Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.01.2019, RV/5100044/2019

Amtswegige Wiederaufnahme aufgrund offengelegter Tatsache

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Michael Mandlmayr in der Beschwerdesache Bf über die Beschwerde vom gegen die Bescheide  der belangten Behörde Finanzamt Grieskirchen Wels vom  
- betreffend die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO hinsichtlich der Einkommensteuer 2013 bis 2016 und
- betreffend die  Sachbescheide Einkommensteuer 2013 bis 2016 

zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde betreffend die Wiederaufnahme wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden – ersatzlos – aufgehoben.

Die Beschwerde betreffend die Sachbescheide wird als unzulässig geworden gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO zurückgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Das erkennende Gericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

Die Beschwerdeführerin (in der Folge kurz Bf) ist Pensionistin, seit TTMM 2005 verwitwet  und hat für die streitgegenständlichen Jahre 2013 bis 2016 mit den ausgefüllten Formularen L1 die Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung eingebracht.
Die Bf hat dabei im Formular des jeweiligen Jahres  im Punkt 1.7 Personenstand am 31.12. des betreffenden Jahres verwitwet angekreuzt und das Datum seit (wann) mit TTMM 2005 (ttmm 2005) angegeben. Die im Formular vorgesehenen Positionen: verheiratet/ in eingetragener Partnerschaft lebend  sowie in Lebensgemeinschaft lebend hat die Bf hingegen nicht angekreuzt.
In Punkt 3, bei dem die Angabe des Familien- und Vornamens sowie der Sozialversicherungsnummer des Ehepartners, Lebensgefährten oder eingetragenen Partners vorgesehen ist, hat die Bf keine Eintragung vorgenommen.  
Unter Punkt 7.1 der  Formulare  hat die die Bf den  erhöhten Pensionistenabsetzbetrag durch Ankreuzen des dafür vorgesehenen Feldes, in dem folgender Text steht, geltend gemacht:
Ich beantrage den erhöhten Pensionistenabsetzbetrag (Voraussetzungen: Eigene Pensionseinkünfte nicht mehr als 25.000 Euro, kein Anspruch auf Alleinverdienerabsetzbetrag, verheiratet oder in eingetragener Partnerschaft lebend – Einkünfte der Ehepartnerin/des Ehepartners oder der eingetragenen Partnerin/des eingetragenen Partners nicht mehr als 2.200 Euro jährlich).

Die Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung wurden maschinell gelesen und mangels Auswahl ohne jegliche Kontrolle verarbeitet und die Bf deshalb vom Finanzamt mit folgenden Bescheiden antragsgemäß jeweils unter Berücksichtigung des erhöhten Pensionistenabsetzbetrages von 764,00 € veranlagt:


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beim FA eingelangt / Bescheiddatum
2013
2014
2015
2016
Erklärung Arbeitnehmerveranlagung
Einkommensteuerbescheid

 

Die Erklärung für das Folgejahr 2017 wurde am zur Vorbescheidkontrolle ausgewählt. Deshalb wurden die Erklärungsangaben auf ihre Richtigkeit überprüft und vom Finanzamt  durch Einsichtnahme in die Erklärung für 2017 festgestellt, dass die Bf seit TTMM 2005 verwitwet ist und seit diesem Zeitpunkt keine aufrechte Ehe oder Partnerschaft besteht.

Das Finanzamt unterzog deshalb auch die streitgegenständlichen Veranlagungen der Vorjahre einer Kontrolle und nahm mit folgenden  Bescheiden das Verfahren betreffend die Einkommensteuer für die Jahre 2013 bis 2016 amtswegig gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO wieder auf und erließ neue Sachbescheide betreffend die Einkommensteuer 2013 bis 2016:


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Datum Bescheid bzw. Zustellung
2013
2014
2015
2016
Wiederaufnahme gem. § 303 BAO
der Bf lt. Beschwerde zugestellt am




Einkommensteuerbescheid
der Bf lt. Beschwerde zugestellt am 






In den Wiederaufnahmebescheiden verwies das Finanzamt in der Begründung auf die in  der Begründung der Sachbescheide angeführten neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel. Wegen der nicht geringfügigen Auswirkung überwiege das Interesse der Behörde an der Rechtsrichtigkeit jenes der Bf an der Rechtsbeständigkeit.

