Pendlerpauschale - Unzumutbarkeit der Benützung von Massenverkehrsmitteln
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Helga Hochrieser in der Beschwerdesache des Bf., Adr., über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 4/5/10 vom , betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2010 zu Recht erkannt:
I. Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 278 Abs. 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde aufgehoben.
II. Die am ausgefertigte Berufungsvorentscheidung wird gemäß § 278 Abs. 1 BAO aufgehoben.
III. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen diesen Beschluss ist nach Art. 133 Abs. 9 B-BG iVm Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang und Sachlage
Die Abgabenbehörde hat mit dem am ausgefertigten Bescheid die Einkommensteuer für das Jahr 2010 mit € 1.914,18 festgesetzt, wobei folgende Lohnzettel erfasst wurden: M. (1.4. bis ), P. (11.10. bis ), G. (6.9. bis ), BUAK 1.1. bis und .
Der Beschwerdeführer (Bf.) hat seinen Hauptwohnsitz in Wien und arbeitete im Streitzeitraum auf verschiedenen Baustellen in Wien und Umgebung.
Der Bf. beantragte in der Berufung (nunmehr: Beschwerde) neben erhöhten Sonderausgaben für Unfallversicherung in Höhe von € 309,72 und Kirchenbeitrag in Höhe von € 200,00 das kleine Pendlerpauschale für eine Fahrtstrecke von 40 bis 60 km sowie den Verkehrsabsetzbetrag. Das Finanzamt anerkannte in der Berufungsvorentscheidung vom die in der Berufung beantragten Sonderausgaben für Unfallversicherung. Der Verkehrsabsetzbetrag war bereits im Erstbescheid gewährt worden. Das Finanzamt versagte aber das beantragte Pendlerpauschale mit der Begründung, dass die Benützung von Massenbeförderungsmitteln zumutbar sei und auf Grund der Entfernungen auch das kleine Pendlerpauschale nicht zustünde. Alle Baustellen befänden sich innerhalb von 20 km.
Das Finanzamt stellte in der teilweise stattgebenden Berufungsvorentscheidung fest, dass die Wegstrecke unter 20 Kilometer liege und dass dem Bf. für die Strecke ausreichend öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung stünden und wies die Berufung bezüglich des Pendlerpauschales ab.
In seinem Vorlageantrag behauptete der Bf., dass alle Baustellen über 20 km Entfernung seien und ihm die Benützung von Massenbeförderungsmitteln nicht zumutbar sei, da er immer Werkzeug mittragen müsse.
Laut seiner Vorhaltsbeantwortung vom war der Bf. im Zeitraum bis bei der Firma M. beschäftigt, wobei er folgende Baustellen täglich aufgesucht habe: 1120 Wien, Adresse1 sowie 1190 Wien, Adresse2. Im Zeitraum bis sei er bei der Fa. C beschäftigt gewesen, wo er die Baustelle in 1190 Wien, Adresse2 täglich aufgesucht habe sowie auch die Baustelle in Umgebung Wien Adresse3. Vom bis sei er bei der Fa. G. beschäftigt gewesen, wo er weiter die Baustelle in Umgebung Wien Adresse3 täglich aufgesucht habe.
Die Abgabenbehörde hat mit Bericht vom die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II. Sachverhalt
Folgender Sachverhalt ist für das Bundesfinanzgericht entscheidungswesentlich und erwiesen:
Im abgabenbehördlichen Verfahren wurden Ermittlungen zur entscheidungswesentlichen Frage unterlassen, warum bei der Arbeitnehmerveranlagung die Einkünfte des Bf. aus der Tätigkeit bei der Fima C, 1020 Wien, Adresse4 nicht erfasst wurden.
Außerdem ist durch das Finanzamt zu ermitteln, ob die durch den Bf. behauptete tägliche Mitnahme tatsächlich stattgefunden hat. Danach hat die Abgabenbehörde in freier Beweiswürdigung zu beurteilen, ob dies eine Unzumutbarkeit der Benützung von Massenverkehrsmitteln im überwiegenden strittigen Zeitraum begründet hat. Überdies ist zu beachten, dass eine allfällige Zuerkennung des Pendlerpauschales nur für jene Monate zulässig wäre, in denen der Bf. tatsächlich gearbeitet hat.
Des Weiteren könnte das Finanzamt den Bf. auffordern, die Leistung des (in der Ergänzung zur Berufung vom behaupteten) Unterhalts von € 3.600,00 im Streitzeitraum nachzuweisen.
