Außergewöhnliche Belastung (§ 34 Abs. 6 EStG 1988): Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für ein Hörgerät ohne Selbstbehalt bei Behinderung aufgrund von Zuckerkrankheit
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/7104876/2018-RS1 | Für die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen ohne Selbstbehalt aus dem Titel der Behinderung bedarf es eines unmittelbaren, ursächlichen Zusammenhanges der geltend gemachten Kosten mit der Behinderung, die der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu Grunde liegt (vgl. RV/0147-G/08, mwA). |
RV/7104876/2018-RS2 | Krankheitskosten, die auf eine Erkrankung zurückgehen, die in keinem Zusammenhang mit der Behinderung steht (zB Kosten der Augenoperation eines wegen Beinamputation Behinderten), können grundsätzlich nur nach den allgemeinen Regeln des § 34 EStG 1988 geltend gemacht werden (vgl. RV/0147-G/08, mwA). |
RV/7104876/2018-RS3 | Die Abgabenbehörde hätte zu ermitteln gehabt, ob ein medizinischer Zusammenhang zwischen Zuckerkrankheit und Hörverlust nach dem Kenntnisstand der Medizin als erwiesen gilt und - bejahendenfalls - ob bei der Beschwerdeführerin ein solcher Zusammenhang herstellbar ist. Gilt ein medizinischer Zusammenhang zwischen Zuckerkrankheit und Hörverlust nach dem Kenntnisstand der Medizin als erwiesen, ist im Falle des medizinischen Beweisnotstandes der ihrer Mitwirkungspflicht voll nachgekommenen Beschwerdeführerin die ausreichende Wahrscheinlichkeit eines solchen Zusammenhanges für die Kostenberücksichtigung ohne Selbstbehalt anzunehmen, wenn der Hörverlust nicht altersentsprechend ist. |
Entscheidungstext
BESCHLUSS
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Einzelrichter über die Beschwerde der X vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Neunkirchen Wr. Neustadt vom betreffend Einkommensteuer 2017 (Arbeitnehmerveranlagung) zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Begründung
Die Beschwerdeführerin beantragte im Zuge der Arbeitnehmerveranlagung des Jahres 2017 die Berücksichtigung von 2.900 € für ein Hörgerät als außergewöhnliche Belastung.
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom setzte die belangte Behörde die Einkommensteuer 2017 fest, wobei sie bei dem Betrag von 2.900 € einen Selbstbehalt in derselben Höhe zum Ansatz brachte.
Dagegen wandte sich die Beschwerdeführerin mit Beschwerde vom und beantragte die Berücksichtigung von 2.900 € für ein Hörgerät als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt.
Mit Schreiben vom ersuchte die belangte Behörde die Beschwerdeführerin um Vorlage des Bescheides des Sozialministeriumservices.
Am reichte die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde die Kopie eines vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ausgestellten und am ergänzten Behindertenpasses, der die Beschwerdeführerin als Diabetikerin und als Trägerin einer Metallendoprothese ausweist (Grad der Behinderung 90%) sowie einen (dies bestätigenden) mit datierten ärztlichen Befund ein.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab, weil "aus dem vorgelegten Bescheid des Sozialministeriumservice" keine Behinderung wegen Gehörlosigkeit hervorgehe. Ausschließlich Kosten für Hilfsmittel und Heilmittel im Zusammenhang mit der Behinderung könnten ohne Abzug des Selbstbehaltes angesetzt werden.
Gegen diese Beschwerdevorentscheidung brachte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom einen Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Verwaltungsgericht ein. Die Begründung der belangten Behörde beziehe sich - so die Beschwerdeführerin in ihrem ergänzendem Vorbringen - auf das vorgelegte Schreiben des Bundessozialamtes vom . Inzwischen habe sich jedoch laut ärztlicher Diagnose eines Facharztes vom ihr Gehör massiv verschlechtert. Laut dieser Diagnose habe sie eine symmetrische Hörminderung beiderseits von je 50%. Dies habe die Anschaffung eines Hörgerätes notwendig gemacht. Ihre Behinderung werde insgesamt auch durch die 50%ige Hörminderung beeinflusst. Diesem Schreiben legte die Beschwerdeführerin den Befund eines Facharztes für HNO bei, der eine durch Tonaudiometrie festgestellte symmetrische Hörminderung beiderseits von 50% belegt. Der befund weist keinen Bezug zur Zuckerkrankheit der Beschwerdeführerin oder zur Metallendoprothese auf.