In den neuen Sachbescheiden brachte das Finanzamt nur noch den (normalen) eingeschliffenen Pensionistenabsetzbetrag von 400,00 € zum Abzug  und führte zur Begründung Folgendes aus:
„Im Zuge einer Kontrolle Ihrer Erklärungsangaben wurde festgestellt, dass Sie zu Unrecht den erhöhten Pensionistenabsetzbetrag geltend gemacht haben. Dieser steht nur zu, wenn Sie mehr als sechs Monate im Kalenderjahr verheiratet waren und vom Ehepartner nicht dauernd getrennt lebt haben. Die Pensionseinkünfte des Ehepartners dürfen dabei höchstens 2.000 € jährlich betragen.
Da Sie in keiner Ehe bzw. eingetragenen Partnerschaft gelebt haben, besteht kein Anspruch auf den Absetzbetrag - eine Neuberechnung war somit vorzunehmen.“

Beweiswürdigung

Der Bezug von Pensionen durch die Bf im Beschwerdezeitraum ist unbestritten und durch die den Sachbescheiden angeschlossenen Lohnzettel belegt.
Von der Richtigkeit des  ebenso unbestrittenen Umstandes, dass die Bf seit TTMM 2005 verwitwet ist, hat sich das erkennende Gericht durch Abfragen aus dem Zentralen Melderegister überzeugt.
Die Daten der Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung und der genannten Bescheide  für die Jahre 2013 bis 2016 sind durch elektronische Übermittlung des Finanzamtes und  Ausdrucke der von der Bf ausgefüllten Formulare L1 und Bescheide  belegt.
Den Ablauf der Veranlagung des Folgejahres 2017 hat das Finanzamt glaubwürdig in den Vorlageberichten vom und geschildert.

Beschwerdeverfahren

Mit Schriftsatz vom erhob die Bf Beschwerde gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Sachbescheide betreffend die Einkommensteuer 2013 bis 2016, beantragte die ersatzlose Aufhebung aller Bescheide und begründete dies im Wesentlichen mit dem Fehlen eines Wiederaufnahmegrundes.
Die Bf habe unter Punkt. 7.1 lediglich einen Antrag auf erhöhten Pensionistenabsetzbetrag gestellt, dessen gesetzliche Voraussetzungen nicht erfüllt waren. Dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt waren, sei aber bereits klar und eindeutig aus den vollständigen und richtigen Angaben der Bf in Pkt. 1.7. der Erklärung  hervorgegangen.

Mit laut Vorlageantrag am zugestellter Beschwerdevorentscheidung vom 29.  Mai 2018 wies das Finanzamt die Beschwerde betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens sinngemäß im Wesentlichen mit folgender Begründung ab, ohne dabei auf  die von der Bf  jeweils unter Punkt 1.7 der Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung gemachten Angaben zu deren Personenstand – „verwitwet seit TTMM2005“ - sowie die Ausführungen der Bf dazu in der Beschwerde einzugehen:
Das Finanzamt verlasse sich zur raschen und ökonomischen Verfahrensabwicklung bei der Arbeitnehmerveranlagung prinzipiell auf die Richtigkeit der Angaben der Steuerpflichtigen.
Wenn das Finanzamt das Erstverfahren auf Grund des vom Abgabepflichtigen bekanntgegeben Sachverhaltes durchgeführt hat und sich erst später die Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Erklärung herausstellt, sei die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens  auch zulässig, wenn sich der Abgabenbehörde die entsprechenden Kenntnisse verschuldetermaßen nicht schon im Vornherein verschafft hat (-F/04; ; ).  
Der  Verwaltungsgerichtshof habe  selbst beim Unterlassen einfachster Ermittlungsschritte allein darauf abgestellt, ob die Abgabenbehörde die maßgeblichen Tatsachen erkannte oder nicht ().
Zur Ermessensübung führte das Finanzamt aus, die Summe der zu Unrecht ausbezahlten Gutschriftbeträge durch  Reduktion 2013 von 486 €  auf 121 €, 2014 von 566 €  auf 170 €, 2015 von 554 € auf 143 € und 2016 von 605 € auf 184 € sei nicht geringfügig.

