Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.01.2019, RV/5100860/2016

Schätzung nach den Lebenshaltungskosten

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. R in der Beschwerdesache AB, St.Nr. 000/0000, Adresse, vertreten durch DE, Steuerberaterin, Adresse1, über die Beschwerden vom gegen

1) die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt FA vom betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 2011, 2012 und 2013 sowie

2) den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt FA vom betreffend Umsatzsteuer für das Jahr 2014

zu Recht erkannt:

1) Die Beschwerde gegen die Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2011, 2012 und 2013 wird als unbegründet abgewiesen.

Die angefochtenen Bescheide bleiben unverändert.

2) Der Beschwerde gegen den Umsatzsteuerbescheid 2014 wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Die Umsatzsteuer für das Jahr 2014 wird auf Grund folgender Bemessungsgrundlagen mit 4.000,00 € festgesetzt:


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Gesamtbetrag der Bemessungsgrundlagen für Lieferungen und sonstige Leistungen (einschließlich Anzahlungen
50.000,00 €
 
Gesamtbetrag der steuerpflichtigen Lieferungen, sonstigen Leistungen und Eigenverbrauch (einschließlich steuerpflichtiger Anzahlungen)
50.000,00 €
 
Davon sind zu versteuern mit:
Bemessungsgrundlage
Umsatzsteuer
 
20 % Normalsteuersatz
20.000,00 €
4.000,00 €
 
10 % ermäßigter Steuersatz
30.000,00 €
3.000,00 €
 
Summe Umsatzsteuer
 
7.000,00 €
 
Gesamtbetrag der Vorsteuern
 
-3.000,00 €
 
Zahllast
 
4.000,00 €
 
Berechnung der Abgabennachforderung/Abgabengutschrift
Festgesetzte Umsatzsteuer
4.000,00 €
Bisher vorgeschriebene Umsatzsteuer
5.000,00 €
Abgabengutschrift
-1.000,00 €

 Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt

Nachdem beim Beschwerdeführer (Bf) eine Außenprüfung durchgeführt worden war, wurden die Verfahren betreffend Einkommen- und Umsatzsteuer 2011, 2012 und 2013 mit Bescheiden vom wiederaufgenommen und mit gleichem Datum die neuen Sachbescheide erlassen.

Ebenfalls mit Bescheiden vom wurde die Umsatzsteuer 01-06/2014 und 07-12/2014 festgesetzt.

Mit Eingabe vom , beim Finanzamt eingelangt am , wurde Beschwerde gegen nachstehende Bescheide erhoben:

„Hiermit wird innerhalb offener Frist gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatzsteuer 2011 vom , 2012 vom , 2013 vom sowie Bescheide über die Festsetzung von Umsatzsteuer 01-06/2014 vom und 07-12/2014 vom , zugestellt am , sowie die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2011, 2012 und 2013 vom das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben.“

Die Abgabenbehörde habe Verfahrensvorschriften verletzt und den diesen Bescheiden zu Grunde gelegten Sachverhalt mangelhaft ermittelt.

Eine Würdigung der vorgebrachten Beweismittel und der rechtlichen Argumente habe nicht stattgefunden. Es seien lediglich „Angebote“ gemacht worden, welche anfänglich einen Jahresumsatz von 180.000,00 € und schlussendlich als „letztes Angebot“ einen Jahresumsatz von 50.000,00 € umfasst hätten. Die auf Basis der aktenkundigen Beweismittel vorgenommene Beweiswürdigung widerspreche den logischen Denkgesetzen bzw. der allgemeinen Lebenserfahrung. Die Behörde habe den gegenständlichen Bescheiden damit einen falschen Sachverhalt zu Grunde gelegt. Die Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2011, 2012 und 2013 seien mangelhaft begründet, weil die Behörde nicht auf Basis konkreter Beweismittel und logischer Schlussfolgerungen, sondern lediglich aus Angeboten und Budgetberechnungen zu dem Sachverhalt gelangt sei, den sie der Abgabenfestsetzung zu Grunde gelegt habe.

Sämtliche Bescheide würden auf dem Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung und auf einer fiktiven Berechnung der Budgetvorlage für ein Paar mit Kindern beruhen, die nicht dem amtlichen Existenzminimum und schon gar nicht den Tatsachen entspreche, da eine Kebapstube von etwa 20 m2 die behaupteten Umsätze in der Praxis eigentlich niemals erzielen könne.

