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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 20.02.2019, RV/5102127/2015

Einschränkung der Haftung im Rahmen der Ermessensübung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. R in der Beschwerdesache AB, St.Nr. 000/0000, Adresse, vertreten durch C GesmbH, Adresse1, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt FA vom , betreffend Haftung gemäß § 9 iVm § 80 Bundesabgabenordnung (BAO) zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert und die Haftung auf die Lohnsteuer für November 2010 im Betrag von 11.886,09 € eingeschränkt.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (Bf) war laut Firmenbuch seit selbständig vertretungsbefugte handelsrechtliche Geschäftsführerin der B GmbH (Primärschuldnerin). Vor diesem Zeitpunkt – nämlich von bis – vertraten sie und BB die Primärschuldnerin jeweils gemeinsam mit einem weiteren Geschäftsführer oder einem Gesamtprokuristen. Seit war die Bf selbständig vertretungsbefugte Liquidatorin der sich in Abwicklung befindlichen GmbH. Am wurde die Primärschuldnerin infolge beendeter Liquidation im Firmenbuch gelöscht.

Mit Beschluss vom wurde über ihr Vermögen das Konkursverfahren eröffnet. Der Konkurs wurde am nach Schlussverteilung aufgehoben.

Das schuldnerische Unternehmen wurde unmittelbar nach Insolvenzeröffnung geschlossen (Punkt 59 des 4. Berichtes des Masseverwalters).

Mit Haftungsbescheid vom wurde die Bf für aushaftende Abgabenschulden der Primärschuldnerin – nämlich die Lohnsteuer 11/2010 in Höhe von 16.980,13 € - in Anspruch genommen und zur Begründung auf die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 9, 80 ff BAO verwiesen.

Mit Beschluss des Landesgerichtes D vom sei über das Vermögen der B GmbH ein Konkursverfahren eröffnet worden. Der Konkurs sei nach Schlussverteilung der Quote von 12,779 % mit Beschluss vom aufgehoben worden. Die Bf sei seit gemeinsam mit BB Geschäftsführerin dieser Gesellschaft gewesen und auf Grund der Geschäftsverteilung laut ihren Angaben als kaufmännische Geschäftsführerin und Leiterin des Rechnungswesens für die Entrichtung der Abgaben verantwortlich gewesen.

Die Lohnsteuer für November 2010 in Höhe von 19.467,94 € sei nicht zum Fälligkeitstermin entrichtet worden. Die Lohnsteuer für diesen Zeitraum sei daher im Zuge der Lohnsteuerprüfung vom festgesetzt und als Konkursforderung angemeldet worden. Hinsichtlich des Haftungsumfanges sei die zur Verteilung gelangte Quote von 12,779 % zu berücksichtigen.

Die haftungsgegenständliche Lohnsteuer sei vom Gleichbehandlungsgebot ausgenommen. Nach § 78 Abs. 3 EStG 1988 habe nämlich der Arbeitgeber, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten.

Bei Einhaltung der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988 wäre es nicht zum Abgabenausfall gekommen. Die Verletzung der Pflicht nach § 78 Abs. 3 EStG 1988 habe zur Uneinbringlichkeit der Lohnsteuer geführt. Nach den vorliegenden Unterlagen sei von einem Verschulden an der angeführten Pflichtverletzung auszugehen.

Die Geltendmachung der Haftung stelle die letzte Möglichkeit zur Durchsetzung des Abgabenanspruches dar. Das über das Vermögen der Primärschuldnerin eröffnete Insolvenzverfahren sei am - nach Schlussverteilung gemäß § 139 IO - aufgehoben worden. Billigkeitsgründe, die für eine Abstandnahme von der Haftung sprechen würden, lägen nicht vor. Die Einbringlichkeit der Haftungsschuld bei der Primärschuldnerin sei unzweifelhaft nicht gegeben, weshalb die Frage der Einbringlichkeit bei der Haftenden von der Abgabenbehörde bei ihren Zweckmäßigkeitsüberlegungen zu vernachlässigen gewesen sei. Aus diesen Gründen sei die Geltendmachung der Haftung geboten gewesen. Auf den beiliegenden Bescheid an den Masseverwalter im Insolvenzverfahren der Primärschuldnerin und den Bericht über die Lohnsteuerprüfung vom werde hingewiesen.

In der fristgerecht gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wandte die Bf durch ihren steuerlichen Vertreter ein, dass die zeitgerechte Bezahlung der Lohnsteuer für November 2010 unterblieben sei, weil der Grund für die Konkursantragstellung durch die Geschäftsführung ausschließlich darin gelegen gewesen sei, dass um den infolge völlig unerwarteter Stornierungen und/oder Verschiebungen von bereits fix erteilten oder zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in Aussicht gestellten Aufträgen ein plötzliches „Finanzierungsloch“ eingetreten sei. Dieses habe dazu geführt, dass die Zahlungsunfähigkeit mit Februar 2011 zu erwarten gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt seien die Novemberlöhne, auf die sich der Haftungsbescheid beziehe, bereits überwiesen gewesen. Zum Zeitpunkt der Auszahlung habe die Bf noch nicht wissen können, dass sich die Situation innerhalb der darauf folgenden 14 Tage derart verschlechtern würde, dass ihr eine Zahlung der Lohnabgaben infolge fehlender Mittel nicht mehr möglich sein werde. Zum Zeitpunkt der Auszahlung der Novemberlöhne seien noch offene Kreditrahmen zur Verfügung gestanden. Nach ergebnislosen Verhandlungen mit den Banken seien der Geschäftsführerin um den plötzlich keinerlei Mittel mehr zur Verfügung gestanden. Es werde daher beantragt, den Haftungsbescheid ersatzlos aufzuheben.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab.

