Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 27.11.2018, RV/7105272/2015

Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens zur Restnutzungsdauer eines Gebäudes

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. in der Beschwerdesache Bf., vertreten durch Stb., über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt FA vom , betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2012 zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

1. Der Beschwerdeführer (Bf.) erwarb mit Kaufvertrag vom eine Liegenschaft mit darauf befindlichem Wohn- und Geschäftsgebäude an der Adresse Str., S.. Einzelne im Erdgeschoss gelegene Räumlichkeiten der Liegenschaft (Geschäftslokal, 1 Büroraum, Atelier, Lager, WC) wurden ab dem mit einem unbefristeten Mietvertrag an die P. GmbH vermietet. Die Nutzungsdauer des Gebäudes wurde aufgrund eines in Auftrag gegebenen Privatgutachtens mit 34 Jahren bemessen. In Folge wurde von der gesetzlichen Vermutung des § 16 Abs. 1 Z 8 lit. e EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 111/2010 abgewichen und steuerlich in der Jahreserklärung ein höherer Abschreibungssatz zur Anwendung gebracht. Vor Erlassung des Einkommensteuerbescheids 2012 wurde eine Außenprüfung durch die belangte Behörde durchgeführt.

2. Aus dem vorgelegten Gutachten zum Stichtag ergibt sich zunächst, dass es sich bei der Liegenschaft um ein Grundstück mit darauf befindlichem Wohn- und Geschäftsgebäude in S. handelt. Das zweigeschossige Gebäude, bestehend aus Unter-, Erd- und Obergeschoss wurde 1986 in Massivbauweise errichtet und 1995 um einen Zubau erweitert. Die Zentralheizungsanlage wurde 1988 eingebaut. Das Gutachten beschreibt die einzelnen Räumlichkeiten der Stockwerke und verweist hinsichtlich der technischen Beschreibung darauf, dass die technische Konzeption und Ausführung dem entsprechenden Baujahr entspricht. Diesbezüglich wird weiters auf die beigefügten Unterlagen hingewiesen (Einreichplan, Baubeschreibung, Bescheide).

Unter Punkt 5. Mängel wird ein nicht mehr den heutigen technischen Vorschreibungen entsprechender Wärme- und Schallschutz angeführt. Die eingebaute Heizung sei überaltert und technisch überholt. Des Weiteren wird festgehalten, dass im Bereich des Kellers kapillare Durchfeuchtungen bestehen und dass Schäden an der Verfliesung der Fassade sowie Nässeschäden an dieser bestehen. Das an die Terrasse anschließende Gründach sei als anfällig zu bezeichnen und schränke die Lebensdauer massiv ein.

Im anschließenden Gutachtensteil finden sich allgemeine Ausführungen zur betriebsgewöhnlichen, technischen und wirtschaftlichen Nutzungsdauer, zu Baumängeln und Bauschäden und eine Darstellung der durchschnittlichen Erfahrungswerte über die gewöhnliche Nutzungsdauer von neu errichteten Gebäuden laut Nutzungsdauerkatalog des Sachverständigenverbandes, Ausgabe 2006.

Hinsichtlich der Nutzungsdauer aus steuerlicher Sicht wird ausgeführt:

Der für die Bemessung der steuerlichen AfA maßgeblichen „betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer“ des Wirtschaftsgutes sind (um Doppelabschreibungen zu vermeiden) nur jene Bauteile zugrunde zu legen, die üblicherweise im Laufe der Lebensdauer eines Gebäudes nicht erneuert werden.

Die mehrmalige Erneuerung mancher Bauteile im Zuge der Lebensdauer des Gebäudes wird im EStG 1988 als Erhaltungsaufwand betrachtet, ist im Jahre der Entstehung als Betriebsausgabe absetzbar und daher nicht in die Ermittlung der „betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer“ nach § 7 Abs. 1 EStG 1988 einzubeziehen.

()
Unter betriebsgewöhnlicher Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes ist die Dauer seiner technischen und wirtschaftlichen Nutzbarkeit zu verstehen. Die technische Abnutzung ist der materielle Verschleiß des Wirtschaftsgutes, sein Substanzverzehr. Als wirtschaftliche Abnutzung wird die Verminderung oder das Aufhören der Verwendungsmöglichkeit des Wirtschaftsgutes für den Steuerpflichtigen bezeichnet. Die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes (und damit die Höhe des AfA-Satzes) kann regelmäßig nur geschätzt werden. Eine solche Schätzung obliegt grundsätzlich dem Abgabepflichtigen, der in aller Regel über einen besseren Einblick als die Abgabebehörde verfügt, wie lange sich das von ihm angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgut nach seinen Verhältnissen nutzen lässt.