Die Budgetberechnung sowie die willkürliche Schätzung des Umsatzes biete das Bild einer verzerrten Darstellung der Realität und sei nicht mit etwaigen Berechnungen oder Beweisen zu untermauern.

Beim Vergleich des Kundenkontos der Fa. D GmbH im Prüfungszeitraum habe nur eine fehlende Rechnung ermittelt werden können, die zu einer Verkürzung des Wareneinganges um 4,4 % geführt habe.

Schlüssig sei daher, davon auszugehen, dass es sich nicht um eine vorsätzliche Verkürzung des Wareneingangs gehandelt habe und dies somit nicht generell unterstellt werden könne.

Auf Grund der Wareneingänge 2011 bis 2014 seien daher Einzelkalkulationen erstellt worden, woraus ersichtlich sei, dass sich höchstens folgende Nettoumsätze ergeben könnten:


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Wareneingang
10 %
20 %
2011
13.602,59
10.864,90
2012
14.270,87
11.865,47
2013
12.257,73
10.513,49
2014
14.250,49
12.172,25

Die jeweiligen Jahreskalkulationen, getrennt nach Küchenwaren, Brot und Gebäck, Flaschenbier, Wein/Most, Spirituosen, alkoholfreie Getränke sowie Kaffee/Tee, wobei die Einkäufe je nach Warengruppe mit unterschiedlich hohen prozentuellen Aufschlägen auf die entsprechenden Erlöse hochgerechnet wurden, wurden als Beilagen zur Beschwerde vorgelegt.

Diese Jahreskalkulationen ergaben nachstehende Umsätze: 24.470,49 € für 2011, 26.136,34 € für 2012, 22.771,22 € für 2013 und 26.422,74 € für 2014.

Die Höhe dieser Umsätze entsprach – von geringfügigen Abweichungen abgesehen – im Wesentlichen der Höhe der vom Prüfer beanstandeten und den aufgehobenen Bescheiden zu Grunde gelegten Umsätze.

Der Bf beantragte durch seine Steuerberaterin, die angefochtenen Bescheide so abzuändern, dass sich bezüglich der Umsatzsteuer die Kleinunternehmerregelung und kein steuerpflichtiges Einkommen ergeben würden.

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wurden die Beschwerden gegen die Umsatz- und Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2011, 2012 und 2013 sowie gegen die Bescheide betreffend Festsetzung der Umsatzsteuer 01-06/2014 und 07-12/2014 als unbegründet abgewiesen.

Im Zuge des Prüfungsverfahrens sei erkannt worden, dass das Rechenwerk massive formelle und materielle Mängel aufweise (fehlendes Wareneingangsbuch, keine Aufstellung über die Ermittlung der Tageslosungen, Anhäufung identer Tageslosungen, Wareneinsatzverkürzungen, etc.); auf die Stellungnahme des Prüfers werde verwiesen.

Aus diesem Grund sei es der Abgabenbehörde nicht möglich gewesen, die Grundlagen für die Abgabenberechnung zu ermitteln. Gemäß § 184 BAO bestehe in diesem Fall die Verpflichtung der Abgabenbehörde, diese Grundlagen zu schätzen.

Die Wahl der Schätzungsmethode stehe der Abgabenbehörde grundsätzlich frei. Da der Wareneinsatz – laut Stellungnahme des Prüfers - offensichtlich gekürzt worden sei, könne eine auf diesem Rechenwerk aufbauende Schätzung nur ein verfälschtes Ergebnis liefern. Die Schätzung sei daher auf den Lebenshaltungskosten des Bf und dessen Familie aufgebaut worden. Die Behörde sei anfänglich von wesentlich höheren monatlichen Lebenshaltungskosten für eine vierköpfige Familie ausgegangen. Nach Berücksichtigung der Einwendungen des Bf bzw. seiner steuerlichen Vertretung hätten sich die in den bekämpften Bescheiden angesetzten Grundlagen ergeben.

Mit Eingabe vom stellte der Bf durch seine steuerliche Vertreterin einen Vorlageantrag.

Beantragt wurde, die Beschwerden gegen die Umsatz- und Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2011, 2012 und 2013 sowie gegen die Bescheide über die Festsetzung von Umsatzsteuer für 01-06/2014 und für 07-12/2014 dem Bundesfinanzgericht vorzulegen.

