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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 04.10.2018, RV/7105021/2016

Ohne Anbringen ist eine Mängelbehebung unzulässig (hier: keine Beschwerde)

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7105021/2016-RS1
Liegt überhaupt kein Anbringen vor, besteht auch keine Veranlassung zu einer Mängelbehebung nach § 85 Abs 2 BAO (; zu § 13 Abs 3 AVG mwN).

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache des Beschwerdeführers vertreten durch Gerhard Kuchta, Nikischgasse 8/13, 1140 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde, Finanzamt Wien 2/20/21/22, vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Zuerkennung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags in Form der Ausgleichszahlung für die Kinder Kind1, und Kind2, jeweils ab Jänner 2013 über die in dieser Sache ergangene Beschwerdevorentscheidung vom zu Recht erkannt: 

I. Die Beschwerdevorentscheidung wird ersatzlos aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer (Bf) ist polnischer Staatsbürger und in Österreich als sogenannter Wanderarbeitnehmer im Sinne des Unionsrecht beschäftigt. Mit Antrag vom beantragte der Bf für die im Spruch angeführten Kinder die Auszahlung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages ab Jänner 2013. Der Bf kam dem Ergänzungsersuchen der belangten Behörde nicht fristgerecht nach, weshalb der Antrag mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen wurde.

Die verspätet am erfolgte bloße Nachreichung von Unterlagen wertete die belangte Behörde als Bescheidbeschwerde und führte ein Mängelbehebungsverfahren durch, dem der Bf entsprach. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die "Beschwerde vom " als unbegründet ab. Die Beschwerdevorentscheidung wurde nachweislich am durch Hinterlegung zugestellt.

Gegen die Beschwerdevorentscheidung erhob der Bf mit Schriftsatz vom Vorlageantrag.

Mit Vorlagebericht vom beantragte die belangte Behörde die Aufhebung der Beschwerdevorentscheidung, weil diese im Hinblick auf die einschlägige Judikatur des VwGH nicht hätte ergehen dürfen, denn die Abgabe von Unterlagen allein sei kein Anbringen. Alternativ wies sie darauf hin, dass der Vorlageantrag außerhalb der Monatsfrist des § 264 BAO gestellt wurde.

Es wurde erwogen:

Fraglich ist, ob eine Bescheidbeschwerde vorliegt.

Rechtsgrundlagen:

§ 250 Abs 1 BAO (Bundesabgabenordnung) lautet:

Die Bescheidbeschwerde hat zu enthalten:

a) die Bezeichnung des Bescheides, gegen den sie sich richtet;

b) die Erklärung, in welchen Punkten der Bescheid angefochten wird;

c) die Erklärung, welche Änderungen beantragt werden;

d) eine Begründung.

Sachverhalt:

Aufgrund des vorgelegten Verwaltungsaktes ist folgender Sachverhalt festzustellen:

Der angefochtene Abweisungsbescheid wurde von der belangten Behörde am ausgefertigt und ohne Zustellnachweis versendet. Die Zustellung des Bescheides an sich wurde vom Bf nicht in Frage gestellt. Am hat der Bf ausschließlich, also ohne jedwedes Begleitschreiben, Unterlagen eingebracht. Ein Schriftsatz als Willenserklärung, die den Parteiwillen auf Beseitigung des Bescheides aus dem Rechtsbestand erkennen lassen würde und folglich einer Mängelbehebung zugänglich wäre, liegt dem Verwaltungsakt nicht ein.

Die Beschwerdevorentscheidung wurde nachweislich am durch Hinterlegung (Beginn der Abholfrist) zugestellt, weshalb die für die Einbringung des Vorlageantrags zur Verfügung stehende Frist grundsätzlich am abgelaufen ist. Da der ein Samstag war, ist die Frist am abgelaufen. Der Vorlageantrag wurde mit Schriftsatz vom verfasst und am selben Tag bei der belangten Behörde eingebracht.

Am sprach der Vertreter beim Bundesfinanzgericht vor und erkundigte sich, ob es richtig sei, dass der Bf nach Entscheidung durch das BFG in der Sache einen neuerlichen Antrag, dem von Haus aus sämtliche Unterlagen beiliegen würden, stellen könnte. Der Vertreter wurde belehrt, dass einer solchen Doppelbeantragung der Grundsatz "ne bis in idem" entgegenstehe und die in der Sache bereits durch die belangte Behörde ergangene Entscheidung als "res iudicata" eine Sperrwirkung entfalte, sodass eine neuerliche Entscheidung in der Sache, die insbesondere auch durch den Zeitraum gekennzeichnet sei, rechtlich nicht möglich sei.

