Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 21.12.2018, RV/6100100/2018

Aufhebung von Buchungen am Gebarungskonto, da Bescheide nicht wirksam zugestellt wurden (Ortsabwesenheit)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache Bf, Straße, Ort, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Salzburg-Land vom , Abgabenkonto 93A, betreffend Antrag auf Erlassung eines Abrechnungsbescheides und Kontoberichtigung zu Recht erkannt: 

Der Spruch des angefochtenen Bescheides wird dahingehend geändert, dass der Abrechnungsbescheid das Steuerkonto 93A betrifft.

Der Beschwerde hinsichtlich des Antrages auf Abrechnung wird insoweit stattgegeben, als folgende Buchungen auf dem Gebarungskonto 93A aufgehoben werden:

  • Zahllast von € 2.902,41 (E) vom

  • Zahllast von € 169,64 (ZI) vom

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Schreiben vom hat die Beschwerdeführerin (nachstehend mit "Bf" bezeichnet) einen Antrag auf Kontoberichtigung und Abrechnungsbescheid an das Finanzamt Salzburg-Land gestellt.
Bei einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht habe sich herausgestellt, dass mit Bescheid vom eine Nachforderung von € 2.902,41 für das Jahr 2008 gestellt worden sei. Da sich dieser Bescheid nicht in ihren Unterlagen befinde, müsse die Bf annehmen, dass sie ihn nicht erhalten habe.

Laut Aktenlage (Formulare 4 zu § 22 des Zustellgesetzes) wurde am versucht, der Bf zwei Bescheide vom zuzustellen, nämlich einen Erstbescheid (neue Sachentscheidung) betreffend Einkommensteuer 2008 über € 2.902,41 (Wiederaufnahme § 303) sowie den Bescheid betreffend Anspruchszinsen in Höhe von € 169,64. Verständigungen über die Hinterlegung beim Zustellpostamt (Beginn der Abholfrist: ) wurden in den Briefkasten der Bf eingelegt.
Da die Bescheide nicht behoben worden sind, stellte die Post diese am nach Ablauf der Abholfrist an das Finanzamt zurück.

Mit Bescheid vom wurde ein Abrechnungsbescheid zum Steuerkonto 93B [gemeint ist offensichtlich 93A; das im Spruch des Bescheides angeführte Steuerkonto gehört W und ist offensichtlich unrichtig] über die Anlastung und Entrichtung der Einkommensteuern 2008 und 2009 erlassen. Der Antrag auf Kontoberichtigung wurde abgewiesen.
In der Begründung wird ausgeführt, man habe keinen Widerspruch zwischen den vorgeschriebenen bzw getilgten Beträgen entdecken können. Alle Verbuchungen und Tilgungen des Gebarungskonto 93A würden im Einklang mit den abgabenrechtlich vorgeschriebenen Einkommensteuerbelastungen stehen.
Eine Kontoberichtigung/Rückzahlung sei folglich nicht vorzunehmen. 

Mit Schreiben vom hat die Bf gegen diesen Bescheid Beschwerde erhoben und im Wesentlichen vorgebracht, sie habe alle - endgültigen - Bescheide bezahlt, die Bescheide vom jedoch nicht erhalten. Im Chaos der Beschwerden gegen die Bescheide 2010-2011 könne man schlecht von einem 'Saldo' sprechen. Sie wäre aufgrund der Unwissenheit der Sachbearbeiter bezüglich KEST und vor allem Substanzgewinn äußerst sensibilisiert gewesen. Undenkbar, dass sie einen derartigen Bescheid ignoriert hätte. Überdies seien die Forderungen inhaltlich nicht berechtigt. Die Einkommensteuer 2008 sei doppelt vorgeschrieben worden. Die Bf beantragt daher ua auch, die Differenz in einem Wiederaufnahmeverfahren richtig zu stellen.