Der Bf verwies auf seine Beschwerdeausführungen und die Beilagen (Kalkulationen); ein neues Sachvorbringen wurde nicht erstattet.

Mit Schreiben vom , beim Finanzamt eingelangt am , erklärte der Bf durch seine steuerliche Vertreterin, dass er mit seiner Beschwerde die auf Grund der Wiederaufnahme ergangenen neuen Sachbescheide (Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 2011, 2012 und 2013 sowie die Festsetzungsbescheide betreffend Umsatzsteuer 01-06/2014 und 07-12/2014, alle Bescheide vom , angefochten habe und nicht die Bescheide über die Wiederaufnahme, wie auch aus der Begründung ersichtlich sei.

Der Prüfer führte in einer Stellungnahme zur Beschwerde am schriftlich aus, dass der Bf kein Wareneingangsbuch führe und die Tageslosung mittels Kassasturz ermittle. Es gebe zwar eine Registrierkasse, die aber noch nicht aktiviert sei und nur als Kassenbehältnis verwendet werde.

Zur Ermittlung der Tageslosung gebe es keinerlei Aufzeichnungen wie Geldaufstellungen, Anfangs- und Endbestand oder sonstige Berechnungshilfen.

Im weiteren Prüfungsverlauf sei in den Aufstellungen der Tageslosung eine starke Anhäufung immer gleicher Beträge festgestellt worden.

Diese Mängel im Rechenwerk sowie die unten dargestellte offensichtliche Wareneingangsverkürzung begründeten die Schätzungsbefugnis.

Die Schätzung mit Hilfe der Wareneingangsdaten aus dem Rechenwerk als Grundlage habe nicht durchgeführt werden können, weil festgestellt worden sei, dass es sowohl für 2012 als auch für 2013 für etwa sechs Monate keine Einkäufe von Kebap-Fleisch, wohl aber für Laibchen gegeben habe.

Da eine Schätzung unter Zugrundelegung des Wareneinkaufs zu einer absolut unglaubwürdigen Summe geführt hätte, sei eine Schätzung auf Basis der Lebenshaltungskosten durchgeführt worden.

Der Bf sei verheiratet und habe zwei Kinder. Seine Frau sei Hausfrau, seine Tochter sei xxxx geboren und besuche die Handelsschule, der Sohn sei yyyy geboren und mache eine Lehre. Der Bf besitze ein Haus und fahre einen Opel Zafira, Bj. 2007.

Auf Grund dieser Tatsachen und mit Hilfe eines Haushaltsbudgetformulars der „Budgetberatung Österreich“ sei ein zum Lebensunterhalt benötigtes Einkommen von 1.720,00 € ermittelt worden. Die Familienbeihilfe sei als Einkommen gewertet worden, weshalb sich ein notwendig zu erwirtschaftendes Monatseinkommen von rund 1.250,00 € ergeben habe.

Als Vergleich dazu sei eine Aufstellung der bedarfsorientierten Mindestsicherung des Landes NÖ herangezogen worden. Nach diesen mit in Kraft getretenen Mindeststandards sei für Paare ein monatlicher Betrag von 1.256,64 € vorgesehen gewesen und für jedes minderjährige Kind mit Anspruch auf Familienbeihilfe 192,68 €.

Für den Bf und seine Familie ergebe sich danach ein Einkommensbedarf von 1.642,00 €; die Familienbeihilfe komme noch dazu.

Da der Bf als Einkommensquelle nur die Einkünfte aus Gewerbebetrieb habe, sei es schlüssig, diesen Betrag als monatlichen Gewinn zu werten. Der Jahresgewinn sei daher mit 15.000,00 € anzusetzen gewesen.

Der Umsatzfaktor sei mit 3,3333 periodisch angesetzt worden; der übliche Branchenfaktor bewege sich zwischen drei und acht.

Um einen jährlichen Gewinn von 15.000,00 € erwirtschaften zu können, sei daher ein Umsatz von 50.000,00 € notwendig gewesen.

Die Aufteilung in Getränke (20 % USt) und Speisen (10 % USt) sei nach dem Aufteilungsschlüssel der Tageslosungen erfolgt (60 % Speisen, 40 % Getränke).

Diese Stellungnahme wurde dem Bf mit Schreiben vom zur Gegenäußerung übermittelt.

Laut Vorlagebericht vom wurden dem Finanzamt trotz mehrmaliger Aufforderung bisher keine geeigneten Unterlagen übermittelt, die zu einem anderen Ergebnis der Schätzung führen würden.

