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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.03.2019, RV/5100113/2012

Stattgabe mangels Einbringlichkeit

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch R in der Beschwerdesache Beschwerdeführer, über die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid der belangten Behörde FA vom zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde stattgegeben. Der Haftungsbescheid vom wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt und Parteienvorbringen
Mit Gesellschaftsvertrag vom wurde die Firma X Handels GmbH gegründet, deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Beschwerdeführer ab war. Mit Beschluss des Landesgerichtes LG vom wurde über das Vermögen der Firma X Handels GmbH das Konkursverfahren eröffnet. Aufgrund des vollstreckbaren Rückstandsausweises des Finanzamtes wurden zunächst Abgabenforderungen in Höhe von 87.914,83 € im Konkursverfahren der Firma X Handels GmbH angemeldet, am erfolgte eine Nachmeldung in Höhe von 8.000,00 €. Mit Beschluss des Landesgerichtes LG vom wurde die Schließung des Unternehmens genehmigt. Am zeigte der Masseverwalter dem Gericht an, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um die Masseforderungen zu erfüllen. Mit Beschluss des Landesgerichtes LG vom wurde der Konkurs mangels Kostendeckung aufgehoben. Mit Beschluss vom wurde die Aufhebung des Konkurses für rechtskräftig erklärt.

Mit Schriftsatz des Finanzamtes vom wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten, dass vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Abgabenverbindlichkeiten der Firma X Handels GmbH in Höhe von 71.954,54 € fällig und nicht entrichtet worden seien. Der Beschwerdeführer wurde im Rahmen des Vorhalteverfahrens ersucht darzulegen, weshalb er nicht dafür Sorge getragen habe, dass die angeführten Abgaben entrichtet würden. Falls vorhandene Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet worden seien, sei dies durch geeignete Unterlagen zu belegen. Falls nicht nachgewiesen werden könne, dass vorhandene Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet worden seien, möge nachgewiesen werden, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers mögen anhand des beiliegenden Fragebogens dargelegt werden.

Mit Schreiben vom gab der Beschwerdeführer bekannt, er werde zum wiederholten Mal Unterlagen vorlegen, welche im gegenständlichen Verfahren relevant seien. Daraus gehe hervor, dass zu keinem Zeitpunkt real Steuerschulden bestanden hätten und die verbuchten Beträge völlig willkürlich festgesetzt worden seien. Als Geschäftsführer habe er nicht dafür Sorge tragen können, dass nicht existente Steuerschulden beglichen würden. Weiters gehe  daraus hervor, dass am von der Buchhaltungsfirma des Beschwerdeführers das Problem einvernehmlich mit Herrn B gelöst worden sei und der tatsächlich offene Betrag von 10.597,28 am selben Tag einbezahlt und am am Konto verbucht worden sei.
Der Beschwerdeführer habe nicht ahnen können, dass nach der vereinbarten Regelung keine USt-Voranmeldungen verbucht würden und sich das Finanzamtskonto nicht ändern würde. Alle Schätzungen inkl. Säumniszuschläge seien aufrecht geblieben und trotz mehrmals eingereichter Erklärungen nicht korrigiert worden. Dies sei rechtswidrig. Der Beschwerdeführer habe keine Handlungen gesetzt, die eine Haftung seinerseits begründen würden.
Dem Schreiben beigelegt wurde eine Schriftsatz der X Handels GmbH an das Finanzamt vom , in welchem vorgeschlagen wurde, dass die UVAs 04/09 bis 03/10 eingereicht würden. Der Rückstand von 89.087,06 € würde seitens des Unternehmens um 77.342,92 € an geschätzter Umsatzsteuer reduziert und die verhängten Säumniszuschläge würden abgezogen. Der verbleibend Rest von 10.597,28 € werde umgehend überwiesen. Es werde um erklärungsgemäße Veranlagung der USt-Voranmeldungen ersucht. In der strittigen Beschäftigungsfrage werde die Sichtweise des Finanzamtes akzeptiert, was jedoch kein Schuldeingeständnis bedeuten würde. Vielmehr werde damit der Wille und das Interesse an einem für beide Seiten tragbaren Kompromiss ausgedrückt und solle ein Weiterbestand des Unternehmens garantiert werden.
Weiters wurde ein Schreiben mit der Überschrift "Sachverhalt Finanzamtsrückstand X" vom vorgelegt, in dem festgehalten wurde, dass das Finanzamt angekündigt habe, Konkursantrag gegen das Unternehmen einzubringen. Trotz der elektronischen Übermittlung seien keine UVAs für 03-12/2009 verbucht worden. Die mündlichen Absprachen anlässlich der Prüfung im Jänner 2010 seien nicht berücksichtigt worden. Daraufhin sei am telefonisch mit dem zuständigen Beamten die beiliegende Vorgangsweise vereinbart und der Betrag von 10.597,28 € überwiesen worden. Bis dato sei keine einzige Buchung erfolgt, der ausgewiesene Saldo werde dem Grunde und der Höhe nach bestritten. Anstelle der ausgewiesenen Verbindlichkeiten würde am Abgabenkonto der X Handels GmbH bei korrekter Verbuchung ein Überschuss von 4.477,74 € aus dem Jahr 2009 und rund 4.300,00 € aus dem Jahr 2010 bestehen.

