Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.01.2019, RV/7101224/2016

Familienbeihilfe: „schädlicher“ Studienwechsel

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerde­sache Bf, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 4/5/10 vom , betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinder­absetzbeträgen für den Zeitraum Februar bis August 2015, zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit abgeändert, als die Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen auf den Zeitraum März bis August 2015 eingeschränkt wird.

Der Rückforderungsbetrag vermindert sich somit um 217,30 € (FB: 158,90; KAB: 58,40). Neuer Rückforderungsbetrag: 1.303,80 € (FB: 953,40; KAB: 350,40).

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Der im Februar 1992 geborene Sohn der Beschwerdeführerin (Bf.), S, war an der Technischen Universität Wien (TU Wien) ab dem Wintersemester 2010 für das Bachelor­studium Bauingenieurwesen und Infrastrukturmanagement sowie das Bachelor­studium Finanz- und Versicherungs­mathematik gemeldet. Ab dem Sommersemester 2011 war er an der TU Wien zudem für das Bachelor­studium Medieninformatik und Visual Computing gemeldet.

Das Bachelor­studium Bauingenieurwesen und Infrastrukturmanagement sowie das Bachelor­studium Finanz- und Versicherungs­mathematik wurden vom Sohn der Bf. im September 2014 abgebrochen.

Die Bf. bezog für ihren Sohn im Zeitraum März 2013 bis August 2015 Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge.

Anlässlich einer Überprüfung des Anspruches auf Familienbeihilfe im Herbst 2015 wurde dem Finanzamt aus den von der Bf. vorgelegten Unterlagen bekannt, dass der Sohn der Bf. ab dem Sommersemester 2015 an der TU Wien für zwei Studien (neben dem Bachelor­studium Medieninformatik und Visual Computing auch für das Bachelor­studium Software & Information Engineering) gemeldet war.

In einem Ergänzungsersuchen des Finanzamtes vom wurde an die Bf. die Frage gerichtet, ob ihr Sohn das Bachelor­studium Software & Information Engineering ab dem Sommersemester 2015 als Hauptstudium betreibt. Die Bf. wurde weiters um Vorlage des Anrechnungsbescheides (des Bescheides über die Anrechnung von Prüfungen aus der Studienrichtung Medieninformatik und Visual Computing auf die Studienrichtung Software & Information Engineering) ersucht.

Die Bf. teilte dem Finanzamt im Antwortschreiben mit, dass ihr Sohn das Bachelor­studium Software & Information Engineering ab dem Sommersemester 2015 als Hauptstudium betreibt. Dem Antwortschreiben der Bf. war ein Schreiben des Dekanats der Fakultät für Informatik der TU Wien vom angeschlossen, in welchem Folgendes ausgeführt ist:

„Hiermit wird bestätigt, dass die von Herrn S für das Bachelorstudium Medien­informatik und Visual Computing (033/532) positiv absolvierten Lehrveranstaltungen (siehe Beilage) ohne bescheidmäßige Anerkennung für das Bachelorstudium Software & Information Engineering (033/534) verwendet werden können.

Eine Anerkennung entfällt hinsichtlich des Beschlusses („Generelle Anerkennung von Prüfungen an der TU Wien“) des Senates der Technischen Universität vom (siehe Beilage).“

Die im Schreiben des Dekanats der Fakultät für Informatik der TU Wien vom erwähnten Beilagen waren dem Antwortschreiben der Bf. angeschlossen.

