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Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 25.01.2018, RV/7105491/2017

Nachsicht von Umsatzsteuer (Erwerbsteuer), Uneinbringlichkeit

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch S1 und die weiteren Senatsmitglieder S2, S3 und S4, über die Beschwerde der N, Adresse, vertreten durch V, Adresse, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Hollabrunn Korneuburg Tulln vom , Abgabenkontonummer 123, über die Abweisung eines Nachsichtsansuchens gemäß § 236 BAO nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Beisein der Schriftführerin S am zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Die mit dem Gesellschaftsvertrag vom 00.00.2010 unter der Firma N.KG errichtete Kommanditgesellschaft mit dem Geschäftszweig Handelsgewerbe wurde am 00.00.20115 aufgelöst und im Firmenbuch gelöscht.

Das Gesellschaftsvermögen ging gemäß § 142 UGB im Weg der Gesamtrechtsnachfolge auf die Beschwerdeführerin (Bf.), die einzige unbeschränkt haftende Gesellschafterin N, über.

Zur Erledigung einer Anfrage der polnischen Finanzverwaltung zu den Geschäftsbeziehungen der KG mit der Firma P1, vormals P2, begann das Finanzamt am bei der KG mit einer Umsatzsteuersonderprüfung. Da eine Überprüfung der Umsätze der KG mangels Einreichung von Umsatzsteuervoranmeldungen ab April 2014 sowie aufgrund unzureichender Vorlage von Unterlagen nicht möglich war, führte das Finanzamt im Dezember 2015 bei der KG eine Betriebsprüfung über das Veranlagungsjahr 2014 durch.

Die Bf. wurde am niederschriftlich aufgefordert, die Jahreserklärungen 2014 bis beim Finanzamt einzureichen. Daraufhin legte die steuerliche Vertreterin der KG ihre steuerliche Vollmacht zurück.

Die Jahreserklärungen 2014 wurden bis dato nicht eingebracht. Am Abend vor der geplanten Schlussbesprechung wurden dem Prüfer die Buchungsdaten sowie eine nicht unterfertigte, vorläufige Bilanz für 2014 per Mail übermittelt.

Die Bf. erklärte im Zuge der Prüfung, dass sie die betriebliche Tätigkeit Ende August 2014 eingestellt habe. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie in der S.Straße in Wien ein Büro angemietet, das nur als Betriebsanschrift und Postadresse gedient habe. Die Erledigung der Geschäfte sei von ihrer Wohnadresse aus erfolgt.

Der Prüfer stellte fest, dass große Mengen an raffinierten Raps- und Palmölen in Deutschland bzw. Tschechien erworben wurden, die an Abnehmer in Polen verkauft wurden. Auf den Eingangsrechnungen wurde die österreichische UID-Nummer der N.KG angeführt, angeblich, weil der Käufer nicht wissen sollte, von wem die Ware bezogen wurde.

Der Transport der Waren erfolgte im Auftrag der N.KG durch Spediteure vom Auslieferungsort (Deutschland bzw. Tschechien) ohne Zwischenlagerung in Österreich direkt zum Empfängerort in Polen.

Der Prüfer vertrat die Rechtsansicht, die KG habe durch die direkte Beförderung der Waren nach Polen einen innergemeinschaftlichen Erwerb in Polen als auch durch die Verwendung der österreichischen UID-Nummer einen innergemeinschaftlichen Erwerb in Österreich bewirkt.

Da ein Nachweis über die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbes in Polen trotz Aufforderung nicht erbracht wurde, anerkannte der Prüfer die Vorsteuer in der Höhe der Erwerbsteuer (231.550,49 Euro) nicht an. Aufgrund der Umstände des Falles bestehe der Verdacht, dass die Bf. mit der N.KG an Karussellgeschäften mitgewirkt habe bzw. dazu benutzt worden sei (siehe Bericht gem. § 150 BAO über das Ergebnis der Außenprüfung vom , ABNr. 321, Tz. 1).

Am erließ das Finanzamt an die Bf. als Gesamtrechtsnachfolgerin der N.KG den Umsatzsteuerbescheid 2014 mit einer Nachforderung in der Höhe von 231.413,96 Euro.