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wies das Finanzamt  die Beschwerde betreffend die Sachbescheide Einkommensteuer 2013 bis 2016 sinngemäß mit der Begründung ab, wegen Abweisung der Beschwerde betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens ergebe sich keine Änderung des jeweiligen Einkommensteuerbescheides.

Mit am zur Post gegebenem Schriftsatz vom stellte die oben genannte Vertreterin unter Hinweis auf die gem. § 88 Abs. 9 WTBG erteilte Vollmacht einen Vorlageantrag betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Sachbescheide Einkommensteuer 2013 bis 2016 und führte ergänzend sinngemäß im Wesentlichen Folgendes aus:
Die JJJJ geborene Bf sei bereits seit 2005 Witwe und habe dies bei der erstmaligen Einreichung der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2013 unter Punkt 1.7 Personenstand auch angegeben.
Nach der Entscheidung des , sei die bloße Aufdeckung eines dem Finanzamt unterlaufenen Fehlers (Zuerkennung des erhöhten Pensionistenabsetzbetrages) kein Wiederaufnahmegrund  iSd § 303 BAO.

Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt dem erkennenden Gericht zunächst nur die Beschwerde betreffend die Sachbescheide vor.
Nach Mitteilung des erkennenden Gerichts unter Hinweis auf Ritz, BAO6, § 279 Tz 38 und § 307 Tz 7, dass eine Entscheidung über die Sachbescheide vor jener über die Wiederaufnahme des Verfahrens rechtswidrig wäre, legte das Finanzamt mit Vorlagebericht vom auch die Beschwerde betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens vor.
In den Vorlageberichten beantragte das Finanzamt die Abweisung der Beschwerde unter Hinweis auf die Beschwerdevorentscheidung und führte ergänzend im Wesentlichen sinngemäß Folgendes aus:
Die Anträge auf Arbeitnehmerveranlagung für die Jahre 2013 bis 2016 seien maschinell gelesen und verarbeitet worden. In allen Erklärungen sei der Punkt 7.1  „ Ich beantrageden erhöhten Pensionistenabsetzbetrag  (Voraussetzungen: Eigene Pensionseinkünfte nicht mehr als 25.000 Euro, kein Anspruch auf Alleinverdienerabsetzbetrag, verheiratet oder in eingetragener Partnerschaft lebend – Einkünfte der Ehepartnerin/des Ehepartners oder der eingetragenen Partnerin/des eingetragenen Partners nicht mehr als 2.200 Euro jährlich).“ angekreuzt worden.
Da die Erklärungen 2013 bis 2016 weder zur Fehlerbereinigung noch zur Kontrolle ausgewählt wurden, sei eine antragsgemäße Verarbeitung erfolgt, im Vertrauen auf die Richtigkeit der mit Unterschrift bestätigten  Angaben.
Erst im Zuge der Kontrolle der Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2017 (diese Erklärung sei am zur Vorbescheidkontrolle ausgewählt worden) seien die Erklärungsangaben auf ihre Richtigkeit geprüft worden. Dabei sei festgestellt worden, dass der Ehepartner der Bf bereits am TTMM 2005 verstorben ist und seit diesem Zeitpunkt keine Ehe bzw. eingetragene Partnerschaft besteht.
Das Beziehungsende sei mit Feststellung des Sachverhaltes am in den Grunddaten erfasst und die bereits veranlagten Jahre 2013 bis 2016 einer Kontrolle unterzogen worden. Die Voraussetzungen für den erhöhten Pensionistenabsetzbetrag seien für die Jahre 2013 bis 2016 nicht vorgelegen – der zu Unrecht erklärte Absetzbetrag sei folglich im Zuge der Wiederaufnahme des Verfahrens aberkannt worden. Die Erklärung zu Punkt 7.1 (… verheiratet oder  in eingetragener Partnerschaft lebend …) sei offensichtlich unrichtig gewesen und somit liege ein Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens vor.
Der in diesen Jahren zu Unrecht ausbezahlte  Gutschriftbetrag könne in Summe nicht als geringfügig betrachtet werden – die Voraussetzungen für eine positive Ermessensübung seien gegeben gewesen.   

