Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 13.12.2017, RV/2101403/2016

Drittstaatsangehörige Eltern und Kinder mit deutscher Staatsbürgerschaft

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. in der Beschwerdesache Bf., Adr., über die Beschwerde vom gegen den Abweisungsbescheid der belangten Behörde Finanzamt Graz-Umgebung vom , betreffend Familienbeihilfe für die Kinder A, geb. xx.xx..2007, und B, geb. yy.yy..2004, zu Recht erkannt: 

Für die Monate Juli bis Dezember 2015 wird der angefochtene Bescheid – ersatzlos – aufgehoben.

Für die Monate Jänner bis Mai 2016 wird die Beschwerde gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (Bf.) beantragte mit dem Formular „Beih1“ am für ihre Kinder B, geb. yy.yy..2004, und A, geb. xx.xx..2007, ohne Angabe eines Datums die Familienbeihilfe. Die Familie sei am aus Deutschland nach Österreich eingereist, die Kinder hätten die deutsche Staatsbürgerschaft, die Eltern die bosnische Staatsbürgerschaft.

Die Anmeldebescheinigungen für EWR-Bürger für die Kinder und die Aufenthaltskarten für die Eltern wurden am ausgestellt. Lt. Abfrage im Zentralen Melderegister ist die Familie seit mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet. Lt. Schulbesuchsbestätigungen vom besuchen die Kinder die Volksschule bzw. die Neue Mittelschule.

Ab Oktober 2015 erhält die Bf. lt. Bescheid der Familienkasse Hessen vom für die Kinder kein Kindergeld mehr, da die Anspruchsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen.

Lt. einem Aktenvermerk des Finanzamtes sei bei einer persönlichen Vorsprache der Bf. und ihres Ehegatten beim Finanzamt die Familienbeihilfe für die Kinder ab Juli 2015 (mündlich) beantragt worden, somit ab der Einreise ins Bundesgebiet und die Bf. und ihr Ehegatte erklärten, dass bei der Ausstellung der Aufenthaltstitel durch die zuständige Bezirkshauptmannschaft Verzögerungen aufgetreten seien.

Mit Abweisungsbescheid vom wurde der Antrag vom auf Familienbeihilfe für A, geb. xx.xx..2007, und B, geb. yy.yy..2004, je für den Zeitraum Juli 2015 bis Mai 2016 unter Verweis auf § 3 Abs. 1 FLAG abgewiesen.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht die Beschwerde mit der Begründung, dass ihre Familie seit Sommer 2015 ihren Lebensmittelpunkt von Deutschland nach Österreich verlegt hätten. Unverzüglich nach der Einreise in das Bundesgebiet am hätte die Familie bei der zuständigen Bezirkshauptmannschaft um die Ausstellung einer Aufenthaltskarte für EWR-Bürger bzw. um eine Anmeldebescheinigung für die drei minderjährigen Kinder mit deutscher Staatsbürgerschaft angesucht. Nach dem Erkenntnis des , lasse sich das Aufenthaltsrecht drittstaatsangehöriger Eltern von den Kindern, die EU-Bürger sind, ableiten. Die Bezirkshauptmannschaft habe die EuGH-Rechtsprechung ignoriert, sodass die Bf. und ihre Familie erst nach mehrfacher Intervention von Rechtsberatungseinrichtungen und anwaltlicher Einschreitung am die Anmeldebescheinigung erhielten. Unter Zitierung der §§ 10 Abs. 3, 3 Abs. 1 und 2 FLAG wird weiters vorgebracht, dass bereits im August die Bf. Anspruch auf Auszahlung der Familienbeihilfe für ihre drei minderjährigen Kinder gehabt hätte.
Zum Zeitpunkt des rechtmäßigen Aufenthaltes bzw. zum rechtmäßigen Aufenthalt führte die Bf. weiter aus: Ein Aufenthaltstitel stelle die Genehmigung dar, die Drittstaatsangehörigen das Recht auf den Aufenthalt in Österreich einräume. EWR-BürgerInnen und Schweizer BürgerInnen komme das Recht auf Aufenthalt und Niederlassung bereits auf der Grundlage von unionsrechtlichen Vorschriften zu. Das Recht auf Aufenthalt und Niederlassung müsse solchen Personen nicht erst durch einen Aufenthaltstitel erteilt werden, sondern es werde nur dessen Bestand dokumentiert. Dies geschehe durch die Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. StaatsbürgerInnen der Mitgliedstaaten des europäischen Wirtschaftsraumes würden für ihren Aufenthalt in Österreich keinen Aufenthaltstitel benötigen. Sofern sich diese länger als drei Monate in Österreich aufhalten wollen, müssten sie ihren Aufenthalt bis spätestens vier Monate nach der Einreise der Aufenthaltsbehörde anzeigen. Die Anmeldebescheinigung begründe hier aber nicht das Aufenthaltsrecht, sondern bescheinige dieses deklarativ. Das Aufenthaltsrecht bestehe bereits auf Grund europarechtlicher Vorschriften und müsse nicht erst durch einen Akt erteilt werden, sondern lediglich in seinem Bestehen dokumentiert werden.
Deshalb sei der Zeitpunkt der Ausstellung der Anmeldbescheinigung unbeachtlich, da diese nur das Recht dokumentiere und nicht erst schaffe. Unter Berücksichtigung der Entscheidung des , dem Umstand, dass die minderjährigen Kinder EU-Bürger seien und die Familie den Wohnsitz in Österreich habe, würden wir alle erforderlichen Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Gesetzesstellen erfüllen.
Die Beschwerdeführerin verzichtet auf eine Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes.

