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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 18.06.2019, RV/7103216/2019

Zeitpunkt des Eintritts der dauernden Erwerbsunfähigkeit

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Ri in der Beschwerdesache Bf., vertreten durch Sachwalterin, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 12/13/14 Purkersdorf vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe und erhöhten Familienbeihilfe ab dem  zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Eingabe vom  stellte die Sachwalterin des Bf. den Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe und erhöhten Familienbeihilfe ab dem , wobei begründend auf die schwere psychische Erkrankung des im Jahr x geborenen Bf. hingewiesen wurde.

Mit der Begründung, dass der Bf. zum vorgesehene Untersuchungstermin beim Sozialministeriumservice nicht erschienenen sei, wurde der Antrag des Bf. mit Bescheid vom abgewiesen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vom führte die Sachwalterin des Bf. ins Treffen, dass der Bf. krankheitsbedingt und somit unverschuldet den Untersuchungstermin versäumt habe. Darüberhinaus sei festzuhalten, dass der Bf. ob seines bereits jahrelang andauernden psychischen Zustandes, bzw. auf Grund des Versicherungsdatenauszuges niemals in der Lage gewesen sei einen Beruf auszuüben. 

Aus vorgenannten Gründen sei bereits mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dargetan, dass die Erkrankung des Bf. vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten  und demzufolge die Abweisung des Antrages schon per se nicht rechtens erfolgt sei.

Auf Grund der am beim Sozialministeriumservice erfolgten Untersuchung gelangte die begutachtende Fachärztin für Neurologie in ihrem Gutachten vom zur Überzeugung, dass in Ermangelung der Vorlage ärztlicher Befunde der Bf. seit dem ob Intelligenzminderung einen Behinderungsgrad von 60 v. H aufweise, respektive ab nämliche Zeitpunkt voraussichtlich außer Stande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Den weiteren Ausführungen des Gutachtens ist zu entnehmen, dass die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen weder vor Vollendung des 18., noch des 21. Lebensjahres eingetreten sei.

Mit Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom wurde das Rechtsmittel des Bf. unter Hinweis auf das ärztliche Gutachten abgewiesen.

In dem mit datierten Vorlageantrag verwies die Sachwalterin nochmals auf den Umstand, dass -ungeachtet dessen, dass der Bf. ob psychischer Probleme niemals in der Lage gewesen sei, einer Beschäftigung nachzugehen, im Gutachten des Sozialministeriumservice selbst festgehalten worden sei, dass der Bf. lediglich die Volksschule besucht, respektive drei Monate als Hilfsgärtner gearbeitet habe. Der Bf. habe in der Folge lange bei seiner Mutter gelebt, bzw. sei für diesen wegen Geistesschwäche gerichtlicherseits am ein Beistand bestellt worden.

Nach dem Dafürhalten der Sachwalterin sei aus vorgenannten Fakten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den bereits vor der Vollendung des 21. Lebensjahres erfolgten Eintritts der psychischen Erkrankung des Bf. zu schließen.

Zusammenfassend sei festzuhalten, dass der Bf.in Anbetracht vorstehender Ausführungen zu keinem Zeitpunkt seines Lebens in der Lage gewesen sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und demzufolge ein neuerliches Gutachten durch einen Facharzt der Neurologie und Psychiatrie zu erstellen sowie arbeitspsychologische Tests durchzuführen seien.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Sachverhalt

Der Bf. ist im Jahr x geboren und lebt seit November 2018 in einem in Wien domizilierten Pflegeheim.

Laut Versicherungsdatenauszug bezieht der Bf. seit dem eine Waisenpension.

Aus Anlass des mit datierten Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe und erhöhten Familienbeihilfe durch die dem Bf. seit dem Jänner 2018 beigegebene Sachwalterin fand am eine fachärztliche Untersuchung beim Sozialministeriumservice statt, wobei dem Bf. - in Ermangelung der Vorlage jedweder ärztlicher Befunde - ob Intelligenzminderung ab August 2018 ein Behinderungsgrad von 60 v. H. bzw. eine ab nämlichem Zeitpunkt voraussichtlich dauernde Unfähigkeit sich selbst den Unterhält zu verschaffen attestiert wurde.

Demgegenüber konnte in Ermangelung jeglicher aussagekräftige Nachweise der Eintritt einer dauernden Erwerbsunfähigkeit vor dem 18. bzw. dem 21. Lebensjahr seitens der medizinischen Sachverständigen im vorliegenden Gutachten nicht bestätigt werden.

Zusammenfassend wurde die Erwerbsunfähigkeit des Bf. somit erst ab dem 76. Lebensjahr bescheinigt. 

2. Rechtsgrundlagen

Anspruch auf Familienbeihilfe besteht nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 für Vollwaisen oder diesen nach § 6 Abs. 5 FLAG 1967 gleichgestellte volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. (ab : 25.) Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind. Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen. Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Das Bundesfinanzgericht hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO iVm § 2a BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.

3. Rechtliche Würdigung:

Entscheidend ist im Beschwerdefall, ob der Bf. infolge seiner Erkrankung bereits vor Vollendung des 21. bzw. 25. Lebensjahr in einem Ausmaß behindert war, sodass er schon damals voraussichtlich dauernd außerstande gewesen ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Der Grad der Behinderung ist dagegen ohne Bedeutung (Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 21).