III. Beweiswürdigung
Im angefochtenen Bescheid ist die Abgabenbehörde - trotz der Angaben in der Vorhaltsbeantwortung vom - davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2010 nur von den im Bescheid angeführten Arbeitgebern Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen hat. Sollten sich diesbezüglich Änderungen ergeben, wäre dem Finanzamt von der Firma C ein Lohnzettel zu übermitteln, falls dies nicht schon geschehen ist bzw. festzustellen, warum diese Einkünfte bei der Arbeitnehmerveranlagung nicht steuerlich erfasst wurden. Diese Einkünfte sind dann nachzuerfassen. Damit ist die Abgabenbehörde ihrer Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit nicht nachgekommen.
Überdies ist es dem Bundesfinanzgericht nicht möglich, ohne einen (durch das Betriebsstätten-Finanzamt erfassten) Lohnzettel eine automatisierte Steuerberechnung durch das Berechnungsprogramm durchzuführen. Eine händische Erfassung des Lohnzettels durch das BFG, der zudem erst angefordert werden müsste und eine händische Berechnung wäre mit großem Aufwand verbunden.
IV. Rechtliche Beurteilung
1. Zu dem behaupteten täglichen Transport von Werkzeug:
Nach der Judikatur kann auch ein Sachverhalt als erwiesen gelten, der zwar nicht durch Beweismittel untermauert wird, wohl aber aus der Sicht menschlichen Erfahrungsgutes gegenüber allen anderen Möglichkeiten eines abgabenrechtlich relevanten Geschehnisablaufes die weitaus größere Wahrscheinlichkeit für sich hat. ().
Beweislose Behauptungen führen dann nicht zur Glaubhaftmachung, wenn Denkgesetze oder allgemeines menschliches Erfahrungsgut eher gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen.
Können Tatsachenfeststellungen nicht getroffen werden, trifft die Beweislast diejenige Seite, zu deren Gunsten die entsprechende Tatsache wirken würde: Die Abgabenbehörde hat damit die Beweislast für Tatsachen zu tragen, die den Abgabenanspruch begründen, der Abgabepflichtige für Tatsachen, die Begünstigungen, Steuerermäßigungen u.ä. begründen bzw. die den Abgabenanspruch einschränken oder aufheben oder die gesetzliche Vermutung widerlegen (Doralt/Ruppe, Steuerrecht II3 (1996), 238).
2. Zum Pendlerpauschale:
Gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 idgF sind Werbungskosten auch die Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Sind die zeitlichen oder örtlichen Umstände der Erbringung der Arbeitsleistung während des gesamten Kalendermonats nicht im Wesentlichen gleich, ist jene Zeit maßgebend, die erforderlich ist, um die Entfernung von der Wohnung zur Arbeitsstätte bzw. von der Arbeitsstätte zur Wohnung im Lohnzahlungszeitraum überwiegend zurückzulegen. Liegt kein Überwiegen vor, ist die längere Zeitdauer ausschlaggebend. Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts sind jedoch Fahrten von einer Baustelle zu einer anderen Baustelle nicht unter den Begriff "Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte" zu subsumieren.
Gemäß § 278 Abs. 1 BAO kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1 BAO) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können.
Die Aufgabe, die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind, ist in erster Linie von der Abgabenbehörde wahrzunehmen. Im streitgegenständlichen Fall muss jedenfalls noch erforscht werden, ob und in welchem Ausmaß Lohn tatsächlich an den Beschwerdeführer ausbezahlt wurde. Für eine Entscheidung im streitgegenständlichen Beschwerdefall fehlen demnach noch wesentliche Ermittlungen, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden können. Die Feststellung des Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst ist weder im Interesse der Raschheit gelegen noch mit erheblicher Kostenersparnis verbunden. Damit war spruchgemäß zu entscheiden und der angefochtene Bescheid gemäß § 278 Abs. 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde aufzuheben.
5. Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat (§ 278 Abs. 2 BAO). Im weiteren Verfahren sind die Abgabenbehörden an die für die Aufhebung maßgebliche, im aufhebenden Beschluss dargelegte Rechtsanschauung gebunden (§ 278 Abs. 3 BAO).
IV. Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Fall sind nicht Rechtsfragen, sondern noch nicht geklärte Tatfragen relevant. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist demzufolge nicht zulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 278 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2018:RV.7102823.2014 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at