Im gegenständlichen Fall bestreitet  Bf das Hervorkommen von bescheidrelevanten Tatsachen nach dem Ergehen der angefochtenen Bescheide und damit das Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes.

Rechtslage

Der 2011 eingeführte, erhöhte Pensionistenabsetzbetrag von  764,00 € ist in § 33 Abs. 6 Z 1 und Z 2 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) wie folgt geregelt (Fettdruck durch das erkennende Gericht):

(6) Stehen einem Steuerpflichtigen die Absetzbeträge nach Abs. 5 nicht zu und erhält er Bezüge oder Vorteile im Sinne des § 25 Abs. 1 Z 1 oder 2 für frühere Dienstverhältnisse, Pensionen und gleichartige Bezüge im Sinne des § 25 Abs. 1 Z 3 oder Abs. 1 Z 4 bis 5, steht ein Pensionistenabsetzbetrag gemäß Z 1 und Z 2 oder gemäß Z 3 zu. Bei Einkünften, die den Anspruch auf einen Pensionistenabsetzbetrag begründen, steht der Werbungskostenpauschbetrag nach § 16 Abs. 3 nicht zu. Für die Berücksichtigung des Pensionistenabsetzbetrages gilt:


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1.
Ein erhöhter Pensionistenabsetzbetrag steht zu, wenn
der Steuerpflichtige mehr als sechs Monate im Kalenderjahr verheiratet oder eingetragener Partner ist und vom (Ehe-)Partner nicht dauernd getrennt lebt,
der (Ehe-)Partner (§ 106 Abs. 3) Einkünfte im Sinne des Abs. 4 Z 1 von höchstens 2 200 Euro jährlich erzielt und
der Steuerpflichtige keinen Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag hat.
2.
Der erhöhte Pensionistenabsetzbetrag beträgt 764 Euro, wenn die laufenden Pensionseinkünfte des Steuerpflichtigen 19 930 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen. Dieser Absetzbetrag vermindert sich gleichmäßig einschleifend zwischen zu versteuernden laufenden Pensionseinkünften von 19 930 Euro und 25 000 Euro auf Null.
3.
Liegen die Voraussetzungen für einen erhöhten Pensionistenabsetzbetrag nach der Z 1 nicht vor, beträgt der Pensionistenabsetzbetrag 400 Euro. Dieser Absetzbetrag vermindert sich gleichmäßig einschleifend zwischen zu versteuernden laufenden Pensionseinkünften von 17 000 Euro und 25 000 Euro auf Null.

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind,  und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Erwägungen

Die Beschwerdeführerin (in der Folge kurz Bf) ist nach obigen Feststellungen seit TTMM 2005 verwitwet und hat in den streitgegenständlichen Veranlagungsjahren 2013 bis 2016 allein – also weder gemeinsam mit einem Partner aus einer aufrechten eingetragenen Partnerschaft noch aus einer Ehe - gelebt.

Der in den ursprünglichen Einkommensteuerbescheiden  des Beschwerdezeitraumes 20013 bis 2016 in Abzug gebrachte erhöhte Pensionistenabsetzbetrag  von 764,00 € steht der Bf daher mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 33 Abs. 6 Z 1 TS 1 EStG 1988 nicht zu.