Nach Wiederholung des Verwaltungsverfahrens führte das Finanzamt begründend aus, den Beschwerdeausführungen sei zu entnehmen, dass die Löhne für November etwa 14 Tage vor Fälligkeit ausbezahlt worden seien. Laut Bericht des Masseverwalters zur allgemeinen Prüfungstagsatzung vom habe die Primärschuldnerin zu dieser Zeit bereits begonnen, infolge von Auftragsstornierungen im Oktober und November 2010 ihre Mitarbeiter freizusetzen. Die in der Beschwerde angeführten Auftragseinbrüche bzw. Stornierungen habe es dem Bericht des Masseverwalters zufolge tatsächlich gegeben, jedoch seien diese nicht, wie die Beschwerde glaubhaft machen wolle, um den , sondern bereits im Herbst 2010 eingetreten. Die materielle Insolvenz der Primärschuldnerin sei nach Ansicht des Masseverwalters längstens im Oktober 2010 eingetreten. Ungeachtet dieser Umstände habe die Bf die Löhne für November ungekürzt ausbezahlt. Auf Grund der Feststellungen im Bericht des Masseverwalters erscheine nicht richtig, dass die in der Beschwerde dargestellte negative Entwicklung der Auftrags- und Finanzlage erst im Zeitraum zwischen Auszahlung der Löhne für November und Fälligkeit der Lohnsteuer eingetreten sei. Die Bf habe die Löhne ausbezahlt, ohne sicherzustellen, dass auch die anfallende Lohnsteuer abgeführt werden könne und in diesem Zusammenhang zumindest fahrlässig gehandelt. Es sei daher von einem Verschulden der Bf an der angeführten Pflichtverletzung auszugehen.

Die Einbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgabe bei der Primärschuldnerin sei unzweifelhaft nicht gegeben. Die Frage der Einbringlichkeit bei der Haftungspflichtigen habe daher bei Ausübung des Ermessens in den Hintergrund treten können. Die Heranziehung der Bf zur Haftung sei somit gerechtfertigt.

Im Vorlageantrag beantragte die Bf durch ihren steuerlichen Vertreter die Entscheidung durch den Senat und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Nachdem am die Verhandlungen über weitere Finanzierungen mit den Banken gescheitert seien, sei am über das Vermögen der Primärschuldnerin der Konkurs eröffnet worden. Mit habe die Geschäftsführerin sämtliche Zahlungen eingestellt (Beweise in Form von Kassabuch- und Bankauszügen seien im laufenden Verfahren bereits vorgelegt worden).

Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen sei, ob der Vertretene die für die Abgabenentrichtung erforderlichen Mittel habe, bestimme sich danach, wann die Abgaben bei Beachtung der abgabenbehördlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wären. Zum Zeitpunkt der Auszahlung der Löhne am habe die Geschäftsführerin noch davon ausgehen müssen, dass es ihr am möglich sein werde, die Lohnsteuer an das Finanzamt zu zahlen. Durch den Abbruch der Bankverhandlungen und die Einstellung der Zahlungen am habe die Lohnsteuer für den Monat November 2010 nicht mehr überwiesen werden können.

Zum Zeitpunkt der Auszahlung der Löhne habe die Bf noch nicht wissen können, dass sich die Situation innerhalb der folgenden 14 Tage - bedingt durch das Scheitern der Bankverhandlungen - derart verschlechtern würde, dass ihr eine Zahlung der Lohnabgaben infolge fehlender Mittel nicht mehr möglich sein werde. Zum Zeitpunkt der Auszahlung der Novemberlöhne seien noch offene Kreditrahmen zur Verfügung gestanden. Nach ergebnislosen Verhandlungen mit den Banken seien der Geschäftsführerin ab dem plötzlich keinerlei Mittel mehr zur Verfügung gestanden.

Die Haftung nach § 9 BAO sei eine reine Ausfallshaftung und dürfe nur subsidiär geltend gemacht werden (Ritz, BAO4, § 9 Tz 4). Somit erst dann, wenn der Ausfall beim Erstschuldner eindeutig feststehe. Voraussetzung sei die objektive Uneinbringlichkeit der gegenständlichen Abgabe.