Die Abgabenbehörde ist allerdings befugt, die Schätzung des Abgabepflichtigen zu überprüfen und von ihr abzuweichen, wenn sie sich als unzutreffend erweist. (Hinweis E , 92/14/0141).

Im Nutzungsdauerkatalog des Sachverständigenverbandes, Ausgabe 2006, wird beispielsweise für Wohn-, Büro- u. Verwaltungsgebäude in Massivbauweise 40 - 80 Jahre und für Geschäftshäuser, Kaufhäuser je nach Standort 40 - 60 Jahre angegeben.

Bei dem Ansatz dieser Restnutzungsdauer wird beim Geschäftsbereich daher von einer mittleren Lebensdauer von 50 Jahre ausgegangen, beim Wohnbereich von einer mittleren Lebensdauer von 70 Jahren, sodass sich eine gemittelte Lebensdauer bezogen auf den Geschäfts- und Wohnbereich von 60 Jahren ergibt.

Nachdem das Gebäude 1986 (lt. Bescheid) errichtet wurde beträgt die Bestandsdauer des Hauses 26 Jahre.

Aufgrund der Lebensdauer von 60 Jahren und der Bestandsdauer von 26 Jahren unter Berücksichtigung der Mängel und Schäden unter Punkt 5. (Seite 11 des Gutachtens) - ergibt sich nachfolgende Restnutzungsdauer.

Aufgrund des technischen Zustandes des Bauwerkes und seiner wirtschaftlichen Verwendbarkeit wird die Restnutzungsdauer mit 34 Jahren geschätzt.

3. Im Rahmen der betreffend Einkommensteuer sowie Umsatzsteuer der Jahre 2010 bis 2012 durchgeführten Außenprüfung wurden mehrere Feststellungen getroffen, wobei gemäß Tz. 2 des diesbezüglich ergangenen Berichtes die laut Gutachten anzusetzende Nutzungsdauer von 34 Jahren nicht anerkannt und für das Jahr 2012 eine Korrektur auf den Abschreibungssatz des § 16 Abs. 1 Z 8 lit. e EStG 1988 vorgenommen wurde.

Begründend wurde hierzu ausgeführt, dass das Gutachten aus mehreren Gründen nicht geeignet sei, den gesetzlichen AfA-Satz von 1,5 % für Vermietungsobjekte zu entkräften. Einerseits wurde kein Zusammenhang zwischen den laut Gutachten bestehenden Mängeln und der ermittelten Restnutzungsdauer hergestellt. Andererseits wurde seitens des Gutachters nicht auf den Gesamtzustand des Gebäudes, insbesondere auf tragende Teile eingegangen. Die dargestellten Mängel im Bereich Fassade, Wärme- und Schallschutz und Durchfeuchtungen des Kellers rechtfertigen weiters nicht die Verminderung der gesetzlichen Nutzungsdauer, da die Bausubstanz von Gebäuden regelmäßig länger nutzbar ist als bestimmte Einbauten, die im Laufe eines Gebäudelebens durchaus auch mehrfach erneuert werden müssten.

Zu bemängeln sei auch die Ermittlung der Restnutzungsdauer durch den Gutachter. Diese wurde ermittelt, indem die angenommene, fiktive Lebensdauer um die Jahre der bereits erfolgten Benutzung vermindert wurde.

4. Mit Bescheid vom setzte die belangte Behörde die Einkommensteuer für das Jahr 2012 den Feststellungen der Außenprüfung folgend fest.

5. In der Beschwerde vom gegen den Einkommensteuerbescheid 2012 wurde vorgebracht, dass hinsichtlich der Nutzungsdauer des gegenständlichen Objekts ein Gutachten eingeholt worden sei und die Abschreibung auf Basis dieses Gutachtens angesetzt wurde.

