TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 21.06.2018, RV/7105228/2016

Nachsicht bei von einem Nichtbescheid abgeleitetem Einkommensteuerbescheid

Beachte

Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2018/13/0098. Zurückweisung mit Beschluss vom .

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Vorsitzenden R1, den Richter R2 und die weiteren Senatsmitglieder L1 und L2, in der Beschwerdesache Bf, vertreten durch Dr. Jakob Schmalzl Schwechater Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsges.m.b.H., Bruck Hainburger Str 1, 2320 Schwechat, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Bruck Eisenstadt Oberwart vom , betreffend Nachsicht § 236 BAO, in der Sitzung am nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Anwesenheit des steuerlichen Vertreters des Beschwerdeführers Mag. Karl Muhr für die Dr. Jakob Schmalzl Schwechater Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsges.m.b.H, der Amtsvertreterin SB sowie in Beisein der Schriftführerin SF zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Eingabe vom stellte der Beschwerdeführer (Bf) durch seinen Vertreter den Antrag, einen Betrag an Einkommensteuer 2005 in Höhe von € 6.561,34, einen Betrag an Anspruchszinsen 2005 in Höhe von € 869,62, einen Betrag an Einkommensteuer 2006 in Höhe von € 24.317,50 und einen Betrag an Anspruchszinsen 2006 in Höhe von € 2.023,02, somit insgesamt einen Betrag von € 33.771,48, nachzusehen, da die Einhebung dieser Abgaben unbillig wäre. So liege eine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintrete (vgl. Ritz, BAO5, § 236 Tz 11).

Mit Eingabe vom ergänzte der Bf das Nachsichtsansuchen vom dahingehend, als er den Antrag stelle, auch die Aussetzungszinsen in Höhe von € 4.539,49 nachzusehen.

Mit Eingabe vom ergänzte der Bf das Nachsichtsansuchen vom dahingehend, als er den Antrag stelle, auch die Stundungszinsen in Höhe von € 423,99 nachzusehen.

Mit Bescheid vom wies die Abgabenbehörde den Antrag um Bewilligung einer Nachsicht in Höhe von € 37.536,06 ab.

Zur Begründung wurde wie folgt ausgeführt:

"Gemäß § 236 Abs. 1 der Bundesabgabenordnung können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn die Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Voraussetzung für die Gewährung einer Nachsicht ist demnach das Vorliegen einer Unbilligkeit in der Einhebung, welche in den Besonderheiten des Einzelfalles gelegen sein muss.

Aus der vorliegenden Antragsbegründung vermag die Abgabenbehörde keine Unbilligkeit in der Einhebung zu erblicken, zumal hier lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliegt, die alle Abgabepflichtigen in gleicher Weise trifft.

Der Unbilligkeitstatbestand des § 236 Bundesabgabenordnung stellt nicht auf die Vorschreibung, sondern auf die Einhebung ab. Auf die Behauptung der Unbilligkeit im Sinne von inhaltlicher Unrichtigkeit eines Abgabenbescheides kann daher ein Nachsichtansuchen nicht mit Erfolg gestützt werden.

Dies ergibt sich auch daraus, dass die Rechtswidrigkeit eines Abgabenbescheides mit den von der Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen gegen diesen Bescheid zu bekämpfen ist.

Ein Verfahren nach § 236 Bundesabgabenordnung ist nicht das geeignete Mittel für eine nachträgliche inhaltliche Kontrolle der im Abgabenverfahren ergangenen Entscheidung.

Aus der vorliegenden Antragsbegründung vermag die Abgabenbehörde auch keine Unbilligkeit in der Einhebung zu erblicken, da die Nachsicht nicht das geeignete Mittel ist, im Festsetzungsverfahren nicht durchgedrungenen Rechtsansichten zum Erfolg zu verhelfen bzw. das Festsetzungsverfahren zu sanieren.

Betreffend der Einkommensteuer 2005 und 2006, der Anspruchszinsen 2005 und 2006 sowie der Stundungszinsen 2016 (Ergänzung der Nachsicht vom ) liegt daher lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vor, die alle Abgabepflichtige in gleicher Weise trifft.

Die Abgabenbehörde kann in ihrer Antragsbegründung weder eine sachliche noch eine persönliche Unbilligkeit in der Einhebung erkennen, weshalb der Antrag auf Nachsicht als unbegründet abgewiesen wird."

Mit Eingabe vom legte der Bf durch seinen Vertreter gegen den Bescheid vom über die Abweisung einer Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten, zugestellt am , das Rechtsmittel der Beschwerde ein.

