Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 31.08.2017, RV/7104093/2016

Entschiedene Sache durch einen Abweisungsbescheid betreffend Familienbeihilfe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Elisabeth Wanke über die Beschwerde der A B, Adresse, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf, 1030 Wien, Marxergasse 4, vom , womit der Antrag vom auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeíhilfe wegen erheblicher Behinderung für die im September 1960 geborene Beschwerdeführerin selbst zurückgewiesen wurde, Sozialversicherungsnummer X, zu Recht erkannt: 

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass sein Spruch zu lauten hat:

Der Antrag der A B vom auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeíhilfe wegen erheblicher Behinderung für sich selbst wird hinsichtlich des Zeitraumes Jänner 2010 bis Jänner 2015 zurückgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Abweisungsbescheid vom

Das Finanzamt wies mit Bescheid vom einen Antrag der Beschwerdeführerin (Bf) A B vom auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihife für die Bf selbst ab September 2009 ab und begründete dies wie folgt:

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Hinweis

Im Zuge dieser Erledigung erstellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen im Auftrag des Finanzamtes folgende Bescheinigung(en) über das Ausmaß der Behinderung, die Ihnen bereits durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zugesandt wurde(n):

Name des Kindes   Datum           Geschäftszahl

B A Y

Ein Zustellnachweis für diesen Abweisungsbescheid ist nicht aktenkundig.

Gutachten des Sozialministeriumservice vom

Am erstattete das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle Wien, folgendes Sachverständigengutachten:

Sachverständigengutachten (mit Untersuchung) nach der Einschätzungsverordnung (BGBI. II Nr. 261/2010)


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Name des/der Untersuchten:
A B
Geschlecht:
Weiblich
Geburtsdatum:
....09.1960
Verfahrensordnungsbegriff:
Y
Wohnhaft in
Adresse, Österreich
Identität nachgewiesen durch:
Rp, 50%Behindertenpass
Rechtsgebiet:
Verfahren:
 
Begutachtung durchgeführt am
In der Zeit
Von 15:49 bis 15:58 Uhr
Untersuchung:
In der Landesstelle des Sozialministeriumservice 
Dolmetsch anwesend: NEIN
Name: N/A
Begleitperson anwesend: NEIN
Name:
NEIN
Begleitperson erforderlich
Nein
Name der / des Sachverständigen
Dr.in E F
Fachgebiet der / des Sachverständigen
Neurologie

Anamnese:

„Anamnese:“

„Sehschwäche seit Kindheit;
epilept. Anfälle zwischen 6.und 17.Lj. .
dzt. 3xwö. Migräne, kein Ansprechen auf Medikamente, Schlaf und Schlaftabletten helfen
Stationäre Aufenthalte bislang: 2xig wegen Salmonelleninfektion, Zn. Hämangiomop“

„Derzeitige Beschwerden:“

„-“

„Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:“

„Schlaftabletten, Kreislauftropfen, Paspertintropfen; keine FÄ-Betreuung; keine
Psychotherapie“

„Sozialanamnese:“

„Ausbildung: S—Lehrplan (L), kein HS-Abschluss, 2 Jahre geringfügig in Fabrik
gearbeitet, anschl. bei Wien Work Vollzeit (Reinigung, Wäscherei) für ca. 4 Jahre, zuletzt
2011/12 Vollzeit als Arbeiterin.
Ledig, 2 erw. Kinder
Lebt allein; nicht besachwaltet; kein PG-Bezug“

„Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):“

, Wien Work (integrativer Betrieb): unbefr. Dienstverhältnis von -
Versicherungsdatenauszug“

„Untersuchungsbefund:“

„Allgemeinzustand:“

„ “

„Ernährungszustand:“

„ “

„Größe:  Gewicht:  kg Blutdruck:“

„Status (Kopf/ Fußschema) — Fachstatus:“

„Visusminderung bds. (li.>re.), sonst unauffällig“

„Gesamtmobilität — Gangbild:“

„selbständig“

„Psycho(patho)logischer Status:“

„leicht unterdurchschnittliche Begabung, in ADLs weitgehend selbständig, Begleitung bei
Amtswegen erforderlich“

„Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:“


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd. Nr
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
GdB%
1
Intelligenzminderung
Unterer Rahmensatz, da Unabhängigkeit im Alltag
30

„Gesamtgrad der Behinderung: 30 v.H.“

„Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:“

„ Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung: Stellungnahme zu Vorgutachten: “

„Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:“

„X ja O nein“

„GdB liegt vor seit: 09/1960“

„Frau A B ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN“

„Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:“

„ “

„X Dauerzustand“

„O Nachuntersuchung:“

„Anmerkung hins. Nachuntersuchung:“

„Gutachten erstellt am von Dr.in E F“

„Gutachten vidiert am von G“

Antrag vom

Am reichte die Bf mit dem Formular Beih 3 einen Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ein. Der Erhöhungsbetrag werde wegen "Seh-Binderrung+Geistliche Binderung" ab "2010" bzw. "ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung (siehe Erläuterungen)" (beide Felder angekreuzt) beantragt.

Zurückweisungsbescheid

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag der Bf vom auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung zurück und begründete dies so:

Die Zurückweisung erfolgte, weil die Eingabe aus folgendem Grund nicht zulässig ist: Oben genannter Antrag wurde bereits mit Bescheid vom , rechtskräftig, abgewiesen.

Beschwerde

Mit dem Briefkopf C D, Adresse_16, für A B, unterschrieben von A B, langte am folgende Eingabe beim Finanzamt ein:

Betreff: Fortzahlung des Behindertengeldes

Werte Damen/Herren

Hiermit möchte ich im Namen von meiner ehemaligen Lebensgefahrtin und Mutter unseres gemeinsamen Sohnes Einspruch gegen die Streichung des Behindertengeldes und die Rückstufung auf 30 % Behinderung einlegen.

Bereits von Geburt an ist Frau B sowohl geistig als auch körperlich behindert (Analphabetin, Behinderung im Bewegungsapparat sowie immer stärker werdende Sehschwäche).

Laut Behindertenausweis wird ihr eine Mindestbehinderung von 50 % attestiert und auch wenn sie immer wieder bei „WIEN-WORK", „JUGEND AM WERK" und ähnlichen Institutionen in Form von Beschäftigungstherapien arbeitet, ist sie für den Lebensunterhalt auf Sozialleistungen und das Behindertengeld angewiesen.

Angeschlossen war die Kopie eines Behindertenausweises vom , aus dem hervorgeht, dass die Bf eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50% aufweist, und auch die Kopie eines Ausweises für Kopfverletzte der AUVA vom , wonach bei der Bf Commotio cerebri diagnostiziert wurde.

Gutachten des Sozialministeriumservice vom

Am erstattete das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle Wien, ein weiteres Sachverständigengutachten:

Sachverständigengutachten (mit Untersuchung) nach der Einschätzungsverordnung (BGBI. II Nr. 261/2010)


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Name des/der Untersuchten:
A B
Geschlecht:
Weiblich
Geburtsdatum:
....09.1960
Verfahrensordnungsbegriff:
Z
Wohnhaft in
Adresse, Österreich
Identität nachgewiesen durch:
Reisepass..., Behindertenpass
Rechtsgebiet:
Verfahren:
 
Begutachtung durchgeführt am
In der Zeit
Von 10:50 bis 11:20 Uhr
Untersuchung:
In der Landesstelle des Sozialministeriumservice 
Dolmetsch anwesend: NEIN
Name:
Begleitperson anwesend: JA
Name:
Sohn
Begleitperson erforderlich
Nein
Name der / des Sachverständigen
Dr.in H I
Fachgebiet der / des Sachverständigen
Neurologie

Anamnese:

„VGA : Intelligenzminderung GdB 30%, ab 9/ 1960 voraussichtlich nicht dauernd außerstande sich selbst den Unterhalt zu verschaffen“

„aktuell: Beschwerde“

„Sie habe eine Behinderteneinstufung und einen Behindertpaß mit 50% seit 2006.
Deswegen verstehe sie nicht warum sie zurückgestuft wurde.“

