Wann liegt Berufsausbildung im Rahmen eines Studiums vor?
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag.a CP über die Beschwerde der Bf., Adresse, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Rückforderung Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum März 2015 bis Oktober 2015 für das Kind S. zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben.
Der Rückforderungsbescheid wird hinsichtlich des Zeitraumes März bis Juni 2015 aufgehoben. Hinsichtlich des Zeitraumes Juli bis Oktober 2015 bleibt der Spruch des Rückforderungsbescheides unverändert.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerdeführerin (Bf.) beantragte am die Gewährung der Familienbeihilfe für ihre Tochter S. (S.) HM ab 3/2015 mit der Begründung die Tochter studiere ab 03/2015 an der Wirtschaftsuniversität Wirtschaftsrecht. Beigelegt wurde die Studienbestätigung der Wirtschaftsuniversität Wien, derzufolge S. ab SS 2015 als ordentliche Studierende der Studienrichtung 033 500 Bachelorstudium Wirtschaftsrecht gemeldet sei.
Im Telefonat vom teilte die Bf. mit, dass ein Studienwechsel nach Holland erfolgen werde und dass Prüfungen nicht abgelegt worden seien.
Das Finanzamt (FA) forderte mit die Bf. auf bekanntzugeben, ob (auch negative) Prüfungen abgelegt worden seien und wann das Studium gewechselt worden sei.
Einem Aktenvermerk des FA vom ist zu entnehmen, dass eine Fristverlängerung bis beantragt wurde, dass ein Erfolgsnachweis nicht erbracht werden könne und dass der ÖH-Beitrag nicht eingezahlt wurde. Es werde voraussichtlich das Studium abgebrochen.
Mit Bescheid vom forderte das FA die zu Unrecht bezogene Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum März 2015 – Oktober 2015 zurück. Begründend wurde auf § 26 Abs. 1 des Familienlastenausgleichsgesetz 1967 bzw. auf § 33 Abs. 3 EStG 1988 verwiesen. Unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 lit. b FLAG sowie § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 (StudFG) führte das FA aus, dass Tochter S. im Sommersemester 2015 keine Prüfungen abgelegt und das Studium mit 12/2015 abgebrochen habe. Daher könne nicht von einem ernsthaften und zielstrebigen Studium ausgegangen werden.
Dagegen berief die Bf. am . In der Beschwerde nahm Tochter S. zum Vorwurf, wonach sie das Studium nicht ernsthaft und zielstrebig betrieben habe, folgendermaßen Stellung:
„Ich habe (mich) für das Sommersemester 2015 an der WU inskribiert. Dies begann drei Monate nach meiner letzten Gerichtsverhandlung bezüglich des Rechtsstreits über den Bezug meiner mir zustehenden Alimente mit meinem Vater.
Ich habe (mich) inskribiert mit der Absicht ein ernsthaftes Studium anzufangen und vor allem, weil ich mich für meine Studienrichtung auch sehr interessiere. Jedoch war ich zu dieser Zeit in einer sehr schlechten und schwierigen psychischen Situation, da ich sehr depressiv war wegen der Scheidung meiner Eltern und der schwierigen und sehr komplizierten Beziehung zwischen mir und meinem Vater. Hinzu kam meine große Prüfungsangst und der starke Druck seitens meines Vaters, der nur darauf wartete mich versagen zu sehen. Aus diesem Grund habe ich meine Prüfungen hinausgeschoben und wollte erstmals in eine stabile psychische Lage kommen, um mich 100%ig meinem Studium widmen zu können.
Mit dem Beginn des neuen Semesters hatte sich die Situation sehr zugespitzt und ich habe mich entschieden nach Rotterdam zu meinem Onkel zu fahren, der mir angeboten hatte bei ihm zu leben und in den Niederlanden zu studieren. Ich bin eine Zeit lang geblieben und wollte sehen, ob ich dort bleiben kann. Es erwies sich jedoch nach kurzer Zeit, dass ich dort nicht leben kann. Im Dezember habe ich mich entschieden eine Auszeit zu nehmen und habe mich auch sofort von der Uni abgemeldet, da ich momentan nicht in der Lage bin mein Studium weiterzuführen.