Die belangte Behörde übermittelte die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesfinanzgericht auf elektronischem Weg am . Der Stellungnahme des Vorlageberichts ist zu entnehmen, dass aus dem vorgelegten "Bescheid des Sozialministeriumservice" keine Behinderung wegen Gehörlosigkeit/schwerer Hörminderung hervorgehe.
Gemäß § 278 Abs. 1 BAO kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können.
Gemäß § 34 Abs. 1 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen.
Dabei ist grundsätzlich ein Selbstbehalt (§ 34 Abs. 4 EStG 1988) zu berücksichtigen.
Dies gilt gemäß § 34 Abs. 6 TS 4 EStG 1988 nicht für tatsächliche Kosten, die aus dem Titel der Behinderung (§ 35 Abs. 5) geltend gemacht werden.
Allerdings bedarf es diesbezüglich eines unmittelbaren, ursächlichen Zusammenhanges der geltend gemachten Kosten mit der Behinderung, die der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu Grunde liegt (vgl. RV/0147-G/08, mwA).
Gemäß § 1 Abs. 3 Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen (VO) sind (ua.) die in § 4 genannten Mehraufwendungen ohne Kürzung um eine pflegebedingte Geldleistung oder um einen Freibetrag gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu berücksichtigen. Dabei handelt es sich um "nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung".
Hingegen können Krankheitskosten, die auf eine Erkrankung zurückgehen, die in keinem Zusammenhang mit der Behinderung steht (zB Kosten der Augenoperation eines wegen Beinamputation Behinderten), grundsätzlich nur nach den allgemeinen Regeln des § 34 EStG 1988 geltend gemacht werden (vgl. nochmals RV/0147-G/08, mwA).
Ausgehend von dieser Rechtslage wird zunächst festgestellt, dass die belangte Behörde im gegenständlichen Fall keinen unmittelbaren Zusammenhang der verfahrensgegenständlichen Kosten mit der Behinderung gesehen hat, während die Beschwerdeführerin eben einen solchen Zusammenhang im Vorlageantrag erkennbar herstellt.
Wie ein Blick ins Internet zeigt, ist bei Diabetikern die altersunabhängige Wahrscheinlichkeit an einem Hörverlust zu erkranken möglicherweise höher als bei nicht Zuckerkranken (https://www.amplifon.com/web/de/diabetes-und-hoerverlust).
Die belangte Behörde hätte daher zu ermitteln gehabt, ob ein medizinischer Zusammenhang zwischen Zuckerkrankheit und Hörverlust nach dem Kenntnisstand der Medizin als erwiesen gilt und - bejahendenfalls - ob bei der Beschwerdeführerin ein solcher Zusammenhang herstellbar ist (wobei - wenn ein medizinischer Zusammenhang zwischen Zuckerkrankheit und Hörverlust nach dem Kenntnisstand der Medizin als erwiesen gilt - im Falle des medizinischen Beweisnotstandes der ihrer Mitwirkungspflicht für ihren Fall voll nachgekommenen Beschwerdeführerin die ausreichende Wahrscheinlichkeit eines solchen Zusammenhanges für die Kostenberücksichtigung ohne Selbstbehalt anzunehmen ist, wenn der Hörverlust nicht altersentsprechend ist).
Da die belangte Behörde die Ermittlungen zur sachverhaltsmäßigen Abklärung der Frage, ob bei der Beschwerdeführerin ein medizinischer Zusammenhang zwischen ihrer die Behinderung (Minderung der Erwerbsfähigkeit) bewirkenden Grunderkrankung (Zuckerkrankheit) und dem eingetretenen Hörverlust besteht, unterlassen hat (somit nicht bloß eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens im Sinne des § 269 Abs. 3 BAO im Raum steht), und es nicht erkennbar ist, dass die Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, war es (auch im Hinblick auf die hier rasch nach Beschwerdevorlage getroffene Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes) zulässig und zweckmäßig, den angefochtenen Bescheid unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde aufzuheben.
Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da diese Voraussetzung im Beschwerdefall nicht vorliegt, weil eine Sachverhaltsfrage zu lösen ist, war auszusprechen, dass die Revision nicht zulässig ist.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 34 Abs. 6 TS 4 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 1 Abs. 3 Außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996 |
Verweise | RV/0147-G/08 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2018:RV.7104876.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at