Die haftungsgegenständliche Lohnsteuer sei nach ständiger Rechtsprechung vom Gleichbehandlungsgrundsatz ausgenommen () und führe damit ähnlich einem Treuhandkonto zu einem Aussonderungsrecht im Konkurs. Damit hätte die Behörde mehr als ein Jahr Zeit gehabt, diese Forderungen bei der Primärschuldnerin geltend zu machen und einzufordern. Nach ständiger Rechtsprechung sei der Insolvenzverwalter ab dem Zeitpunkt der Insolvenzanmeldung gesetzlicher Vertreter des Schuldners. Die Behörde habe trotz gesetzlichem Auftrag (§ 50 BAO) die Abgabenansprüche gegen den Insolvenzverwalter nicht zeitgerecht geltend gemacht. Der Insolvenzverwalter sei bereits mit Bescheid vom - nach Durchführung einer Außenprüfung gemäß § 150 BAO - mit den Abfuhrdifferenzen konfrontiert gewesen. Dem Einwand der Behörde, dass die haftungsgegenständlichen Abgaben bei der Primärschuldnerin nicht einbringlich gewesen seien, sei daher entgegenzuhalten, dass dies bei zeitgerechter Geltendmachung gegenüber der Masse - spätestens bis zur Verteilung am - leicht möglich gewesen wäre. Die Anforderungen des § 9 BAO an eine Inanspruchnahme als Haftender seien nicht erfüllt, da das Finanzamt bei zeitgerechter Geltendmachung der Abgabenschuld bei der Primärschuldnerin die Abgaben problemlos eintreiben hätte können und sowohl dem Verteilungsbeschluss als auch der mittlerweile erfolgten Löschung im Firmenbuch mit Unbedenklichkeitsbescheinigung zugestimmt habe. Sie habe also erst gar nicht versucht, die Abgaben bei der Primärschuldnerin zu betreiben.

Die angefochtene Beschwerdevorentscheidung vom werde daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes ersatzlos aufzuheben sein.

In einem ergänzenden Schriftsatz vom verwies der steuerliche Vertreter darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung für Lohnsteuerausfälle der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu berücksichtigen sei. Begründet werde dies mit dem Hinweis auf § 78 Abs. 3 EStG. Wie im Vorlageantrag erwähnt, sei die Haftung nach § 9 BAO eine Ausfallshaftung, die einem zivilrechtlichen Schadenersatz nachgebildet sei. Haftungsbegründend sei daher ein Schaden, der durch rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Vertreters entstanden sei. Nicht jede Pflichtverletzung begründe eine Haftung, sondern ausschließlich die Verletzung einer abgabenrechtlichen Pflicht.

Die Pflichtverletzung bestehe laut Bescheidbegründung darin, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung im gegenständlichen Fall nicht gelten solle. Dies widerspreche § 28 der Konkursordnung. Durch die Auszahlung der Löhne inklusive der darin enthaltenen Lohnsteuer hätten die Arbeitnehmer verhältnismäßig mehr Entgelt erhalten als die übrigen Gläubiger. Die Abgabenbehörde würde bei bloßem Abstellen auf den tatsächlich zur Auszahlung gelangenden Lohn aus der Ungleichbehandlung anderer Gläubiger profitieren, weil sie die stattgefundene Ungleichbehandlung mit Hinweis auf § 78 Abs. 3 EStG für sich einfordere.

Dass es sich bei Lohnsteuerzahlungen nicht um Geldmittel des Arbeitnehmers handle, sondern um Finanzmittel des späteren Gemeinschuldners oder aus Kreditmitteln, habe der OGH in der Entscheidung 2 Ob 185/03 eindeutig festgestellt. Konsequenterweise bedeute dies aber auch, dass sich aus der faktischen Ungleichbehandlung eines Gläubigers (Arbeitnehmers) durch den Gemeinschuldner ein Recht der übrigen Gläubiger (Finanzbehörde) auf die (faktische) Ungleichheit nicht ableiten lasse.

Rechtsfolge einer derartigen Ungleichbehandlung sei vielmehr die Anfechtbarkeit der jeweiligen Rechtshandlung, damit die Masse wieder um den unrechtmäßig abgeflossenen Betrag für alle Gläubiger aufgefüllt werden könne. Hätte daher der Haftungsverpflichtete die Lohnsteuer über die anteilige Quote hinaus beglichen, hätte er durch die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes im Sinne des § 28 KO schuldhaft gehandelt. Er sei also in dem Dilemma verfangen, gar nicht „richtig“ handeln zu können.

Es werde daher beantragt, den Haftungsbescheid ersatzlos aufzuheben.

Mit Schreiben vom ersuchte die Richterin die Bf im Wesentlichen, nachzuweisen, dass der Auftrag zur vollständigen und fristgerechten Überweisung der Lohnsteuer tatsächlich erteilt worden sei, die Bank die Abfuhr der bei Auszahlung der Löhne einbehaltenen Lohnsteuer aber vereinbarungswidrig verweigert habe. Weiters wäre durch geeignete Unterlagen nachzuweisen, dass sich die Umstände zwischen Auszahlung der Novemberlöhne am und Fälligkeit der Lohnsteuer am unvorhersehbar geändert hätten bzw. dass der bei Zahlung der Novemberlöhne noch offene Kreditrahmen bei Fälligkeit der Lohnsteuer nicht mehr zur Verfügung gestanden sei.

Im Übrigen sei für die Haftung nach § 9 BAO nur die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten von Bedeutung, wogegen in diesem Verfahren nicht zu prüfen sei, ob die Vertreterin insolvenzrechtliche Verpflichtungen verletzt habe.