In der Eingabe vom führte der steuerliche Vertreter der Bf. aus:

"Sehr geehrte Damen und Herren! Im Auftrag unserer Mandantschaft geben wir bekannt, dass die Geschäftstätigkeit im dritten Quartal 2014 eingestellt wurde. Eine Abgabe von Steuererklärungen ab 2015 ist weder technisch möglich, noch steuerlich zulässig. Nachdem unsere Mandantin nicht in der Lage ist, den Abgabenrückstand zu begleichen, ersuchen wir in Einem um Nachsicht von der Vorschreibung der Umsatzsteuer für 2014. Unsere Mandantin hat irrtümlich ihre österreichische UID-Nummer im Geschäftsverkahr aufrecht erhalten, obwohl der Warenfluss ausschließlich außerhalb von Österreich (vornehmlich zwischen Tschechien und Polen) stattgefunden hat. Die Vorschreibung der Umsatzsteuer mag daher vielleicht aus formalen Gründen korrekt sein, aus materieller Sicht ist sie jedoch jedenfalls als verfehlt zu bezeichnen. Leider wurde unsere Mandantin zu keiner Zeit über die Komplexität von umsatzsteuerlichen Reihengeschäften aufgeklärt. Darüberhinaus ist anzuführen, dass in der Unternehmerkette von der Neutralität der Umsatzsteuer auszugehen ist. Auch aus dieser Sicht führt die Vorschreibung zu einer unvorhersehbaren und systemisch nicht begründbaren Belastung. Wir ersuchen unseren Ansuchen stattzugeben, von der Einforderung von Steuererklärungen ab 2015 abzusehen und den Steuerakt zu schließen. Mit der Bitte um positive Erledigung verbleiben wir Mit freundlichen Grüßen V"

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom wies das Finanzamt das Nachsichtsansuchen als unbegründet ab.

Die Bf. habe in ihrem Antrag eine sachliche Unbilligkeit geltend gemacht. Eine Unbilligkeit des Einzelfalls sei aber - wie im gegenständlichen Fall - nicht gegeben, wenn lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliege.

In dem Nachsichtsansuchens könne gesamthaft keine Unbilligkeit der Einhebung erblickt werden, sodass für eine Ermessensentscheidung kein Raum bleibe.

Am brachte der Bf. gegen diesen Bescheid das Rechtsmittel der Beschwerde ein:

"Sehr geehrte Damen und Herren! Namens unserer o.a. Mandantin legen wir gegen den o.a. Bescheid das Rechtsmittel der Beschwerde ein. Die Zustellung des Bescheides erfolgte am . Die Beschwerde ist daher rechtzeitig. Als Begründung wird vorgebracht, dass die Ausführungen zur persönlichen Unbilligkeit nicht behandelt wurden. Uns ist nicht bekannt, dass die wirtschaftliche Lage erhoben wurde. Unsere Mandantin ist jedenfalls nicht in der Lage, eine derartige Abgabenlast, die auf Schätzungen beruht, zu tragen. Sie hat vielleicht einen formalen Fehler begangen, aber die Vorschreibung der Abgaben keinesfalls herbeigeführt. Der Kausalzusammenhang ist jedenfalls gegeben, weil die wirtschaftliche Notlage durch die Abgabenvorschreibung herbeigeführt wurde. Es kommt auch nicht zu einer Begünstigung übriger Gläubiger. Die Existenzgefährdung liegt eindeutig vor. Wir ersuchen daher um Stattgabe unseres Nachsichtsansuchens nicht nur aus sachlichen sondern vor allem auch aus persönlichen Gründen. Mit freundlichen Grüßen V"

Mit der Beschwerdevorentscheidung  vom wies das Finanzamt die Beschwerde mit der Begründung ab, es liege weder eine sachliche noch eine persönliche Unbilligkeit vor.

Die Bf. treffe nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Nachsichtsverfahren eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Diesem Gebot sei die Bf. in keiner Weise nachgekommen. Weder im Erstantrag noch in der Beschwerde seien Gründe vorgebracht worden, die eine tatbestandsmäßige Unbilligkeit der Einhebung aufzeigen könnten. Die schlichte Aussage, sie sei nicht in der Lage, den Abgabenrückstand zu begleichen, reiche für eine Maßnahme nach § 236 BAO nicht aus.

Im Schriftsatz vom beantragte die Bf. ohne weitere Ausführungen die Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat.