Der Beschluss „Generelle Anerkennung von Prüfungen an der TU Wien“ vom lautet wie folgt:

„§ 1: Eine positiv beurteilte Prüfung, welche im Rahmen eines ordentlichen Studiums an der Technischen Universität Wien absolviert wurde, gilt generell und ohne Ausstellung eines Bescheids auch für ein anderes Studium an der Technischen Universität Wien als anerkannt, wenn die entsprechende Lehrveranstaltung den gleichen Titel, den gleichen Typ und den gleichen Umfang an ECTS-Punkten aufweist und überdies gemäß dem an der Technischen Universität Wien verwendeten Datenverwaltungssystem für die an der Technischen Universität Wien abgehaltenen Lehrveranstaltungen in einem Studienplan dieses anderen Studiums zugeordnet ist bzw. war. Wurde die Prüfung vor der Zulassung zu diesem anderen Studium absolviert, so gilt das Datum der Zulassung als Datum für die Anerkennung, ansonsten das Datum der Prüfung.

§ 2: Sind nicht alle der in § 1 angeführten Bedingungen erfüllt, insbesondere bei Fehlen oder bei falscher Zuordnung von ECTS-Punkten, so entscheidet das zuständige studien­rechtliche Organ, ob eine Prüfung gemäß § 1 ohne Bescheid als anerkannt gilt.“

Die beiliegende Aufstellung der vom Sohn der Bf. für das Bachelor­studium Medien­informatik und Visual Computing absolvierten Lehrveranstaltungen weist im Zeitraum Jänner 2013 bis Juli 2015 positiv absolvierte Lehrveranstaltungen im Ausmaß von 84,8 ECTS-Punkten aus.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom forderte das Finanzamt von der Bf. die von ihr für ihren Sohn im Zeitraum Februar bis August 2015 bezogene Familien­beihilfe und die Kinderabsetzbeträge in Höhe von insgesamt 1.521,10 € gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 iVm § 33 Abs. 3 EStG 1988 zurück. In der Begründung ist Folgendes ausgeführt:

„Im § 2 Abs. 1 lit. b Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) wird hinsichtlich eines Studienwechsels auf die Bestimmungen des § 17 Studienförderungsgesetz (StudFG) verwiesen.

Gemäß § 17 Abs. 1 Z 2 StudFG liegt ein günstiger Studienerfolg nicht vor, wenn der Studierende das Studium nach dem jeweils dritten fortgesetzt gemeldeten Semester (nach dem zweiten Ausbildungsjahr) gewechselt hat.

Gemäß § 17 Abs. 4 StudFG in der geltenden Fassung (BGBl. I Nr. 76/2000) ist ein Studienwechsel im Sinne des Abs. 1 Z 2 nicht mehr zu beachten, wenn die oder der Studierende in dem nunmehr gewählten Studium so viele Semester wie in den vor dem Studienwechsel betriebenen Studien zurückgelegt hat.

Da das Bachelorstudium Software und Information Engineering (E033 534) seit 2/15 als Hauptstudium betrieben wird, war spruchgemäß zu entscheiden.“

Die von der Bf. gegen den Rückforderungsbescheid erhobene Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab.

Gegen die Beschwerdevorentscheidung brachte die Bf. eine – als Vorlageantrag zu wertende – Beschwerde ein.

Das Finanzamt legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte im Vorlagebericht die Abweisung der Beschwerde.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. Wird ein Studienabschnitt in der vorgesehenen Studienzeit absolviert, kann einem weiteren Studienabschnitt ein Semester zugerechnet werden. .… Bei einem Studienwechsel gelten die in § 17 Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 305, angeführten Regelungen auch für den Anspruch auf Familienbeihilfe.

§ 17 Studienförderungsgesetz 1992 (StudFG) lautet:

„(1) Ein günstiger Studienerfolg liegt nicht vor, wenn der Studierende

1. das Studium öfter als zweimal gewechselt hat oder

2. das Studium nach dem jeweils dritten inskribierten Semester (nach dem zweiten Ausbildungsjahr) gewechselt hat oder

3. nach einem Studienwechsel aus dem vorhergehenden Studium keinen günstigen Studienerfolg nachgewiesen hat, bis zum Nachweis eines günstigen Studienerfolges aus dem neuen Studium.