Seitens der betrieblichen Veranlagung des Finanzamtes wurde am zum Schreiben des Beschwerdeführers vom bekannt gegeben, dass das Abgabenkonto der Firma X Handels GmbH bis November 2009 ausgeglichen gewesen sei. Ein Großteil der nach diesem Zeitraum festgesetzten bzw. angemeldeten Abgaben würde aus Prüfungsfeststellungen resultieren, deren wesentlicher Inhalt die Beschäftigung von nicht angemeldeten Arbeitnehmern bzw. eine massive Verkürzung von Umsatzsteuern gewesen sei. Die auf Basis der Prüfungsfeststellungen erlassenen Bescheide seien bekämpft worden, es sei schon rechtskräftig entschieden worden. Anlässlich einer Besprechung mit dem Beschwerdeführer und einem Vertreter dessen Buchhaltungsfirma am sei vereinbart worden, dass die fehlenden UVAs (ab 09/2009) binnen 1 Monat eingereicht würden. Die sich aus den Prüfungsmaßnahmen ergebenden Nachforderungen würden so weit möglich bis dahin beglichen werden. Es sei weiters vereinbart worden, dass nach diesem Monat eine weitere Besprechung stattfinden werde. Dem Finanzamt würden weitere Anzeigen hinsichtlich der Beschäftigung von Arbeitnehmern vorliegen. Darüber würde im Sinne der Rechtsansicht des Finanzamtes entschieden werden, die Klärung der Rechtslage werde im Rechtsmittelverfahren geklärt werden müssen.
Im Schreiben vom wurde weiters ausgeführt, dass diese Vereinbarung vorerst nicht eingehalten worden sei. Der Betrag von 10.597,28 € sei schließlich überwiesen worden. Die fehlenden UVAs seien nach dem Gespräch vom eingereicht worden, würden aber erheblich von den seitens der BP festgestellten Besteuerungsgrundlagen abweichen. Die nach Bescheiderlassung eingereichten UVAs 04-12/2009 seien als Berufung gewertet und als verspätet zurückgewiesen worden. Die Vorschreibung der Umsatzsteuer 2009 sei daher rechtskräftig. Die Zeiträume 01-03/2010 seien durch Stattgabe der Berufung erklärungsgemäß veranlagt worden. Sämtliche Buchungen am Abgabenkonto würden sich also aus rechtskräftigen Bescheiden bzw. aus Selbstberechnungen ergeben. Wenn der Geschäftsführer nun behaupten würde, er hätte in seiner Funktion als Geschäftsführer keine Handlungen gesetzt, die eine Haftung seinerseits begründen würden, werde sich die Frage ergeben, wer sonst im Fall von nicht erklärten Umsatzgeschäften bzw. im Fall der Beschäftigung von Scheinselbständigen die Verantwortung tragen soll. Selbst wenn eine andere Person in Frage käme, würde es am Geschäftsführer liegen, diese Person namhaft zu machen und seine Behauptungen zu beweisen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom machte das Finanzamt die Haftung für aushaftende Abgabenverbindlichkeiten der Firma X Handels GmbH gegenüber dem Beschwerdeführer in Höhe von 71.954,54 € geltend. Die Abgabenschuldigkeiten wurden wie folgt aufgegliedert:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Abgabenart
Zeitraum
Betrag
Umsatzsteuer
04-08/09
15.437,34
Umsatzsteuer
09/09
10.000,00
Umsatzsteuer
10/09
10.000,00
Lohnsteuer
02/10
89,51
Dienstgeberbeitrag
02/10
146,71
Zuschlag zum DB
02/10
11,74
Säumniszuschlag 1
2009
346,86
Säumniszuschlag 1
2009
200,00
Säumniszuschlag 1
2009
200,00
Umsatzsteuer
11/09
10.000,00
Umsatzsteuer
12/09
10.000,00
Lohnsteuer
03/10
527,71
Dienstgeberbeitrag
03/10
407,24
Zuschlag zum DB
03/10
32,58
Säumniszuschlag 1
2010
200,00
Säumniszuschlag 1
2010
200,00
Körperschaftsteuer
04-06/10
437,00
Lohnsteuer
04/10
704,92
Dienstgeberbeitrag
04/10
463,53
Zuschlag zum DB
04/10
37,08
Umsatzsteuer
04/10
8.038,57
Lohnsteuer
05/10
688,22
Dienstgeberbeitrag
05/10
489,97
Zuschlag zum DB
05/10
39,20
Umsatzsteuer
05/10
524,09
Lohnsteuer
06/10
1.054,43
Dienstgeberbeitrag
06/10
846,18
Zuschlag zum DB
06/10
67,69
Säumniszuschlag 2
2009
163,97
Säumniszuschlag 2
2009
100,00
Säumniszuschlag 2
2009
100,00
Säumniszuschlag 1
2010
200,00
Säumniszuschlag 1
2010
200,00
Summe
 