Dies wird seitens der Bf gar nicht in Frage gestellt. Die Bf bestreitet jedoch das Vorliegen einer neuen Tatsache iSd zitierten § 303 Abs. 1 lit. b BAO.

Nachstehende Ausführungen hat das erkennende Gericht weitgehend dem Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes, , entnommen.

Neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind und die in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, bilden  den hauptsächlichen Grund für eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens.

Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (vgl. Zl. 98/14/0038 ; , Zl. 95/14/0094), also Sachverhaltselemente, die bei entsprechender Berücksichtigung zu einem anderen als vom Bescheid zum Ausdruck gebrachten Ergebnis geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (vgl. Z. 96/15/0148; , Zl. 95/14/0094; , Zl. 2006/13/0107; , 2010/15/0064). Keine Tatsachen sind neue Erkenntnisse in Bezug auf die Beurteilung von Sachverhaltselementen, gleichgültig, ob die späteren Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder der Rechtsprechung oder vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden (vgl. Ritz, BAO4, § 303 Tz 7 und 9). Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des offengelegt gewesenen Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung lassen sich bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen (vgl. zB 2008/16/0148 ; , 2008/13/0081).

Neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel rechtfertigen eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Neu hervorgekommen sind solche Umstände, wenn sie im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits existent, der Behörde aber nicht bekannt waren. Damit bietet die Wiederaufnahme die Möglichkeit, bisher unbekannten, aber entscheidungsrelevanten Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen. Sie dient aber nicht dazu, bloß die Folgen einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung eines offengelegten Sachverhaltes zu beseitigen ( 96/13/0185 ).

Die neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel müssen entscheidungsrelevant sein, somit geeignet, einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeizuführen ( 96/14/0176 ).

Es ist Aufgabe der Abgabenbehörde, die von ihr verfügte Wiederaufnahme durch unmissverständliche Hinweise darauf zu begründen, welche Tatsachen oder Beweismittel auf welche Weise neu hervorgekommen sind ( 87/13/0006 ). Dazu hat sie die zeitliche Abfolge des Bekanntwerdens der maßgebenden Tatsachen und Beweismittel zu erheben und in der Begründung ihres Bescheides kontrollierbar darzustellen ( 84/13/0054 ).

Nach der Rechtsprechung muss, soll eine Tatsache als neu hervorgekommen, damit sie als Wiederaufnahmsgrund gelten kann, aktenmäßig erkennbar sein, dass der Behörde nachträglich tatsächliche Umstände zugänglich gemacht worden sind, von denen sie nicht schon zuvor Kenntnis gehabt hat ().

Nach Lehre und ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die Wiederaufnahmegründe in der Begründung eines Wiederaufnahmebescheides anzuführen (vgl. Ritz, BAO4, § 307 Tz 3 und die dort angeführte Judikatur). Dies deswegen, da die Abgabenbehörde zweiter Instanz im Rahmen der Erledigung einer gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Berufung lediglich zu beurteilen hat, ob die von der Abgabenbehörde erster Instanz angeführten Gründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen, nicht jedoch, ob eine Wiederaufnahme auch aus anderen Gründen zulässig gewesen wäre (zB 2007/15/0062 ).

Auf welche neu hervorgekommenen Tatsachen das Finanzamt die Wiederaufnahme in einem Fall, in welchem der erstinstanzliche Bescheid in Verweisung auf den Sachbescheid begründet wurde, gestützt hat, bestimmt sich nach den Angaben im Sachbescheid. Dies setzt jedoch voraus, dass die entsprechenden Tatsachen dort angeführt sind (vgl. 2002/14/0075 ).

In den gegenständlichen Wiederaufnahmebescheiden für die Jahre 2013 bis 2016  hat das Finanzamt jeweils auf die Begründung des neuen Einkommenssteuerbescheides verwiesen. Dort wurde sinngemäß  im Wesentlichen ausgeführt, dass bei einer Kontrolle der Erklärungsangaben festgestellt worden sei, dass die Bf in keiner Ehe oder eingetragenen Partnerschaft gelebt habe, weshalb der erhöhte Pensionistenabsetzbetrag nicht zusteht.  