Zur Begründung wurde Folgendes ausgeführt:

"Der Bescheid vom über die Abweisung einer Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten wird in seinem vollen Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts angefochten. Wir begründen dies wie folgt:

Das Finanzamt Wien 3/11 Schwechat Gerasdorf hat mit Bescheiden vom unter anderem Bescheide über die Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für die Jahre 2005 und 2006 der PL erlassen. In der Folge hat das Finanzamt Bruck Eisenstadt Oberwart mit gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderten Bescheiden vom die Einkommensteuer des von uns vertretenen Steuerpflichtigen für die Jahre 2005 und 2006 neu festgesetzt. In der Folge wurde gegen die oben angeführten Feststellungsbescheide für die Jahre 2005 und 2006 am das Rechtsmittel der Berufung eingelegt. Diese wurde vom Bundesfinanzgericht mit Beschluss als unzulässig zurückgewiesen, im wesentlichen weil die Feststellungsbescheiden vom nicht rechtswirksam erlassen worden seien.

Der am gestellte Antrag auf Bescheidaufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO wurde mit Bescheid vom 9. Feber 2016 wegen Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 BAO maßgeblichen Frist zurückgewiesen.

Der ebenfalls am gestellte Antrag auf Nachsicht wurde mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen. Die Abweisung begründet der Bescheid im Wesentlichen damit, dass eine Unbilligkeit nicht auf die Unrichtigkeit eines Abgabenbescheides gestützt werden könne. Das Verfahren nach § 236 BAO sei nicht das geeignete Mittel, im Festsetzungsverfahren nicht durchgedrungene Rechtsansichten zum Erfolg zu verhelfen bzw. das Festsetzungsverfahren zu sanieren.

Die im angefochtenen Bescheid angegebene Begründung geht ins Leere: Im Festsetzungsverfahren nicht durchgedrungene Rechtsansichten wurden und werden nicht behauptet bzw. eine Sanierung des Festsetzungsverfahrens wurde und wird nicht begehrt.

Wie schon im Antrag vom ausgeführt, liegt eine sachliche Unbilligkeit vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt (vgl. Ritz, BAO5, § 236 Tz 11):

So hat das (vgl. Kodex Steuer-Erlässe Band IV, 30. Auflage, 13/8/5) unter anderem ausgeführt: "In der Nichterwähnung einer solchen Berufung im (offensichtlich sprachlich auf typische Konstellationen abstellenden) § 209a Abs. 2 BAO liegt eine (planwidrige) Gesetzeslücke, weil diese Bestimmung, gemessen an ihrer eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und ihre Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetzgeber gewollten Beschränkung widerspricht.

Für eine Lückenschließung durch Analogie sprechen übrigens auch verfassungsrechtliche Überlegungen, weil ansonsten ein sachlich nicht gerechtfertigtes Rechtsschutzdefizit (eine Verletzung des Grundsatzes der faktischen Effizienz von Rechtsmitteln) vorliegen würde.

Keppert/Koss führen bezüglich der Befristung des Antrages gemäß § 295 Abs. 4 in SWK 28/2013 auch aus: "Dieses erforderliche Mindestmaß an faktischer Effizienz haben Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach nämlich nur dann, wenn durch das Ergreifen eines Rechtsbehelfs nicht bloß das Erreichen einer Entscheidung rechtsrichtigen Inhalts, sondern auch die "Umsetzung einer solchen Entscheidung in den Tatsachenbereich" bewirkt werden kann. Dementsprechend ist ein Rechtsschutzsystem nur dann effektiv, wenn es in zeitlicher Hinsicht überhaupt ermöglicht, Rechtsmittel sinnhaft zu ergreifen. Folglich leidet die Effektivität des Rechtsschutzsystems auch und vor allem dann, wenn der inhaltlich perfekte Rechtsschutz zu spät kommt. Unter Rechtsschutz ist nämlich auch die rechtzeitige Gewährleistung einer faktischen Position zu verstehen, weshalb Rechtsschutzeinrichtungen diesen Zweck notwendig in sich schließen.

Schließlich gipfelt der Sinn des rechtsstaatlichen Prinzips darin, dass alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Gewähr dafür bietet, dass "nur solche Akte in ihrer rechtlichen Existenz als gesichert erscheinen, die in Übereinstimmung mit den sie bedingenden Akten höherer Stufen erlassen wurden". Gerade diese Anforderung kann aber bei einem von einem als Grundlagenbescheid gedachten Nichtbescheid abgeleiteten Abgabenbescheid zweifelsfrei keinesfalls erfüllt sein."

