Mittelpunkt der Lebensinteressen einer alleinerziehenden Mutter
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache Bf. über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom betreffend Rückforderung zu Unrecht bezogener Beträge an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für das Kind K. für den Zeitraum August 2015 bis Jänner 2017 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO - wie mit Beschwerdevorentscheidung vom - teilweise Folge gegeben.
Hinsichtlich der Monate August und September 2015 wird d er angefochtene Bescheid aufgehoben.
Im Übrigen, sohin hinsichtlich des Zeitraumes von Oktober 2015 bis Jänner 2017, wird die Beschwerde gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Mit Bescheid vom erfolgte die Rückforderung zu Unrecht von der Beschwerdeführerin (Bf.) bezogener Beträge an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag im nachstehenden Ausmaß:
Sohn K. Zeitraum Aug. 2015 – Jän. 2017
Dies mit folgender Begründung:
Gemäß § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Da Sie und Ihr Kind nicht in Österreich leben, ist Österreich auch nicht für die Zahlung der Familienbeihilfe zuständig!
Die Beschwerde wurde wie folgt eingebracht:
Ich wurde im Sommer 2015 in den Niederlanden angestellt. Ich habe meinen Hauptwohnsitz in Wien nie aufgegeben und habe die Strom/Wasser/Gas Rechnungen meiner Wohnung ...gasse... nie aufgehört zu zahlen. Anfangs (Juli 2015) habe ich noch gedacht dass ich zwischen Wien und Holland pendeln könnte, das wurde aber unhaltbar. Ich habe daraufhin meinen Sohn im Oktober 2015 hier in die Deutschen Internationalen Schule Den Haag eingeschult. Wir waren fast jede Feiertage und Ferien in Österreich. Ich habe meine SVA Versicherung in Österreich im Oktober gekündigt, in keinem Augenblick wurde mir gesagt dass ich keinen Anspruch auf FB und KG mehr habe. Im Gegenteil, da es hier keine Familienbeihilfe und KG gibt, und wir österreichische Staatsbürger sind, sollte ich doch Anspruch auf diese Bezüge haben.
Ich bitte Sie ab sofort die FB und KG Zahlungen für meinen Sohn einzustellen. Ich würde Sie aber auch bitten ihr Urteil zu revidieren.
Mein Vertrag in den Niederlanden läuft am aus, und ich ziehe wieder nach Wien in meine Wohnung (siehe Adresse oben). Ich bin zwar dann noch in keinem neuen Arbeitsverhältnis, ich sollte aber dann wieder Anspruch auf FB und KG haben.
Ich kann Ihnen auch den Rückforderungsbetrag ([Abgabenkontonummer]) zZt. nicht bezahlen.
Am erließ das Finanzamt eine teilweise stattgebende Beschwerdevorentscheidung und begründete diese nach Zitierung des § 2 Abs. 8 FLAG 1967 wie folgt:
Eine Person hat den Mittelpunkt der Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.
Bei der Beurteilung, ob eine Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet hat, sind nicht so sehr die wirtschaftlichen Interessen dieser Person, sondern vielmehr die persönlichen Beziehungen dieser Person, die sie zum Bundesgebiet hat, von ausschlaggebender Bedeutung.
Zur Definition des Mittelpunktes der Lebensinteressen vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass eine Person zwar über mehrere Wohnsitze verfügen, jedoch nur einen Mittelpunkt der Lebensinteressen haben kann. Unter persönlichen Beziehungen sind dabei all jene zu verstehen, die jemand aus in seiner Person liegenden Gründen auf Grund der Geburt, der Staatsangehörigkeit, des Familienstandes und der Betätigungen religiöser und kultureller Art, mit anderen Worten nach allen Umständen, die den eigentlichen Sinn des Lebens ausmachen, an ein bestimmtes Land binden. Nach den Erfahrungen des täglichen Lebens bestehen im Regelfall die stärksten persönlichen Beziehungen zu dem Ort, an dem man regelmäßig und Tag für Tag mit seiner Familie lebt. Daraus folgt, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer verheirateten Person - bei gemeinsamer Haushaltsführung - regelmäßig am Ort des Aufenthaltes ihrer Familie zu finden sein wird (). Bei Bestehen mehrerer Wohnsitze sind die auf diese entfallenden Aufenthaltszeiten ein bedeutsames quantitatives Kriterium ().
