Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 28.03.2019, RV/3100110/2018

Anspruch eines Volljährigen auf Familienbeihilfe und Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung

Entscheidungstext

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R****** in der Beschwerdesache Bf., Adresse, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Innsbruck vom , betreffend Familienbeihilfe und Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung für den Zeitraum Juni 2011 bis Mai 2016

zu Recht erkannt:

I.

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

1. Verfahrensgang:

Im Juni 2016 reichte der am [GebDat] geborene Beihilfenwerber das Formular Beih 3 beim Finanzamt ein. Er beantrage - so aus der Eingabe erkennbar - die Zuerkennung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung im Eigenbezug. Er leide an paranoider Schizophrenie, Wahrnehmungsstörungen und Diabetes Mellitus und beziehe kein Pflegegeld.

Das Finanzamt ersuchte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen mit der Erstellung einer Bescheinigung über den Grad der Behinderung. Im Juli 2016 wurde dazu ein ärztliches Sachverständigengutachten erstellt. Diesem ist zu entnehmen, dass der Grad der Behinderung auf Grund der bereits im Antrag angeführten Erkrankungen und zusätzlich Polytoxikomanie (derzeit jedoch abstinent) 60% betrage und seit November 2013 vorliege. Zudem sei der Beihilfenwerber seit 2013 voraussichtlich ständig außer Stande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Im Oktober 2016 versendete das Finanzamt einen Abweisungsbescheid (betreffend Familienbeihilfe und erhöhter Familienbeihilfe) ab Juni 2011 an die Wohnadresse des Antragstellers. Dieser wurde jedoch, weil das Finanzamt die falsche Topnummer angeführt hatte, vom Zustellorgan der Post als "unbekannt" retourniert.

Mitte November 2016 brachte der Beihilfenwerber nunmehr die Formulare Beih 1 und Beih 3 ein. Nunmehr wurde die Zuerkennung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung im Eigenbezug rückwirkend ab Juni 2016 begehrt.

Im Dezember 2016 erging ein Bescheid, mit welchem der "Antrag vom auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe" ab Juni 2016 abgewiesen wurde. Dieser Bescheid wurde (trotz neuerlich falscher Topangabe) durch Hinterlegung zugestellt.

Gegen diesen Bescheid wurde rechtzeitig Beschwerde erhoben. Der Grad der Behinderung betrage 60% und bestehe dieser seit dem 15. Lebensjahr. Zudem sei der Antragsteller nicht im Stande, sich selbst den Lebensunterhalt zu verschaffen, da er "leider" arbeitsunfähig sei. Er habe "probiert" zu arbeiten, hätte dies aber krankheitsbedingt jedesmal nach kürzester Zeit beenden müssen, da sein Gesundheitszustand es nicht zugelassen habe.

Im März 2017 verfasste das Finanzamt einen Vorhalt und verwies auf den im Juni 2016 eingebrachten Antrag Beih 3, in dem eine Zuerkennung "rückwirkend fünf Jahre ab Antragstellung" begehrt worden sei. In den im November 2016 eingebrachten Anträgen sei als Antragszeitraum "ab " angegeben. Es werde um Bekanntgabe ersucht, ab wann "die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag" beantragte werde.
Weiters wurde festgehalten, dass im "aktuellen Gutachten des Sozialministeriumservice vom Oktober 2016" zwar das "Vorliegen einer dauernden Erwerbsunfähigkeit" bescheinigt worden sei, dies allerdings erst ab dem Jahr 2013. Zu diesem Zeitpunkt wäre der Antragsteller bereits "[X] Jahre alt" gewesen. Auf Grund der derzeitigen Aktenlage bestehe daher kein Anspruch auf Familienbeihilfe und in weiterer Folge auf den Erhöhungsbetrag. Es werde dem Antragsteller mit diesem Schreiben Gelegenheit zu einer Stellungnahme und zur Nachreichung von Unterlagen bezüglich des Zeitpunktes des Eintrittes der "dauernden Erwerbsunfähigkeit" geboten.
Zudem werde er um Nachreichung einer Aufstellung über die gesamten Lebenshaltungskosten und alle monatlichen "Einkünfte inkl. Beihilfen, Pflegegeld, Unterhalt der Eltern usw." ersucht.
Abschließend wurde angeführt, dass "für Zeiten des Aufenthaltes in einer Justizanstalt jedenfalls kein Anspruch" bestehe.