Das Finanzamt legte fristgerecht die Beschwerde ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Das Ergänzungsersuchen des Bundesfinanzgerichtes vom an die Bf. wurde mit dem Hinweis „verzogen“ retourniert. Lt. Abfrage im Zentralen Melderegister und lt. Auskunft der SVA der gewerblichen Wirtschaft war die Bf. bis an der von ihr bekannt gegebenen Adresse mit Hauptwohnsitz gemeldet und hat seitdem keinen aufrechten Wohnsitz in Österreich. Die Bf. und ihre Familie sind unbekannt verzogen.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gemäß § 262 Abs. 1 BAO hat eine Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung zu unterbleiben, wenn dies in der Bescheidbeschwerde beantragt wird, und wenn die Abgabenbehörde die Bescheidbeschwerde innerhalb von drei Monaten ab ihrem Einlangen dem Verwaltungsgericht vorlegt.

1. Zeitraum Juli bis Dezember 2015:

Nach § 10 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 idgF wird die Familienbeihilfe, abgesehen von den Fällen des § 10a, nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind ist besonders zu beantragen.

Gemäß § 85 Abs. 1 BAO sind Anbringen zur Geltendmachung von Rechten oder zur Erfüllung von Verpflichtungen (insbesondere Erklärungen, Anträge, Beantwortungen von Bedenkenvorhalten, Rechtsmittel) vorbehaltlich der Bestimmungen des Abs. 3 schriftlich einzureichen (Eingaben).
Im Abs. 3 dieser Bestimmung ist geregelt:
Die Abgabenbehörde hat mündliche Anbringen der im Abs. 1 bezeichneten Art entgegenzunehmen,
a) wenn dies die Abgabenvorschriften vorsehen, oder
b) wenn dies für die Abwicklung des Abgabenverfahrens zweckmäßig ist, oder
c) wenn die Schriftform dem Einschreiter nach seinen persönlichen Verhältnissen nicht zugemutet werden kann.
Zur Entgegennahme mündlicher Anbringen ist die Abgabenbehörde nur während der für den Parteienverkehr bestimmten Amtsstunden verpflichtet, die bei der Abgabenbehörde durch Anschlag kundzumachen sind.

Gemäß § 87 Abs. 1 BAO ist In den Fällen der unmittelbaren oder sinngemäßen Anwendung des § 85 Abs. 3 das Anbringen, soweit nicht in Abgabenvorschriften anderes bestimmt ist, seinem wesentlichen Inhalt nach in einer Niederschrift festzuhalten.

Im vorliegenden Fall wurde das Formular „Beih 1“ am ohne Angabe, ab wann die Familienbeihilfe beantragt wird, beim Finanzamt eingereicht. Bei einer persönlichen Vorsprache der Bf. beim Finanzamt wurde zwar mündlich die Familienbeihilfe ab Einreise ins Bundesgebiet () beantragt, über diesen Antrag wurde aber keine Niederschrift verfasst, sondern das Vorbringen nur in einem Aktenvermerk festgehalten. Da somit ein Antrag iSd § 85 BAO für den Zeitraum Juli bis Dezember 2015 nicht vorliegt, war für diesen Zeitraum der Abweisungsbescheid vom aufzuheben (vgl. zB -G/07 und ).

2. Zeitraum Jänner bis Mai 2016:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 idgF haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Gemäß § 3 Abs. 1 FLAG 1967 haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach § 8 NAG oder nach § 9 NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Nach § 3 Abs. 2 FLAG 1967 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtmäßig in Österreich aufhalten.

§ 51 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) bestimmt:
Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

Zunächst muss die Anspruchsberechtigte, die Beschwerdeführerin, die Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe erfüllen und erst, wenn dies zutrifft, muss das jeweilige Kind, für das die Familienbeihilfe gewährt werden soll, weitere Voraussetzungen erfüllen (vgl. ).

Auch Unionsbürger müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten zu können. Dies entspricht der Richtlinie 2004/38 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (Freizügigkeitsrichtlinie).

Im hier zu beurteilenden Fall hat die Bf. und ihr Ehegatte die bosnische Staatsbürgerschaft, die drei minderjährigen Kinder die deutsche Staatsbürgerschaft. Dadurch haben die drittstaatsangehörige Bf. und ihr Ehegatte nach der EuGH-Rechtsprechung im strittigen Zeitraum ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht im Gemeinschaftsgebiet.
Für die Beschwerdeführerin und ihre drei Kinder wurden Aufenthaltstitel im Sinne des NAG am ausgestellt.
Zur Prüfung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen für die Familienbeihilfe im strittigen Zeitraum richtete das Bundesfinanzgericht ein Ergänzungsersuchen an die Bf., ob die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts iSd § 51 NAG vorliegen. Dieses Ergänzungsersuchen konnte nicht zugestellt werden, da die Bf. und ihre Familie unbekannt verzogen sind. Das Bundesfinanzgericht war nicht in der Lage ohne erheblichen Aufwand den neuen Aufenthaltsort der Bf. zu ermitteln.

Da somit der Nachweis nicht erbracht wurde, dass die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts vor Ausstellung der Aufenthaltstitel vorliegen, musste die Beschwerde für den Zeitraum Jänner bis Mai 2016 abgewiesen werden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da im gegenständlichen Fall keine Rechtsfrage, sondern eine Tatsachenfrage in freier Beweiswürdigung zu beurteilen war, ist eine Revision nicht zulässig.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise

-G/07

ECLI
ECLI:AT:BFG:2017:RV.2101403.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at