegenüber inländischen Staatsbürgern.

In diesem Zusammenhang sei nochmals auf das , Tomislaw Trapkowski, verwiesen, in dessen Randziffer 38 der Gerichtshof ausführt:

„Aus Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 in Verbindung mit Art. 60 Abs. 1 der Verordnung Nr. 987/2009 ergibt sich zum einen, dass eine Person Anspruch auf Familienleistungen auch für Familienangehörige erheben kann, die in einem anderen als dem für ihre Gewährung zuständigen Mitgliedstaat wohnen, und zum anderen, dass die Möglichkeit, Familienleistungen zu beantragen, nicht nur den Personen zuerkannt ist, die in dem zu ihrer Gewährung verpflichteten Mitgliedstaat wohnen, sondern auch allen „beteiligten Personen“, die berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben, zu denen die Eltern des Kindes gehören, für das die Leistungen beantragt werden.“

Familienleistungen können daher auch von allen „beteiligten Personen“, die berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben, beantragt werden, wozu nach inner­staatlichem Recht auch die Großmutter, bei der das Kind wohnt, gehört, und die nach innerstaatlichem Recht primären Anspruch auf Familienbeihilfe hat.

Somit wird gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 3 VO 987/2009 das österreichische Finanzamt den von der Kindesmutter gestellten Antrag auf Ausgleichszahlung/Differenzzahlung, wenn und soweit diesem ein Anspruch der haushaltsführenden Großmutter vorgeht, zugunsten des Anspruchs der Großmutter auf österreichische Familienleistungen zu berücksichtigen haben, da diese - wiederum nach innerstaatlichem Recht - iSd Art. 60 Abs. 1 dritter Satz der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 als Elternteil behandelt wird (sh. BFH , III R 68/13 „Zu den 'beteiligten Personen' gehören daher die nach dem nationalen Recht Anspruchsberechtigten“).

Ungeachtet des Umstandes, dass der Antrag der Bf. im Beschwerdefall als Antrag der Großmutter gilt, war dennoch die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, da Partei dieses Verfahrens iSd § 78 BAO nur die Bf. ist und sich daher die Wirkung dieses Erkenntnisses nur auf sie erstreckt (vgl. ).

3. Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da das Erkenntnis von der – wenn auch durch die zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes überholten – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig (vgl. ).

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Art. I VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 2 Abs. 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Verweise

ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.7104749.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at