Der Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2014 erging am .

Auf Ersuchen der Richterin übermittelte der zuständige Sachbearbeiter des Finanzamtes die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde.

In dieser wurde eingewendet, dass bei Berechnung der Umsatzsteuer und Festsetzung der Abgabennachforderung von 5.000,00 € nicht berücksichtigt worden sei, dass am über FinanzOnline eine Umsatzsteuererklärung eingereicht worden sei. Stattdessen seien dem Bescheid die Ergebnisse der Prüfung, die auf einer fiktiven Schätzung beruhten und durch ein letztes Angebot der Finanzverwaltung zustande gekommen seien, zu Grunde gelegt worden.

Der Bf beantragte durch seine Steuerberaterin, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und einen neuen Bescheid auf Basis der eingereichten  Erklärung zu erlassen.

Rechtslage

§ 184 BAO lautet:

„Abs. 1: Soweit die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie diese zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.

Abs. 2: Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Abgabepflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft über Umstände verweigert, die für die Ermittlung der Grundlagen (Abs. 1) wesentlich sind.

Abs. 3: Zu schätzen ist ferner, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formelle Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen.“

Ziel der Schätzung ist, den wahren Besteuerungsgrundlagen (den tatsächlichen Gegebenheiten) möglichst nahe zu kommen, somit die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, welche die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. (Ritz, BAO6, § 184 Tz 3)

Jeder Schätzung ist eine gewisse Ungenauigkeit immanent. Wer zur Schätzung Anlass gibt, muss die mit jeder Schätzung verbundene Ungewissheit hinnehmen.

Die Befugnis zur Schätzung beruht allein auf der objektiven Voraussetzung der Unmöglichkeit, die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln oder zu berechnen, und setzt daher kein Verschulden der Partei voraus ().

Der Umstand, dass ein Steuerpflichtiger nicht aufklären kann, aus welchen Quellen er seinen laufenden Lebensunterhalt bestritten hat, löst eine Schätzungsbefugnis im Sinne des § 184 Abs. 2 BAO aus ().             

Die Wahl der Schätzungsmethode steht der Abgabenbehörde grundsätzlich frei. Eine Schätzung nach dem Lebensaufwand ist eine der möglichen Schätzungsmethoden. Steht der Behörde keine Methode zur Verfügung, den tatsächlichen Verhältnissen besser Rechnung zu tragen, ist sie daher berechtigt, den Umsatz und die Einkünfte auf Basis der Lebenshaltungskosten zu schätzen ().

§ 127 Abs. 1 BAO verpflichtet gewerbliche Unternehmer, für steuerliche Zwecke ein Wareneingangsbuch zu führen. Die Verletzung der Verpflichtung des § 127 ist u.a. für die Sachätzungsberechtigung nach § 184 BAO bedeutsam.

Bestimmungen über Form und Inhalt des Wareneingangsbuches finden sich in § 128 BAO.

Nach § 163 Abs. 1 BAO haben Bücher und Aufzeichnungen, die den Vorschriften der §§ 131 und 131b entsprechen, die Vermutung ordnungsmäßiger Führung für sich und sind der Erhebung der Abgaben zu Grunde zu legen, wenn nicht ein begründeter Anlass gegeben ist, ihre sachliche Richtigkeit in Zweifel zu ziehen.

Nach Abs. 2 dieser Gesetzesbestimmung liegen Gründe, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse Anlass geben, die sachliche Richtigkeit in Zweifel zu ziehen, insbesondere dann vor, wenn die Bemessungsgrundlagen nicht ermittelt und berechnet werden können oder eine Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht nicht möglich ist.

Eine Schätzungsberechtigung als Folge formeller Mängel besteht dann, wenn die Mängel geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen (§ 184 Abs. 3); weiters setzt die Schätzungsberechtigung nach § 184 Abs. 1 voraus, dass die Bemessungsgrundlagen nicht ermittelt oder berechnet werden können.

Gemäß § 253 BAO gilt die Bescheidbeschwerde auch als gegen den späteren Bescheid gerichtet, wenn ein Bescheid an die Stelle eines mit Bescheidbeschwerde angefochtenen Bescheides tritt. Dies gilt auch dann, wenn der frühere Bescheid einen kürzeren Zeitraum als der ihn ersetzende Bescheid umfasst.