Die Geltendmachung der Haftung liege im Ermessen der Abgabenbehörde. Im Rahmen des Ermessens sei auch auf das steuerliche Verhalten der Partei sowie auf den Grad des Verschuldens der Vertreterin Bedacht zu nehmen.

Im Beschwerdefall sei dem Abgabenkonto der Gesellschaft zu entnehmen, dass diese ihren abgabenrechtlichen Zahlungspflichten bis Ende September 2010 nachgekommen sei.

Der Masseverwalter habe u.a. festgehalten, dass die Insolvenz überwiegend exogen und nur untergeordnet endogen begründet gewesen sei, die Gesellschaft bis Ende September 2010 voll ausgelastet gewesen sei und bis dahin ein positives Ergebnis erwirtschaftet habe. Durch das unerwartete Wegbrechen eines Großauftrages sei die materielle Insolvenz sehr rasch eingetreten und sei die Schuldnerin zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gezwungen gewesen, obwohl zu keiner Zeit Exekutionsverfahren anhängig gewesen seien.

Auch das Finanzamt habe in einem Aktenvermerk vom festgehalten, dass von keiner Benachteiligung des Finanzamtes auszugehen sei, weshalb nur die nicht entrichtete Lohnsteuer, die vom Gleichbehandlungsgebot ausgenommen sei, für die Geltendmachung der Haftung verblieben sei.

Unter Abwägung all dieser ermessensrelevanten Umstände wäre nach Ansicht der Richterin – vorbehaltlich der Meinung des Senates – eine Einschränkung der Haftung um 30 % sachgerecht.

In Beantwortung dieses Ergänzungsersuchens wies der steuerliche Vertreter der Bf darauf hin, dass die Rechtsprechung des OGH (2 Ob 185/03 und ecolex 2006/49) sowie verschiedene Aufsätze (z.B. Maschke, ZIK 2005, 186 „Lohnsteuerforderung im Konkurs“ oder RA Mag. Dr. Truckenthanner, ÖStZ 2006/340) der Rechtsmeinung der Richterin widersprechen würden. Der Grundsatz der insolvenzrechtlich ausgeprägten Gläubigerbehandlung sei als Ausfluss des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes auch in die Geschäftsführerhaftung nach §§ 9, 80 BAO transportierbar, da der Gleichheitsgrundsatz nur „sachlich gerechtfertigte“ Differenzierungen zulasse (vgl. Walter/Mayer, Bundesverfassungsgesetz, Rz 1347 ff).

Zur Begründung der Geschäftsführerhaftung für Lohnabgaben werde auf § 78 Abs. 3 EStG 1988 verwiesen, der die Pflicht umschreibe, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangten niedrigeren Betrag zu berechnen und zum Fälligkeitsstichtag einzuzahlen, wenn dem Arbeitgeber die Mittel zur Vollauszahlung nicht zur Verfügung stünden. Eine absolute Wirkung der Haftungsvoraussetzungen nach § 9 BAO bei Vollauszahlung der Löhne in einem Zeitpunkt, in dem die Mittel noch ausreichten, um in der Folge auch die Lohnsteuer zu bezahlen, aber zwischen Auszahlungsstichtag der Löhne und Fälligkeit der Lohnsteuer diese Mittel nicht mehr zur Verfügung stünden, gehe in der Literaturmeinung eindeutig zu weit.

Im konkreten Haftungsfall sei ersichtlich und gehe auch aus dem Bericht des Masseverwalters und Konkursantrags hervor, dass die Geschäftsführerin die Zahlungsunfähigkeit mit Ende November erkannt habe und damit ab Anfang Dezember keine Zahlungen gemäß IO leisten durfte bzw. geleistet habe. Die Bank habe die Löhne Ende November noch überwiesen. Zu diesem Zeitpunkt sei bei der Bank noch ein offener Rahmen in Höhe von etwa 100.000,00 € verfügbar gewesen, der für die Bezahlung der Lohnsteuer ausgereicht hätte. Zum Zeitpunkt der Lohnzahlung habe die Geschäftsführerin daher vorgesorgt gehabt bzw. sei der Überzeugung gewesen, dass die Lohnsteuer noch überwiesen werde.

Die Geschäftsführerin habe die überraschend durch einen Auftragsausfall eingetretene Zahlungsunfähigkeit nach einem Gespräch am in der Kanzlei ihres steuerlichen Vertreters in einem anschließenden Telefonat der Bank zur Kenntnis gebracht. Diese habe daraufhin alle Überweisungen und auch den noch verfügbaren Rahmen von etwa 80.000,00 € unverzüglich gesperrt. Durch die Kontosperre sei auch die am fällige Lohnsteuer nicht mehr abgeführt bzw. auch keine weiteren Zahlungen mehr geleistet worden. Die Lohnsteuerzahlung sei ab diesem Zeitpunkt trotz noch verfügbaren Rahmens nicht mehr in der Disposition der Geschäftsführerin gelegen gewesen.

Seitens der Bf liege daher keine Pflichtverletzung im Sinne des § 9 BAO vor, da sie auf Grund der überraschend eingetretenen Zahlungsunfähigkeit über die fällige Zahlung der Lohnsteuer nicht mehr habe disponieren können.