Wie oben bereits ausgeführt, liegt im vorliegenden Fall ein vom Gesetzgeber nicht beabsichtigtes Ergebnis vor, da wie das BMF im zitierten Erlass ausführt, die Nichtanführung der vorliegenden Fallkonstellation in § 209a Abs. 2 BAO eine planwidrige Gesetzeslücke darstellt und zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Einschränkung des Rechtsschutzes führt. Es liegt im vorliegenden Fall eine sachliche Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO vor.

Wir stellen daher den Antrag, einen Betrag von € 38.639,37 nachzusehen."

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die Abgabenbehörde die Beschwerde ab.

Zur Begründung wurde ausgeführt:

"Ihre Beschwerde gegen oben genannten Bescheid richtet sich gegen die Abweisung des Antrages gem. § 236 BAO mit der Begründung, der Bescheid sei rechtswidrig, da im vorliegenden Falle ein vom Gesetzgeber nicht beabsichtigtes Ergebnis vorliege, da die Nichtanführung der gegebenen Fallkonstellation im § 209a Abs. 2 BAO eine planwidrige Gesetzeslücke darstelle und zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Einschränkung des Rechtsschutzes führe.

Dazu ist seitens des Finanzamts festzustellen:

Wie bereits im Abweisungsbescheid vom (zugestellt am ) ausgeführt, können gemäß § 236 BAO auf Antrag der Partei fällige Abgabenschuldigkeiten ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Die Unbilligkeit der Einhebung kann eine sachliche oder persönliche sein.

Lässt ein konkret vorliegender Sachverhalt schon die Annahme einer Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nicht zu, dann ist ein Nachsichtansuchen wegen Fehlens der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen bereits aus Rechtsgründen abzuweisen und bleibt für eine Ermessensentscheidung kein Raum.

Im vorliegenden Fall war auf Grund der geltend gemachten Beschwerdebegründung seitens des Finanzamtes das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit zu prüfen.

Sachlich bedingte Unbilligkeit liegt nur dann vor, wenn sie in den Besonderheiten des Einzelfalles begründet ist. Eine derartige Unbilligkeit ist aber dann nicht gegeben, wenn eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliegt, also die vermeintliche Unbilligkeit für die davon Betroffenen aus dem Gesetz selbst folgt. Nur wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, ist die Einziehung nach der Lage des Falles unbillig.

Gegenständlich wird die behauptete Gesetzeslücke nicht nur im Einzelfall, sondern bei allen Fällen mit gleicher Rechtslage angewendet.

Der Unbilligkeitstatbestand des § 236 BAO stellt nicht auf die Vorschreibung, sondern auf die Einhebung ab. Die Partei kann sich daher nicht auf eine Unbilligkeit im Sinne von inhaltlicher Rechtswidrigkeit eines Abgabenbescheides stützen. Dies ergibt sich daraus, dass die Rechtswidrigkeit eines Abgabenbescheides mit den von der Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen gegen diesen Bescheid zu bekämpfen ist. Zweck des § 236 BAO ist es nicht einen Abgabenbescheid in einem weiteren Verfahren auf seine Rechtsmäßigkeit zu überprüfen. Ein Verfahren gemäß § 236 BAO ist nicht das geeignete Mittel für eine nachträgliche Kontrolle der im Abgabenverfahren ergangenen Entscheidungen.

Nach dem Vorbringen der Partei liege die Unbilligkeit darin, dass die gegen den Abgabenbescheiden zu Grunde liegenden Feststellungsbescheide eingebrachten Beschwerden vom Bundesfinanzgerichtshof als unzulässig zurückgewiesen wurden und dass es daher durch Fristablauf nicht zur der von der Partei beabsichtigten Abgabenvorschreibung kommen konnte.

Laut Gesetz ist ein aus dem Feststellungsbescheid abgeleiteter Einkommensteuerbescheid anfechtbar. Da die angeführten Einkommensteuerbescheide aber rechtswirksam in Rechtskraft erwuchsen, sind die darin festgesetzten Abgaben nicht mehr bekämpfbar. Das Nachsichtverfahren dient nicht dazu, den im Festsetzungsverfahren nicht durchgedrungenen Rechtsansichten zum Erfolg zu verhelfen.

Die Behörde hat somit im Sinne der geltenden Fassung der BAO entschieden.

Persönliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn durch die Einhebung der Abgabe die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unverhältnismäßig beeinträchtigt würde. Die deutlichste Form der persönlichen Unbilligkeit liegt in der Existenzgefährdung. Diese müsste gerade durch die Einhebung der Abgabe verursacht oder entscheidend mit verursacht sein.

Eine persönliche Unbilligkeit wurde weder detailliert dargelegt noch dokumentiert. Doch hat im Nachsichtverfahren die Nachsichtwerberin einwandfrei das Vorliegen jener Umstände darzutun, aus welchen die persönliche Beeinträchtigung nachvollzogen werden kann.

Auf Grund des eingebrachten Antrages und der Beschwerdebegründung war seitens des Finanzamtes das Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit nicht weiter zu prüfen.

Mangels Vorliegen einer sachlichen oder persönlichen Unbilligkeit war daher die Beschwerde abzuweisen und wie im Spruch zu entscheiden."

Mit Vorlageantrag vom stellte der Bf durch seinen Vertreter gegen die Beschwerdevorentscheidung vom , zugestellt am , den Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde vom gegen den Bescheid vom über die Abweisung einer Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten durch das Verwaltungsgericht und begründen dies wie folgt:

Gemäß der angefochtenen Beschwerdevorentscheidung liegt im vorliegenden Fall keine Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO vor. Dies trifft unseres Erachtens nach nicht zu:

Das Finanzamt Wien 3/11 Schwechat Gerasdorf hat fälschlicherweise Nichtbescheide erlassen, das Finanzamt Bruck Eisenstadt Oberwart hat fälschlicherweise darauf gestützt, gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderte Bescheide erlassen. Darüber hinaus erfolgte die Entscheidung über das Rechtsmittel entgegen der Anordnung des (im Jahr 2009 noch in Geltung befindlichen) § 311 BAO, wonach die Abgabenbehörden verpflichtet waren, ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden, erst sechs Jahre nach Einbringung des Rechtsmittels. Dass der Abgabepflichtige allein die Folgen der Fehler mehrerer im Verfahren beteiligten Behörden tragen soll, ist wohl eine Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO.

In Ergänzung zu den verfassungsrechtlichen Überlegungen in der Bescheidbeschwerde vom erlauben wir uns darauf hinzuweisen, dass wohl nicht nur das BMF die verfassungsrechtliche Problematik der vorliegenden Fallkonstellation gesehen hat, sondern auch der Gesetzgeber, der 2011 den § 295 Abs. 4 BAO geschaffen hat. Dieser ist jedoch in der Literatur auf Kritik gestoßen, da sich die vielfältigen Probleme mit rechtlich nicht existenten Einkünfte-(Nicht-)Feststellungsbescheiden damit nur in einem sehr engen Rahmen lösen lassen (vgl. zB.: Schwaiger, SWK 17/2015, 786). Durch diesen engen Rahmen ergibt sich eine Rechtsschutzlücke. Im vorliegenden Fall liegt somit eine sachliche Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO vor.

Wir stellen daher den Antrag, einen Betrag von € 38.639,37 nachzusehen.

Weiters stellen wir den Antrag, dass über die Beschwerde der Senat entscheidet und dass eine mündliche Verhandlung stattfindet."

In der mündlichen Verhandlung brachte der Bf ergänzend vor, dass im gegenständlichen Fall, wie bereits schriftlich in der Beschwerde ausgeführt worden sei, ein vom Gesetzgeber nicht beabsichtigtes Ergebnis vorliege. Der Gesetzgeber habe das auch mit einer Änderung des § 188 Abs. 5 BAO neu zum Ausdruck gebracht, wonach in Fällen wie dem gegenständlichen der Feststellungsbescheid wirksam wäre.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im Allgemeinen voraus, dass die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben. Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein. Eine "persönliche" Unbilligkeit liegt insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtswerbers gefährdete. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht (aus persönlichen Gründen) nicht unbedingt der Existenzgefährdung oder besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, dass die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme. Eine sachliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Jedenfalls muss es zu einer anormalen Belastungswirkung und - verglichen mit ähnlichen Fällen - zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen. Im Nachsichtsverfahren liegt das Hauptgewicht der Behauptungs- und Beweislast beim Nachsichtswerber. Ihm obliegt es im Sinne seiner Mitwirkungspflicht, einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf welche die Nachsicht gestützt werden kann.

Wenn das Antragsvorbringen des Nachsichtswerbers nicht die gebotene Deutlichkeit und Zweifelsfreiheit aufweist, so kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () eine mangelnde Ermittlungstätigkeit der Abgabenbehörde nicht als Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeworfen werden.