An die Stelle eines mit Bescheidbeschwerde angefochtenen Bescheides tretende Bescheide sind vor allem Umsatzsteuerveranlagungsbescheide, die an die Stelle von Umsatzsteuerfestsetzungsbescheiden treten.

Bescheide betreffend die Festsetzung von Umsatzsteuervorauszahlungen haben insofern einen zeitlich begrenzten Wirkungsbereich, als sie durch die Erlassung eines Umsatzsteuerjahresbescheides aus dem Rechtsbestand ausscheiden.

In seiner Entscheidung vom , Ro 2015/15/0035, stellte der Verwaltungsgerichtshof fest, dass die Erlassung eines Umsatzsteuerjahresbescheides eine andere Sache betrifft als jene eines Festsetzungsbescheides, auch wenn dessen Zeitraum im Zeitraum des Jahresbescheides beinhaltet ist. Dieser Fall ist daher vom Regelungsziel des § 300 BAO nicht umfasst. Der Jahresbescheid tritt in derartigen Fällen gemäß § 253 BAO an die Stelle des Festsetzungsbescheides.

Umsatzsteuerjahresbescheide können daher auch während eines anhängigen Beschwerdeverfahrens an die Stelle eines Umsatzsteuerfestsetzungsbescheides treten.

§ 300 Abs. 1 erster Satz BAO sieht vor, dass ab Vorlage der Beschwerde Abgabenbehörden beim Verwaltungsgericht mit Bescheidbeschwerde angefochtene Bescheide und allfällige Beschwerdevorentscheidungen bei sonstiger Nichtigkeit weder abändern noch aufheben können.

Erwägungen

1) Umsatz- und Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2011, 2012 und 2013:

Einleitend ist festzuhalten, dass der Bf nach dem vorgelegten Akteninhalt nicht gegen die Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren, sondern gegen die in den wiederaufgenommenen Verfahren ergangenen Sachbescheide sowie gegen die Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide betreffend die Zeiträume 01-06/2014 und 07-12/2014 Beschwerde erhoben hat.

Der Bf betreibt laut Vorlagebericht des Finanzamtes am Hauptplatz der Stadt F eine Imbissstube. In diesem Lokal, das Sitzplätze für ca. 16 Personen und keine Stehplätze hat, wird Fastfood in verschiedenen Variationen (zB Döner, Dürüm, etc.) verkauft. Zusätzlich zu den Speisen werden sowohl alkoholfreie als auch alkoholische Getränke, großteils in Flaschen und Dosen, aber auch Spirituosen, angeboten.

Nach den Prüferfeststellungen wurde kein Wareneingangsbuch geführt und die Tageslosung mittels Kassasturz ermittelt, ohne jedoch Aufzeichnungen über tatsächliche Geldflüsse zu führen oder einen Anfangs- oder Endbestand zu ermitteln.

In seiner – dem Bf am zur Gegenäußerung übermittelten - Stellungnahme vom wies der Prüfer ferner darauf hin, dass in den Aufstellungen der Tageslosung eine starke Anhäufung immer gleicher Beträge festzustellen war und es sowohl 2012 als auch 2013 für etwa sechs Monate keine Einkäufe von Kebap-Fleisch gab.

Der Bf machte von der ihm eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme keinen Gebrauch.

Waren die Aufzeichnungen nicht ordnungsgemäß und damit nicht beweiskräftig, bestand an der Schätzungsberechtigung der Abgabenbehörde kein Zweifel. Zusätzlich zu diesen schwer wiegenden Mängeln begründete auch die offenkundige Unmöglichkeit, die Lebenshaltungskosten mit den erklärten Betriebsergebnissen zu bestreiten, die Berechtigung zur Schätzung der Bemessungsgrundlagen.

Nach den vorgelegten Unterlagen ging der Prüfer davon aus, dass 60 % des Umsatzes auf Speisen und 40 % auf Getränke entfielen.

Wegen der angeführten Mängel erachtete der Prüfer eine Schätzung auf Basis der Wareneingangsdaten als nicht zielführend und nahm eine Schätzung der Lebenshaltungskosten vor.