Ich begebe mich derzeit in Therapie und habe vor mich an der FH zu bewerben, um im Wintersemester wieder anfangen zu können zu studieren.
Hiermit möchte ich nochmals klarstellen, dass ich wirklich die Absicht hatte ein zielstrebiges und ernsthaftes Studium mit gutem Erfolg zu absolvieren. Jedoch war es durch meine Situation leider nicht möglich. Dadurch, dass ich 2 Toleranzsemester hatte, wollte ich diese, in meiner schwierigen Lage nutzen und mich nicht sofort abmelden, da ich doch die Hoffnung hatte, dass es mir bald besser gehen würde und ich die Situation in den Griff bekommen könnte. Ich bitte somit um Kulanz, keine Rückforderung zurückzufordern, da weder ich noch meine Mutter, die momentan arbeitslos ist, keine finanzielle Möglichkeit haben diese hohe Summe zu bezahlen und auch keineswegs den Anschuldigungen entspreche und vor allem da ich den Anspruch auf 2 Toleranzsemester habe.
Hiermit bestätige ich, Bf., die Aussagen meiner Tochter und versichere, dass diese der Wahrheit entspricht. Ich bitte um die Aussetzung der Einhebung bis zur Erledigung der Beschwerde.“
Aktenkundig ist ein E-Mail von S. vom an das FA mit dem "Einspruch gegen die Rückforderung". Der Inhalt deckt sich mit der o.a. Beschwerde.
Einem handschriftlichen Vermerk der Bf. vom ist zu entnehmen, dass ihre Tochter keine Prüfung abgelegt habe.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das FA die Beschwerde als unbegründet ab. Nach Anführung der §§ 2 Abs. 1 lit b FLAG 1967, 3 des StudFG begründete das FA die Abweisung damit, dass die Aufnahme als ordentliche Hörerin oder Hörer als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr gelte und dass ein Familienbeihilfenanspruch nur bestehe, wenn die Ausbildung ernsthaft und zielstrebig betrieben werde, was anzunehmen sei, wenn die Vorbereitung auf die Ablegung der Prüfungen die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehme und das Kind zu den Prüfungsterminen innerhalb eines angemessenen Zeitraumes antrete. Ergänzend führte das FA aus:
„Ihre Tochter S. hat im SS 2015 für das Bachelorstudium „Wirtschaftsrecht" inskribiert. Das Studium wurde im Dezember 2015 abgebrochen und ihre Tochter ist nach Holland zu ihrem Onkel gezogen. Laut Studiendatei und laut ihrer schriftlicher Erklärung hat S. im SS 2015 keine Prüfungen abgelegt. Da Ihre Tochter S. keinen Prüfungsnachweis erbringen konnte, kann nicht von einer ernsthaften und zielstrebigen Berufsausbildung iS § 2 Abs. 1 lit b FLAG 1967 ausgegangen werden.“
Am (eingelangt: ) erhob die Bf. „Einspruch" gegen die Beschwerdevorentscheidung. Im Einzelnen führte sie aus:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit erhebe ich fristgerecht Einspruch gegen die Beschwerdevorentscheidung vom durch das Bundesfinanzgericht betreffend meine Beschwerde vom .
Mein Begehren lautet:
Ich stelle den Antrag das Bundesfinanzgericht möge den vorliegenden Bescheid aufheben und mir für den Zeitraum März bis Oktober 2015 Familienbeihilfe zuerkennen.