€ 71.954,54

Begründend wurde nach Wiedergabe der gesetzlichen Grundlagen dargelegt, dass ein Großteil des Rückstandes aus Prüfungsfeststellungen bestehen würde, deren wesentlicher Inhalt die Beschäftigung von nicht angemeldeten Arbeitnehmern bzw. eine massive Umsatzsteuerverkürzung gewesen sei. Die auf Basis der Prüfungsfeststellungen erlassenen Bescheide seien von der Firma X Handels GmbH bekämpft worden, seien jedoch nunmehr rechtskräftig. Sämtliche Buchungen am Abgabenkonto seien daher rechtens und würden sich aus rechtskräftigen Bescheiden bzw. aus selbst errechneten Abgabenansprüchen ergeben, welche nicht entrichtet worden seien.

Nach gewährter Rechtsmittelfristverlängerung wurde mit Schriftsatz vom gegen den Haftungsbescheid vom das Rechtsmittel der Berufung (nunmehr: Beschwerde) eingebracht. Begründend führte der Beschwerdeführer aus, dass keine einzige der ihm vorgeworfenen Handlungen den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen würde. In der Bescheidbegründung werde ein rechtskräftiges Gerichtsurteil mit einem uneingeschränkten Freispruch in Bezug auf nicht angemeldete Arbeitnehmer und Abgabenbetrug ignoriert und so getan, als hätte es dieses Verfahren nie gegeben. Die Schätzungen seien trotz eingereichter Umsatzsteuervoranmeldungen aufrecht erhalten worden. Laut Auskunft der Buchhaltungsfirma seien die Unterlagen vom zuständigen Beamten trotz mündlicher und schriftlicher Vereinbarung wegen Urlaub oder Kuraufenthalt nicht behandelt worden und später sei mit Terminverlust argumentiert worden. Der Beschwerdeführer solle nun für eine niemals existierende Steuerschuld haften, obwohl sein Standpunkt durch ein Gerichtsurteil voll bestätigt worden sei. Es werde daher die Einstellung des Verfahrens beantragt.

Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die Berufung/Beschwerde dem Unabhängigen Finanzsenat vor und beantragte deren Abweisung.

Da die bislang für das Verfahren zuständige Richterin in den Ruhestand versetzt wurde, erfolgte mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom eine Neuzuteilung mit .

Mit Schreiben des Bundesfinanzgerichtes vom wurde die Rechtslage ausführlich dargelegt und der Beschwerdeführer eingeladen, eine Aufstellung vorzulegen, aus der hervorgeht, über welche finanziellen Mittel die Firma X Handels GmbH im Zeitraum zwischen und verfügt hat und wie diese Mittel verwendet wurden. Es wurde darauf hingewiesen, dass ersichtlich sei müsse, welchen Anteil das Finanzamt bei einer Gläubigergleichbehandlung erhalten hätte. Schließlich wurde der Beschwerdeführer ersucht bekannt zu geben, wie hoch sein derzeitiges monatliches Einkommen ist, welche monatlichen Aufwendungen er damit zu begleichen hat, über welche Vermögenswerte er verfügt und wie hoch seine Schulden sind.

Am gibt der Beschwerdeführer telefonisch bekannt, dass er schwer krank sei und keine Unterlagen mehr habe.

Am spricht der Beschwerdeführer persönlich vor und legt eine Bestätigung der Pensionsversicherungsanstalt vor, aus der hervorgeht, dass er eine Invaliditätspension in Höhe von insgesamt 885,47 € (511,78 € Leistung, 421,28 € Ausgleichszulage abzüglich 47,59 € Krankenversicherungsbeitrag) bezieht. Ergänzend gibt der Beschwerdeführer an, dass er bei seinem Bruder lebe und dort auf einer Couch schlafe. Er leide an Krebs, brauche immer Sauerstoff aus einer Flasche (Anmerkung der Richterin: Bei der Vorsprache trug der Beschwerdeführer ein Sauerstoffgerät bei sich).

Die haftungsgegenständlichen Abgaben haften zur Gänze unberichtigt am Abgabenkonto der Firma X Handels GmbH aus.

Beweiswürdigung
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich aus den vorgelegten Akten, dem Parteienvorbringen und den angesprochenen Beschlüssen des Landesgerichtes LG.

Rechtslage
§ 7 BAO (Bundesabgabenordnung) lautet:
"(1) Personen, die nach Abgabenvorschriften für eine Abgabe haften, werden durch Geltendmachung dieser Haftung (§ 224 Abs. 1) zu Gesamtschuldnern.
(2) Persönliche Haftungen (Abs. 1) erstrecken sich auch auf Nebenansprüche (§ 3 Abs. 1 und 2)."

§ 9 Abs. 1 BAO lautet:
"Die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können."

§ 80 Abs. 1 BAO lautet:
"Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden."

§ 224 Abs. 1 BAO lautet:
"Die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten."

§ 20 BAO lautet:
"Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), müssen sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen."

§ 78 Abs. 3 EStG 1988 lautet:
"Reichen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht aus, so hat er die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten.