Beweiswürdigung:

Obiger Sachverhalt ist unstrittig. Selbst der Vertreter rechnete anlässlich der Vorsprache bereits mit einer "Abweisung durch das BFG".

rechtliche Beurteilung:

Bescheidbeschwerden zählen als Rechtsmittel zu den Anbringen iSd § 85 Abs 1 BAO. Ein Beschwerdeverfahren wird durch Einbringung einer Bescheidbeschwerde anhängig gemacht. In Angelegenheiten der Familienbeihilfe sind Bescheidbeschwerden in Schriftform einzubringen. Eine Bescheidbeschwerde ist eine schriftliche Willenserklärung, die darauf gerichtet ist, einen darin näher bezeichneten Bescheid abzuändern oder überhaupt aus dem Rechtsbestand zu beseitigen. Es ist unstrittig, dass der Bf einen Schriftsatz, aus dem ein solcher Parteiwille zumindest im Ansatz erkennbar wäre, nicht eingebracht hat. Er Bf hat demnach keine Bescheidbeschwerde erhoben.

Liegt überhaupt kein Anbringen vor, besteht auch keine Veranlassung zu einer Mängelbehebung nach § 85 Abs 2 BAO (; zu § 13 Abs 3 AVG mwN). Die von der belangten Behörde durchgeführte Mängelbehebung erfolgte daher rechtsgrundlos.

Da eine Bescheidbeschwerde im konkreten Fall gar nicht erhoben wurde, war die belangte Behörde nicht berechtigt, die Beschwerdevorentscheidung zu erlassen, worauf sie selbst in ihrem Vorlagebericht zu Recht hinweist. Die belangte Behörde hat damit ihre sachliche Zuständigkeit verletzt und die Beschwerdevorentscheidung mit Rechtswidrigkeit belastet.

Die sachliche Unzuständigkeit einer Behörde ist im Rechtsmittelverfahren stets von Amts wegen aufzugreifen, weshalb der Umstand der fehlenden Bescheidbeschwerde auch im Fall der fristgerechten Erhebung des Vorlageantrages aufgreifen gewesen wäre.

Bemerkt wird, dass dem vorgelegten Verwaltungsakt bereits ein 2. Antrag vom einliegt. Der Erledigung dieses Antrages steht der Grundsatz "ne bis in idem" entgegen, demzufolge in einer rechtskräftig entschiedenen Sache nicht nochmals entschieden werden darf. Im konkreten Fall wird das Familienbeihilfenverfahren für die beiden im Spruch genannten Kinder und für den Zeitraum ab Jänner 2013 -nach Aufhebung der Beschwerdevorentscheidung durch das BFG - durch den Bescheid der belangten Behörde vom rechtskräftig entschieden sein. Dieser Bescheid entfaltet als entschiedene Sache (res iudicata) eine Sperrwirkung. Res iudicata beschreibt einen Grundsatz der materiellen Rechtskraft: Ist ein Streitgegenstand rechtskräftig entschieden, darf er nicht nochmals Gegenstand eines Verfahrens werden. Die res iudicata dient damit der Rechtssicherheit sowie dem Rechtsfrieden und vermeidet eine immerfortwährende Auseinandersetzung mit ein und derselben Sache. Die Sperrwirkung der res iudicata besteht selbst dann, wenn die Erstentscheidung fehlerhaft ist. Dasselbe Schicksal würde einem dritten Antrag zu Teil.

Zu dem im Vorlageantrag erhobenen Vorwurf, wonach sich der Bf ungerecht behandelt fühlt, wird bemerkt, dass für ihn nach dem Unionsrecht im anderen Mitgliedstaat der Grundsatz der Inländergleichbehandlung gilt. Jeder Inländer hat jedoch die inländischen Prozessvorschriften einzuhalten. Darüber hinausgehende Rechte bestehen auch für Unionsbürger in anderem Mitgliedstaat nicht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine solche Rechtsfrage wurde nicht aufgeworfen. Im konkreten Fall steht außer Streit, dass die belangte Behörde eine Beschwerdevorentscheidung erlassen hat, ohne dass eine Bescheidbeschwerde erhoben wurde, weshalb die Beschwerdevorentscheidung vom BFG aufzuheben war. Die schlichte Einreichung bloß von Unterlagen ist kein Anbringen, im konkreten Fall keine Bescheidbeschwerde  (vgl ; ).

Daher war die ordentliche Revision gemäß § 25a VwGG nicht zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 250 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2018:RV.7105021.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at