Auch bei mitgliedstaatübergreifendem Sachverhalt vorrangiger Familienbeihilfenanspruch der haushaltsführenden Mutter
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache Bf, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 2/20/21/22 vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung einer Differenzzahlung für die Monate Jänner 2012, März 2012, April 2012 sowie für den Zeitraum ab August 2012, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
Der Beschwerdeführer (Bf.) ist polnischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Österreich und in Polen. Er beantragte am die Gewährung einer Differenzzahlung für seine 2001 geborene Tochter für den Zeitraum bis laufend. Der Bf. gab im Antrag an, er sei seit geschieden. Die Tochter lebe bei der Kindesmutter in Polen.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag für die Monate Jänner 2012, März 2012, April 2012 sowie für den Zeitraum ab August 2012 ab. In der Begründung ist Folgendes ausgeführt:
„Betreffend Jänner 2012, März 2012 und April 2012:
Ändern sich zwischen den Mitgliedstaaten während eines Kalendermonats die Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen, hat der Mitgliedstaat, der die Familienleistungen zu Beginn dieses Monats gewährt hat, die Familienleistungen bis zum Ende dieses Monats auszuzahlen (Art. 59 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit).
Betreffend ab August 2012:
Da Sie nicht die überwiegenden Unterhaltskosten Ihres Kindes tragen, besteht gemäß Art. 68a der VO (EG) Nr. 883/2004 kein Anspruch auf Ausgleichszahlung.“
Der Bf. erhob gegen den Abweisungsbescheid vom Beschwerde, in welcher er die Gewährung der Differenzzahlung für die Monate März, April, August, September, Oktober, November und Dezember 2012 beantragte.
Er führte in der Begründung aus, wie aus dem beiliegenden Versicherungsdatenauszug ersichtlich sei, sei er von 23.01. bis beschäftigt gewesen und habe zusätzlich eine Unfallrente bezogen, weswegen ihm die Differenzzahlung zustehe.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. In der Begründung ist Folgendes ausgeführt:
„Sie müssen immer ein volles Kalendermonat in Österreich beschäftigt gewesen sein, um Anspruch auf Ausgleichszahlung zu haben. Da Sie erst ab bzw. ab bzw. ab , also nicht das ganze Kalendermonat beschäftigt bzw. in Österreich sozialversichert waren, ist Polen für diese Monate für die Zahlung der Familienbeihilfe zuständig. Siehe Art. 59 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Es ist unerheblich, ob Sie aufgrund nationaler Bestimmungen keinen Anspruch in Polen für diesen Zeitraum haben. Österreich leistet für diese Monate keinesfalls Familienbeihilfe/Ausgleichszahlung.
Für den Zeitraum ab 8/12 gilt:
Anspruch auf Ausgleichszahlung haben Sie nur dann, wenn Sie eine lückenlose monatliche Kostentragung, mindestens in Höhe der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages, mit entsprechenden Belegen (Daueraufträge, Überweisungsbelege, etc.) nachweisen können. Da Ihre im Scheidungsurteil vereinbarte Unterhaltsleistung (500 Zl = 117 €) unter dem Betrag der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages liegt und keine zusätzlichen weiteren Überweisungsbelege mittels Kontoauszug vorliegen, war Ihre Berufung abzuweisen.“
Der Bf. stellte gegen die Beschwerdevorentscheidung einen Vorlageantrag, in welchem Folgendes ausgeführt ist:
Obwohl die mit seiner geschiedenen Ehefrau vereinbarte Unterhaltsleistung nur 117 Euro betrage, unterstütze er seine Tochter auch darüber hinaus. Jeden Monat fielen verschiedenste Ausgaben für seine Tochter an, bei denen er seine geschiedene Ehefrau mit 450 Zloty (ca. 108 Euro) unterstütze. Außerdem übernehme er die Kosten für diverse Ausflüge, Schulbücher, Freizeitaktivitäten und Kleidung. Die notarielle Bestätigung seiner geschiedenen Ehefrau inklusive Übersetzung liege bei. Er ersuche, dies bei der Entscheidung zu berücksichtigen.