Maßgebend ist, ob der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Beurteilung zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können (zB 2006/15/0314 ; , 2006/15/0006; , 2009/15/0135; , 2010/15/0192, , 2011/15/0157, vgl. Ritz, BAO5, § 303, Tz. 46).

Wiederaufnahmsgründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe (zB 93/14/0065 ; , 96/15/0221).

Das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln ist nach hA aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen (zB 2001/13/0135 ; , 2006/13/0019; , 2007/15/0045; , 2007/13/0157; , 2009/15/0016;)

Die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Grund neu hervorgekommener Tatsachen bietet daher die Möglichkeit, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen; sie dient aber nicht dazu, bloß die Folgen einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung eines offengelegten Sachverhaltes zu beseitigen (siehe 87/14/0159 ). Eine Wiederaufnahme des Verfahrens kann daher nur auf solche Tatsachen gestützt werden, die neu hervorgekommen sind. Es darf somit nur eine Tatsache, die der Abgabenbehörde im Erstverfahren noch nicht bekannt gewesen ist, zum Gegenstand einer amtswegigen Wiederaufnahme gemacht werden.

Auch das Hervorkommen von Rechtsirrtümern rechtfertigt keine Wiederaufnahme (vgl. 90/15/0118 ).

Das nachträgliche Erkennen, dass im abgeschlossenen Verfahren Verfahrensmängel unterlaufen sind, die zu einer unzutreffenden tatsächlichen oder rechtlichen Würdigung des in seiner realen Gegebenheit vorhanden gewesenen Sachverhaltes geführt haben, ist für sich nicht ein Grund, der zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens zu führen vermag.  Ebenso lassen sich nicht die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Tatsachenwürdigung oder Tatsachenwertung () eines der Behörde bekannten (bekanntgegebenen, festgestellten, offen gelegten) Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung (verfehlte rechtliche Schlussfolgerungen; /3) - gleichgültig durch welche Umstände veranlasst - bei unveränderter Tatsachenlage nicht im Wege einer Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen (, vgl. Stoll, BAO-Kommentar, § 303, 2921).

Keine  neu hervorgekommenen Tatsachen im gegenständlichen Fall

Zu beurteilen ist im gegenständlichen Fall,  ob angesichts der oben zitierten   Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dem Finanzamt  im Zeitpunkt der Erlassung der Erstbescheide der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung, dass nämlich die Voraussetzungen für die Anerkennung des erhöhten Pensionistenabsetzbetrages  nicht erfüllt waren, gekommen wäre.

Diesbezüglich ist unbestritten und steht fest, dass die Bf den gewährten  erhöhten Pensionistenabsetzbetrag durch Ankreuzen des in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung vorgesehenen Punktes 7.1  in den Beschwerdejahren 2013 bis 2016 beantragt hat. Die Bf hat jedoch im Formular all dieser Jahre im Punkt 1.7 Personenstand am 31.12. des jeweiligen Jahres verwitwet angekreuzt und das Datum seit (wann) mit TTMM 2005 (ttmm 2005). Die im Formular vorgesehenen Positionen: verheiratet/ in eingetragener Partnerschaft lebend  sowie in Lebensgemeinschaft lebend hat die Bf hingegen nicht angekreuzt.
Außerdem hat Bf in Punkt  3 auch keine für aufrechte Partner vorgesehene Daten (Namen und Sozialversicherungsnummer) eingetragen.