Mit Beschwerdevorentscheidung des Bundesfinanzgerichtes (gemeint: Finanzamt) vom , wurde meine Beschwerde vom abgewiesen. Das Bundesfinanzgericht (gemeint: Finanzamt) gibt als Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen zusammengefasst folgendes an:
"Da meine Tochter S. im Sommersemester 2015, ersten Semester, Studium Wirtschaftsrecht an der WU keine Prüfungen abgelegt hat, kann nicht von einer ernsthaften und zielstrebigen Berufsbildung ausgegangen werden." Das Bundesfinanzgericht (gemeint: FA) hat jedoch erhebliche Tatsachen nicht zur Berücksichtigung herangezogen.
Dies sind: Meine Tochter lebt mit mir im gemeinsamen Haushalt. Ich bezog für sie von März 2015 bis Oktober 2015 Familienbeihilfe, da sie als Studentin auf WU Wien inskribiert war. Sie hat sich für das Studium Wirtschaftsrecht entschieden, weil sie sich immer für Wirtschaft- und Unternehmungsführung interessierte. Im Lauf des Semesters, nach Besuch mehrerer Vorlesungen und Lehrveranstaltungen (dabei war sie ernsthaft und zielstrebig, Beweis beiliegend), hat sie aber feststellen müssen, dass es nicht ihren Vorstellungen entsprach. Sie ließ schließlich das Studium ganz bleiben und begann sie sich umzuorientieren. Sie versuchte daher im Sommer nach alternativen Möglichkeiten zu suchen.
Nachdem sie bei der Aufnahmeprüfung einer Fachhochschule in Rotterdam Erfolg hatte, inskribierte sie sich dort für das Studium Management und Untemehmungsführung und verbrachte die Sommermonaten in den Niederlanden bei meinem Bruder. Dort hatte sie sich sehr bemüht nach Jobs und einer Unterkunft zu suchen, um sich das Leben zu ermöglichen. Die Semesterkosten (2000 Euro) und die Lebensunterhaltskosten in den Niederlanden waren jedoch zu hoch und daher musste sie nach Wien zurückkehren.
Da meine Tochter fest entschieden war eine praxisnahe Ausbildung an einer Fachhochschule nachzugehen, meldete sie sich unverzüglich nach ihrer Rückkehr aus Rotterdam von der Wirtschaftsuniversität ab, (nach mehreren Gesprächen mit Fr. A und Frau B, Beraterinnen des Finanzamtes, wurde ihr geraten sich zu exmatrikulieren, da es sonst zu einer Rückforderung der Familienbeihilfe kommen könnte), und begann sich für die Zulassung an der Fachhochschule des BFI und der WKW vorzubereiten und daher konnte sie nicht für die Familienbeihilfe erforderliche Leistungsnachweis erbringen. Sie hat beide Aufnahmeprüfungen erfolgreich bestanden und wurde aus einer großen Zahl von Bewerbern ausgewählt. Sie studiert nun seit Herbst 2016 an der FH der WKW Unternehmungsführung ernsthaft und zielstrebig.
Da es ihr vorgeworfen wird, (dass sie) ihr Studium nicht ernsthaft und zielstrebig belegt zu haben, möchte ich als ihre Mutter hervorheben, dass meine Tochter S. das Studium an der WU Wien nach einer sehr schweren Phase ihres Lebens erst im Sommersemester begann. Sie hatte mehrere Gerichtsverhandlungen, die über 2 Jahre hinweg dauerten durchstehen müssen, in denen es um die Festlegung ihrer Alimente und der Scheidung und Vermögensaufteilung meiner Ehe ging. Obwohl es ihr zu diesem Zeitpunkt emotional und gesundheitlich nicht gut ging, hat sie sich dennoch sehr bemüht und den ersten Schritt gemacht, denn Studieren war immer ihr großes Ziel.
Meine Tochter ist und war immer ein fleißiges zielstrebiges Kind. Ihr Fleiß und ihre Zielstrebigkeit konnte sie auch während ihrer Schulzeit unter Beweis stellen. Obwohl sie die erste drei Schuljahren in Tunesien zur Schule ging, hat (sie) das 4. Jahr Volksschulklasse in Wien ohne vorherige Deutschkenntnisse erfolgreich abgeschlossen, konnte somit ins Gymnasium gehen und anschließend erfolgreich maturieren 2014. Nach einer kurzen Pause trotz ihres schlechten emotionalen und gesundheitlichen Zustandes, beschloss sie im Sommersemester 2015 zu studieren.