In Beantwortung dieses Vorhaltes teilte der Antragsteller mit, dass aus einem Gutachten und einem Befundbericht aus dem Jahr 2008 sowie aus einem näher bezeichneten Arztbrief und einem weiteren Gutachten "herausgelesen" werden könne, dass seine "Erkrankungsgeschichte" schon als Kind mit sieben Jahren begonnen habe. Die "Grunderkrankung" habe somit "eindeutig vor dem 21 Lebensjahr begonnen".

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde gegen den Bescheid aus dem Dezember 2016 als unbegründet abgewiesen. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass sämtliche nachgereichten Unterlagen dem "Sozialministeriumservice" übermittelt worden seien. Da der Beschwerdeführer jedoch zum dort vereinbarten Termin unentschuldigt nicht erschienen sei, läge kein neues Gutachten vor.
Die Beschwerdevorentscheidung wurde im Juli 2017 nachweislich zugestellt und wurde rechtskräftig.

Mit Bescheid vom erging ein weiterer Abweisungsbescheid, nunmehr für den Zeitraum Juni 2011 bis Mai 2016. Nach Anführung von Gesetzesstellen des FLAG 1967 wurde festgehalten, dass kein Nachweis dafür vorliege, dass die "dauernde Erwerbsunfähigkeit" vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten sei. Gleichzeitig werde auf die Begründung der Beschwerdevorentscheidung vom verwiesen.

Gegen diesen Bescheid wurde wiederum Beschwerde erhoben. Der Beschwerdeführer zitierte aus seiner Vorhaltsbeantwortung aus dem März 2017 und ersuchte um einen neuen Untersuchungstermin sowie um "Klärung anhand der vorhandenen Aktenlage".

Das Finanzamt befasste wiederum das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, welches ein neues Sachverständigengutachten unter Würdigung der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen in Auftrag gab. Wiederum wurde ein Grad der Behinderung von 60% bescheinigt und festgestellt, dass der Beschwerdeführer voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Zum Zeitpunkt des Eintrittes dieses Umstandes wurde festgehalten, dass dieser nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres gelegen sei.

Die abweisende Beschwerdevorentscheidung wurde sodann unter Verweis auf § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 mit dieser Feststellung begründet.

Dagegen wurde fristgerecht ein Vorlageantrag gestellt.

Das Finanzamt legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor. Gegenstand dieses Verfahrens ist somit der Bescheid vom , mit welchem über den Anspruch auf Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung für den Zeitraum Juni 2011 bis Mai 2016 abgesprochen wurde.

2. Sachverhalt und Beweiswürdigung:

Der Beschwerdeführer wurde am [GebDat] geboren und vollendete das 21. Lebensjahr somit am {GebDat+21]. Zu diesem Zeitpunkt und auch danach stand der Beschwerdeführer nicht mehr in Berufsausbildung. Wie sich aus dem Sozialversicherungsauszug ergibt, datieren die begonnenen und sodann wieder abgebrochenen Lehrausbildungen aus den Jahren 2002 und 2003. In der Folge scheinen in diesem Auszug bis ins Jahr 2010 diverse (kurzfristige) Beschäftigungsverhältnisse sowie Zeiten des Bezuges von Arbeitslosen- und Krankengeld bzw Notstandshilfe auf. Anfang 2011 bis Anfang 2014 wurde eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, danach anschließend Rehabilitationsgeld bezogen.

Der Beschwerdeführer befand sich nach den Eintragungen im zentralen Melderegister von Mitte Mai 2011 bis Anfang Juli 2012 und Mitte April 2014 bis Mitte September 2015 in Haft.