Den Ausführungen in der Niederschrift, dass die Restnutzungsdauer ohne Beachtung der seit Errichtung getätigten Investitionen ermittelt wurde, werde entgegengehalten, dass die Wärmedämmung aufgrund der bekannten Mängel erst im Nachhinein durchgeführt wurde.

Ergänzend werde mitgeteilt, dass der Bf. mit einer Anpassung der Nutzungsdauer auf 45 Jahre einverstanden wäre.

6. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab:

„Mit Beschwerde vom bekämpfen Sie die Anwendung des § 16 Abs. 1 Z 8 lit. d EStG 1988 - bei Gebäuden die der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung dienen, können ohne Nachweis der Nutzungsdauerjährlich 1,5% der Bemessungsgrundlage als Absetzung für Abnutzung geltend gemacht werden - und nehmen für die Berücksichtigung einer Restnutzungsdauer von 34 Jahren auf ein eingeholtes Gutachten Bezug. Im Beschwerdevorbringen ergänzen Sie noch, dass die Wärmedämmungsmaßnahmen erst nach Erstellung des Gutachtens durchgeführt wurden und dass Sie mit einer Anpassung der Restnutzungsdauer auf 45 Jahre einverstanden wären, ohne sich zu dieser Anpassung von einer 34jährigen auf eine 45jährige Restnutzungsdauer näher zu äußern.

Ihrem Beschwerdebeqehren ist zu erwidern:
Der Nachweis einer kürzeren als der gesetzlich vorgegebenen Nutzungsdauer wird in der Regel durch ein Gutachten eines Sachverständigen über den technischen Bauzustand erbracht. Von Steuerpflichtigen vorgelegte Gutachten unterliegen als Beweismittel der freien Beweiswürdigung der Behörde.

Maßgeblich für eine höhere AfA ist in der Regel die technische und nicht die wirtschaftliche Nutzungsdauer. Gründe für eine kürzere Gebäudenutzung können z.B. schlechter Bauzustand, schlechte Bauausführung oder besondere statische Probleme sein. Für die Ermittlung der Restnutzungsdauer ist der Bauzustand im Zeitpunkt des Erwerbes maßgeblich, wobei unterlassener oder künftig notwendiger Instandsetzungsaufwand keinen erhöhten AfA-Satz begründen kann. Finden sich in einem Gutachten keine hinreichenden Aussagen zum Bauzustand, zur Qualität der Bauausführung und zu allfälligen bereits entstandenen Schäden als Folge einer Durchfeuchtung, ist es zur Nachweisführung über einen geringeren AfA-Satz nicht geeignet.

Die kürzere Lebensdauer verschiedener Gebäudeteile begründet keine kürzere Nutzungsdauer als die sich aus den konstruktiven Bauteilen ergebende einheitliche technische Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes.

Soll von der gesetzlich vermuteten Nutzungsdauer abgegangen werden, ist ein genaues Eingehen des Gutachtens auf den Gesamtzustand des Gebäudes erforderlich. Setzungsrisse oder starke Mauerdurchfeuchtungen können dabei die Nutzungsdauer verkürzende Faktoren sein, wobei noch zu hinterfragen ist, ob die Schäden mit wirtschaftlich vertretbaren Maßnahmen behebbar sind.

Das streitgegenständliche Objekt wurde It. Gutachten 1986/1987 in Massivbauweise errichtet und 1995 um einen Zubau erweitert.

Im vorliegenden Gutachten sind nachfolgende Mängel angeführt:
*)Die technische Konzeption und Ausführung entspricht dem Baujahr.
*)Der Wärme- und Schallschutz entspricht ebenfalls dem Baujahr und nicht den heutigen technischen Vorschreibungen.
*)Der Keller zeigt kapillare Durchfeuchtungen.
*)Die eingebaute Heizung ist überaltet und technisch überholt.
*)Die Verfliesung der Fassade weist Schäden auf und zwischen Fassade und Traufenpflaster zeigen sich Nässeschäden.
*)Das Gründach im Anschluss an die Terrasse ist als anfällig zu bezeichnen und schränkt die Lebensdauer des Objektes massiv ein.

Im Ergebnis geht der Gutachter von einer mittleren Lebensdauer des Objektes von 60 Jahren und von einer bereits verbrauchten Nutzungsdauer von 26 Jahren aus und ermittelt so nach der It. VwGH-Rechtsprechung grundsätzlich unzulässigen Differenzmethode die Restnutzungsdauer von 34 Jahren.