Wie der VwGH in seinem Erkenntnis vom , 89/14/0054, ausführte, normiert § 2 Abs. 8 den (ständigen) Aufenthalt eines Antragstellers im Inland nicht einmal als zwingende Voraussetzung für den Anspruch auf FB. Entscheidend ist vielmehr, ob sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer Person in einem bestimmten Zeitraum in Österreich befunden hat oder nicht.
Gleiches gilt natürlich auch im Fall eines Aufenthalts im Ausland.
Dabei ist jedenfalls zu berücksichtigen, dass es - allenfalls im Gegensatz zu vergangenen Zeiten - auf Grund der verstärkt zu erkennenden Mobilität beispielsweise durchaus immer häufiger der Fall ist, dass eine Berufsausbildung, aber auch eine berufliche Tätigkeit über einen bestimmten Zeitraum an einem Ort, in einem anderen Zeitraum an einem anderen Ort ausgeübt wird und dies dazu führen kann, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen - auch mehrmals - verlagert. Dies vorausgeschickt kommt den oben bereits erwähnten Aussagen des VwGH zum „Familienwohnsitz“ für die Festlegung des Ortes, an welchem sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet, entscheidende Bedeutung zu (vgl -I/08; ).
Gemäß § 5 Abs. 3 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 besteht für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten, kein Anspruch auf Familienbeihilfe.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der ständige Aufenthalt im Sinne des § 5 Abs. 3 unter den Gesichtspunkten des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthaltes nach § 26 Abs. 2 BAO zu beurteilen. Danach hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der Abgabenvorschriften dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt. Ein Aufenthalt in dem genannten Sinne verlangt grundsätzlich körperliche Anwesenheit.
Daraus folgt auch, dass eine Person nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben kann. Um einen gewöhnlichen Aufenthalt aufrechtzuerhalten, ist aber keine ununterbrochene Anwesenheit erforderlich. Abwesenheiten, die nach den Umständen des Falles nur als vorübergehend gewollt anzusehen sind, unterbrechen nicht den Zustand des Verweilens und daher auch nicht den gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. ).
Ein nicht nur vorübergehendes Verweilen liegt jedenfalls vor, wenn sich der Aufenthalt über einen längeren Zeitraum erstreckt (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 337, und ; ).
Das (teilweise) Verbringen der Ferien in Österreich ist jeweils als vorübergehende Abwesenheit zu beurteilen, wodurch der ständige Aufenthalt der Kinder im Ausland nicht unterbrochen wurde (; ; ; ; ).
In dem Erkenntnis vom hat der Verwaltungsgerichtshof bei den, in jenem Beschwerdefall gegebenen Rahmenbedingungen eine Aufenthaltsdauer von fünfeinhalb Monaten im Ausland gerade noch als vorübergehenden Aufenthalt angesehen.
Ein einjähriger Auslandsaufenthalt etwa zum Zwecke eines einjährigen Schulbesuches im Ausland ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes als ständiger Aufenthalt im Ausland anzusehen (vgl. ).
Lt. Aktenlage waren Sie von bis bei einer Firma in Holland beschäftigt. Ihr Sohn K. wurde zum von der deutschen Schule Den Haag abgemeldet und für das Schuljahr 2017/18 an der privaten Volksschule ... in Wien angemeldet. Gemäß Ihren Angaben sind Sie und das Kind im September 2015 nach Holland gezogen und seit Mitte August 2017 wieder zurück nach Wien übersiedelt.
Der in Österreich noch nicht schulpflichtige Sohn wurde im Oktober 2015 in Den Haag eingeschult und fast jede Ferien und Feiertage wurden in Österreich verbracht.
In der Geburtsurkunde des Kindes ist kein Vater angegeben und es wurde auch von Ihrer Seite kein Vater benannt.
Zum Zeitpunkt Ihrer Arbeitsaufnahme in Holland war Ihr Sohn ca. 5 ½ Jahre alt.
In der Beschwerdeschrift haben Sie selbst auf die Schwierigkeit des Pendelns zwischen Wien und Holland hingewiesen. „Anfangs (Juli 2015) habe ich noch gedacht dass ich zwischen Wien und Holland pendeln könnte, das wurde aber unhaltbar.“
Es ist daher auf Grund des Alters des Kindes und Ihrer Angaben davon auszugehen, dass sich spätestens ab Oktober 2015 der Familienwohnsitz und damit auch der Mittelpunkt Ihrer Lebensinteressen in Holland befanden und sich das Kind ab diesem Zeitpunkt ständig im Ausland aufgehalten hat.