(2) Nicht als Studienwechsel im Sinne des Abs. 1 gelten:

1. Studienwechsel, bei welchen die gesamten Vorstudienzeiten für die Anspruchsdauer des nunmehr betriebenen Studiums berücksichtigt werden, weil sie dem nunmehr betriebenen Studium auf Grund der besuchten Lehrveranstaltungen und absolvierten Prüfungen nach Inhalt und Umfang der Anforderungen gleichwertig sind,

2. Studienwechsel, die durch ein unabwendbares Ereignis ohne Verschulden des Studierenden zwingend herbeigeführt wurden,

3. Studienwechsel, die unmittelbar nach Absolvierung der Reifeprüfung einer höheren Schule erfolgen, wenn für das während des Besuchs der höheren Schule betriebene Studium keine Studienbeihilfe bezogen wurde,

4. die Aufnahme eines Doktoratsstudiums gemäß § 15 Abs. 3.

(3) Nicht als Studienwechsel im Sinne des § 17 Abs. 1 Z 1 und 2 gilt der Wechsel von der Studienrichtung Medizin zur Studienrichtung Zahnmedizin für Studierende, die die Studienrichtung Medizin vor dem Studienjahr 1998/99 aufgenommen haben und den Studienwechsel spätestens im Sommersemester 2001 vornehmen.

(4) Ein Studienwechsel im Sinne des Abs. 1 Z 2 ist nicht mehr zu beachten, wenn die Studierenden in dem nunmehr gewählten Studium so viele Semester wie in den vor dem Studienwechsel betriebenen Studien zurückgelegt haben. Anerkannte Prüfungen aus dem Vorstudium verkürzen diese Wartezeiten; dabei ist auf ganze Semester aufzurunden.“

Gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familien­beihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen. Dies gilt nach § 33 Abs. 3 EStG 1988 auch für zu Unrecht bezogene Kinderabsetzbeträge.

Der Begriff Studienwechsel bedeutet den Betrieb einer anderen Studienrichtung als jener, die in den vorangegangenen Semestern betrieben wurde. Wenn ein Studierender das begonnene, aber noch nicht abgeschlossene Studium nicht mehr fortsetzt und an dessen Stelle ein anderes in den Geltungsbereich des StudFG fallendes Studium beginnt, liegt jedenfalls ein Studienwechsel vor (; ). Im Falle der gleichzeitigen Absolvierung mehrerer Studienrichtungen liegt ein Studienwechsel dann vor, wenn der Studierende anstelle des bisher angegebenen Studiums ein anderes von ihm betriebenes Studium benennt (). Für den Fall der gleichzeitigen Absolvierung mehrerer Studien besteht somit Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Studium, wobei die Wahl des Studiums, für das Familienbeihilfe beantragt wird, dem Studierenden freisteht. Jede Änderung dieser Entscheidung gilt als Studienwechsel (vgl. Wimmer in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 2 Rz 95).