Bei Gebäuden in Massivbauweise ist lt. ständiger Rechtsprechung und Literatur eine Nutzungsdauer von 200 Jahren und mehr möglich. Die im Gutachten angeführten Mängel betreffen Gebäudeteile, die üblicherweise im Laufe der Lebensdauer eines Gebäudes mehrfach erneuert werden wie z.B. Anpassung von Wärme- und Schallschutz, Erneuerung der Heizungsanlage oder Sanierung der Fassade.

Auf Mängel die zu einer Beeinträchtigung der Tragfähigkeit des Gebäudes führen, auf nicht behebbare Baumängel und auf Schäden die nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten beseitigt werden können, wurde im Gutachten nicht eingegangen. Soll von der gesetzlich vermuteten Nutzungsdauer abgewichen werden, müssen gerade Mängel an tragenden Teilen vorliegen.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass das vorliegende Gutachten die gesetzliche Vermutung des § 16 Abs. 1 Z 8 lit. d EStG 1988 nicht entkräften konnte, weshalb die Beschwerde abweisend zu erledigen war.“

7. Der dagegen gerichtete Vorlageantrag vom enthält folgende Ausführungen:

„Mit Beschwerdevorentscheidung vom zum Einkommensteuerbescheid 2012 vom wurde die Beschwerde vom unseres oben angeführten Mandanten als unbegründet abgewiesen.

In der Beschwerdevorentscheidung wurde angeführt, dass der Nachweis einer kürzeren als der gesetzlich vorgegebenen Nutzungsdauer in der Regel durch ein Gutachten eines Sachverständigen über den technischen Bauzustand erbracht wird.

Genau für diesen Zweck wurde ein entsprechender Auftrag zur Erstellung eines Gutachtens dem Sachverständigen erstellt. Dieser Zweck wurde auch auf dem Deckblatt des Gutachtens ausdrücklich bestätigt.

Die voraussichtliche Nutzungsdauer ist ab dem sich aus § 16 Abs. 1 Z 8 EStG 1988 ergebenden Zeitpunkt (insbesondere dem Zeitpunkt der Anschaffung) zu ermitteln. Grundlage für das vorgelegte Gutachten ist die Besichtigung der Liegenschaft vom , also unmittelbar im Zeitpunkt der Anschaffung durch den Bf. Im Gutachten ging es um die Feststellung der Nutzungsdauer im Zeitpunkt des Kaufes und nicht hingegen um die Nutzungsdauer des Gebäudes nach einer (fiktiven) Sanierung oder Renovierung (siehe dazu auch VWGH 2009/15/0108 vom )

Hinsichtlich der geforderten Erläuterungen zum Bauzustand, zur Qualität der Bauausführung und zu allfälligen bereits entstandenen Schäden als Folge einer Durchfeuchtung werden wir eine entsprechende Ergänzung nachreichen.

Weiters verweise ich auf die Ausführungen in meiner Beschwerde und beantrage diese dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.

Antrag:

Unter Berücksichtigung der oben dargestellten vorliegenden Sachverhalte bzw. der in der Beschwerde bereits erläuterten Darstellungen beantragen wir daher die Festsetzung der Nutzungsdauer mit 34 Jahren wie im Gutachten angeführt.“

8. Mit Vorlagebericht vom wurde die Beschwerde dem BFG zur Entscheidung vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Es ist unstrittig, dass der Bf. mit Kaufvertrag vom die gegenständliche Liegenschaft erwarb. Das darauf befindliche, zweigeschossige Gebäude wurde 1986 in Massivbauweise errichtet und 1995 um einen Zubau erweitert. Die technische Konzeption und Ausführung entsprach dem Baujahr. Ab dem vermietete der Beschwerdeführer das im Erdgeschoss gelegene Geschäftslokal und weitere Räume an die P. GmbH.

Im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2012 wurde aufgrund eines erstellten Privatgutachtens von der gesetzlichen Annahme des § 16 Abs. 1 Z 8 lit. e EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 111/2010 abgewichen und eine Restnutzungsdauer von 34 Jahren für die Abschreibung des Gebäudes zugrunde gelegt. Noch vor Erlassung des Einkommensteuerbescheides wurde eine Außenprüfung durchgeführt und in der Folge die im genannten Gutachten ermittelte Restnutzungsdauer nicht anerkannt und eine Korrektur auf den gesetzlich vorgesehen Abschreibungssatz vorgenommen.