Die Lohnsteuer bzw. der Haftungsbetrag seien auf Grund nachstehender Überlegungen aliquot zu kürzen:

Zur Berechnung der Lohnsteuer (des Haftungsbetrages) für 11/2010 wäre jedenfalls auf die Regelung des § 78 Abs. 3 EStG 1988 Rücksicht zu nehmen. Das bedeute, dass die bei der Netto-Lohnauszahlung zur Verfügung stehenden Mittel zum ursprünglich auch die Zahlung der Lohnsteuer ermöglicht hätten. Würden durch Sperre des Bankkontos die verfügbaren Mittel zur Bezahlung der Lohnsteuer wegfallen, müssten die ausbezahlten Löhne um die nicht bezahlte Lohnsteuer gekürzt werden und hätte dieser Kürzungsbetrag, bei Kenntnis dieses Wegfalls im Zeitpunkt der Lohnauszahlung, auch die Bemessungsgrundlage für die Lohnsteuer reduziert.

Hätte daher die Bf am bereits erkennen können, dass die Lohnsteuer in Höhe von 19.467,94 € aus dem zu diesem Zeitpunkt noch offen Rahmen der Bank nicht mehr bezahlt werde, hätte sie die Lohnauszahlung 11/2010 um diesen Betrag reduzieren müssen, was zu einer wesentlichen Reduktion der dann fälligen Lohnsteuer und damit des Haftungsbetrages geführt hätte.

Im Hinblick auf die lange Verfahrensdauer und den geschilderten und noch ergänzten Sachverhalt werde daher eine Kürzung des Haftungsbetrages von 16.980,13 € um 50 % vorgeschlagen.

Im Zuge eines Telefonates ersuchte die Richterin den steuerlichen Vertreter der Bf, einen Nachweis bzw. entsprechenden Schriftverkehr mit der Bank beizubringen, dass diese den Kontorahmen zwischen Auszahlung der Löhne und Fälligkeit der Lohnsteuer gesperrt habe.

Der steuerliche Vertreter teilte dazu mit Eingabe vom mit, dass er mit der Bf und der Bank Rücksprache gehalten habe. Eine Bankbestätigung sei nach beinahe zehn Jahren nicht mehr möglich und werde seitens der Bank auch nicht ausgestellt, da teilweise die handelnden Personen nicht mehr vorhanden seien und durch die Insolvenz mit der Bank kein besonders gutes Verhältnis bestehe.

Zum Nachweis der nicht mehr möglichen Disposition der Geschäftsführerin zur Überweisung der Lohnsteuer werde auf die beiliegenden Unterlagen verwiesen:

1) Der Kontokorrentrahmen laut Kreditvertrag habe 500.000,00 € betragen.

2) Ein Kontoblatt des Kreditkontos liege bei.

3) Zum Stichtag 15.12. habe der Kontensaldo 486.335,47 € und der Rahmen 500.000,00 € betragen.

4) Die Bank habe am 16.12. nach dem Eingang einer Kundenzahlung von 20.000,00 € und einer Erstattung der Urlaubskasse noch einige Überweisungen durchgeführt, die Lohnsteuer aber nicht mehr überwiesen.

5) Ab diesem Zeitpunkt gebe es noch einige Eingänge und Zug-um-Zug-Geschäfte, aber keine weitere Ausnutzung des Rahmens mehr.

Wie aus dem beiliegendem Kontoblatt ersichtlich sei, habe die Bank am die Löhne in Höhe von 46.500,00 € überwiesen und habe der Kontostand nach verschiedenen Eingängen zu diesem Zeitpunkt  465.147,83 € betragen (siehe beiliegendes Kontoblatt). Zum vereinbarten Rahmen sei zu diesem Zeitpunkt ein verfügbarer Betrag von etwa € 35.000,00 € vorhanden gewesen. Wie bereits am ausgeführt, habe die GmbH am einen Kontostand von 418.558,61 € und damit noch einen freien Rahmen von etwa 80.000,00 € gehabt. Für die Geschäftsführerin sei nicht absehbar gewesen, dass die Bank die Überweisung der Lohnsteuer nicht mehr durchführen werde. Wie bereits angeführt, habe sie am 15.12. nicht mehr über den Rahmen verfügen können bzw. habe die Bank nach „eigenem Ermessen“ Überweisungen durchgeführt.

Weitere Unterlagen bzw. Nachweise seien nach der langen Zeit seit 2010 leider nicht mehr verfügbar.

Nach einem weiteren Telefonat mit der Richterin zog die Bf durch ihren steuerlichen Vertreter die Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Entscheidung durch den Senat zurück und erklärte sich mit einer Reduzierung des Haftungsbetrages um 30 % im Rahmen des Ermessens einverstanden.

Auch der Amtsvertreter äußerte gegen die in Aussicht gestellte Würdigung des vorliegenden Sachverhaltes bzw. gegen die beabsichtigte Ermessensübung keine Bedenken.

Rechtslage

Nach § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Nach § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Haftungsvoraussetzungen sind demnach eine Abgabenforderung gegen den Vertretenen, die Stellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, dessen Verschulden an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit.

Für das tatbestandsmäßige Verschulden im Sinne des § 9 BAO ist keine bestimmte Schuldform gefordert; leicht fahrlässiges Handeln oder Unterlassen des Vertreters reichen aus (Ritz, BAO6, § 9 Tz 18).

