Nichtvorliegen von Wiederaufnahmegründen
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Judith Daniela Herdin-Winter in der Beschwerdesache ***, ***, vertreten durch Attesta Liegenschaftsverwaltung GmbH, Hockegasse 22, 1180 Wien, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 8/16/17 vom , betreffend Wiederaufnahme Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2006 bis 2009 zu Recht:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang:
Beim Beschwerdeführer wurde eine Außenprüfung betreffend Einkommensteuer und Umsatzsteuer für den Zeitraum 2009 durchgeführt.
Der Prüfer traf im Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung gemäß § 150 BAO vom in den Textziffern 2 bis 4 und 5 folgende Feststellungen:
Gemäß den vorgelegten Einnahmen-Ausgaben-Rechnungen seien seit 2006 nur Verluste erwirtschaftet worden. Bei mehreren Besprechungen mit dem steuerlichen Vertreter über dieses Thema, habe dieser angegeben, dass in Zukunft der Ausgabeposten Abschreibung sich auf Null reduzieren werde. Selbst unter Berücksichtigung dieser Angabe sei auch 2009 ein Verlust erwirtschaftet worden.
Mit den bereits getätigten Immobilienverkäufen (***, ***) würden sich die Einnahmen um 2.760 Euro reduzieren. Die derzeit verbleibenden Zinshäuser seien ***, *** und ***.
Gemäß der Besprechung vom mit dem steuerlichen Vertreter, gab dieser an voraussichtlich 2011 wieder "schwarze Zahlen" zu schreiben.
Aufgrund der vorliegenden Fakten (siehe oben) bestünden seitens der Behörde - bei Weiterführung dieser Geschäftsgebahrung - objektiv gesehen ernsthafte Zweifel in naher Zukunft (2011) einen Gewinn erzielen zu können.
All diese Punkte seien ausführlich im Rahmen der Außenprüfung mit dem steuerlichen Vertreter besprochen worden.
Sollte nach dem angekündigten "positiven Ergebnis 2011" wiederum nur ein Verlust erwirtschaftet werden, könne davon ausgegangen werden, dass dieser Betrieb nach diesem Geschäftskonzept keinerlei Gewinn abwerfe.
Aufgrund der obigen Ausführungen würden die künftigen Veranlagungen (ab 2010) sowie die bereits veranlagten Jahre 2006 bis 2009 bis zur endgültigen Beurteilung Liebhaberei ja/nein nach Einlangen der Steuererklärungen 2011 vorläufig erfolgen.
In der Tz 5 wird ein Auszug aus dem Bericht der Bf KG wiedergegeben.
Durch den Einnahmenausfall Top 1-5 sei die Immobilie *** "in die roten Zahlen" gerutscht. Überschuss der Werbungskosten über die Einnahmen 2009 lt. Erklärung -9.878,42.
Auch hier sei zu achten, ob spätere Mietreduzierungen (Miete 2.000,- pro Monat ohne Betriebskosten ab Mai 2011 nur mehr 1.000,- pro Monat) bzw. künftige Mietausfälle einen Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten *** unmöglich machen würden (Liebhabereivermutung).
Betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO führte der Prüfer aus, dass hinsichtlich nachstehender Abgabenarten und Zeiträume Feststellungen getroffen worden seien, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO erforderlich machen würden:
Umsatzsteuer sowie Einkommensteuer 2006 bis 2009, Feststellung Tz 2-4, 5.
Die Wiederaufnahme erfolge unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung und der daraus ergebenden Gesamtauswirkung. Im vorliegenden Fall könnten die steuerlichen Auswirkungen nicht als geringfügig angesehen werden. Bei der im Sinne des § 20 BAO vorgenommenen Interessenabwägung sei dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit (Parteieninteresse an der Rechtskraft) einzuräumen gewesen.
Mit Bescheiden vom wurden die Verfahren betreffend Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2006 bis 2009 unter Bezug auf die abgabenbehördlichen Feststellungen wieder aufgenommen.
Mit Schreiben vom brachte die steuerliche Vertretung dagegen Beschwerde (Berufung) ein. Im Zuge der Schlussbesprechung und auch davor sei das Thema Liebhaberei für die Hausverwaltung (und ansatzweise auch für die Vermietung des ***) erörtert und auch davon gesprochen worden, dass der Beschwerdeführer künftig diesbezüglich unter Beobachtung stehe. Es seien nun aber unter diesem Titel die Steuerbescheide ab 2006 wiederaufgenommen worden, was in den Besprechungen nicht erörtert worden sei. Die Beschwerde (Berufung) wende sich daher gegen die Wiederaufnahme. Unter Verweis auf zu § 303 BAO werde dies damit begründet, dass Verluste der Hausverwaltung stets offen gelegt worden seien und der Behörde daher auch ohne Betriebsprüfung bekannt waren. Es handele sich daher um keine neuen Tatsachen oder Beweismittel, somit fehle ein Wiederaufnahmegrund. Für die Jahre 2005 bis 2007 sei auch bereits eine Betriebsprüfung durchgeführt worden und somit zwei der nunmehr wieder aufgenommenen Jahre bereits einmal komplett überprüft und entsprechend veranlagt worden. Allein aufgrund dieser Tatsache hätte der Beschwerdeführer in der Schlussbesprechung nicht davon ausgehen können, dass eine allfällige Qualifikation als Liebhaberei einer Wiederaufnahme von in der Vergangenheit erlassenen Bescheiden führen würde. Er sei davon ausgegangen, dass dies ab 2010 erfolgen würde.