Zuständigkeit
Mit wurde der Unabhängige Finanzsenat aufgelöst. Die Zuständigkeit zur Weiterführung der mit Ablauf des beim Unabhängigen Finanzsenat anhängigen Verfahren geht auf das Bundesfinanzgericht über (vgl. Artikel 151 Abs. 51 Ziffer 8 B-VG iVm § 1 Bundesfinanzgerichtgesetz). Gemäß § 323 Abs. 38 BAO sind Berufungen und Devolutionsanträge, die am beim Unabhängigen Finanzsenat als Abgabenbehörde zweiter Instanz anhängig waren, vom Bundesfinanzgericht als Beschwerde im Sinne des Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen.
Das gegenständliche Rechtsmittel war am beim Unabhängigen Finanzsenat anhängig und ist daher nunmehr als Beschwerde vom Bundesfinanzgericht zu erledigen.

Rechtliche Erwägungen
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Geltendmachung der Haftung nach § 9 Abs. 1 BAO voraus, dass

  • eine uneinbringliche Abgabenforderung gegen den Vertretenen besteht,

  • die als haftungspflichtige in Frage kommende Person zum Personenkreis der §§ 80 ff BAO gehört,

  • eine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten des Vertretenen vorliegt und

  • die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war.

Die Haftung des § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung, welche die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben bei der Primärschuldnerin im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden voraussetzt. Diese Tatbestandsvoraussetzung ist im Beschwerdefall grundsätzlich gegeben, weil m it Beschluss des Landesgerichtes LG vom über das Vermögen der Firma X Handels GmbH das Konkursverfahren eröffnet worden war. Mit Beschluss des Landesgerichtes LG vom wurde die Schließung des Unternehmens genehmigt. Am zeigte der Masseverwalter dem Gericht an, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um die Masseforderungen zu erfüllen. Mit Beschluss des Landesgerichtes LG vom wurde der Konkurs mangels Kostendeckung aufgehoben. Mit Beschluss vom wurde die Aufhebung des Konkurses für rechtskräftig erklärt. Bei der Primärschuldnerin sind daher die haftungsgegenständlichen Abgaben uneinbringlich.

Die Frage, ob und in welcher Höhe ein Abgabenanspruch objektiv gegeben ist, ist als Vorfrage im Haftungsverfahren nur dann zu beantworten, wenn keine Bindungswirkung auslösender Abgabenbescheid vorangegangen ist. Geht der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung aber kein Abgabenbescheid voran, so gibt es eine solche Bindung nicht (; Fischerlehner, Abgabenverfahren², § 248 Anm 3 Satz 1 und 2).

Im vorliegenden Fall wurde über die der Haftung zugrundeliegenden Abgabenbescheide rechtskräftig entschieden, die diesbezüglichen Bescheide wurden der Primärschuldnerin zugestellt. Eine Beschwerde im Sinne des § 248 BAO nicht eingebracht.

Der Beschwerdeführer war im haftungsgegenständlichen Zeitraum (von bis zur Konkurseröffnung) unbestritten der alleinige Geschäftsführer der Primärschuldnerin. Als solcher hätte er für die Abgabenentrichtung der Gesellschaft zu sorgen gehabt.
Ein Säumniszuschlag in Höhe von 160,77 € in Zusammenhang mit der Umsatzsteuer 04/2010 war erst am , also nach Konkurseröffnung fällig. Für dessen Entrichtung kann der Beschwerdeführer nicht zur Haftung herangezogen werden und war der Beschwerde insofern stattzugeben.

Sind die Uneinbringlichkeit der Abgabenschuldigkeiten und die Vertreterstellung gegeben, so ist es nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Sache des Vertreters, im Rahmen der ihm obliegenden qualifizierten Mitwirkungspflicht darzulegen, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet hat, widrigenfalls angenommen wird, dass die Pflichtverletzung schuldhaft war. Nur der Vertreter wird in der Regel jenen ausreichenden Einblick in die Gebarung des Vertretenen haben, der ihm entsprechende Behauptungen und Nachweise ermöglicht ().