Die Abgabenbehörde führte in der Beschwerdevorlage vom ergänzend aus, nach Auskunft der polnischen Finanzverwaltung sei die N.KG an einem Umsatzsteuerkarussell beteiligt gewesen. In der Beschuldigteneinvernahme vom habe die Bf. bestritten, gewusst zu haben, dass die Verkäufe der KG an die Firmen P2 im Endeffekt an die Fa. P3 geliefert wurden. Diese Aussage sei nach den Indizien höchst unglaubwürdig, da die Bf. die Verkäufe als Geschäftsführerin der N.KG tätigte und zur selben Zeit als Verantwortliche für die Wareneinkaufserfassung in der Fa. P3 tätig war. Die Bf. habe zugegeben, dass die Frachtdokumentationen (CMR) gefälscht wurden (sogenanntes "Neutralisieren" durch die Umschreibung der Frachtdokumente). Dieser Sachverhalt finde sich auch im Bericht der polnischen Finanzverwaltung dokumentiert. Von einem Irrtum der Bf. könne daher nicht ausgegangen werden.

In der am abgehaltenen mündlichen Verhandlung brachte der Vertreter der Bf. ergänzend vor, der Antrag auf Nachsicht stütze sich vor allem auf die persönliche Unbilligkeit der Einhebung.

Die Bf. gab dazu zu Protokoll, sie arbeite derzeit bei  einem Frachtunternehmen in Polen und verdiene derzeit monatlich ca. 700 Euro. Sie sei Alleinerzieherin einer dreijährigen Tochter. Vom Kindesvater erhalte sie monatlich ca. 100 Euro Unterhalt.

Neben den Verbindlichkeiten der gegenständlichen Umsatzsteuer habe sie weitere Verbindlichkeiten von ca. 100.000 Euro beim Finanzamt Wien 2/20/21/22. Diese Abgabenschuld resultiere aus einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen und betreffe die Einkommensteuer. Hinsichtlich dieses Betrages habe der Vertreter der Bf. ebenfalls einen Nachsichtsantrag eingebracht. Daneben habe sie noch Verbindlichkeiten in der Höhe von ca. 40.000 Euro bei der SVA.

Der Vertreter des Finanzamtes wies darauf hin, dass im Fall des Vorliegens weiterer Verbindlichkeiten nach der Rechtsprechung des VwGH eine Nachsicht nicht möglich sei.

Der Vertreter der Bf. replizierte, die Bf. sei aufgrund ihrer Vermögens- u. Einkommenssituation nicht in der Lage, den Abgabenrückstand zu begleichen. Da die Verbindlichkeiten bei der SVA aus dem gleichen Sachverhalt resultierten, sei die vom Finanzamt angezogene Judikatur des VwGH nicht anwendbar.

Der Vertreter des Finanzamtes beantragte unter Verweis auf das bisherige Vorbringen, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Vertreter der Bf. beantragte, der Beschwerde zumindest teilweise stattzugeben.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gemäß § 236 Abs 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Im Antrag vom beantragte die Bf. die "Nachsicht von der Vorschreibung der Umsatzsteuer für 2014". Die Verbuchung des Umsatzsteuerbescheides 2014 vom führte am Abgabenkonto der KG zu einer Nachforderung in der Höhe von 231.497,79 Euro. Nach der Aktenlage (Rückstandsabfrage vom , Abgabenkontonummer 123) am Abgabenkonto der N.KG zur Gänze unberichtigt aus (Rückstand insgesamt 247.939,83 Euro).

Die Unbilligkeit im Sinne des § 236 Abs. 1 und 2 BAO kann eine sachliche oder persönliche sein. Eine sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn im Einzelfall bei der Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Persönliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn die Einhebung der Abgabe die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Abgabenschuldners in besonderer Weise unverhältnismäßig beeinträchtigen würde. Erst nach der Feststellung, dass der Sachverhalt das Tatbestandsmerkmal "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" erfüllt, betritt die Behörde den Bereich des Ermessens und hat nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit über die Nachsichtsgewährung zu entscheiden (siehe , und die dort zitierten Verweise auf Vorjudikatur und Literatur).

Aufgabe des Antragstellers auf Erteilung der Nachsicht im Sinne des § 236 Abs. 2 BAO ist es, in nachvollziehbarer Weise darzulegen, dass die für eine Unbilligkeit der Einhebung der Abgaben, wären sie noch nicht entrichtet, sprechenden Umstände durch die Tilgung der Abgabenschuldigkeit nicht beseitigt worden sind. Im Nachsichtsverfahren liegt das Hauptgewicht der Behauptungs- und Beweislast beim Nachsichtswerber. Ihm obliegt es im Sinne seiner Mitwirkungspflicht, einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf welche die Nachsicht gestützt werden kann (, mit Verweisen auf die ständige Rechtsprechung).