Sie hat im Laufe des ersten Semesters nach Besuch mehrerer Vorlesungen und vielen Recherchen gemerkt, dass dieser Weg nicht der Richtige für sie ist. Sie hatte zwar schon immer Interesse an Wirtschaft und auch an Rechtswissenschaften gehabt, jedoch ihre Leidenschaft galt immer schon dem Management und der Untemehmungsführung, die es nur als Masterstudien gibt.
Zu dem wusste sie natürlich am Anfang nicht, wie ein Unialltag aussieht und was ihre Studienrichtung alles beinhaltet. Erst im Nachhinein ist ihr klar geworden, dass es sicherlich besser wäre, gleich an der Fachhochschule zu studieren. Zu dem Zeitpunkt hatte sie weder die Reife, noch das Wissen und den Durchblick, um zu wissen was das Beste für sie ist und welche entsprechende Entscheidung sie dafür treffen muss. Zudem hatte sie immer gedacht, dass sie dieses Toleranzsemester nutzen kann, um sich zu orientieren und herauszufinden, ob sie eine gute Entscheidung getroffen hatte. Es steht auf keiner Internetseite oder Informationsbroschüre, dass es im 1. Semester nicht erlaubt ist, dieses in Anspruch zu nehmen.
Dass ihr aber vorgeworfen wird, dass sie das Studium nicht ernstgenommen habe, weil sie keine Prüfungen abgelegt hatte, kann ich nicht nachvollziehen. Es kann doch nicht sein, das die Ablegung der Prüfungen als alleiniger Beweis für das Ernstnehmen eines Studiums gilt und alles andere außer Acht gelassen wird. Es ist doch wohl das menschliche Recht jedes Studenten zumindest im ersten Semester herauszufinden, ob die wichtige Entscheidung in seinem Leben, die ausschlaggebend für seine weitere berufliche Laufbahn ist, die Richtige ist oder nicht.
In Anbetracht dessen bitte ich Sie hiermit nochmals auf die damalige Situation meiner Tochter und auch auf meine Situation als alleinerziehende Mutter ohne jegliche Unterstützung vom Kindesvater Rücksicht zu nehmen. Durch die Aberkennung der Familienbeihilfe bin ich vom AMS zur Rückzahlung vom Familienzuschlag, 904,49 € gefordert worden.
Dazu kommt, dass ich wegen meines Langzeit-Krankenstandes leider vor kurzem von meinem Arbeitsgeber gekündigt wurde. Wegen meinem jetzigen schlechten gesundheitlichen Zustand sehe ich mich leider nicht im Stande die rückgeforderte Beträge von Finanzamt in Höhe von 1.762,46 € und vom AMS 904,49 €, die für mich eine sehr große finanzielle Belastung sind, gerecht zu werden.
Aus diesen Gründen bin ich mit der Entscheidung vom nicht einverstanden und beantrage das Bundesfinanzgericht mir die Familienbeihilfe für den Zeitraum vom - zuzuerkennen. Da mir die Beschwerdevorentscheidung am zugestellt wurde, stelle ich meinen Einspruch dagegen fristgerecht.
Des Weiteren beantrage ich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Beigelegt wurde die Studienbestätigung der WU Wien für das SS 2015, ein Anmeldeverzeichnis der Lehrveranstaltungen der WU Wien, ein E-Mail der Rotterdam Business School vom hins. der Aufnahme von S., ein E-Mail der Tochter der Bf. vom an die WU, wonach sie sich von der WU abmelde, ein E-Mail der WU Wien (Studienbeitrag) vom , wonach das Studium mit "geschlossen" wurde und die Aufnahmebestätigung der FH BFI Wien vom .