Aufgabe des Geschäftsführers ist es, im Verwaltungsverfahren allfällige Gründe aufzuzeigen, die ihn daran gehindert haben, die Abgabenschulden am oder nach dem Fälligkeitstag zu begleichen. Er hat darzustellen, dass ab dem Zeitpunkt, an welchem die von der Haftungsinanspruchnahme erfassten Abgaben fällig geworden sind, keine Geldmittel der Gesellschaft mehr vorhanden waren. Es hat nicht die Abgabenbehörde das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen, sondern der zur Haftung herangezogenen Geschäftsführer das Fehlen ausreichender Mittel.

Der Vertreter haftet nicht für sämtliche Abgabenschulden des Vertretenen in voller Höhe, sondern nur im Umfang der Kausalität zwischen seiner schuldhaften Pflichtverletzung und dem Entgang der Abgaben. Reichten die liquiden Mittel nicht zur Begleichung sämtlicher Schulden aus und haftet der Vertreter nur deswegen, weil er die Abgabenforderungen nicht wenigstens anteilig befriedigt und den Abgabengläubiger somit benachteiligt hat, dann erstreckt sich die Haftung des Vertreters auch nur auf den Betrag, um den der Abgabengläubiger bei gleichmäßiger Befriedigung aller Forderungen mehr erlangt hätte, als er infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich erhalten hat. Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliegt allerdings dem Vertreter. Weist er nach, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, dann haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und dem tatsächlich bezahlten Betrag. Tritt der Vertreter diesen Nachweis nicht an, dann kann ihm die uneinbringliche Abgabe allerdings zur Gänze vorgeschrieben werden ().

Der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung bezieht sich auch auf Zahlungen, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes erforderlich sind, und kann eine Bevorzugung von Gläubigern auch in der Barzahlung von Wirtschaftsgütern in Form von sogenannten Zug-Um-Zug-Geschäften bestehen. Der vom Vertreter zu erbringende Nachweis der Gleichbehandlung aller Gläubiger hat somit auch die von der Gesellschaft getätigten Zug-Um-Zug-Geschäften zu erfassen ().

Dem Beschwerdeführer wurde die Rechtslage bereits vor Erlassung des gegenständlichen Haftungsbescheides dargelegt und ihm die Möglichkeit eingeräumt, seiner Behauptungs- und Beweispflicht nachzukommen. Diese Möglichkeit hat der Beschwerdeführer nicht genutzt. Mit Schreiben des Gerichtes vom wurde der Beschwerdeführer neuerlich auf seine Nachweispflicht aufmerksam gemacht. Der Beschwerdeführer gab bekannt, dass er über keine Unterlagen mehr verfüge.

Der Beschwerdeführer hat nicht dargelegt, welche finanziellen Mittel der Primärschuldnerin im haftungsgegenständlichen Zeitraum zur Verfügung gestanden sind und wie diese verwendet wurden. Es wurden keine Berechnungen angestellt, welche Quote jeder Gläubiger erhalten hätte, wenn die Mittel auf alle Verbindlichkeiten gleichmäßig verteilt worden wären. Es wurde im gesamten Verfahren lediglich immer wieder darauf hingewiesen, dass trotz eingereichter Umsatzsteuervoranmeldungen an den (unrichtigen) Schätzungen festgehalten worden sei. Dem Beschwerdeführer sei keine Handlung vorwerfbar, die eine Haftungsinanspruchnahme rechtfertigen würde.

Dieses Vorbringen der Unrichtigkeit der Abgabenbescheide vermag der gegenständlichen Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat die nach § 9 BAO erforderliche Verschuldensprüfung von der objektiven Richtigkeit der Abgabenfestsetzung auszugehen ().

Zutreffend ist das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass der Betrag von 10.597,28 € am auf das Abgabenkonto der Primärschuldnerin eingezahlt wurde. Auf dem Konto bestand zu diesem Zeitpunkt ein Rückstand von 89.356,78 €. Die Einzahlung wurde auf den ältesten Rückstand verrechnet (§ 214 Abs. 1 1. Satz BAO). Auf das gegenständliche Verfahren hat dieser Vorgang insofern keinen Einfluss, als die Zahlung mehr als ein Jahr vor der Erlassung des Haftungsbescheides stattfand. Sollte der Beschwerdeführer zum Ausdruck bringen wollen, dass die Verrechnung unrichtig durchgeführt worden sei, so hätte dieser Umstand in einem Verfahren gemäß § 216 BAO (Abrechnungsbescheid) geklärt werden müssen.