Mangels Vorliegens der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen der §§ 2 Abs. 8 und 5 Abs. 3 FLAG 1967, erfolgte die Rückforderung der Monate Oktober 2015 bis Jänner 2017 zu Recht.
Ihrer Beschwerde kann somit nur spruchgemäß stattgegeben werden.
Der Vorlageantrag wurde mit folgender Begründung eingebracht:
Ich bin guten Gewissens im Oktober 2015 mit meinem Sohn nach Den Haag (Niederlande) gezogen. Mein Arbeitskontrakt war immer auf ein Jahr begrenzt (Anlage 1: Kopie Arbeitskontrakt August 2015 - 2016) und wurde dann im August 2017 nicht mehr erneuert (Bestätigung meines gesamten Arbeitsverhältnisses - Anlage 2).
Ich habe mich in Wien von der SVA abgemeldet und in Holland lokal eine Unfall- und Krankenversicherung abgeschlossen. Da mein Vertrag auf 1 Jahr befristet war, habe ich die Kinder/Familienbeihilfe in Österreich aufrecht erhalten und mit meinen Arbeitsgeber einen 1 Jahresvertrag abgeschlossen (Anlage 1). Meinen Hauptwohnsitz in Wien habe ich immer behalten und mich niemals abgemeldet. Da ich weiterhin auch die Kinderbeihilfe in Österreich bezogen habe, habe ich in in den Niederlande NIEMALS um Kinder/Familienbeihilfen angesucht und auch KEINE bekommen (siehe Anlage 3). Natürlich bin ich bei der Arbeitsvertragsverlängerung (Aug. 2016) davon ausgegangen dass die Kinder/Familienbeihilfe so aufrecht bleibt. Es wurde von den österreichischen Behörden nie hinterfragt und weiterhin ausbezahlt. Erst Febraur 2017 hat mich die österreichische Behörde kontaktiert und meine Beihilfe sofort eingestellt. Erst dann bin ich überhaupt daraufgekommen dass ich angeblich etwas falsch gemacht habe. Mein Arbeitsvertrag in den Niederlanden endete Juli 2017.
Mein Sohn K. hat keinen Vater (siehe Anlage 4 Geburtsurkunde), habe also keinen Anspruch auf andere Unterhaltsbeihilfen.
Zur Zeit bin ich arbeitslos (Anlage 5) und bekomme seit Februar 2017 keine Familien/Kinderbeihilfe mehr. Ich habe auch zur Zeit keine anderen Einkünfte. Ich bitte Sie Ihre Entscheidung nochmals zu revidieren - ich habe mich zu keiner Zeit absichtlich "bereichern" wollen, im Gegenteil: da ich in Österreich die Beihilfe bezog, habe ich in den Niederlanden nie um Beihilfen angesucht. Wegen meiner Arbeitslosigkeit ist es auch zur Zeit für mich nicht mögich diese Beträge zu entrichten.
Die Beschwerdevorlage erfolgte mit nachstehendem Sachverhalt und Anträgen:
Sachverhalt:
Die Rückforderung erfolgte, da die Kindesmutter von bis bei einem Arbeitgeber in Holland beschäftigt war und das Kind seit zumindest Oktober 2015 eine Schule in Holland besuchte. Der Umzug nach Holland erfolgte lt. den Angaben der Mutter im September 2015.
Stellungnahme:
Es wird die Abweisung der Beschwerde beantragt, da sich einerseits der Mittelpunkt der Lebensinteressen von der Beihilfenbezieherin in Holland befunden hat und andererseits sich das Kind seit zumindest Oktober 2015 ständig im Ausland aufgehalten hat. Mangels Angaben der Kindesmutter zum anderen Elternteil besteht auch kein Anspruch auf österreichische Ausgleichszahlungen im Sinne von EU-Verordnungen.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Die Bf. hat seit bis dato an der Anschrift ...gasse,....Wien, einen Wohnsitz, einen Hauptwohnsitz, gemeldet. Unterkunftgeber ist Andrej (Familienname wie die Bf.). Andrej (Familienname wie die Bf.) ist rd. 1 ½ Jahre älter als die Bf. und seit 2003 mit Frau U. verheiratet (Abgabeninformationssystemabfrage). Andrej (Familienname wie die Bf.) ist im selben Haus an einer anderen Türnummer wie die Bf. gemeldet und war davor an denselben Anschriften wie die Bf. gemeldet (Behördenanfragen aus dem Zentralen Melderegister).