Nach § 17 Abs. 2 StudFG gelten (nach Abs. 1 an sich „schädliche“) Studienwechsel bei Vorliegen bestimmter Umstände nicht als Studienwechsel. Trotz Vorliegens einer Voraussetzung nach § 17 Abs. 1 StudFG ist der Studienwechsel in diesen Fällen somit ohne Auswirkung auf den Anspruch. So zählt nach § 17 Abs. 2 Z 1 StudFG ein Studienwechsel, bei welchem die gesamten Vorstudienzeiten für die Anspruchsdauer des neuen Studiums berücksichtigt werden, weil sie diesem Studium aufgrund der besuchten Lehrveranstaltungen und absolvierten Prüfungen nach Inhalt und Umfang der Anforderungen gleichwertig sind, nicht als Studienwechsel. Bei gegebener Gleichwertigkeit der beiden Studien ist somit ein Wechsel der Studienrichtung nicht als Studienwechsel anzusehen. Es genügt jedoch nicht, dass alle vor dem Studienwechsel abgelegten Prüfungen des Vorstudiums von der zuständigen Studienkommission angerechnet werden, vielmehr müssen im Ergebnis die gesamten Vorstudienzeiten für die Anspruchsdauer des nunmehr betriebenen Studiums berücksichtigt werden. Die im Vorstudium besuchten Lehrveranstaltungen und absolvierten Prüfungen müssen nach Inhalt und Umfang der Anforderungen dem nunmehr betriebenen Studium gleichwertig sein. Andernfalls würde bei Anrechnung aller Prüfungen aus dem Vorstudium, auch wenn dieses nicht mehr ernsthaft und zielstrebig betrieben wurde (und im Verhältnis zur bereits absolvierten Semesteranzahl im Vorstudium nur wenige Prüfungen abgelegt wurden), nach einem Studienwechsel immer die Bestimmung des § 17 Abs. 2 Z 1 StudFG zur Anwendung kommen (). Wenn also die gesamten Vorstudienzeiten in die neue Studienrichtung eingerechnet werden, liegt im Sinne des § 17 Abs. 2 Z 1 StudFG kein Studienwechsel vor, jedoch wird die Studienzeit (die Anspruchsdauer des neuen Studiums bzw. Studienabschnittes) um die angerechneten Semester verkürzt. Wird der Studienerfolg in ECTS-Punkten bemessen, ist die Anzahl der anerkannten ECTS-Punkte aus den Vorstudien maßgeblich. Das Arbeitspensum eines Studienjahres ist nach § 51 Abs. 2 Z 26 UG 2002 für alle Bildungseinrichtungen und für alle Studien mit 60 ECTS-Punkten bemessen, daher ist pro Anerkennung von Vorstudienleistungen im Ausmaß von 30 ECTS-Punkten ein Semester zu berücksichtigen (bei Anerkennung von 1 bis 30 ECTS-Punkten ein Semester, bei Anerkennung von 31 bis 60 ECTS-Punkten zwei Semester usw.). Wird mit dieser Anrechnung die Semesteranzahl der Vorstudien erreicht, wird vom Gesetzgeber damit unterstellt, dass für das nunmehr betriebene Studium der annähernd gleiche (Zeit)Aufwand erforderlich gewesen wäre. Die angerechneten Semester sind in die Anspruchsdauer des neuen Studiums einzurechnen (Verkürzung der Anspruchsdauer) und der Studienwechsel bleibt nach § 17 Abs. 2 Z 1 StudFG ohne weitere Folgen (vgl. Wimmer in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 2 Rz 100 und 101; ; ).

Im vorliegenden Fall wurde die Studienrichtung Medieninformatik und Visual Computing nach mehr als drei Semestern gewechselt. Für die neue Studienrichtung (Software & Information Engineering) konnten nur positiv absolvierte Lehrveranstaltungen im Ausmaß von 84,8 ECTS-Punkten angerechnet werden, was im Sinne der obigen Ausführungen drei Semestern entspricht.

Da somit nicht die gesamten Vorstudienzeiten in die neue Studienrichtung eingerechnet wurden, ist die Bestimmung des § 17 Abs. 2 Z 1 StudFG nicht anwendbar. Daher liegt ein günstiger Studienerfolg nach § 17 Abs. 1 Z 2 StudFG nicht vor, weshalb der Rück­forderungs­bescheid des Finanzamtes dem Grunde nach zu Recht ergangen ist.

Zu beachten ist allerdings, dass der Sohn der Bf. erst mit den Studienwechsel vollzogen hat. Somit steht für ihn nach der zitierten Bestimmung des § 10 Abs. 2 FLAG 1967 die Familienbeihilfe für den Monat Februar 2015 noch zu.

Der Rückforderungs­zeitraum ist daher auf die Monate März bis August 2015 einzuschränken. Der angefochtene Bescheid wird dementsprechend abgeändert.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Recht­sprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor, da die Entscheidung des Bundes­finanzgerichtes der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at