Sachliche Unbilligkeit

Eine Abgabennachsicht gemäß § 236 BAO setzt die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung voraus; eine solche kann grundsätzlich nicht damit begründet werden, dass die Abgabenfestsetzung zu Unrecht erfolgt ist. Vielmehr muss die behauptete Unbilligkeit in Umständen liegen, die die Entrichtung der Abgabe selbst betreffen.

Im Nachsichtsverfahren können daher nicht Einwände nachgeholt werden, die im Festsetzungsverfahren geltend zu machen gewesen wären () bzw. welche keinen Erfolg im Abgabenfestsetzungsverfahren nach sich zogen. Die Nachsicht kann daher nicht  dazu dienen, im Abgabenfestsetzungsverfahren unterlassene bzw. im Abgabenverfahren erfolglos gebliebene Einwendungen nachzuholen bzw. zu wiederholen ().

Die Bf. gesteht zwar die Richtigkeit der Vorschreibung der Umsatzsteuer "aus formalen Gründen" zu, diese sei aber aus materieller Sicht verfehlt.

Dass die Bf. über die Komplexität umsatzsteuerlicher Reihengeschäfte nicht aufgeklärt wurde, führt nicht zum Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit der Einhebung der Umsatzsteuer, weil damit eine atypische Belastungswirkung, verglichen mit anderen Fällen, nicht eintritt.

In diesem Zusammenhang ist den Ausführungen des Finanzamtes in der Beschwerdevorlage zu folgen, wonach die Bf. in der Beschuldigtenvernehmung vom zugegeben hat, die Frachtdokumentationen (CMR) gefälscht zu haben, und zur selben Zeit, als die N.KG die Ölverkäufe tätigte, bei der Firma P3 in Polen als Verantwortliche für die Wareneinkaufserfassung tätig war. Von einem Irrtum der Bf. kann daher keine Rede sein.

Eine sachliche Unbilligkeit der Einhebung der Umsatzsteuer liegt nicht vor. Auf das ; C-539/08, wird verwiesen. Verwendet der Erwerber demnach gegenüber dem Lieferer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte UID, gilt der Erwerb zusätzlich im Gebiet dieses Mitgliedsstaates als bewirkt. In diesem Fall ist der Erwerber nicht zum Abzug der auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entrichteten Mehrwertsteuer als Vorsteuer berechtigt.

Dem Vorbringen, in der Unternehmerkette sei von der Neutralität der Umsatzsteuer auszugehen, und die Vorschreibung führe zu einer unvorhersehbaren und systemisch nicht begründbaren Belastung, ist entgegen zu halten, dass der Nachweis der Erwerbsbesteuerung in Polen, der zur Berichtigung der zusätzlichen Erwerbsteuer in Österreich geführt hätte,nicht erbracht wurde. Auch im Nachsichtsverfahren wurde dazu kein Vorbringen erstattet.

Die Gewährung einer Nachsicht wegen sachlicher Unbilligkeit würde daher im vorliegenden Fall die materielle Rechtskraft des Umsatzsteuerbescheides 2014 umgehen und somit nicht die Unbilligkeit der Einhebung beheben, sondern das Ergebnis der - im Übrigen nicht bekämpften - Abgabenfestsetzung korrigieren.

Persönliche Unbilligkeit

Eine persönliche Unbilligkeit liegt vor, wenn die Einhebung der Abgabe das Vermögen  und das Einkommen des Abgabenschuldners unverhältnismäßig beeinträchtigen, die  Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner Familie gefährden würde oder die Abstattung mit   außergewöhnlichen Schwierigkeiten (so insbesondere einer Vermögensverschleuderung)  verbunden wäre.

Die deutlichste Form der persönlichen Unbilligkeit liegt in der Existenzgefährdung. Diese müsste  gerade durch die Einhebung der Abgabe verursacht oder entscheidend ("auch") mitverursacht sein  (siehe , und die dort zitierte Vorjudikatur).

Nach dem Vorbringen der Bf. in der mündlichen Verhandlung ist die Abgabenschuld uneinbringlich. Mit dem in Polen erzielten Einkommen von 700 Euro monatlich ist eine (auch nur teilweise) Abstattung der aushaftenden Verbindlichkeiten von insgesamt ca. 500.000 Euro durch die Bf. nicht möglich.

Wie der Vertreter des Finanzamtes in der mündlichen Verhandlung vorbrachte, liegt daher eine persönliche Unbilligkeit der Einhebung (Existenzgefährdung durch eine drohende Abgabeneinhebung) im Sinne des § 236 BAO nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH nicht vor (siehe , mit Verweisen auf die Vorjudikatur).