Gegen diese Feststellung richtet sich die gegenständliche Beschwerde. Strittig ist, ob das vorgelegte Gutachten geeignet ist, vom gesetzlichen Abschreibungssatz abz uweichen und in Folge die Restnutzungsdauer mit 34 Jahren festzusetzen ist. Die Erstellung des Gutachtens erfolgte unmittelbar im Zusammenhang mit dem Erwerb der Liegenschaft.

Ergänzende Erläuterungen zur Qualität der Bauausführung und zu allfälligen bereits entstandenen Schäden wurden entgegen der Ankündigung im Vorlageantrag nicht vorgelegt.

Rechtliche Würdigung

Gemäß § 16 Abs. 1 Z 8 lit. e EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 111/2010 können bei Gebäuden, die der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung dienen, ohne Nachweis der Nutzungsdauer jährlich 1,5% der Bemessungsgrundlage als Absetzung für Abnutzung (AfA) geltend gemacht werden.

Mit dieser Vorschrift stellt das Gesetz die Vermutung im Sinne des § 167 Abs. 1 BAO auf, dass die Nutzungsdauer eines Gebäudes, das der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung dient, 66 2/3 Jahre beträgt (Jakom/Lenneis, EStG, 2016, § 16 Rz 42). Diese Nutzungsdauer gilt in gleicher Weise für neu errichtete wie für im gebrauchten Zustand angeschaffte Gebäude. Eine kürzere als die gesetzlich vorgesehene AfA kann bei einem Gebäude grundsätzlich nur bei Nachweis einer kürzeren technischen Nutzungsdauer geltend gemacht werden. Diese hängt bei neu errichteten Gebäuden in erster Linie von der Bauweise ab, während bei einem erworbenen Gebäude der Bauzustand im Zeitpunkt des Erwerbs maßgebend ist (vgl. ).

Soll eine kürzere Nutzungsdauer angesetzt werden, so trifft die diesbezügliche Beweislast den Steuerpflichtigen. Der Nachweis kann grundsätzlich nur mit einem Sachverständigengutachten über den technischen Bauzustand erfolgen (vgl. Zorn in Hofstätter/Reichel, EStG-Kommentar, § 16 Abs. 1 Z 8 Anm. 7; ; Doralt, EStG13, § 16 Tz 159).

Ein Sachverständigengutachten unterliegt der freien Beweiswürdigung (Doralt, EStG13, § 16 Tz 159; ).

Um als Nachweis für eine kürzere als die gesetzlich vermutete Nutzungsdauer anerkannt zu werden, muss es den konkreten Bauzustand im Zeitpunkt des Ankaufes des Altgebäudes erfassen (vgl. ). Finden sich in einem Gutachten keine hinreichenden Aussagen über den Bauzustand, keine Feststellungen zur Qualität der Bauausführung oder zu allenfalls bereits bestehenden Schäden, etwa als Folge aufsteigender Feuchtigkeit oder eines vermuteten Schädlingsbefalls, ist es nicht geeignet, einen höheren AfA-Satz zu stützen (vgl. ).

Ein zur Entkräftung der gesetzlich vermuteten Nutzungsdauer erstelltes Gutachten muss jedenfalls auf den konkreten Bauzustand eingehen und einen nachvollziehbaren Bezug zwischen dem Befund und der vom Gutachter angesetzten Restnutzungsdauer herstellen (vgl. ). Dies schließt eine ziffernmäßige Berechnung mit ein, die nicht nur die Ausgangswerte, sondern auch konkrete Überlegungen samt Berechnungsmethoden enthalten (vgl. Kotschnigg, SWK 29/2004, 852 ff.). Die Abgabenbehörde ist jedenfalls befugt, die Schätzung zu überprüfen und von ihr abzuweichen, wenn sie sich als unzutreffend erweist.

Für die Schätzung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer können Erfahrungswerte herangezogen werden, wobei sich auch eine 100-jährige Gesamtnutzungsdauer durchaus im Rahmen dieser Erfahrungswerte halten kann (vgl. ). Bei Bauten in Massivbauweise ist eine Nutzungsdauer von mehr als 100 bzw. sogar 200 Jahren und mehr denkbar. Nicht das Alter, sondern der Bauzustand ist entscheidend (vgl. -G/03; ).