Nach herrschender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () stellt der Unbilligkeitstatbestand des § 236 BAO nicht auf die Vorschreibung, sondern auf die Einhebung ab. Auf die Behauptung der Unbilligkeit im Sinne von inhaltlicher Unrichtigkeit eines Abgabenbescheides kann daher ein Nachsichtsansuchen nicht mit Erfolg gestützt werden. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Rechtswidrigkeit eines Abgabenbescheides mit den von der Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen gegen diesen Bescheid zu bekämpfen ist. Zweck des § 236 BAO ist es grundsätzlich hingegen nicht, einen Abgabenbescheid in einem weiteren (zusätzlichen) Verfahren auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen, es sei denn, es wäre die zweckentsprechende Rechtsverfolgung ausnahmsweise unverschuldetermaßen nicht möglich gewesen (vgl. Stoll, BAO-Handbuch, Seite 585). Ein Verfahren nach § 236 BAO ist nicht das geeignete Mittel für eine nachträgliche inhaltliche Kontrolle der im Abgabenverfahren ergangenen Entscheidungen. Ein Nachsichtsverfahren ersetzt daher weder ein Rechtsmittelverfahren noch ein Beschwerdeverfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes und dient auch nicht der nachprüfenden Kontrolle dieser Verfahren.

Die Einziehung ist nur dann nach der Lage des Falles unbillig, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt (). Kann der Umstand auch bei allen anderen Abgabenpflichtigen in der gleichen Lage eintreten und hätte der Gesetzgeber ihn daher voraussehen können, kann daraus keine Unbilligkeit abgeleitet werden ().

Seit gibt es das Antragsrecht des § 295 Abs. 4 BAO, womit man die Aufhebung von abgeleiteten Bescheiden verlangen kann, wenn sie auf Einkünfte-Feststellungsbescheiden basieren, bei denen sich später herausstellt, dass sie keine rechtlichen Wirkungen entfalteten (Nichtbescheide).

Ein Grund für die Einführung des Antragsrechtes ist, dass hiedurch vorsorglich gegen auf § 295 Abs. 1 gestützte Änderungsbescheide eingebrachte Rechtsmittel (mit der Behauptung, es liegen Nichtbescheide vor) vermieden werden sollen (vgl ErlRV 1212 BlgNR 24. GP, 31).

Unlösbar sind die vielen ESt- und KöSt-Fälle, die bereits verjährt sind oder bei denen die letztgültige Erledigung nicht auf § 295 Abs. 1 BAO basiert (Erstbescheid, § 299 BAO, § 303 ff BAO und wohl auch Beschwerdevorentscheidung sowie Erkenntnis). Ebenso unbrauchbar ist das Antragsrecht in Fällen, bei denen ein zusätzliches oder anderes Feststellungsverfahren für die Begründung der Änderung gemäß § 295 Abs. 1 BAO herangezogen wurde (Schwaiger SWK 17/2015, 786).

§ 295 Abs 4 wurde nach Keppert/Koss (SWK 2013, 1241) ab "faktisch zu totem Recht", weil die Antragsfrist als Folge der Verkürzung der in § 304 genannten Frist durch BGBl I 2013/14 zu kurz geworden ist. Die Bestimmung erfüllt daher nicht mehr ihren Normzweck. Daher besteht für den Gesetzgeber dringender Handlungsbedarf (vgl zB Pfau, RdW 2012, 764; Houf, ÖGWT 3/2014, 19; ebenso - auch wegen der Lückenhaftigkeit der Bestimmung - Schwaiger, (SWK 2015, 786).

Nach , bezieht sich der Verweis auf § 304 (in § 295 Abs 4) auf die Verjährungsfrist der "abgeleiteten" Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer. Diese Judikatur ist ein mittelbarer Apell an den Gesetzgeber, eine Novellierung des § 295 Abs. 4 vorzunehmen, damit diese Bestimmung wieder ihren Normzweck erfüllen kann (Ritz, BAO6 §295 Tz 21g).

