Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 22.05.2018, RV/5100305/2018

Örtliche Unzuständigkeit

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Ri in der Beschwerdesache Bf., Adresse, vertreten durch Mag. L, Adresse , über die Beschwerde vom  gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt S vom , betreffend Familienbeihilfe sowie erhöhter Familienbeihilfe  "ab August 2014" zu Recht erkannt: 

Der angefochtene Bescheid wird -ersatzlos- aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt/Verfahren

Mit Beschluss des BG B v.000* wurde Herr Mag. L zum Sachwalter (incl .Zustellvollmacht) bestellt.

Im Beschwerdefall wäre inhaltlich der Eigenanspruch des Bfs., geb. am 0000* und seit der Geburt an einer schweren Behinderung leidend , betreffend Familienbeihilfe und erhöhter Familienbeihilfe , vertreten durch seinen Sachwalter, vom Gericht abzuhandeln gewesen.

Die diesbezüglichen Anträge auf FB u. erhöhter FB langten am beim Finanzamt S ein. Bemerkt wird auch, dass den Anträgen sehr viele FA-Stempel (, ) aufscheinen, darunter auch jener des Finanzamtes A v. (Info-Center).

Am wurde vom FA S ein Abweisungsbescheid erlassen.

Beweiswürdigung

Die Feststellungen gründen sich auf die dem Bundesfinanzgericht bekannten Aktenlage.

Rechtslage

Gemäß § 50 Abs. 1, 1. Satz BAO (Bundesabgabenordnung), haben die Abgabenbehörden ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen. Langen bei ihnen Anbringen ein, zu deren Behandlung sie nicht zuständig sind, so haben sie diese ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu weisen.

Nach § 13 erster Satz FLAG hat über Anträge auf Gewährung der Familienbeihilfe das nach dem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt der antragstellenden Person (hier Eigenanspruch des Bfs.)  zuständige Finanzamt zu entscheiden.

Wohnsitzfinanzamt ist laut § 55 Abs. 2 BAO jenes Finanzamt, in dessen Bereich der Abgabepflichtige einen Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Bei mehrfachem Wohnsitz im Bereich verschiedener Finanzämter gilt als Wohnsitzfinanzamt jenes, in dessen Bereich sich der Abgabepflichtige vorwiegend aufhält.

Nach § 26 Abs. 1 BAO hat jemand einen Wohnsitz im Sinne der Abgabenordnung dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Soweit nicht anderes bestimmt wird, sind für die Zuständigkeit der Abgabenbehörden des Bundes gemäß § 52 BAO die Vorschriften des Abgabenverwaltungsorganisationsgesetzes 2010 – AVOG 2010 maßgeblich.

Nach § 20 Abs. 1 AVOG 2010 ist das Wohnsitzfinanzamt das Finanzamt, in dessen Bereich der Abgabepflichtige (§ 77 BAO) einen Wohnsitz (§ 26 Abs. 1 BAO) oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 26 Abs. 2 BAO) hat. Bei mehrfachem Wohnsitz im Bereich verschiedener Finanzämter gilt als Wohnsitzfinanzamt jenes, in dessen Bereich sich der Abgabepflichtige überwiegend aufhält.

Die Abgabenbehörde hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ereignisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO).

Folgender Sachverhalt wird als erwiesen angenommen:

- Der Bf., geb. am 0000*,  (Eigenanspruch) ist seit  in H zur vollständigen Betreuung untergebracht. Vorher, und zwar von   bis   ,  war er in einer Caritas Tagesheimstätte in D untergebracht.

- Der "formale" Wohnsitz des Bfs. ist laut  Auszug des Zentralen Melderegisters in  F (WS der Mutter).

 Erwägungen

In Entsprechung der im Abgabenverfahren geltenden Offizialmaxime haben die Abgabenbehörden die örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen. Dies schließt die Verpflichtung ein, anlassbezogen aus eigenem die Voraussetzungen für die Zuständigkeit und ebenso für die Unzuständigkeit zu klären (vgl. Stoll, BAO Kommentar, § 50 S 573). Maßgebend für Zuständigkeitsfragen sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Amtshandlung (vgl. Ritz, BAO5, § 20 AVOG 2010 Tz 2).

Zum Zeitpunkt der Erlassung des Abweisungsbescheides war  die Betreuung des Bfs. , vertreten durch seinen Sachwalter, in der Lebenshilfe in H. (seit ) gegeben. Diese besteht nach der Aktenlage nachwie vor.

Eine mehrjährige Unterbringung in zB einem Kinderheim löst die bisherige Wohngemeinschaft auf (Kommentar FLAG ,zu § 2 Abs. 5 lit a ,Rz 145 ,S 134.) auf. Selbst in einem Falle, wenn für das Kind noch 1 Zimmer zu vorübergehenden Besuchszwecken am bisherigen Wohnort zur Verfügung (wie hier zB bei der Mutter) steht.

Der Hauptwohnsitzmeldung kommt nur Indizwirkung  zu. Die Bestimmung des § 20 AVOG  im Deregulierungsgesetz 2017 (Artikel 5 zu RV , 1457 BlgNR 25.GP-melderechtlicher HWS)  trat erst am in Kraft .

Die Wohnsitzänderung (unabhängig davon, ob diese im ZMR vermerkt war ) hatte daher faktische Auswirkung auf die Zuständigkeit des konkreten Beschwerdefalles.

Hat im Verfahren die Abgabenbehörde unter Verletzung der Vorschriften über die sachliche oder örtliche Zuständigkeit entschieden, so ist ihr Bescheid rechtswidrig. Das (gleichgültig aus welchem Grund) im Rechtsmittelverfahren angerufene Gericht hat diesen Mangel aufzugreifen.

Nimmt das Gericht die Unzuständigkeit der Behörde nicht wahr, wäre das Erkenntnis rechtswidrig, gleichgültig ob der Bescheid von einer sachlich oder örtlich unzuständigen Stelle ergangen ist, und demnach der Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof verfallen (vgl. Stoll, BAO Kommentar, § 50, S 588 und die darin angeführte Judikatur des VwGH).

Aus dem Dargelegten wird klar, dass das Finanzamt S  als jenes Finanzamt , bei dem das Anbringen einlangte, eine Aktenabtretung an das Finanzamt A (Finanzamtszuständigkeit ua. für Gemeinden des Bezirkes A-A) hätte vornehmen müssen. Dies wurde unterlassen und in der Folge der Abweisungsbescheid v. erlassen.

Da das Finanzamt S (siehe Abweisungsbescheid v. ) im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides örtlich unzuständig war, war spruchgemäß zu entscheiden und ist der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben.

Unzulässigkeit einer (ordentlichen) Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Es handelt sich um keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, da sich die Rechtsfolge unmittelbar aus dem Gesetz ergibt.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Schlagworte
Unzuständigkeit
örtliche Unzuständigkeit
ECLI
ECLI:AT:BFG:2018:RV.5100305.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at