Im Übrigen ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die persönliche Unbilligkeit der Einhebung zu verneinen, käme die Nachsicht nur anderen Gläubigern zugute (). In der mündlichen Verhandlung bestätigte die Bf. das Vorliegen der bereits in der Beschuldigtenvernehmung vom angeführten Verbindlichkeiten bei der Sozialversicherung über 40.000 Euro. Dass es daher "auch nicht zu einer Begünstigung übriger Gläubiger komme" (Vorbringen in der Beschwerde), ist daher nicht nachvollziehbar.

Eine persönliche Unbilligkeit der Einhebung liegt somit ebenfalls nicht vor.

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Ist die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung zu verneinen, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum ().

Die Beschwerde war daher aus Rechtsgründen abzuweisen.

Auch wenn es für die Entscheidung dieser Beschwerde ohne Belang ist, ist anzumerken, dass der erkennende Senat auch im Fall einer – im gegenständlichen Fall nicht vorzunehmenden - Ermessensübung in Abwägung der Interessen der Bf. und des Abgabengläubigers dem öffentlichen Interesse an der Einhebung von Abgaben den Vorrang einzuräumen hätte.

Die Bf. war verantwortliche Vertreterin der N.KG.

Der Prüfer stellte fest, dass Umsatzsteuervoranmeldungen der N.KG nicht vollständig und zeitgerecht eingereicht sowie keine Abgabenerklärungen für das Jahr 2014 erstellt wurden. Zu Beginn der Umsatzsteuersonderprüfung waren nicht alle Einnahmen gebucht. Die vom Prüfer vorgefundenen Ausgangsrechnungen waren nicht ordnungsgemäß fortlaufend nummeriert, der Empfängername der Lieferungen laut Rechnungsanschrift stimmte mit dem Namen laut Frachtbrief nicht überein. Die Frachtdokumente waren teilweise nicht lesbar, die Beförderungsnachweise wurden nicht vollständig offen gelegt (siehe BP-Bericht, Tz. 2).

Nach einem Rechtshilfeersuchen der polnischen Finanzverwaltung war die N.KG in einen Karussellbetrug involviert. Dafür sprechen folgende Fakten:

Für diese Firma wurde ein Büro lediglich als Postadresse angemietet. Die Bf. wurde telefonisch von einem Herrn H1 bzw. von einem Herrn H2 kontaktiert, ob sie Speiseöle nach Polen liefern könne. Dabei wurden ihr Unternehmen in Tschechien genannt, bei denen sie dieses Öl organisieren könne. Die ihr von diesen Unternehmen mitgeteilten Einkaufskonditionen habe sie mit einem Aufschlag an H1 und H2 weitergemailt. Diese hätten sodann das Öl persönlich in Tschechien oder Deutschland abgeholt. Verträge für die Öllieferungen von der Tschechei nach Polen wurden nicht abgeschlossen. Die Bf. war zeitgleich in der polnischen Firma P3 als Angestellte beschäftigt. Diese Tätigkeit wurde ihr von V vermittelt, mit dem die Bf. ein gemeinsames Kind hat. Mehrere Rechnungen ("Rechnungskreisläufe") über ein und dieselbe Warenlieferung wurden innerhalb eines Tages erstellt. Die Bf. hat, "wie in der Branche üblich, CMR-Neutralisationen" durchgeführt (für eine Warenlieferung wurden zwei CMRs geschrieben), weshalb die Warenbewegungen nicht nachvollzogen werden konnten. Die Firma P3 war Empfängerin der Öllieferungen aus Tschechien (Beschuldigtenvernehmung der Bf. vom ).

Bei einem solchen finanzstrafrechtlich relevanten Verhalten der Bf. wird das der Abgabenbehörde in § 236 Abs. 1 BAO eingeräumte Ermessen regelmäßig im Sinne des Gesetzes ausgeübt, wenn die begehrte Abgabennachsicht - vor allem im Interesse der steuerehrlichen Abgabepflichtigen - versagt wird (siehe , und ).

Es geht daher nicht an, Nachforderungen aus einem groß angelegten Umsatzsteuerbetrug im Zuge einer Nachsichtsgewährung auf die Allgemeinheit zu überwälzen. Eine Ermessensübung zu Gunsten der an den Karussellgeschäften beteiligten Bf. kommt daher nicht in Betracht.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beurteilung, ob die Einhebung der Umsatzsteuer 2014 sachlich und persönlich unbillig ist, gründet sich auf die zitierte ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung wurden nicht berührt, weshalb eine ordentliche Revision nicht zulässig ist.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 236 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2018:RV.7105491.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at