Bei Selbstbemessungsabgaben (z.B. Lohnsteuer) ist entscheidend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären; maßgebend ist daher der Zeitpunkt ihrer Fälligkeit, unabhängig davon, ob bzw. wann die Abgaben bescheidmäßig festgesetzt werden (Ritz, BAO6, § 9 Tz 10).

Führt ein Geschäftsführer als Vertreter der Gesellschaft daher geschuldete Abgaben nicht spätestens zum Fälligkeitstag ab, liegt eine objektive Verletzung der den Geschäftsführer treffenden abgabenrechtlichen Pflichten vor. Haftungsbegründend kann sich diese Pflichtverletzung (unter der Voraussetzung der erschwerten Einbringlichkeit beim Abgabenschuldner) allerdings nur dann auswirken, wenn dem Geschäftsführer an der Pflichtverletzung auch ein Verschulden in Form eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Handelns oder Unterlassens anzulasten ist.

Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung zur Uneinbringlichkeit geführt hat ().

Die Verpflichtung eines Vertreters nach § 80 BAO geht hinsichtlich der Lohnsteuer über das Gebot der gleichmäßigen Behandlung aller Schulden (bzw. aller Gläubiger) hinaus; die Lohnsteuer ist daher – ungeachtet des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller andrängenden Gläubiger – zur Gänze zu entrichten. Die Nichtabfuhr von Lohnsteuer, die auf den ausbezahlten Arbeitslohn entfällt, kann nicht mit dem Fehlen ausreichender Mittel gerechtfertigt werden.

§ 78 Abs. 3 EStG 1988 lautet: „Reichen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht aus, so hat er die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten.“

Stehen nur mehr beschränkte Mittel zur Verfügung bzw. führt die Hausbank nur mehr eingeschränkt Überweisungen für Lohnzahlungen durch, muss die Lohnzahlung so weit reduziert werden, dass mit den vorhandenen bzw. freigegebenen Mitteln auch noch die auf diese eingeschränkte Lohnzahlung entfallende Lohnsteuer einbehalten und abgeführt werden kann.

§ 78 verpflichtet den Arbeitgeber, bei jeder Lohnzahlung, also im Zeitpunkt des Zuflusses an den Arbeitnehmer, Lohnsteuer einzubehalten (Jakom/Lenneis EStG, 2018, § 78 Rz 1, mit Verweis auf ).

Nach § 79 Abs. 1 EStG 1988 hat der Arbeitgeber die gesamte Lohnsteuer, die in einem Kalendermonat einzubehalten war, spätestens am 15. Tag nach Ablauf des Kalendermonates in einem Betrag an das Finanzamt der Betriebsstätte abzuführen.

Nach § 82 EStG 1988 haftet der Arbeitgeber dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der vom Arbeitslohn einzubehaltenden Lohnsteuer.

Die Lohnsteuer ist eine vom Arbeitnehmer geschuldete und vom Arbeitgeber einbehaltene Abgabe (§ 83 Abs. 1 EStG 1988); hindern Zahlungsschwierigkeiten die Gesellschaft nicht, Löhne zu zahlen, dürfen die Zahlungsschwierigkeiten die Gesellschaft auch nicht hindern, die darauf entfallende Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen.

Wäre die Lohnsteuer unter Berücksichtigung der (ohnedies) zur Verfügung stehenden Mittel ordnungsgemäß einbehalten und abgeführt worden, hätte ein uneinbringlicher Rückstand an Lohnsteuer erst gar nicht entstehen können. Eine Verschuldensentkräftigung ist aus dieser Sicht logisch ausgeschlossen (vgl. Stoll, BAO, 129).

Reichen die dem Geschäftsführer zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende Lohnsteuer aus und zahlt er dennoch die Arbeitslöhne in voller Höhe aus, stellt das ein schuldhaftes Verletzen seiner abgabenrechtlichen Pflichten mit den Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 BAO dar ().

Für die Haftung nach § 9 BAO ist nur die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten von Bedeutung. Im Haftungsverfahren ist daher nicht zu prüfen, ob insolvenzrechtliche Pflichten verletzt worden sind und ob bzw. inwieweit die vom Vertreter geleisteten Zahlungen nach den Bestimmungen der Insolvenzordnung wegen Gläubigerbegünstigung anfechtbar gewesen wären. Die Leistung einer anfechtbaren Zahlung führt für sich alleine noch nicht zum gleichen wirtschaftlichen Ergebnis wie die Unterlassung der Zahlung. Die Frage der Unwirksamkeit bzw. Anfechtbarkeit von Zahlungen nach den Bestimmungen der Insolvenzordnung ist ausschließlich im Insolvenzverfahren zu prüfen (). Die im Abgabenverfahren zu prüfende Frage, ob der Abgabengläubiger gegenüber anderen Gläubigern nicht benachteiligt wurde, bleibt davon unberührt ().