Aus dem mit übermittelten Studienblatt der FH Wien geht hervor, dass S. seit das Studium Unternehmensführung Entrepreneurship W 503 110 betreibt.
In Beantwortung des vom BFG mit gestellten Ersuchens gab die Bf. bekannt, dass der Bewerbungsprozess bis hin zur Zusage für die Rotterdam Business School von Juni bis August 2015 gedauert habe. Die definitive Zusage sei am erfolgt. Von Juni bis August 2015 habe die Tochter Recherchen betrieben und Holländisch an einem Sprachinstitut gelernt; Mitte August sei der Umzug nach Rotterdam erfolgt und in der Folge habe S. am Kick-off Programm der Rotterdam Business School teilgenommen; von August bis Dezember habe S. einen Sprachkurs besucht und sei auf Job- und Wohnungssuche gewesen. Im Dezember 2015 sei S. wieder nach Österreich zurückgekehrt.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Streitpunkt:
Strittig ist, ob die Bf. für ihre Tochter S. für den Zeitraum März bis Oktober 2015 Anspruch auf FB und KAB hatte.
Das FA forderte die FB und die KABe für den genannten Zeitraum mit der Begründung zurück, dass S. im Sommersemester keine Prüfung abgelegt, und das Studium mit 12/2015 abgebrochen habe, weshalb nicht von einem ernsthaften und zielstrebigen Betreiben des Studiums auszugehen sei.
Die Bf. und ihre Tochter argumentieren dagegen, dass sehr wohl die Absicht bestanden habe, das Studium ernsthaft und zielgerichtet zu betreiben, dass S. aber im Laufe des Semesters nach den Besuch mehrerer Vorlesungen und Lehrveranstaltungen feststellen habe müssen, dass das Studium nicht ihren Vorstellungen entspreche. Diese und persönliche Gründe hätten sie im Sommer veranlasst, nach alternativen Möglichkeiten zu suchen. Sie sei bei ihrem Onkel in Rotterdam gewesen, habe die Aufnahmeprüfung einer Fachhochschule in Rotterdam erfolgreich bestritten und inskribiert sowie einen Sprachkurs besucht. Wegen der hohen Semester- und und Lebenshaltungskosten sei sie aber im Dezember 2015 zurückgekehrt. Weiters sei sie davon ausgegangen, dass ihr zwei Toleranzsemester zustünden.
Die Bf. zog im Schreiben vom den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.
1. Als erwiesen angenommener Sachverhalt:
Die Tochter der Bf., S., maturierte im Juni 2014.
Mit inskribierte S. für das SS 2015 an der WU Wien Studienrichtung Bachelorstudium Wirtschaftsrecht (033 500).
Sie meldete sich am für diverse Lehrveranstaltungen an der WU an (Grundlagen der Volkswirtschaftslehre, Mathematik, Wirtschaft im rechlichen Kontext, Einführung in die Betriebswirtschaftlehre).
Sie besuchte Vorlesungen und Lehrveranstaltungen.
Laut dem E-Mail der Business School Rotterdam vom , wurde sie an der Schule aufgenommen.
S. nahm am Kick-off Programm der Rotterdam Business School teil, besuchte in Rotterdam einen Sprachkurs für Holländisch und war auf Job- und Wohnungssuche.
: Mitteilung der Bf., dass S. an der WU keine Prüfung abgelegt hat.
Am gab die Bf. telefonische bekannt, dass das Studium (in Wien) abgebrochen wird.
E-Mail von S. vom an die WU Wien: Abmeldung vom Bachelorstudium Wirtschaftsrecht an der WU Wien.
: Mitteilung der Studienbeitragsstelle der WU Wien, dass das Studium mit "geschlossen" wurde.
WS 2016: Beginn des Studiums an der FH BFI Wien.
: Zurückziehung des Antrages auf mündliche Verhandlung.