Im gegenständlichen Fall wurde im Auftrag des Finanzamtes durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen die Erstellung von zwei ärztlichen Sachverständigengutachten beauftragt. Diesen Gutachten ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer unter paranoider Schizophrenie, Polytoxikomanie mit derzeitiger Abstinenz und Diabetes mellitus leidet. Der Grad der Behinderung beträgt 60% und ist der Beschwerdeführer voraussichtlich ständig außer Stande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Der Grad der Behinderung wurde im zweiten Sachverständigengutachten auf Grund der vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Unterlagen rückwirkend mit September 2007 festgestellt. Die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nach beiden Gutachten nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten.

3. Rechtslage:

Nach § 6 Abs 1 FLAG 1967 haben auch minderjährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

Volljährige Vollwaisen haben - bei Nichtvorliegen von Ausschlussgründen - ua Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des § 6 Abs 1 lit a bis c FLAG 1967 zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden (§ 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 in der bis gültigen Fassung) bzw und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden (§ 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung).

Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (§ 6 Abs 5 FLAG 1967 in der bis gültigen Fassung)
Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat. Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (§ 6 Abs 5 FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung). § 6 Abs 5 FLAG 1967 gilt nach Abs 6 leg cit nicht für Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl Nr 144/1969, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl Nr 144/1969, auf sie Anwendung finden.

Gemäß § 8 Abs 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist, monatlich um eine gesetzlich festgelegten Betrag.
Als erheblich behindert gilt nach Abs 5 der in Rede stehenden Bestimmung ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl Nr 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl II Nr 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen (§ 8 Abs 6 FLAG 1967).
Die zitierten Abs 4 bis 6 gelten sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 FLAG 1967 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

4. Erwägungen:

Festzuhalten ist vorweg, dass im gegenständlichen Fall ein Anspruch auf (den Grundbetrag an) Familienbeihilfe nur auf den Anspruchsgrund des § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 gestützt werden könnte. Andere Anspruchsgründe scheiden mangels Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen aus.
Der Anspruch auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung für ein Monat setzt nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes voraus, dass für dieses Monat der Grundbetrag zusteht.

Für die Beurteilung des vorliegenden Falles ist es somit von entscheidender Bedeutung, ob nach dem oben zitierten § 6 Abs 5 iVm Abs 2 lit d FLAG 1967 ein Anspruch auf den Grundbetrag an Familienbeihilfe besteht. Ein derartiger Anspruch besteht - hinsichtlich der Bezugsdauer ohne altersbedingte Grenzen -, wenn das "Kind", neben dem Vorliegen anderer Voraussetzungen (und nach den im vorliegenden Fall unbestrittenen Feststellungen zur Dauer der Berufsausbildung), wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Das Gesetz geht demnach klar davon aus, dass die Behinderung kausal für das geforderte "außer Stande sein" sein muss und dieser Umstand bereits vor Vollendung des - gegenständlich - 21. Lebensjahres gegeben sein musste (vgl Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Tz 21). Andere als behinderungskausale Gründe (wie zB mangelnde oder nicht spezifische Ausbildung, die Arbeitsplatzsituation, Arbeitswilligkeit oÄ - siehe zu einer vergleichbaren Rechtslage im Bereich der Invaliditätspension ) dürfen für die Beurteilung ebensowenig herangezogen werden, wie eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes (etwa durch Folgeschäden) nach Vollendung des 21. Lebensjahres.
Nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren durch ein ärztliches Gutachten (vgl dazu , und , sowie ) hat sich darauf zu erstrecken, ob eine Antragstellerin/ein Antragsteller wegen einer vor Vollendung seines 21. Lebensjahres (oder - für den Beschwerdefall nicht relevant - während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. bzw 25. Lebensjahres) eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl etwa ).
Ein Gutachten zur Klärung einer solchen Sachfrage besteht in der Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen stützen.