In der dem Vorlageantrag beiliegenden, vor einem Notar abgegebenen Erklärung bestätigt die geschiedene Ehefrau des Bf., dass der Bf. seit August 2012 nicht nur die Alimente in Höhe von 500 PLN monatlich bezahlt, sondern sich auch freiwillig an anderen Kosten für die Tochter beteiligt hat. Die zusätzliche finanzielle Unterstützung seitens des Bf. habe ca. 450 PLN monatlich betragen. Der Bf. zahle außerdem für Ausflüge, Nachhilfeunterricht, zusätzlichen Unterricht und Sprachkurse der Tochter.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gemäß Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt diese Verordnung für den Bf., die Kindesmutter und deren gemeinsame Tochter, da diese polnische Staatsbürger und damit Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union sind.
Der Kindesvater unterliegt aufgrund seiner nichtselbständigen Erwerbstätigkeit in Österreich gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 den österreichischen Rechtsvorschriften, die Kindesmutter unterliegt den polnischen Rechtsvorschriften.
In diesem Fall werden nach den in Art. 68 der Verordnung normierten Prioritätsregeln die Familienleistungen primär nach den polnischen Rechtsvorschriften gewährt; ein Unterschiedsbetrag in Höhe der darüber hinausgehenden Familienleistungen ist nach den sekundär anzuwendenden österreichischen Bestimmungen zu gewähren (Differenzzahlungen).
Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 bestimmt:
"Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird."
Im , Tomislaw Trapkowski, hat der EuGH unter Hinweis auf die Familienbetrachtungsweise (Rn 36) mehrfach betont, dass die Frage, wem der Anspruch auf Differenzzahlungen zusteht, ausschließlich nach den innerstaatlichen (hier also österreichischen) Rechtsvorschriften zu prüfen ist (siehe insbesondere die Rn 38 ff dieser Entscheidung), was sich im Übrigen schon unmissverständlich aus dem klaren und unzweideutigen Wortlaut des Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 ergibt. Der EuGH stellte daher fest, dass der Anspruch auf Familienleistung auch einer Person zustehen kann, die nicht in dem Mitgliedsstaat wohnt, der für die Gewährung der Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind (Rn 41).
Das Unionsrecht selbst vermittelt somit keinen originären Anspruch auf nationale Familienleistungen. Es ist nach wie vor Sache der Mitgliedstaaten, wem sie unter welchen Voraussetzungen wie lange Familienleistungen zuerkennen. Das Unionsrecht verlangt allerdings im Allgemeinen, dass diese Zuerkennung diskriminierungsfrei erfolgen muss, und im Besonderen, dass die Familienangehörigen einer Person, die in den Anwendungsbereich der VO 883/2004 fällt, so zu behandeln sind, als hätten alle Familienangehörigen ihren Lebensmittelpunkt in dem Mitgliedstaat, der Familienleistungen gewähren soll ( ; ; ; ; ; ).
Die nach Art. 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO 987/2009 vorzunehmende Fiktion bewirkt, dass die Wohnsituation auf Grundlage der im Streitzeitraum im anderen EU-Mitgliedstaat gegebenen Verhältnisse (fiktiv) ins Inland übertragen wird. Diese Fiktion besagt aber nur, dass zu unterstellen ist, dass alle Familienangehörigen im zuständigen Mitgliedstaat wohnen. Ob etwa ein gemeinsamer Haushalt besteht, ist dagegen sachverhaltsbezogen festzustellen ( ; ; ; ; ; ).
Wer von den unionsrechtlich grundsätzlich als anspruchsberechtigte Personen anzusehenden Familienangehörigen tatsächlich primär oder sekundär oder gar keinen Anspruch auf österreichische Familienleistungen hat, ist daher nach nationalem Recht zu beurteilen ( ; ; ; ).
Gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein (im Abs. 1 genanntes) Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
§ 2a FLAG 1967 lautet:
"(1) Gehört ein Kind zum gemeinsamen Haushalt der Eltern, so geht der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vor. Bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, daß die Mutter den Haushalt überwiegend führt.
(2) In den Fällen des Abs. 1 kann der Elternteil, der einen vorrangigen Anspruch hat, zugunsten des anderen Elternteiles verzichten. Der Verzicht kann auch rückwirkend abgegeben werden, allerdings nur für Zeiträume, für die die Familienbeihilfe noch nicht bezogen wurde. Der Verzicht kann widerrufen werden."
§ 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 stellt hinsichtlich des Familienbeihilfenanspruchs primär auf die Haushaltszugehörigkeit mit einem Kind ab und nur subsidiär (§ 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG 1967) darauf, welche Person die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt.
Nach der Aktenlage ist der Bf. seit geschieden. Die Tochter lebt bei der Kindesmutter.
Da der Bf. keinen gemeinsamen Haushalt mit seiner geschiedenen Ehefrau führt, steht einem Anspruch auf Familienbeihilfe der Umstand entgegen, dass primären Anspruch auf Familienbeihilfe die Person hat, zu deren Haushalt das Kind gehört, hier also die Kindesmutter.
Sollte der Bf. aber im Streitzeitraum (bzw. in einem Teil des Streitzeitraumes) noch einen gemeinsamen Haushalt mit seiner geschiedenen Ehefrau geführt haben, steht einem Anspruch auf Familienbeihilfe der Umstand entgegen, dass der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vorgeht. Dies war eindeutig - da der Bf. in Österreich berufstätig war - ebenfalls die Kindesmutter. Ein Verzicht nach § 2a Abs. 2 FLAG 1967 liegt nicht vor.
Der vorrangige Anspruch auf Familienleistungen steht somit bei dem gegebenen Sachverhalt der Kindesmutter zu, solange die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach in der Person des Bf. erfüllt sind.
Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zuletzt ) ist durch die dargestellte Rechtsprechung des EuGH überholt. Die Ansicht des VwGH, dass eine überwiegende Kostentragung eines in Österreich erwerbstätigen Unionsbürgers, die bei bestehender Haushaltszugehörigkeit der Kinder zum anderen Elternteil nach dem anzuwendenden innerstaatlichem Recht keine Entscheidungsrelevanz hat, hier doch Voraussetzung für einen Differenzzahlungsanspruch sein soll, findet weder im Unionsrecht noch im innerstaatlichen Recht Deckung. Diese Rechtsansicht führte im Ergebnis regelmäßig zu einer Diskriminierung von Unionsbürgern (der haushaltsführenden Kindesmutter) gegenüber inländischen Staatsbürgern.
Im gegenständlichen Fall ist dabei weiters zu beachten, dass gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 3 VO 987/2009 das österreichische Finanzamt den vom Vater gestellten Antrag auf Ausgleichszahlung/Differenzzahlung bzw. Familienbeihilfe (und Kinderabsetzbetrag), wenn und soweit diesem ein Anspruch der haushaltsführenden Mutter vorgeht, zugunsten des Anspruchs der Mutter auf österreichische Familienleistungen zu berücksichtigen hat (vgl. BFH , III R 68/13 und ; ; ).
Ungeachtet des Umstandes, dass der Antrag des Bf. im Beschwerdefall als Antrag der Kindesmutter gilt, war dennoch die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, da Partei dieses Verfahrens im Sinne des § 78 BAO nur der Bf. ist und sich daher die Wirkung dieses Erkenntnisses nur auf ihn erstreckt (vgl. ).
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da das Erkenntnis von der – wenn auch durch die zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes überholten – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig (vgl. ).
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | Art. 2 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 11 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 60 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1 § 2 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2018:RV.7103333.2015 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at