2. Rechtslage und rechtliche Würdigung:
Nach § 2 Abs. 1 lit b FLAG 1967 in der für den Streitzeitraum gültigen Fassung haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl Nr 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. Wird ein Studienabschnitt in der vorgesehenen Studienzeit absolviert, kann einem weiteren Studienabschnitt ein Semester zugerechnet werden. Die Studienzeit wird durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (zB Krankheit) oder nachgewiesenes Auslandsstudium verlängert. Dabei bewirkt eine Studienbehinderung von jeweils drei Monaten eine Verlängerung der Studienzeit um ein Semester. Zeiten als Studentenvertreterin oder Studentenvertreter nach dem Hochschülerschaftsgesetz 1998, BGBl I Nr 22/1999, sind unter Berücksichtigung der Funktion und der zeitlichen Inanspruchnahme bis zum Höchstausmaß von vier Semestern nicht in die zur Erlangung der Familienbeihilfe vorgesehene höchstzulässige Studienzeit einzurechnen. Gleiches gilt für die Vorsitzenden und die Sprecher der Heimvertretungen nach dem Studentenheimgesetz, BGBl Nr 291/1986. Der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie hat durch Verordnung die näheren Voraussetzungen für diese Nichteinrechnung festzulegen. Zeiten des Mutterschutzes sowie die Pflege und Erziehung eines eigenen Kindes bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres hemmen den Ablauf der Studienzeit. Bei einem Studienwechsel gelten die in § 17 Studienförderungsgesetz 1992, BGBl Nr 305, angeführten Regelungen auch für den Anspruch auf Familienbeihilfe.
Die Aufnahme als ordentlicher Hörer gilt als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. Anspruch ab dem zweiten Studienjahr besteht nur dann, wenn für ein vorhergehendes Studienjahr die Ablegung einer Teilprüfung der ersten Diplomprüfung oder des ersten Rigorosums oder von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern des betriebenen Studiums im Gesamtumfang von acht Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten nachgewiesen wird. Der Nachweis ist unabhängig von einem Wechsel der Einrichtung oder des Studiums durch Bestätigungen der im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannten Einrichtungen zu erbringen. Für eine Verlängerung des Nachweiszeitraumes gelten die für die Verlängerung der Studienzeit genannten Gründe sinngemäß.
Gemäß 26 Abs. 1 FLAG 1967 hat, wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
Gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988 in der für den Beschwerdezeitraum geltenden Fassung steht Steuerpflichtigen, denen auf Grund des FLAG 1967 FB gewährt wird, im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der FB ein KAB von monatlich € 58,40 für jedes Kind zu. Wurden KAB-e zu Unrecht bezogen, ist § 26 des FLAG 1967 anzuwenden.
Nach § 10 Abs. 2 FLAG 1967 wird die FB vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf FB erlischt mit Alauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.
Bei einer Berufsausbildung im Rahmen eines Studiums, d.h. bei Besuch einer in § 3 Studienförderungsgesetz (StudFG) 1992 genannten Einrichtung, sind die Anspruchsvoraussetzungen nur dann erfüllt, wenn die im zweiten bis letzten Satz des § 2 Abs. 1 lit b FLAG näher festgelegten Voraussetzungen vorliegen. Nach dieser Bestimmung gelten die im StudFG 1992 angeführten Regelungen auch für die Gewährung der FB. Anspruch auf FB besteht daher nur dann, wenn nach § 16 StudFG 1992 ein günstiger Studienerfolg vorliegt. Ein günstiger Studienerfolg liegt vor, wenn der Studierende