Der Beschwerdeeinwand, beim Vergleich des Kundenkontos der Fa. D GmbH habe im Prüfungszeitraum nur eine fehlende Rechnung ermittelt werden können, die zu einer Verkürzung des Wareneingangs um 4,4 % geführt habe, vermochte weder plausibel zu erklären, weshalb sowohl 2012 als auch 2013 für ca. sechs Monate kein Wareneingang betreffend Kebap-Fleisch aufgezeichnet worden war, noch mit welchen Mitteln die vierköpfige Familie des Bf bei erklärten Gewinnen von rund 2.400,00 € (2011) und rund 1.300,00 € (2012) bzw. einem Verlust von rund 400,00 € (2013) ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte.

Eine Abfrage der Finanzamtsdatenbank zeigte, dass der Bf bis zum Jahr 2005 ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezog und der Gesamtbetrag der Einkünfte aus dieser Tätigkeit sich in diesem Jahr und den Folgejahren zwischen rund 16.500,00 € und 19.100,00 € bewegte. Ab dem Kalenderjahr 2006 erklärte der Bf daneben geringfügige Verluste aus einer gewerblichen Tätigkeit.

Seit dem Kalenderjahr 2010 wird der Bf ausschließlich mit Einkünften aus Gewerbebetrieb veranlagt.

Die der Beschwerde beigelegten Jahreskalkulationen 2011 bis 2014 basierten wiederum auf den vom Prüfer für unvollständig und aus den oa. Gründen für mangelhaft befundenen Daten und ignorierten dessen Feststellungen sowie den Umstand, dass es mit den erklärten Umsätzen und Betriebsergebnissen unmöglich war, die Lebenshaltungskosten einer vierköpfigen Familie zu decken.

Der Bf vermochte für die Beschwerdejahre nicht aufzuklären, aus welchen Quellen er den laufenden Lebensunterhalt für sich und seine Familie bestritten hatte.

Der Prüfer bediente sich zur Ermittlung des für vier Personen benötigten Einkommens eines im Internet abrufbaren Haushaltsbudgetformulars der „Budgetberatung Österreich.“ Aus der Gegenüberstellung der als Einnahmen gewerteten Familienbeihilfe mit den im  Formular detailliert angesetzten Ausgaben resultierte ein zu erwirtschaftendes Monatseinkommen von rund 1.250,00 €.

Wären bei dieser Schätzung auch die Einkünfte des Sohnes, der nach den Prüferfeststellungen eine Lehre machte, berücksichtigt worden, hätte dies wegen der Geringfügigkeit seiner Einkünfte und wegen der jeder Schätzung ohnedies anhaftenden Unsicherheit zu keinem anderen Ergebnis geführt.

Laut Finanzamtsdatenbank waren für den Sohn im Jahr 2011 noch keine Daten gemeldet. Von September bis Dezember 2012 hatte er Einkünfte des AMS in Höhe von rund 1.300,00 € jährlich, im Jahr 2013 betrug der Gesamtbetrag seiner Einkünfte rund 930,00 €.

Zur Abrundung seines Schätzungsergebnisses zeigte der Prüfer auf, dass auch die zum damaligen Zeitpunkt (zum ) gültigen Mindeststandards des Landes Niederösterreich im Rahmen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu einem annähernd gleichen Ergebnis führen würden (vgl. die oa. Stellungnahme des Prüfers vom ).

Im Übrigen könnten auch die Richtsätze nach § 293 ASVG einen Anhaltspunkt für Ausgaben für das Nötigste bzw. für minimale Lebenshaltungskosten geben. Diese betrugen im Jahr 2011 für ein Ehepaar 1.189,56 € plus 122,41 € für jedes Kind, im Jahr 2013 für ein Ehepaar 1.255,89 € und 129,24, € je Kind.

Die aus den unterschiedlichen Quellen ermittelten, für eine einfachste Lebensführung erforderlichen Summen waren beinahe deckungsgleich mit den Ermittlungsergebnissen des Prüfers, weshalb im vorliegenden Fall die Schätzung des Gewinns in Höhe der minimalen Lebenshaltungskosten und die Schätzung des Umsatzes unter Ansatz eines Umsatzfaktors von 3,3333 periodisch bei einem üblichen Branchenfaktor zwischen drei und acht sehr moderat und angemessen war.

Die Abgabenbehörde brauchte keine absolute Gewissheit zu schaffen, dass die von ihr getroffene Entscheidung tatsächlich dem Betriebsergebnis der Imbissstube entsprach. Es genügte, wenn sie nach den Denkgesetzen und der Lebenserfahrung annehmen durfte, die von ihr zum Ansatz gebrachten Beträge hätten gegenüber den Behauptungen des Bf den größeren Grad der Wahrscheinlichkeit für sich (vgl. )

Es wäre am Bf gelegen gewesen, unter Vorlage beweiskräftiger Unterlagen konkrete und begründete Einwendungen gegen die Ermittlung des Gewinns und Umsatzes auf Basis der geschätzten Lebenshaltungskosten vorzubringen.