Mit Beschwerdevorentscheidungen vom bzw. (Begründung) wies die belangte Behörde die Beschwerden als unbegründet ab. In der Begründung führte diese aus, dass im Zuge der nunmehr durchgeführten Betriebsprüfung erstmals festgestellt worden sei, dass u.a. der Hauptmietzins für das Lokal ab 5/2011 auf die Hälfte reduziert worden sei und für den Zeitraum 5-12/2009 auf die Miete verzichtet worden sei. Bei Kenntnis dieses Sachverhaltes wäre es bereits ab 2006 zu einem anders lautenden Spruch im Bescheid gekommen, nämlich - es war zum damaligen Zeitpunkt noch ungewiss ob es je zu einem Totalgewinn kommen wird - zu einem vorläufigen Bescheid.
Mit Schreiben vom ersuchte die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers um Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. Ergänzend zu den in der Beschwerde geäußerten Vorbringen führte diese aus, dass der Rückgang der Einnahmen aus der Hauverwaltung infolge Wegfalls von verwalteten Häusern kein Ereignis sei, dass rückwirkend zu einer anderen Einschätzung führen könne, da auch der Beschwerdeführer im Jahr 2006 nicht gewusst habe, dass dies so sein werde. Er habe aber auf den Einnahmenrückgang reagiert, die Ausgaben angepasst und das Ergebnis 2010 und 2011 sei daher wieder positiv.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Mit Bescheiden vom begründete die belangte Behörde die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2006 bis 2009 inhaltsgleich wie folgt:
"Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte gem. § 303 Abs. 4 BAO aufgrund der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen sind. Daraus ist auch die Begründung für die Abweichungen vom bisherigen im Spruch bezeichneten Bescheid zu ersehen. Die Wiederaufnahme wurde unter Abwägung von Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsgründen (§ 20 BAO) verfügt. Im vorliegenden Fall überwiegt das Interesse an der Rechtsrichtigkeit das Interesse auf Rechtsbeständigkeit. Die steuerlichen Auswirkungen können auch nicht als bloß geringfügig angesehen werden."
Im entsprechenden Prüfbericht führte die belangte Behörde wie folgt aus:
"Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO
Hinsichtlich nachstehender Abgabenarten und Zeiträume wurden Feststellungen getroffen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO erforderlich machen:"
Umsatzsteuer sowie Einkommensteuer 2006 bis 2009, Feststellung Tz 2-4, 5
"Die Wiederaufnahme erfolgt unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung und der daraus ergebenden Gesamtauswirkung. Im vorliegenden Fall können die steuerlichen Auswirkungen nicht als geringfügig angesehen werden. Bei der im Sinne des § 20 BAO vorgenommenen Interessenabwägung war dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit (Parteieninteresse an der Rechtskraft) einzuräumen."
In den Tz 2-4 und 5 erfolgen keinerlei Feststellungen, welche neuen Tatsachen oder Beweismittel in den abgeschlossenen Verfahren betreffend die verfahrensgegenständlichen Jahre 2006 bis 2009 neu hervorgekommen sind deren Kenntnis allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.
2. Beweiswürdigung
Die Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Darüber hinaus wurden auch im bisherigen Beschwerdeverfahren seitens der belangten Behörde keine konkreten Angaben gemacht, welche Tatsachen zu welchem Zeitpunkt betreffend den verfahrensgegenständlichen Zeitraum neu hervorgekommen sein sollten.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
Gemäß der Bestimmung des § 303 Abs. 1 lit. b BAO idF FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, ist die Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens dann zulässig, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte ("Neuerungstatbestand").
Entscheidend ist, ob der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie bereits in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können.
Die Wiederaufnahme auf Grund neu hervorgekommener Tatsachen oder Beweismittel bietet die Möglichkeit, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen; sie dient aber nicht dazu, bloß die Folgen einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung eines offengelegten Sachverhaltes zu beseitigen (vgl. ).
Mit Erkenntnis vom , 96/15/0148, führte der Verwaltungsgerichtshof diesbezüglich unter Hinweis auf sowie die dort zitierte Vorjudikatur aus, dass unter Tatsachen im Sinne des § 303 BAO ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften, zu verstehen seien. Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neuen Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden würden - seien keine Tatsachen.
Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des offengelegt gewesenen Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung - gleichgültig durch welche Umstände veranlasst - ließen sich bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen. Das Hervorkommen neuer Tatsachen und Beweismittel sei allein aus der Sicht des von der zuständigen Behörde geführten konkreten Verfahrens zu beurteilen.
Im gegenständlichen Verfahren hat die belangte Behörde die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommen- und Umsatzsteuer 2006 bis 2009 mit Verweis auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen waren, begründet. Dass ein derartiger Verweis zulässig ist, entspricht ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ).
Dem Prüfungsbericht fehlt jedoch völlig eine klare Darstellung zu welchem Zeitpunkt welche neuen Tatsachen hergekommen sein sollten, die eine Wiederaufnahme der gegenständlichen Verfahren rechtfertigen würden.
Die belangte Behörde verweist in der Begründung der Beschwerdevorentscheidung lediglich darauf, dass im Bericht vom betreffend das Jahr 2009 festgestellt worden sei, dass der Hauptmietzins ab 5/2011 zur Hälfte reduziert worden sei bzw. für den Zeitraum 5-12/2009 auf die Mieteinnahmen verzichtet worden sei. Bei Kenntnis dieses Sachverhaltes wäre es nach der Argumentation der belangten Behörde bereits ab 2006 zu einem anders lautenden Spruch gekommen, nämlich zu einem vorläufigen Bescheid. Damit handelt es sich jedoch um nova producta, dh Umstände, die erst nach Bescheiderlassung entstanden sind, die keine Wiederaufnahme der Vorjahre rechtfertigen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Unzulässigkeit der Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da im vorliegenden Fall entscheidungswesentlich die in freier Beweiswürdigung vorgenommene Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes war, liegen die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung nach Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vor.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2019:RV.7102707.2014 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at