1. sein Studium zielstrebig betreibt
2. die vorgesehene Studienzeit nicht wesentlich überschreitet und
3. Nachweise über die erfolgreiche Absolvierung von Lehrveranstaltungen und Prüfungen vorlegt (§§ 20 bis 25 StudFG).
Als Anspruchsvoraussetzung für den Studienbeginn bzw. das erste Studienjahr gilt die Aufnahme als ordentlicher Hörer. Erst ab dem zweiten Studienjahr ist als Anspruchsvoraussetzung die Ablegung bestimmter Prüfungen für das vorhergehende Studienjahr nachzuweisen. Gleichzeitig kann aber nicht außer Acht gelassen werden, dass eine "Berufsausbildung" im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 vorliegen muss. Das bedeutet nach obigen Kriterien, dass im ersten Studienjahr zwar kein Prüfungsnachweis erforderlich ist, aber es muss sehr wohl das ernsthafte und zielstrebige Bemühen um einen Studienerfolg nach Außen hin deutlich zum Ausdruck zu kommen. Dazu muss zumindest der laufende Besuch von Lehrveranstaltungen der betreffenden Studienrichtung erfolgen. Der Nachweis bzw. die Glaubhaftmachung dieses Umstandes kann beispielsweise durch Vorlage von Teilnahmebestätigungen an Seminaren, Vorlesungsmitschriften, ev. Seminararbeiten etc. erfolgen.
Als Zeiten der "Berufsausbildung" im Sinne des FLAG können daher nur solche Zeiten gelten, in denen aus den objektiv erkennbaren Umständen darauf geschlossen werden kann, dass eine Ausbildung für den Beruf auch tatsächlich erfolgt ist. Das Vorliegen rein formaler Erfordernisse ist nicht ausreichend. Die Zulassung an einer Hochschule bzw. die Bestätigung über die Meldung zu einem Studium (vormals: Inskription) ist als reiner Formalakt nicht geeignet, eine Berufsausbidlung im genannten Sinne nachzuweisen und somit den Anspruch auf die Familienbeihilfe zu begründen (, , sowie -I/13).
Studierenden wird im ersten Studienjahr eine Eingewöhnungsphase zugestanden, in der einerseits die Eignung für das gewählte Studium erforscht werden und andererseits eine Gewöhnung an den Studien- und Prüfungsbetrieb erfolgen kann.
Aus diesem Grund ist für die Beihilfengewährung ab dem zweiten Studienjahr auch nur der Nachweis eines minimal zu bezeichnenden Studienerfolges erforderlich. Daraus ergibt sich aber auch, dass das Studium selbst überhaupt betrieben werden muss. Wird das Studium überhaupt nicht (wenigstens ernsthaft) betrieben, sondern liegt nur eine rein formelle Fortsetzungsbestätigung vor, kann von einer Berufsausbildung nicht gesprochen werden.
März bis Juni 2015:
Die Tochter der Bf., S., hat ihre Schulausbildung mit Ablegung der Reifeprüfung im Juni 2014 beendet und hat das "Bachelorstudium Wirtschaftsrecht" an der WU Wien mit SS 2015 begonnen. Sie hat (nach eigenen Angaben) Veranstaltungen, Vorlesungen besucht, im Verlauf des Semester aber bemerkt, dass das Studium "nicht das Richtige" für sie sei. Aus diesen sowie persönlichen Gründen hat sie ein anderweitiges Studium anvisiert.
Sie hat Recherchen und Erkundigungen über das Studium International Business und Management Studies an der Rotterdam Business School vor Ort eingeholt, hat sich dem Aufnahmeverfahren, einem Interview am gestellt und die Zusage seitens der Schule am erhalten. S. hat noch an der Kick-off Veranstaltung im August 2015 in Rotterdam teilgenommen. Sie hat aber das Studium an der International Business School nicht aufgenommen.
Das BGF sieht es als erwiesen an, dass die Aufnahme als ordentliche Hörerin nach § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 an der WU Wien verbunden mit den dortigen Vorlesungs- und Veranstaltungsbesuchen von S., die Gewährung der Familienbeihilfe (KABe) rechtfertigten. Im Beschwerdefall lag die Aufnahme als ordentliche Hörerin und der Umstand, dass S. tatsächlich studierte somit vor. Im Beschwerdefall kann den fehlenden Prüfungsnachweisen als Abweisungsgrund für den Zeitraum März bis Juni 2015 - also zu Studienbeginn - nichts abgewonnen werden. Mit ihren ab Juni 2015 gezeigten Ambitionen, die Business School in Rotterdam zu absolvieren, gab S. zu erkennen, dass an eine Fortsetzung des Studiums an der WU Wien nicht mehr gedacht war.