Gemäß § 3 Abs. 1 BAO sind Abgaben im Sinn dieses Bundesgesetzes u.a. die Nebenansprüche aller Art. Nach § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können (). Daraus ergibt sich für den gegenständlichen Fall, dass sich die Haftung auch auf die Säumniszuschläge erstreckt.

Von der Beachtung des Gleichbehandlungsgebotes ausgenommen ist die Lohnsteuer. Aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988, wonach in Fällen, in denen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten ist, ergibt sich, dass jede vom Vertreter vorgenommene Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende Lohnsteuer ausreichen, eine schuldhafte Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflichten mit den Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 BAO darstellt ().

Insgesamt gesehen gelangte daher das Verwaltungsgericht zur Ansicht, dass die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben bei der Primärschuldnerin auf ein schuldhaftes Verhalten des Beschwerdeführers zurückzuführen ist. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes spricht bei schuldhafter Pflichtverletzung die Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben (). Das Verwaltungsgerichtshofes gelangte weiters zur Ansicht, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich im gesamten Ausmaß der aushaftenden Abgabenverbindlichkeiten zur Haftung heranzuziehen ist, welche während seiner Geschäftsführertätigkeit fällig geworden sind.

Die im Rahmen des § 224 BAO zu treffende Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO ist innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenze nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff Billigkeit ist dabei die Bedeutung des berechtigten Interesses des Berufungswerbers beizumessen, nicht zur Haftung für Abgaben herangezogen zu werden, deren Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin feststeht und deren Nichtentrichtung durch ihn versursacht worden ist. Dem Gesetzesbegriff Zweckmäßigkeit kommt die Bedeutung öffentliches Interesse an der Einhebung der Abgabe zu. Die Zweckmäßigkeit der Geltendmachung der Haftung liegt daran, dass nur durch diese Maßnahme eine Einbringlichkeit der angeführten Abgaben gegeben ist und nur so dem öffentlichen Interesse an der Erhebung der Abgaben nachgekommen werden kann.

In seinem Erkenntnis vom , 2009/16/0085, hat der Verwaltungsgerichtshof Folgendes ausgesprochen: " Vermögens- und Arbeitslosigkeit des Haftenden stehen in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/13/0197), zumal es eine allfällige (zur Zeit der Erlassung des Haftungsbescheides bestehende) Uneinbringlichkeit beim Haftenden auch nicht ausschließt, dass künftig neu hervorkommendes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben führen können."

Vom Beschwerdeführer wurde aufgezeigt, dass die Haftung wegen seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geltend gemacht werden kann. Der 62jährige Beschwerdeführer ist schwer krank. Er ist vermögenslos und verfügt über kein pfändbares Einkommen. Aufgrund des Alters und des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers ist nicht davon auszugehen, dass er künftig pfändbares Einkommen erzielen wird. Die Einbringlichkeit des Betrages von 71.954,54 € (oder auch nur ein Teil davon) ist angesichts der persönlichen und wirtschaftlichen Situation des Beschwerdeführers gänzlich aussichtslos.

Im Rahmen der gesetzlich vorgesehen Ermessensentscheidung ist daher der gegenständlichen Beschwerde stattzugeben und der angefochtenen Haftungsbescheid aufzuheben.

Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Fall wurde in keiner Rechtsfrage entschieden, der grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zukommt. Das Bundesfinanzgericht orientierte sich bei der zu lösenden Rechtsfrage am eindeutigen Gesetzestext sowie an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 224 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 78 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Verweise
§ 7 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961



ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.5100113.2012

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at