Daher wird der Geschäftsführer weder von seiner Verpflichtung zur Gleichbehandlung aller Gläubiger, noch von seiner - bei sonstiger Haftung bestehenden - diesbezüglichen Nachweispflicht durch den Einwand befreit, er hätte eine anfechtbare Zahlung an den Abgabengläubiger zu leisten gehabt. Ob bzw. inwieweit von den Vertretern geleistete Zahlungen nach den Bestimmungen der Insolvenzordnung wegen Begünstigung von Gläubigern rechtsunwirksam bzw. anfechtbar gewesen wären, kann im Haftungsverfahren daher dahingestellt bleiben ().

Der Verwaltungsgerichtshof stellte erst jüngst klar, dass auch bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach Auszahlung der Löhne und vor Fälligkeit der Lohnsteuer die einbehaltene Lohnsteuer abzuführen ist ().

Eine andere Betrachtung wäre nur dann geboten, wenn eine überraschende Sperre des Bankkontos der Gesellschaft zwischen Auszahlung der vollen vereinbarten Arbeitslöhne und der Abfuhr der darauf entfallenden, bei Auszahlung der Arbeitslöhne einbehaltenen Lohnsteuer eingetreten wäre (; ).

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung. Voraussetzung ist die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden. Uneinbringlichkeit liegt vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären.

Bei Inanspruchnahme der Haftung des Vertreters einer juristischen Person kommt es nicht darauf an, ob die Abgabenbehörde Exekutionsmaßnahmen zur Hereinbringung der offenen Abgabenforderungen setzt oder gesetzt hat, sondern nur darauf, dass die Abgabenforderungen uneinbringlich geworden sind und dies die Folge der schuldhaften Verletzung der dem Vertreter auferlegten Pflichten ist.

Die Einbringung einer möglichen Insolvenzquote vom Primärschuldner ist zu berücksichtigen (Ritz, BAO6, § 9 Tz 4 ff).

Der in § 9 BAO genannte Vertreter kann so lange nicht in Anspruch genommen werden, als ein Ausfall beim Erstschuldner nicht eindeutig feststeht. Nach Abschluss des Konkurses ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass der in der Konkursquote nicht mehr Deckung findende Teil der Abgabenforderungen bei der Gesellschaft uneinbringlich ist ().

Ob die Abgabenschulden im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit einbringlich gewesen wären, ist dagegen unerheblich ().

Die Heranziehung zur Haftung ist eine Ermessensentscheidung. Nach § 20 BAO sind Ermessensentscheidungen nicht nur nach Zweckmäßigkeit (= öffentliches Interesse, insbesondere an der Einbringung der Abgaben), sondern auch nach Billigkeit (= Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei) zu treffen.

Die Zweckmäßigkeit der Geltendmachung der Haftung liegt vor allem darin, dass nur durch diese Maßnahme überhaupt eine zumindest teilweise Einbringlichkeit der betreffenden Abgabe gegeben ist und nur so dem öffentlichen Interesse an der Abgabenerhebung nachgekommen werden kann.

Selbst wenn auf Grund der derzeitigen wirtschaftlichen Situation des Haftungspflichtigen die Abgaben erschwert einbringlich wären, ließe sich daraus eine Unzumutbarkeit der Haftungsinanspruchnahme nicht ableiten, weil die Haftung nicht nur bis zur Höhe der aktuellen Einkünfte oder des aktuellen Vermögens geltend gemacht werden darf ().

Im Rahmen der Billigkeit ist auch auf das steuerliche Verhalten der Partei (Ritz, BAO6, § 20 Tz 7) sowie auf den Grad des Verschuldens des Vertreters (Ritz, BAO6, § 9 Tz 28) Bedacht zu nehmen.

Das Ermessen der Abgabenbehörde bzw. des Gerichts umfasst auch das Ausmaß der Heranziehung zur Haftung innerhalb des vom Gesetz vorgegebenen Rahmens. Die Erfüllung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 9 BAO bedeutet daher nicht, dass in jedem Fall nur eine 100%-ige Haftung des Vertreters in Frage kommt.

Das Ausmaß des Vertreterverschuldens ist zwar bei der Prüfung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Haftungsinanspruchnahme nicht zu quantifizieren, da eine bestimmte Schuldform nicht gefordert wird und auch leichte Fahrlässigkeit genügt (Ritz, BAO6, § 9 Tz 18). Im Rahmen der Ermessensübung kann jedoch das Ausmaß des Verschuldens bei der Bestimmung des Haftungsumfanges Berücksichtigung finden. Es wäre nämlich sachlich nicht gerechtfertigt, eine vorsätzliche Nichtentrichtung von Abgabenschulden mit Fällen gleichzusetzen, in denen dem Vertreter nur ein minderer Grad des Versehens zur Last liegt.

Erwägungen

Unstrittig war, dass die Bf für die kaufmännischen Belange der Primärschuldnerin zuständig und Leiterin des Rechnungswesens war, während der zweite Geschäftsführer für die Wahrnehmung der technischen Angelegenheiten, die operative Umsetzung des Tagesgeschäftes und die Bauleitung verantwortlich war (vgl. Aktenvermerk des Finanzamtes im so genannten „b-Verfahren“ vom )

Nicht strittig war ferner, dass die Primärschuldnerin zwar die Löhne 11/2010 ausbezahlt, die darauf entfallende Lohnsteuer aber nicht mehr ans Finanzamt abgeführt hatte.