Daher ändert sich der AfA-Satz auch dann nicht, wenn das Gebäude bereits längere Zeit bestanden hat und sich unter Berücksichtigung der Restnutzungsdauer eine längere Gesamtnutzungsdauer als 67 Jahre ergibt. Andererseits kommt der AfA-Satz von 1,5% auch zur Anwendung, wenn die voraussichtliche Nutzungsdauer länger als 66,67 Jahre ist (vgl. Doralt, EStG13, § 16 Tz 160).

Maßgeblich für die Nutzungsdauer ist nicht das fiktive oder tatsächliche Alter oder die gewöhnliche Lebensdauer, sondern der konkrete Bauzustand eines Gebäudes im Zeitpunkt des Erwerbs, und nur wenn nachgewiesen werden kann, dass dieser keine Nutzungsdauer von 66,67 Jahren erlaubt, kann die (nachvollziehbar begründete und berechnete) kürzere Nutzungsdauer gewählt werden (vgl. ).

Soll also tatsächlich von der gesetzlich vermuteten Nutzungsdauer abgegangen werden, ist ein genaues Eingehen des Gutachtens auf den Gesamtzustand des Gebäudes, insbesondere dessen tragende Teile, unumgänglich. So können etwa Setzungsrisse oder starke Mauerdurchfeuchtung die Nutzungsdauer verkürzende Faktoren darstellen, wobei noch zu berücksichtigen ist, ob die Schäden mit wirtschaftlich vertretbaren Maßnahmen behebbar sind (vgl. Lenneis, Fiktive Anschaffungskosten, Anteil Grund und Boden, Restnutzungsdauer von Gebäuden – unbekannte Größen? in ÖStZ 1998, 572).

Das vorgelegte Gutachten ist also dahingehend zu würdigen, ob es geeignet ist, ein Abgehen von der gesetzlich bestimmten Nutzungsdauer zu rechtfertigen; also der tatsächliche Bauzustand (Substanz) doch erhebliche Beeinträchtigungen aufweist.

Zu dem Gutachten ist in freier Beweiswürdigung Folgendes festzustellen:

Das Sachverständigengutachten stellt pauschal bezeichnete Mängel am Bau- und Erhaltungszustand fest. Die diesbezüglichen Ausführungen sind kurz und allgemein gehalten.

Für die voraussichtliche Nutzbarkeit eines Objektes ist dessen tatsächlicher Bauzustand bestehend aus dem Mauerwerk und den konstruktiven und haltbaren Bauteilen maßgebend. Das Gutachten enthält keine exakten Tatsachenfeststellungen zum Bauzustand des Gebäudes bezogen auf die maßgeblichen konstruktiven und haltbaren Bauteile zum relevanten Stichtag.

Nach der Judikatur ist das Gutachten methodisch verfehlt, wenn der Sachverständige die Restnutzungsdauer auf die Weise ermittelt hat, indem er die gesamte (fiktive) Nutzungsdauer mit 60 Jahren angenommen hat und die Zeitspanne zwischen Errichtungsdatum und Gutachtenerstellungszeitpunkt in Abzug bringt. (, vgl. auch Doralt, EStG13, § 16 Tz 159/1 )

Gegenständlich wurde die Restnutzungsdauer ausschließlich auf Basis von Erfahrungswerten über die gewöhnliche Nutzungsdauer von neu errichteten Gebäuden gemäß dem Nutzungsdauerkatalog des Sachverständigenverbandes, Ausgabe 2006, ermittelt. So wurde festgehalten, dass die Nutzungsdauer für Wohn-, Büro- u. Verwaltungsgebäude in Massivbauweise 40 bis 80 Jahre und für Geschäftshäuser, Kaufhäuser in Massivbauweise 40 bis 60 Jahre beträgt. Die mittlere Lebensdauer für den Geschäftsbereich wurde mit 50 Jahren, für den Wohnbereich mit 70 Jahren angesetzt. Daraus ergibt sich laut Gutachten eine gemittelte Lebensdauer von 60 Jahren für das gesamte Objekt. In Folge wurde die bisherige Bestandsdauer des Gebäudes von dieser fiktiven Gesamtnutzungsdauer in Abzug gebracht und so eine Restnutzungsdauer von 34 Jahren ermittelt. Diese Berechnungsmethode ist, wie zuvor erläutert, nach der bestehenden höchstgerichtlichen Rechtsprechung als methodisch verfehlt zu betrachten.