Die Bf hat damit unmissverständlich ihren den Tatsachen entsprechenden im ganzen Beschwerdezeitraum gleichen Personenstand  - seit TTMM 2005 verwitwet und weder in aufrechter Ehe noch eingetragener Partnerschaft lebend  - offen gelegt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Beurteilung, ob neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel vorliegen, auf den Wissensstand auf Grund der Abgabenerklärungen und ihrer Beilagenim jeweiligen Veranlagungsjahr an (zB 2000/14/0175 -0177; , 99/15/0120; , 2006/15/0367; , 2009/15/0161; , 2008/15/0005, 0006).

Werden Tatsachen festgestellt, die im vorangegangenen Ermittlungsverfahren zwar bekannt waren, aber unberücksichtigt geblieben sind, so sind sie nicht neu hervorgekommen. Nach der Aktenlage sind die Tatsache, dass die Bf in den Beschwerdejahren weder in einer (aufrechten) Ehe noch einer eingetragenen Partnerschaft gelebt hat, nicht neu hervorgekommen, weil dies dem Finanzamt schon aus den Erklärungen der Arbeitnehmerveranlagung erkennbar gewesen ist. Nach der oben zitierten Rechtsprechung () liegt mangels neuer Tatsache im gegenständlichen Fall kein tauglicher Wiederaufnahmegrund vor.

Sind Tatsachen dem zuständigen Team der Veranlagung bereits durch Einreichen von Abgabenerklärungen bekannt gegeben worden, ist nach Ansicht des erkennenden Gerichts (vgl. , unter Hinweis auf Schimetschek,  FJ 1988, 153, und 3143, 3144/80) )  das Finanzamt  nicht berechtigt, die sich daraus ergebenden nachteiligen Folgen für den Fiskus durch Wiederaufnahme des Verfahrens nachträglich der Bf anzulasten.  
Die Soforteingabe von Steuererklärungen, insbesondere bei der Arbeitnehmerveranlagung, bei der die Angaben der Abgabepflichtigen nur maschinell – nicht jedoch von  Organwaltern des Finanzamtes gelesen  werden, öffnet keine Tür  für eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens mit dem Argument, dem Finanzamt sei der Erklärungsinhalt unbekannt.
Der vom Finanzamt bemühte Verfahrenstitel zur Durchbrechung der Rechtskraft ist für den gegenständlichen Fall ungeeignet.
Der Gesetzgeber hat für derartige Fälle die zeitlich sehr begrenzte Möglichkeit der Aufhebung nach § 299 BAO durch eine solche nach § 293b BAO ergänzt.
Gegenstand des gegenständlichen Verfahrens ist jedoch allein die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens aus den vom Finanzamt genannten Gründen.
Es ist dem erkennenden Gericht daher verwehrt, die Gründe der Wiederaufnahme und erst Recht den Verfahrenstitel auszutauschen  (vgl. Ritz, BAO6, § 279 Tz 11).

Das Finanzamt hat somit die Wiederaufnahme der Verfahren zu Unrecht verfügt.
Die Beschwerde betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens ist deshalb berechtigt.

Die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide waren daher ersatzlos aufzuheben.

Beschwerde gegen die Sachbescheide Einkommensteuer 2013 bis 2016:

Durch die eben genannte Aufhebung der die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügenden Bescheide  tritt gemäß   § 307 Abs. 3  BAO das Verfahren in die Lage zurück, in dem es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat. Durch die Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide scheiden somit ex lege die  bekämpften  neuen Sachbescheide betreffend die Einkommensteuer 2013 bis 2016 aus dem Rechtsbestand aus.
Die alten Sachbescheide leben wieder auf (vgl. Ritz, BAO6,  § 307 Tz 8).

Die Beschwerde gegen die bekämpften Sachbescheide ist deshalb gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO als unzulässig geworden zurückzuweisen (vgl. Ritz, BAO6, § 260 Tz 15).

Zur Zulässigkeit einer Revision:

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG iVm § 25a VwGG ist die Revision gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Rechtsmittelverfahren wurden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Im Übrigen folgt die Entscheidung der zitierten, unstrittigen höchstgerichtlichen Judikatur.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 33 Abs. 6 Z 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.5100044.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at