Eine Unbilligkeit liegt nicht vor, wenn sie ganz allgemein die Auswirkung genereller Normen ist. Materiell-rechtlich legislatorisch bedingte Unzulänglichkeiten ("Ungerechtigkeiten") sind keine Unbilligkeiten im Sinne des § 236 BAO (Ritz, BAO³, § 236 Tz 13 mit Judikaturnachweisen). Die Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO muss stets eine Unbilligkeit der Einhebung und nicht eine Unbilligkeit der Festsetzung sein. In der allgemeinen Auswirkung einer generellen Norm ist eine sachliche Unbilligkeit nicht gelegen (z.B. ). Es kann nicht Aufgabe des § 236 BAO sein, materielles Abgabenrecht in bestimmten Fällen durch Abgabenverzichte zu korrigieren. Unter Unbilligkeiten im Sinne des § 236 BAO können nur solche Härten, unzumutbare Eingriffe, unverständliche Ergebnisse und subjektiv oder objektiv unerträgliche behördliche Maßnahmen zu verstehen sein, die im Bereich der Einhebung liegen und nicht auch solche, die im Abgabenrecht selbst und damit in der Stufe der Anwendung des materiellen Rechts und damit in der Abgabenfestsetzung ihren Grund haben. Solchen Mängeln ist in dem Bereich zu begegnen, in dem sie entstanden sind, nämlich im Festsetzungsverfahren und in den gegen die Festsetzung möglichen Rechtszügen (Stoll, BAO, 2420).

Nach Keppert/Koss SWK 28/2013 kann daher jedem berufsmäßigen Parteienvertreter nur dringend empfohlen werden, in Fällen einer nicht erklärungsgemäßen Veranlagung einer Mitunternehmertangente in einem abgeleiteten Einkommen- oder Körperschaftsteuerbescheid genau jenes "vorsorgliche" Berufungsverfahren zu führen, das der Gesetzgeber mit der Einführung des § 295 Abs. 4 BAO eigentlich aus guten Gründen vermeiden wollte.

Entgegen dieser Empfehlung brachte der Bf jedoch nicht vorsorglich ein Rechtsmittel gegen die Einkommensteuerbescheide und Anspruchszinsenbescheide 2005 und 2006 vom ein, sodass dieses vorsorgliche Beschwerdeverfahren auch nicht geführt wurde, und von einer ausnahmsweise unverschuldetermaßen Unmöglichkeit einer Rechtsverfolgung keine Rede sein kann.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat, dient eine Nachsicht nicht dazu, Unrichtigkeiten der Abgabenfestsetzung zu beseitigen und unterlassene Rechtsbehelfe, insbesondere Berufungen, nachzuholen (; , 96/15/0067).

Es ist dem Bf zwar einzuräumen, dass die Unabänderbarkeit der Einkommensteuerbescheide und Anspruchszinsenbescheide infolge Eintritts der Verjährung eine gewisse Härte darstellt, diese Härte ist aber vom Gesetzgeber offenbar gewollt, es ist im vorliegenden Fall kein von Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eingetreten. Eine Nachsicht würde unzulässigerweise das geltende Gesetz umgehen. Eine solche durch eine allgemein gültige Rechtsvorschrift bewirkte, nicht auf den Einzelfall beschränkte Härte vermag für sich keine Unbilligkeit nach § 236 BAO zu begründen.

Dass die Einhebung von Aussetzungszinsen im Hinblick darauf, dass diese Zinsen durch den vom Abgabepflichtigen eingebrachten Antrag auf Aussetzung der Einhebung strittiger Abgaben ausgelöst wurden, nicht sachlich unbillig ist, hat der VwGH wiederholt ausgesprochen ().

Die Rechtmäßigkeit der Auferlegung kann nur im Rahmen der Anfechtung eines die Auferlegung von Stundungszinsen aussprechenden Bescheides über Zahlungserleichterungen bekämpft werden, nicht aber im Rahmen eines Verfahrens über die Nachsicht dieser Stundungszinsen (, , 0446/77).

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Einhebung der Stundungszinsen unbillig ist oder nicht, kann keinesfalls außer Acht gelassen werden, dass die erheblich verspätete Abgabenentrichtung im Hinblick sowohl auf die Ersparnis von Finanzierungskosten - wenn die Abgabe mit Hilfe von Fremdmitteln entrichtet worden wäre - als auch auf den sich ergebenden Zinsengewinn auch einen wirtschaftlichen Vorteil mit sich bringt. Die Einbringung der Stundungszinsen ist daher nicht unbillig ().

Mangels Darlegung des Vorliegens der Voraussetzung der Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles des § 236 BAO konnte die beantragte Nachsicht somit nicht gewährt werden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision:

Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn das Erkenntnis von vorhandener Rechtsprechung des VwGH abweicht, diese uneinheitlich ist oder fehlt. Da die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht erfüllt sind (siehe die in der Begründung zitierten Entscheidungen), ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2018:RV.7105228.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at