Auf Anforderung der Abgabenbehörde wurde von der Bf in weiterer Folge am eine Aufstellung 'Vorsorge 2012' vorgelegt, aus der ersichtlich ist, zu welchen Zeiten die Bf und ihr Ehemann W sich in Kärnten befunden haben, um sich dort - abwechselnd mit Frau M  für jeweils fünf Wochen - um die Schwiegermutter der Bf, A, zu kümmern. Zur Untermauerung der Richtigkeit der Angaben in der genannten Aufstellung wurden Kopien von Rechnungen eines Optikers und eines Autohauses in Kärnten angeschlossen. Auf der Aufstellung selbst bestätigt der Ehemann der Bf deren Richtigkeit mit seiner Unterschrift.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Bescheidbewerde als unbegründet abgewiesen.
Aus dem vorgelegten Beweismaterial könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit die durchgehende Ortsabwesenheit von ihr und ihrem Gatten im Zeitraum bis abgeleitet werden. Da Frau A in einem Pflegeheim untergebracht sei, wäre eine durchgehende tägliche Betreuung durch die Bf und ihren Ehemann aus Sicht des Finanzamtes auch nicht erforderlich.

Am hat die Bf die Vorlage ihrer Bescheidbeschwerde an das Bundesfinanzgericht beantragt.
A habe sich im erwähnten Zeitraum im Alten- und Pflegeheim X befunden. Wegen Erblindung im hohen Alter habe sie besonderer Obsorge bedurft. Da das Personal im Heim nach Einschätzung der Familie nicht ausreichend Zeit für die Erhaltung der geistigen und physischen Mobilität der Mutter aufbringen hätte können, hätten sich die Kinder darum kümmern müssen. Die Lösung sei gewesen, sie um 11:00 Uhr und um 16:00 Uhr - jeweils für etwas 2 Stunden - zu besuchen, spazieren zu führen, ihr beim Essen zu helfen und sie zur allem zu unterhalten. Sie sollte sich nicht "abgeschoben" fühlen. Die Bf und ihr Mann W hätten sie jahrelang abwechselnd (im 5-Wochen-Rhythmus mit Frau M) betreut. Sie hätten - wenn laut Obsorgeplan vorgesehen - in der Wohnung der Mutter in Kärnten gewohnt in diese täglich im Seniorenheim besucht. Die Bf zu Mittag, ihr Ehemann am Nachmittag. Dafür gebe es jede Menge Zeugen.
Angeschlossen ist eine Erklärung, wonach die Bf von 5.2. bis zur Pflege der Schwiegermutter in Kärnten war. Bereits 2011 habe sie wegen der langen Abwesenheiten  beantragt, Bescheide des Finanzamtes über FinanzOnline zuzustellen. Dies funktioniere aber erst seit 2014. Eine Benachrichtigung über die Hinterlegung der fraglichen Bescheide habe sie in ihrer Post nicht gefunden, sonst hätte sie die RSb-Briefe abgeholt. Es sei undenkbar, dass zwei Benachrichtigungen übersehen wurden!
Der Ehemann bestätigt in einer eidesstattlichen Erklärung, zusammen mit der Bf im angegebenen Zeitraum in Kärnten gewesen zu sein.

Auf Veranlassung des Bundesfinanzgerichtes wurde von der Bf Ende Mai 2018 ein Schreiben des Alten- und Pflegeheims X Y vom vorgelegt, in dem die Heimassistenz bestätigt, dass Frau A dort in der Zeit 2010 bis 2015 lebte. Ihre Kinder hätten die Mutter regelmäßig im 5-Wochen-Turnus besucht. Der Sohn habe sie regelmäßig am Nachmittag und dessen Gattin am Vormittag besucht.
Laut Stellungnahme des Finanzamtes sage diese Bestätigung über die Ortsabwesenheit im fraglichen Zeitraum nichts aus. Es sei durchaus möglich, dass es auch Unterbrechungen der Besuche im Heim gegeben habe, welche eine Rückkehr von Kärnten an den Wohnort Ort ermöglicht haben könnten.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Hinterlegte Sendungen gelten nach § 17 Abs 3 Zustellgesetz - ZustG mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte; in diesem Fall wird die Zustellung am Tag nach der Rückkehr an die Abgabestelle wirksam, sofern dieser Tag noch innerhalb der Abholfrist liegt. 