Der Vorwurf, Beweismittel und rechtliche Argumente seien nicht gewürdigt und lediglich Angebote, beginnend mit einem Jahresumsatz von 180.000,00 € bis zuletzt 50.000,00 €, gemacht worden, war nicht nachvollziehbar, da die vom Prüfer im Detail angesetzten Einnahmen und Ausgaben dem Bf bekannt gegeben wurden, er diesen ohnehin bereits sehr niedrigen Ansätze aber mit keinen fundierten Argumenten entgegen trat.

Welche begründeten Einwendungen und welche konkreten  Beweismittel die Amtspartei nicht gewürdigt hätte, präzisierte der Bf ebenso wenig wie die Annahmen, welche die Schätzung seiner Meinung nach in Widerspruch zu den logischen Denkgesetzen und zur allgemeinen Lebenserfahrung setzten.

Ebenso ungeklärt blieb, welche sonstige Schätzungsmethode - ausgenommen die vom Prüfer aus den genannten Gründen verworfene Schätzung auf Basis des Wareneinkaufs - dem Bf sachgerechter erschienen wäre.

Im Ergebnis brachte der Bf keine substantiierten Argumente gegen die Schätzung vor und unterließ es, den ihm zur Stellungnahme übermittelten Feststellungen des Prüfers entgegen zu treten.

Die Beschwerden gegen die Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2011, 2012 und 2013 waren daher als unbegründet abzuweisen.

2) Umsatzsteuerbescheid für dass Jahr 2014:

Nach der Bestimmung des § 253 BAO galt die gegen die Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide betreffend die Zeiträume 01-06/2014 und 07-12/2014 erhobene Beschwerde auch als gegen den Umsatzsteuerbescheid 2014 gerichtet, weil der Jahresbescheid an die Stelle der mit Beschwerde angefochtenen Festsetzungsbescheide trat und der Jahresbescheid dem Beschwerdebegehren nicht Rechnung trug. Die Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide schieden mit Erlassung des Jahresbescheides aus dem Rechtsbestand aus.

Der als Beschwerde gegen den Umsatzsteuerbescheid 2014 bezeichnete Schriftsatz vom war daher als ergänzender Schriftsatz zur Beschwerde vom gegen die Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide zu werten.

Zur Beschwerde vom , wonach das Finanzamt nicht berücksichtigt habe, dass am eine Umsatzsteuererklärung per FinanzOnline eingebracht worden sei, war anzumerken, dass in dieser Erklärung steuerbare Umsätze von 23.946,71 € erklärt worden waren und diesen nach den Prüferfeststellungen die Richtigkeit abzusprechen war.

Ein taugliches Vorbringen gegen die auf Basis der Lebenshaltungskosten geschätzten Umsätze wurde auch in dieser Beschwerde nicht erstattet.

Allerdings war zu bedenken, dass hinsichtlich des Aufteilungsschlüssels der Tageslosungen (60 % Speisen und 40 % Getränke) im Jahr 2014 keine Änderung eintrat und diese Aufteilung laut Niederschrift über die Schlussbesprechung vom , Tz 2, ausdrücklich auch für das Jahr 2014 beibehalten wurde.

Der Bf erhob gegen diesen Aufteilungsschlüssel keinen Einwand.

Der im Umsatzsteuerbescheid 2014 vorgenommenen gegenteiligen Aufteilung – nämlich 40 % Speisen und 60 % Getränke – lagen keine begründeten Anhaltspunkte zu Grunde, weshalb der durch die Außenprüfung angewendete Aufteilungsschlüssel auch im Jahr 2014 beizubehalten und der angefochtene Bescheid wie im Spruch ersichtlich abzuändern und der Beschwerde in diesem Punkt teilweise stattzugeben war.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gegenständlich war keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu klären, sondern waren Sachverhaltsfragen strittig. In Frage standen Zulässigkeit und Schlüssigkeit der abgabenbehördlichen Schätzung, wobei das BFG der höchstgerichtlichen Judikatur folgte.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 184 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.5100860.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at