3.1. Dauernde Erwerbsunfähigkeit

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , 2007/15/0019, ausdrücklich auf den klaren Wortlaut des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 in der Fassung BGBl. I Nr. 105/2002 verwiesen. Die bisherige Judikatur, wonach eine mehrjährige berufliche Tätigkeit des Kindes die für den Anspruch auf Familienbeihilfe notwendige Annahme, das Kind sei infolge seiner Behinderung nicht in der Lage gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, widerlege, habe im Rahmen der durch das BGBl. I Nr. 105/2002 geschaffenen neuen Rechtslage (ab ) keinen Anwendungsbereich.

Der Gerichtshof (sh. auch ) bezieht sich dabei offensichtlich auf das Erkenntnis des , in dem der VfGH ausführt, dass sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 6 FLAG ergebe, dass der Gesetzgeber nicht nur die Frage des Grades der Behinderung, sondern (bereits seit 1994) auch die (damit ja in der Regel unmittelbar zusammenhängende) Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt habe, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet werde und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spiele. Dem dürfte die Überlegung zugrunde liegen, dass die Frage, ob eine behinderte Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht schematisch an Hand eines in einem bestimmten Zeitraum erzielten Einkommens, sondern nur unter Berücksichtigung von Art und Grad der Behinderung bzw. der medizinischen Gesamtsituation der betroffenen Person beurteilt werden könne. Damit könne auch berücksichtigt werden, dass gerade von behinderten Personen immer wieder - oft mehrmals - Versuche unternommen werden, sich in das Erwerbsleben einzugliedern, bei denen jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie aus medizinischen Gründen auf längere Sicht zum Scheitern verurteilt sein würden. Der Gesetzgeber habe daher mit gutem Grund die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit jener Institution übertragen, die auch zur Beurteilung des Behinderungsgrades berufen sei. Die Beihilfenbehörden hätten bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und könnten von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich somit der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes angeschlossen; daraus folgt, dass auch das Bundefinanzgericht für seine Entscheidungsfindung das ärztlichen Sachverständigengutachten heranzuziehen hat, sofern dieses als schlüssig anzusehen sind. Es ist also im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens zu überprüfen, ob das erstellte Sachverständigengutachten diesem Kriterium entspricht.

3.2. Schlüssigkeit des Sachverständigengutachten

Einleitend ist festzuhalten, dass die Sachverständigen im Bundessozialamt  bei ihrer Diagnoseerstellung bzw. um den Zeitpunkt des Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit feststellen zu können, neben den Untersuchungsergebnissen und ihrem Fachwissen regelmäßig die von den Antragstellern vorgelegten Befunde heranziehen. Hilfreich sind dabei vor allem "alte" Befunde, Arztbriefe etc., die darauf schließen lassen, dass die Erkrankung bereits vor dem 21. Lebensjahr bzw. dem 25.Lebensjahr während einer schulischen Ausbildung aufgetreten ist; aber derartige Befunde stehen den Sachverständigen erfahrungsgemäß kaum zur Verfügung, vermutlich auch deswegen, weil sich viele Erkrankungen mit zunehmendem Alter verschlechtern und demgemäß ärztliche Hilfe erst später in Anspruch genommen wird. Vorgelegt werden daher häufig Befunde, die kaum älter als drei oder vier Jahre alt sind.

Die Ärzte haben somit medizinische Feststellungen über Zeiträume zu treffen, die oft dreißig Jahre und mehr zurückliegen.

Damit kann aber die vom Gesetzgeber geforderte Feststellung des tatsächlichen Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit eines Antragstellers immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen.

Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes ist im vorliegenden Beschwerdefall das Gutachten ausführlich und schlüssig.

Dieses projiziert - in Ermangelung der Vorlage jedweder ärztlicher Befunde aus der "Vergangenheit" des Bf. - die Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung von 60 % respektive den ab August 2018 bewirkten Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit folgerichtig auf den Zeitpunkt der Untersuchung.

Den Einwendungen der Sachwalterin, wonach aus den Tatsachen, dass der Bf. ob psychischer Erkrankung  zu keinem Zeitpunkt eine Beschäftigung ausgeübt habe, respektive für diesen bereits im Jahr 1979 ein Beistand bestellt worden sei, zu folgern sei, dass der Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres erfolgt sei, ist seitens des Verwaltungsgerichts zu entgegnen, dass die Anführung nämlicher Fakten den, durch ärztliche Befunde zu erbringende Nachweis einer bereits vor dem 21. Lebensjahr eingetretenen Erwerbsunfähigkeit nicht zu ersetzen vermögen.

In Ermangelung des Vorliegens, den Gesundheitszustand bzw. die Erwerbsfähigkeit des Bf. vor dem Jahr y beleuchtender ärztlicher Befunde, ist auch dem mit vorgenannten Einwendungen begründeten Antrag auf neuerliche  Begutachtung des Bf. eine Absage zu erteilen.

Zusammenfassend war daher wie im Spruch zu befinden. 

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine derartige Rechtsfrage liegt im vorliegenden Fall nicht vor, da das BFG der an oberer Stelle zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt. 

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.7103216.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at