Gemäß § 138 Abs 1 BAO haben die Abgabepflichtigen auf Verlangen der Abgabenbehörde in Erfüllung ihrer Offenlegungspflicht (§ 119) zur Beseitigung von Zweifeln den Inhalt ihrer Anbringen zu erläutern und zu ergänzen sowie dessen Richtigkeit zu beweisen. Kann ihnen ein Beweis nach den Umständen nicht zugemutet werden, so genügt die Glaubhaftmachung. 
Diese hat den Nachweis der Wahrscheinlichkeit zum Gegenstand () und unterliegt den Regeln der freien Beweiswürdigung (vgl Ritz, BAO6, § 138 Tz 5 und die dort zitierte Judikatur). Ein Sachverhalt ist glaubhaft gemacht, wenn die Umstände des Einzelfalles dafür sprechen, der vermutete Sachverhalt habe von allen denkbaren Möglichkeiten die größte Wahrscheinlichkeit für sich (). Die Glaubhaftmachung setzt die schlüssige Behauptung der maßgeblichen Umstände durch den Abgabepflichtigen voraus (; Ritz, BAO6, § 138 Tz 5 und 6).

Um glaubhaft zu machen, dass sie im Zeitraum zwischen Beginn der Abholfrist, der beim Zustellpostamt hinterlegten Bescheide (), und deren Rückstellung an das Finanzamt () ortsabwesend war, hat die Bf diverse Unterlagen und (eidesstattliche) Erklärungen vorgelegt.
Laut diesen Unterlagen hat sie sich während dieser Zeit in Kärnten aufgehalten, um sich um ihre Schwiegermutter zu kümmern.
Aufgrund der eidesstattlichen Erklärung von W, der die Angaben der Bf bestätigt, und der sonstigen vorgelegten Unterlagen (Aufstellung 'Vorsorge 2012' und Beweismittel zur Bestätigung von deren Richtigkeit) ist bescheinigt, dass die Bf im Zeitraum  bis (und darüber hinaus) von der Abgabestelle abwesend war (vgl ). Im Sinne der oben dargestellten Rechtslage ist der Hinterlegung im vorliegenden Fall aus den genannten Gründen nicht die Wirkung einer Zustellung zugekommen und entfalten die Erledigungen des Finanzamtes vom mangels Bekanntgabe iSd § 97 Abs 1 BAO der Bf gegenüber keine Wirkung.

Die aufgrund der unwirksamen Bescheide betreffend Einkommensteuer 2008 (Wiederaufnahme § 303) sowie Anspruchszinsen vorgenommenen Buchungen über € 2.902,41 (E) sowie über € 169,64 (ZI) erweisen sich aus den angeführten Gründen als unrichtig.

Mit Bescheid (Abrechnungsbescheid) ist gemäß § 216 BAO über die Richtigkeit der Verbuchung der Gebarung sowie darüber, ob und inwieweit eine Zahlungsverpflichtung durch Erfüllung eines bestimmten Tilgungstatbestandes erloschen ist, auf Antrag des Abgabepflichtigen abzusprechen. Ein solcher Antrag ist nur innerhalb von fünf Jahren nach Ablauf des Jahres, in dem die betreffende Verbuchung erfolgt ist oder erfolgen hätte müssen, zulässig.
Anwendungsbereiche für den Abrechnungsbescheid sind daher beispielsweise Meinungsverschiedenheiten über den Bestand von Zahlungsverpflichtungen oder über die Frage, ob ein Leistungsgebot zugestellt wurde, weil nur dann seine Buchung auf dem Abgabenkonto rechtmäßig ist (; ).

Die am erfolgten Buchungen über € 2.902,41 und € 169,64 wurden ohne Rechtsgrundlage vorgenommen, zumal keine wirksamen Bescheide ergangen sind.  Diese Buchungen sind somit aufzuheben.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall - insbesondere im Hinblick auf die oben zitierte Judikatur - nicht gegeben.

Salzburg-Aigen, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 17 Abs. 3 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
§ 138 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 97 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 216 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2018:RV.6100100.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at