Bei der Beantwortung der Frage, ob die körperliche oder geistige Behinderung oder der Umstand der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist, ist sowohl das Finanzamt, als auch das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend sind (vgl etwa , mwN). Dabei kann sich der (fach)ärztliche Sachverständige neben der medizinischen Anamnese bei zum Teil auch sehr lange zurückliegenden Sachverhalten auch auf eine langjährige Berufstätigkeit als weiteres Indiz stützen (vgl , und auch Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, Familienlastenausgleichsgesetz, § 8 Rz 30).

Betrachtet man nun die vorliegenden Unterlagen, geht aus diesen hervor, dass der Beschwerdeführer nach seinen eigenen Angaben mit 15 Jahren begonnen hat, Cannabis zu konsumieren und sodann über andere Drogen mit 19 oder 20 Jahren (unterschiedliche Angaben in den vorgelegten gerichtlichen Gutachten aus dem Jahr 2008 bzw 2012) auch Heroin zu sich genommen hat. Dementsprechend wurde in den Befundberichten der Jahre 2007 und 2008 Polytoxikomanie diagnostiziert, obwohl das Drogenscreening im Jahr 2008 negativ ausgefallen ist. Eine erste Erwähnung einer (möglichen) "Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis ... auf Grund von Substanzmißbrauch" findet sich im Befundbericht vom September 2008. In der Entlassungsdiagnose wird auf ICD 10: F 23.1 verwiesen ("Akute polymorphe psychotische Störung mit Symptomen einer Schizophrenie"). Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beschwerdeführer das 21. Lebensjahr bereits seit ca 11/2 Jahren vollendet. Erst im über Auftrag eines Gerichtes erstellten psychiatrischen Gutachten vom 9. Feber 2011, somit vier Jahre nach Vollendung des 21. Lebensjahres, wurde das tatsächliche Bestehen einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie (ICD 10: F 20.0) diagnostiziert. Im gerichtlichen Gutachten vom wird sodann ausgeführt, dass diese Schizophrenie "nunmehr in einen Residualzustand mit noch nicht ganz vollständiger Remission (F 20.04) eingemündet ist". In diesem Gutachten wird zudem eine Drogenabstinenz belegt durch regelmäßige Harnkontrollen bestätigt.

Bei diesem medizinischen Verlauf erscheint es durchaus nachvollziehbar und schlüssig, wenn der medizinische Sachverständige des Bundesamtes den Eintritt einer voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, frühestens mit dem durch Befunde nachgewiesenen Bestehen der Schizophrenie, sohin jedenfalls nach Vollendung des 21. Lebensjahres annimmt. Auch die Vollständigkeit des Gutachtens (Aufnahme der relevanten Erkrankungen und Berücksichtigung der vorgelegten Befunde und Gutachten) ist nicht in Frage zu stellen und wird diesbezüglich auch kein Einwand erhoben.
Letztlich ist auch der Verweis auf eine Berufstätigkeit nicht zu beanstanden, wobei im ersten Gutachten (im Zuge der Anamnese offensichtlich durch den Beschwerdeführer selbst angegeben) davon ausgegangen wurde, dass er vor drei Jahren noch gearbeitet habe. Erst das zweite Gutachten enthält einen Hinweis auf den SV-Auszug und ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer jedenfalls bis ins Jahr 2009 immer wieder in (kurzen) Arbeitsverhältnissen gestanden ist und in der übrigen Zeit Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe). Längere Krankheitszeiten scheinen erst ab Ende des Jahres 2008 auf.
Bei den jeweiligen Dienstverhältnissen handelt es sich ganz offensichtlich nicht um solche, bei welchen keine (Arbeits)Leistungen zu erbringen waren, weil der Beschwerdeführer etwa aus karitativen Überlegungen oder zu therapeutischen Zwecken ohne Erwartung einer Gegenleistung beschäftigt wurde.
Nach den Bestimmungen des AlVG besteht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe nur, wenn die betroffene Person arbeitswillig, aber grundsätzlich auch arbeitsfähig ist (§ 8 Abs 1 AlVG), weshalb Zeiten des Arbeitslosengeld- und Notstandshilfebezuges durch den begutachtenden Arzt durchaus Beschäftigungszeiten gleichzustellen sind. Die Zuerkennung einer (befristeten) Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit erfolgte erst im Jahr 2011. Ab dem Jahr 2014 bezog der Beschwerdeführer Rehabilitationsgeld.
Auch diese Umstände machen das zweite ärztliche Gutachten hinsichtlich des Zeitpunktes des Eintrittes der "Erwerbsunfähigkeit" nicht nur nicht unschlüssig, sondern bestätigen sogar zusätzlich die Schlüssigkeit.