Juli und August 2015:
Wie dargelegt, hat sich S. dem Bewerbungsprozess, einem Interview und der Kick-off Veranstaltung an der Rotterdam Business School in der Zeit von Juni bis August 2015 unterzogen. Sie hat aber das Studium nicht begonnen. Aus diesem Grunde kann vom Vorliegen einer Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 in der Zeit von Juli und August 2015 nicht gesprochen werden.
September und Oktober 2015:
Was den Zeitraum September und Oktober 2015 anlangt, so hat die Bf. einen Sprachkurs (weiter)besucht und war auf Job- und Wohnungssuche. Damit befand sich S. aber ebenfalls nicht in Berufsausbildung iS des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, weil ein Sprachkurs zwar von Vorteil sein mag, einen Nachweis der Befähigung eines konkreten Berufes stellt er aber nicht dar.
Die Bf. (und die Tochter) gingen von der irrigen Ansicht aus, dass von vornherein zwei Toleranzsemester jedem Studierenden zustünden. Sie betrachtete die ersten beiden Semester als Toleranzsemester, in denen sie sich studienmäßig orientieren könne.
Dieser Ansicht kann nicht beigepflichtet werden, legt doch § 2 Abs. 1 lit. b, 2. Satz FLAG dar, dass bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 Studienförderungsgesetz 1992 (StudFG 92) genannte Einrichtung besuchen, eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen ist, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester (d. i. das Toleranzsemester) überschreiten.
Zusammenfassend ist festzuhalten:
Für den Zeitraum März bis Juni 2015 war daher der Anspruch auf FB und KABe zuzuerkennen, insofern ist die Rückforderung nicht gerechtfertigt; keine Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 lag aber von Juli bis Oktober 2015 vor, weshalb für diese Monate ein Anspruch auf Familienbeihilfe nicht gegeben war, und die Rückforderung der FB und des KAB zu recht bestand.
Die Rückzahlungspflicht gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 trifft ausschließlich den Bezieher der Familienbeihilfe. Diese Bestimmung normiert eine objektive Erstattungspflicht desjenigen, der die Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat. Die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge ist von subjektiven Momenten unabhängig. Entscheidend ist somit lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat (vgl. und die dort angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs).
Die Bf. verweist in ihren Eingaben auf ihre schwierige finanzielle Lage hin.
Es wird darauf hingewiesen, dass gemäß § 26 Abs. 4 FLAG 1967 die Oberbehörde ermächtigt ist, in Ausübung des Aufsichtsrechtes die nachgeordneten Abgabenbehörden anzuweisen, von der Rückforderung des unrechtmäßigen Bezuges abzusehen, wenn die Rückforderung unbillig wäre.
Eine derartige Maßnahme fällt in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Familien und Jugend. Es muss aber beachtet werden, dass es sich dabei um eine Maßnahme des Aufsichtsrechtes handelt, auf die kein Rechtsanspruch besteht.
Weiters wird auf die Möglichkeit hingewiesen, beim Finanzamt einen Antrag gemäß § 212 BAO auf Zahlungserleichterung und gemäß § 236 BAO auf Nachsicht einzubringen.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Auf Grund der Rechtsprechung des VwGH und des BGF ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 vorliegt, ausreichend geklärt.
Das gegenständliche Erkenntnis weicht nicht von dieser Rechtsprechung ab. Diese Entscheidung ist somit nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängig, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Klagenfurt am Wörthersee, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 26 Abs. 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 26 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Schlagworte | Studium |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2017:RV.7100341.2017 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at