Andrej ist offensichtlich ein Verwandter der Bf. (deren älterer Bruder).
Vom bis war die Bf. „employed as International Partnership Director at Sp… B.V. J… Amsterdam. She worked on a full-time basis“ (Bestätigung - Letter of Empolyment Verification der Sp. B.V. vom ).
Die Bf. und ihr Sohn – die Bf. ist alleinerziehende Mutter, ihr Sohn ‚hat keinen Vater (siehe Geburtsurkunde)‘ – zogen im August/September 2015 nach Holland. Ihr Sohn ‚ging in Holland in die Schule‘, er wurde ‚im Oktober 2015 hier [in Holland] in der Deutschen Internationalen Schule Den Haag eingeschult‘ (eigene Angaben der Bf. im Schreiben vom 30.05. bzw. ).
Im Oktober 2015 ‚kündigte (die Bf. ihre) SVA Versicherung in Österreich‘ und war die Bf. bis aufrecht gemeldet (eigene Angabe der Bf. im Schreiben vom bzw. Sozialversicherungsdatenauszug).
Am teilte der Stadtschulrat dem Finanzamt mit, dass sich das Kind (Sohn der Bf.) laut Bestätigung im Schuljahr 2016/17 im Ausland (Den Haag) befindet; das Schuljahr 2016/17 ist das erste Jahr der Schulpflicht in Österreich (Schreiben vom ).
Der am abgelaufene ‚Arbeitskontrakt … wurde nicht mehr erneuert (Bestätigung meines gesamten Arbeitsverhältnisses)‘ (eigene Angabe der Bf. im Schreiben vom Dezember 2017).
In Holland hatte die Bf. ‚niemals um Beihilfe (Kindergeld) angefragt‘ (eigene Angabe der Bf. auf dem Schreiben vom ).
Am schlossen der Schulerhalter der Schule Private Volksschule ... Wien und der Sohn der Bf., vertreten durch die Bf. als Erziehungsberechtigte, einen Vorvertrag betreffend den abzuschließenden Vertrag über die Aufnahme des Schülers in die Schule ab (Vorvertrag vom ).
Am teilte die Bf. dem Finanzamt mit, dass ihr Vertrag in den Niederlanden am ausläuft und sie wieder nach Wien in ihre Wohnung (siehe Adresse oben) zurückzieht (Schreiben vom ).
Zum wurde der Sohn der Bf. vom Besuch der Deutschen Internationalen Schule Den Haag, …straat …, Den Haag, Kl. 1b, abgemeldet (Bestätigung: Abmeldung des Kindes [Name des Sohnes der Bf.] vom ).
Ab bezog die Bf. vom (österreichischen) Arbeitsmarktservice Arbeitslosengeld (Mitteilung des AMS an die Bf. vom ).
Der festgestellte Sachverhalt ist in folgender Weise rechtlich zu würdigen:
Seit gilt die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.
In Art. 2 dieser Verordnung ist der persönliche Geltungsbereich geregelt.
Demnach gilt diese Verordnung für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.
Gemäß Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt diese Verordnung für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen, u.a. die, die Familienleistungen betreffen.
Gemäß Art. 11 Abs. 3 a) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats.
Gemäß Artikel 1 a) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 bezeichnet der Ausdruck „Beschäftigung“ jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt.
Für den Zeitraum der Beschäftigung der Bf. in den Niederlanden galten für sie bezüglich Familienleistungen die dort maßgebenden Rechtsvorschriften.
Nach den Bestimmungen des (österreichischen) FLAG 1967 ist der Fall wie folgt zu beurteilen:
§ 2 FLAG 1967 bestimmt:
Abs. 1 lit a:
Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für minderjährige Kinder.
Abs. 8:
Personen haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.
Haben gemäß § 2 Abs. 1 FLAG 1967 Anspruch auf Familienbeihilfe für minder- bzw. volljährige Kinder solche Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, reicht ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet allerdings für den Bezug von Familienbeihilfe noch nicht aus. § 2 Abs. 8 FLAG 1967 fordert darüber hinaus, dass die Personen, die den Anspruch auf Familienbeihilfe für minder- bzw. volljährige Kinder geltend machen, den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet haben.