Eine Einsicht in das Abgabenkonto der Primärschuldnerin zeigte, dass die haftungsgegenständliche Lohnsteuer 11/2010 in Höhe von 19.467,94 € zum Fälligkeitstag nicht gemeldet worden war; diese wurde  vielmehr erst am nach Abschluss einer Außenprüfung verbucht und haftet derzeit noch mit dem im Haftungsbescheid geltend gemachten Betrag von 16.980,13 € offen aus.

Zur Uneinbringlichkeit der Lohnsteuer wandte die Bf durch ihre steuerliche Vertretung ein, dass das Finanzamt bei zeitgerechter Geltendmachung der Abgabenschuld bei der Primärschuldnerin die Abgaben problemlos hätte eintreiben bzw. gegenüber der Masse geltend machen können. Das Finanzamt habe erst gar nicht versucht, die Abgaben bei der Primärschuldnerin einzutreiben.

Dem war zu entgegnen, dass, wie o.a., bei Beurteilung der Uneinbringlichkeit der Lohnsteuer 11/2010 auf den Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides abzustellen ist. Zu diesem Zeitpunkt war das Konkursverfahren abgeschlossen, die Quote ausgeschüttet und das Unternehmen der Primärschuldnerin längst geschlossen (laut 4. Bericht des Masseverwalters, Punkt 59, erfolgte die Schließung unmittelbar nach Insolvenzeröffnung).

Die Uneinbringlichkeit der die ausgeschüttete Quote übersteigenden, nicht abgedeckten Lohnsteuer bei der Primärschuldnerin stand daher fest.

Die Frage, inwieweit Zahlungen nach den Bestimmungen der Insolvenzordnung unwirksam oder anfechtbar gewesen wären oder nicht, war nicht im Haftungsverfahren, sondern nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausschließlich im Insolvenzverfahren zu prüfen.

Das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten der Bf bestand darin, die Löhne für November 2010 zwar noch ausbezahlt, die darauf entfallende Lohnsteuer aber nicht mehr abgeführt zu haben.

Den entscheidenden Nachweis, dass sie die Bank mit der Überweisung der Lohnabgaben 11/2010 zwar noch beauftragt, diese aber die Überweisung (trotz Bestehens eines ausreichenden Rahmens) auf Grund einer nicht vorhersehbaren Sperre des Bankkontos auftragswidrig nicht mehr durchgeführt hätte, vermochte die Bf nicht zu erbringen.

Nach Ansicht des Masseverwalters trat die materielle Insolvenz längstens im Oktober 2010 ein (Punkt 20 des Berichts). Dieser Umstand sprach gegen das Vorbringen der Bf, die Bank habe trotz der beauftragten Lohnsteuerüberweisung zur Fälligkeit am diese für sie unvorhersehbar nicht durchgeführt.

Im Übrigen hatten die Ausführungen im Punkt „aliquote Kürzung der Lohnsteuer bzw. des Haftungsbetrages“ in der Eingabe vom zu einem bloß hypothetischen Sachverhalt bei Prüfung  der Tatbestandsvoraussetzungen für die Inanspruchnahme der Haftung dem Grunde und der Höhe nach außer Ansatz zu bleiben.

Hätte die Bf die Lohnsteuer bei Auszahlung der Löhne einbehalten und bei Fälligkeit ans Finanzamt abgeführt, wäre der Abgabenausfall nicht eingetreten; die schuldhafte Pflichtverletzung war daher auch ursächlich für den Abgabenausfall.

Die Geltendmachung der Haftung liegt im Ermessen der Abgabenbehörde.

Im Beschwerdefall war dem Abgabenkonto der Gesellschaft zu entnehmen, dass diese ihren abgabenrechtlichen Zahlungspflichten bis Ende September 2010 nachgekommen ist.

In seinem 4. Bericht hielt der Masseverwalter fest, dass die Insolvenz überwiegend exogen und nur untergeordnet endogen begründet, die Gesellschaft bis Ende September 2010 voll ausgelastet gewesen sei und bis dahin ein positives Ergebnis erwirtschaftet habe. Durch das unerwartete Wegbrechen eines Großauftrages sei die materielle Insolvenz sehr rasch eingetreten und sei die Schuldnerin zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gezwungen gewesen, obwohl zu keiner Zeit Exekutionsverfahren anhängig gewesen seien.

Nach Ansicht des Masseverwalters lagen auch keine erkennbaren Anhaltspunkte für eine Geschäftsführerhaftung vor, wenngleich er einräumte, dass die Prüfung noch nicht abgeschlossen sei.

Auch das Finanzamt hielt in einem Aktenvermerk vom fest, dass von keiner Benachteiligung des Finanzamtes auszugehen sei, weshalb nur die nicht entrichtete Lohnsteuer, die, wie o.a., vom Gleichbehandlungsgebot ausgenommen ist, für die Geltendmachung der Haftung verblieb.

Unter Abwägung all dieser ermessensrelevanten Umstände war nach Ansicht der Richterin eine Einschränkung der Haftung um 30 % auf 11.886,09 € sachgerecht und der Beschwerde daher teilweise stattzugeben.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gegen dieses Erkenntnis ist die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig, da die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG abhing und die Entscheidung nicht von der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abwich.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.5102127.2015

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at