Es wurde verabsäumt, den nach der Judikatur erforderlichen Zusammenhang zwischen den angeführten Mängeln und der ermittelten Restnutzungsdauer herzustellen. Aus der Berechnung ist nicht erkenntlich, dass die Mängel irgendeinen Einfluss auf den ermittelten Wert hatten. Daran ändert auch der Zusatz „unter Berücksichtigung der Mängel und Schäden unter Punkt 5“ sowie die Formulierung „Aufgrund des technischen Zustandes des Bauwerks und seiner wirtschaftlichen Verwendbarkeit wird die Restnutzungsdauer mit 34 Jahren geschätzt“ nichts.

Da der Gutachter keine gravierenden Mängel des Bauzustandes, das bedeutet, der Mauern und Decken festgestellt hat, kann das Gutachten allein aus diesem Grund nicht als Beweismittel für eine kürzere als die gesetzlich vermutete Restnutzungsdauer dienen.

Hinsichtlich der im Befund angeführten kapillaren Durchfeuchtungen im Bereich des Kellers ist festzuhalten, dass keinerlei weitere Ausführungen in diesem Zusammenhang getroffen wurden. Der Sachverständige hat sich auf die Formulierung „Abgesehen von diesen gravierenden Problemen des Wärme- und Schallschutzes zeigt der Keller kapillare Durchfeuchtungen“ beschränkt. Weder wurden die Ursachen oder das Ausmaß des Schadens noch ob überhaupt sichtbare Schäden vorliegen dargelegt. Eine Darstellung des Schadensbildes sowie der möglicherweise erforderlichen Sanierungsmaßnahmen wurde vollständig unterlassen. Darüber hinaus fehlt die Begründung, warum dies auf die Nutzung des Gebäudes einen so nachteiligen Einfluss hat, dass von der gesetzlich bestimmten Nutzungsdauer abzuweichen wäre.

Es wurde im Gutachten auch nicht dargelegt inwieweit die angeführten Mängel des nicht mehr zeitgemäßen Wärme- und Schallschutzes, der technisch überholten Heizung, der Schäden im Bereich der Fassade sowie des „anfälligen Gründachs“ sich in einem schlechten Bauzustand manifestieren und schwerwiegende Baumängel bedingen. Ein konkreter Zusammenhang der Mängel mit einer verkürzten Restnutzungsdauer wurde im vorliegenden Fall nicht hergestellt.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass weder die angeführten Mängel und deren Auswirkung auf die Bausubstanz ausreichend konkret dargelegt wurden noch ein Zusammenhang mit der ermittelten Restnutzungsdauer hergestellt wurde.

Mangelt es einem vorgelegten Gutachten an hinreichender Konkretisierung dahingehend, warum bei einem erworbenen Gebäude eine kürzere als die gesetzlich gemäß § 16 Abs. 1 Z 8 lit. e EStG 1988 bestimmte Abschreibungsdauer angewendet werden soll, so ist dieses Gutachten keine angemessene Grundlage für eine kürzere Abschreibungsdauer ().

Ein Gutachten muss, um als schlüssig und nachvollziehbar gelten zu können, die maßgeblichen ziffernmäßigen Ausgangswerte nennen sowie die konkreten Überlegungen und Berechnungsmethoden darstellen (vgl. ; ).

Da das vom Bf. vorgelegte Gutachten nicht dem vom Verwaltungsgerichtshof geforderten Ausmaß an Konkretisierung und Spezifizierung der Mängel im Bauzustand entspricht, wird es als nicht geeignet erachtet die gesetzliche Vermutung des § 16 Abs. 1 Z 8 lit. e EStG 1988 zu widerlegen.

Die Beschwerde war als unbegründet abzuweisen.

Zur Zulässigkeit einer Revision

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Die klare gesetzliche Bestimmung hinsichtlich der Abschreibungsdauer und dieser folgend die oben angeführte Rechtsprechung lässt keinen in der gesetzlichen Bestimmung genannten Revisionsgrund erkennen.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2018:RV.7105272.2015

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at