Unter persönlichen Beziehungen sind all jene Beziehungen zu verstehen, die jemand aus in seiner Person liegenden Gründen aufgrund der Geburt, der Staatszugehörigkeit, des Familienstandes und der Betätigungen religiöser und kultureller Art, mit anderen Worten nach allen Umständen, die den eigentlichen Sinn des Lebens ausmachen, an ein bestimmtes Land binden, während den wirtschaftlichen Beziehungen nur eine weitergehenden Zwecken dienende Funktion zukommt (vgl. Zl 1001/69). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine Person zwar mehrere Wohnsitze, jedoch nur einen Mittelpunkt der Lebensinteressen haben (vgl. ). Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass die stärkste persönliche Beziehung eines Menschen im Regelfall zu dem Ort besteht, an dem er regelmäßig mit seiner Familie lebt, dass also der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer verheirateten Person regelmäßig am Ort des Aufenthaltes ihrer Familie zu finden sein wird.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung betont, kann eine Person zwar mehrere Wohnsitze, jedoch nur einen Mittelpunkt der Lebensinteressen iSd § 2 Abs. 8 FLAG 1967 haben. Unter persönlichen Beziehungen sind dabei all jene zu verstehen, die jemanden aus in seiner Person liegenden Gründen, insbesondere auf Grund der Geburt, der Staatszugehörigkeit, des Familienstandes und der Betätigungen religiöser und kultureller Art, an ein bestimmtes Land binden (vgl. , , ). Hinsichtlich des Begriffes "Mittelpunkt der Lebensinteressen" treten nach Auffassung des Höchstgerichtes die der Lebensgestaltung dienenden wirtschaftlichen Beziehungen hinter die persönlichen Bindungen eindeutig zurück. Den wirtschaftlichen Beziehungen kommt nämlich in der Regel eine geringere Bedeutung als den persönlichen Beziehungen zu. Entscheidend ist das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (vgl. ).
Bei verheirateten Personen, die einen gemeinsamen Haushalt führen, besteht die stärkste persönliche Beziehung in der Regel zu dem Ort, an dem sie mit ihrer Familie leben (vgl. , ).
Arbeitete die Bf. während des gesamten Rückforderungszeitraumes und darüber hinaus bis in Holland, war sie Alleinerzieherin, wohnte ihr Sohn bei ihr und besuchte er in der Folge in Holland die Schule, lebten sie dort, ist auch dann, wenn die Bf. und ihr Sohn Feiertage und Urlaubs- bzw. Ferientage in Österreich verbrachten, davon auszugehen, dass für die Bf. für die Dauer von zwei Jahren eine stärkere Bindung zu Holland bestand und daher die Bf. den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in Holland hatte.
Gemäß § 25 FLAG 1967 besteht für Familienbeihilfenbezieher die gesetzliche Verpflichtung, Tatsachen, die bewirken, dass der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt, sowie Änderungen des Namens oder der Anschrift ihrer Person oder der Kinder, für die ihnen Familienbeihilfe gewährt wird, innerhalb eines Monats ab Bekanntwerden der Tatsache oder der Änderung dem Wohnsitzfinanzamt zu melden.
Gemäß § 26 FLAG 1967 ist zu Unrecht bezogene Familienbeihilfe rückzuzahlen.
Dies gilt gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988 auch für den zu Unrecht bezogenen Kinderabsetzbetrag.
Die im § 26 FLAG 1967 geregelte Rückzahlungsverpflichtung ist so weitgehend, dass sie auf subjektive Momente wie Verschulden, Gutgläubigkeit oder die Verwendung der Familienbeihilfe keine Rücksicht nimmt und die von der Finanzverwaltung zu Unrecht ausbezahlten Familienbeihilfenbeträge auch dann zurück zu zahlen sind, wenn der Überbezug ausschließlich auf eine Fehlleistung der Abgabenbehörde zurückzuführen ist.
Da somit für die Bf. kein Anspruch auf Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für den – nach Erlassung der teilweise stattgebenden Beschwerdevorentscheidung – in Rede stehenden Zeitraum von Oktober 2015 bis Jänner 2017 bestand, ist betreffend diesen Zeitraum die Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen zu Recht ergangen.
Es war daher spruchgemäß - wie mit Beschwerdevorentscheidung - zu entscheiden.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Erkenntnis werden keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen, da dieses in rechtlicher Hinsicht der in dieser Entscheidung zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt. Die Feststellungen auf der Sachverhaltsebene betreffen keine Rechtsfragen und sind grundsätzlich keiner Revision zugängig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 8 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2019:RV.7100278.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at