Das Bundesfinanzgericht ist somit an die vorliegenden Gutachten und Bescheinigungen, welchen übereinstimmend zu entnehmen ist, dass die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres des Beschwerdeführers eingetreten ist, gebunden.
Letztlich wird dieser Umstand sinngemäß sogar in der Beschwerde bestätigt, indem dort ausgeführt wird, dass die "Grunderkrankung" "eindeutig vor dem 21. Lebensjahr begonnen" habe. Mit dieser Aussage verkennt der Beschwerdeführer die Rechtslage. Es ist nämlich für die Beurteilung des gegenständlichen Falles - wie oben bereits dargestellt - nicht entscheidend, wann allenfalls (erste) Anzeichen einer Erkrankung aufgetreten sind. Vielmehr kommt es darauf an, wann eine - allenfalls schon länger vorhandene - Erkrankung ein Ausmaß erreicht, welches die Fähigkeit zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit tatsächlich ausschließt. Dass auch bei diagnostizierter Schizophrenie unterschiedliche Ausprägungsformen vorliegen können, welche zwangsläufig auch eine Auswirkung auf die Erwerbsfähigkeit haben, ergibt sich auch klar aus der Anlage zur Einschätzungsverordnung vom , BGBl II Nr 261/2010, welche je nach Schwere der Erkrankung einen Grad der Behinderung von 10% bis 100% ausweist.

Letztlich wäre es primär am Beschwerdeführer gelegen gewesen, durch eine substantiierte Auseinandersetzung mit dem Inhalt der ärztlichen Gutachten und der Bescheinigungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen diese zu entkräften und die Beihilfenbehörde oder das Bundesfinanzgericht in die Lage zu versetzen, an Hand konkreter Einwendungen und Beweismittelvorlagen eine allfällige Ergänzung bzw Abänderung anzuregen. Mit dem bloßen Hinweis auf einen Krankheitsverlauf, der bereits im Kindesalter begonnen habe (was den ärztlichen Sachverständigen nach dem Inhalt der Gutachten ohnehin bekannt war), gelingt es jedenfalls nicht, Zweifel an den gutachterlichen Feststellungen zu erwecken (vgl , unter Hinweis auf ).

Damit steht aber fest, dass im vorliegenden Fall eine Voraussetzung für das Bestehen eines Anspruches auf den Grundbetrag an Familienbeihilfe, nämlich die inhaltlich entsprechende Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, fehlt und dieser Grundbetrag daher nicht gewährt werden kann.
Besteht kein Anspruch auf den Grundbetrag an Familienbeihilfe, kann auch kein Erhöhungsbetrag zustehen.

Eine nähere Befassung mit dem Umstand, dass der Beschwerdeführer im streitgegenständlichen Zeitraum teilweise auch inhaftiert war und aus diesem Grund auch bei Vorliegen der (übrigen) Voraussetzungen kein Anspruch bestanden hätte, kann daher unterbleiben. 

Die Beschwerde war als unbegründet abzuweisen.

5. Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall hat sich das Bundesfinanzgericht an der vorhandenen und einheitlichen Rechtsprechung (siehe die angeführten Erkenntnisse) orientiert und ist diesen gefolgt. Im Übrigen ergaben sich die Rechtsfolgen auf Grund des festgestellten Sachverhaltes unmittelbar aus dem Gesetz.

Innsbruck, am

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