„Seit Kindheit sehe sie schlecht.
Zwischen 6. und 17. LJ epileptische Anfälle
Sie habe es mit den Nerven, sie tue sich schwer wenn sie einen Stress habe, da komme sie aus dem Gleichgewicht.
Seit der Jugend habe sie Kopfschmerzen. Das sei ein Druck und ein Sausen im Kopf, da
müsse sie eine Ruhe haben, da könne sie gar nichts machen und da habe sie schon einen
Kreislaufkollaps gehabt.“

„andere Vorerkrankungen: mehrere Unfälle mit Verletzungen aber keine Operationen.“

„Derzeitige Beschwerden:“

„Sie könne schlecht lesen, weil sie eine Lupe brauche. Die Kopfschmerzen werden immer
mehr, alle 3-4 Wochen seien sie so stark, dass sie sich gar nicht konzentrieren könen und
gar nichts machern könne.
Die Behördenwege mache sie mit den Sohn“

„Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:“

„Miranax b. Bed: 2x/ Woche, Kreislauftropfen täglich in der Früh,
keine NervenFA Behandlung“

„Sozialanamnese:“

„ASO 9 Schulstufen, kein HS Abschluss. Dann Arbeiterin in Schokoladefabrik übers AMS -
Vollzeit für ein Jahr, dann hörte sie auf wegen einer Salmonelleninfektion.
Dann arbeitete sie 3 Jahre zuerst geringfügig und dann Vollzeit in Essigfabrik bei der
Verpackung.
Dann Geburt der Kinder - und zu Hause.
2006 - 2010 über "Wienwork" 35 Wochenstunden im Facility Service beschäftigt. Es war ihr zum Schluss zu viel, weil sie viel herumfahren musste.
Dann bei Reinigungfirma 1 Jahr halbtags 2011/ 2012.
2015 Wiedereinstiegskurs über AMS für 3 Monate
Krankheitsbedingte Pension wurde 2x angesucht aber beide Male abgelehnt (zuletzt 2013)
Geschieden, lebt alleine, 2 erw. Kinder
Keine Sachwalterschaft“

„Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):“

„keine nervenfachärztlichen Befunde
siehe VGA
Behindertenpass mit GdB 50% ab 2006 wird vorgelegt“

„Untersuchungsbefund:“

„Allgemeinzustand:“

„gut“

„Ernährungszustand:“

„gut“

„Größe: 160,00 cm Gewicht: 60,00 kg Blutdruck:“

„Status (Kopf/ Fußschema) — Fachstatus:“

„Stuhl/ Miktion: unauffällig
Händigkeit: rechts
Visus: reduziert, keine Brille, brauche zum Lesen Lupe
Neurologisch: HN: Geruchsvermögen anamnestisch unauffällig, Pupillen seitengleich,
mittelweit, Bulbi divergent, Strabismus divergens rechts, Optomotorik frei, keine Doppelbilder, Pendelnystagmus, Gesichtsfeld fingerperimetrisch unauffällig, kein sensibles
Defizit, kein mimisches Defizit, Hörvermögen anamnestisch unauffällig, Zunge wird gerade vorgestreckt, Gaumensegel hebt symmetrisch, Kopfdrehung und Schulterhebung
unauffällig
OE: Kraft, Trophik, Tonus, Motilität- incl. Nacken- und Schürzengriff und Seitabduktion der Arme bis zur Senkrechten- unauffällig, Sensibilität wird intakt angegebenen,
Vorhalteversuch ohne Absinken oder Pronieren, Finger- Nase- Versuch zielsicher bds.,
Eudiadochokinese; Muskeleigenreflexe ( BSR, RPR, TSR) seitengleich mittellebhaft
auslösbar, keine Pyramidenzeichen
UE: Kraft, Trophik, Tonus Motilität unauffällig, Sensibilität wird intakt angegeben, MER (
PSR, ASR) seitengleich mittellebhaft, keine Pyramidenzeichen
Stand und Gang: unauffällig; Romberg Versuch und Unterberger Tretversuch: sicher, ohne Fallneigung“

„Gesamtmobilität — Gangbild:“

„Kommt frei gehend mit Sohn zur Untersuchung, kommt mit ÖVM
Führerschein: nein“

„Psycho(patho)logischer Status:“

„bewußtseinsklar, voll orientiert, kein kognitiv- mnestisches Defizit, Gedankenductus:
geordnet, kohärent; einfach strukturiert- leicht unterdurchschnittliche intellektuelle
Leistungsfähigkeit, Konzentration etwas reduziert, Antrieb unauffällig; Stimmungslage
ausgeglichen, stabil, gut affizierbar; Affekte: angepaßt, keine produktive Symptomatik“

„Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:“


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd. Nr
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
GdB%
1
leichte Intelligenzminderung, V. a. zusätzliche Anpassungsstörung
Unterer Rahmensatz, da Sonderschulbesuch, aber Unabhängigkeit im Alltag
50

„Gesamtgrad der Behinderung: 50 v.H.“

„Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:“

„Rückwirkende Anerkennung ab Ausstellung Behindertenpass 10/ 2006Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:Visusminderung da keine BefunduntermauerungStellungnahme zu Vorgutachten:Erhöhung um 2 Stufen im Vergleich zum VGA 12/ 2014 entsprechend Behindertenpasseinstufung mit entsprechender Rückwirkung ab 10/2006. Über den Zeitraum vor 2006 keine Unterlagen/Befunde vorliegend, Einschätzung nach klinischem Eindruck und anamnestischen Daten und VGA 12/2014“

„Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:“

„X ja O nein“

„GdB liegt vor seit: 10/2006
GdB 30 liegt vor seit: 09/1960“

„Frau A B ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA“

„Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:“

„Eine Arbeitstätigkeit war möglich.
Aktuell ist eine Selbsterhaltungsfähigkeit auf Grund der klinischen Verschlechterung ab 10/ 2006 (Ausstellung Behindertenpass) nicht mehr anzunehmen.“

„X Dauerzustand“

„O Nachuntersuchung:“

„Anmerkung hins. Nachuntersuchung:“

„Gutachten erstellt am von Dr.in H I“

„Gutachten vidiert am von Dr. J K“

Beschwerdevorentscheidung

Mit Beschwerdevorentscheidung vom , zugestellt am , wies das Finanzamt die Beschwerde der Bf vom als unbegründet ab.

Gemäß § 6 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der
Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben
Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf
Familienbeihilfe hat und können somit für sich selbst Familienbeihilfe beziehen.

Volljährige Vollwaisen haben gemäß § 6 Abs. 2d unter anderem dann Anspruch auf
Familienbeihilfe wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während
einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres
eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich außerstande sind, sich selbst den Unterhalt verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Gemäß § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) gilt ein Kind als
erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht.

Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren.
Der Grad der Behinderung muss mindestens 50% betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu
verschaffen.
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den
Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und
Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Nachdem im Gutachten vom keine Erwerbsunfähigkeit festgestellt wurde,
erfolgte mit Bescheid vom die Abweisung Ihres Antrages vom ab
September 2009.

Ein derartiger Abspruch gilt mangels eines im Bescheid festgelegten Endzeitpunktes für den Zeitraum, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren haben, jedenfalls aber bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides (vgl. VwGH 2011/ 16/0065).

Da fristgerecht weder eine Beschwerde noch ein Ansuchen um Verlängerung der
Beschwerdefrist eingegangen ist, ist der Bescheid in Rechtskraft erwachsen.
Ein neuerlicher Antrag für diesen Zeitraum ist daher nicht mehr zulässig.
Am langte jedoch ein neuer Antrag für den bereits rechtskräftig abgewiesenen
Zeitraum ein, welcher in der Folge mit Bescheid vom zurückgewiesen wurde.

Da innerhalb der Rechtsmittelfrist dieses Bescheides ein Einspruch gegen die Streichung des Behindertengeldes und die Rückstufung auf30 % Behinderung einlangte, wurde dieses Schreiben als Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid gewertet und zusätzlich ein weiteres ärztliches Sachverständigengutachten angefordert.

Dem Finanzamt wurde nach Abschluss der Untersuchung von der Behörde folgende
Stellungnahme übermittelt:

"GDB: Rückwirkende Anerkennung ab Ausstellung Behindertenpass 10/2006. -DEU: Eine
Arbeitstätigkeit war möglich. Aktuell ist eine Selbsterhaltungsfähigkeit
auf Grund der klinischen Verschlechterung ab 10/ 2006 (Ausstellung Behindertenpass) nicht mehr anzunehmen."

Da nach dieser neuerlichen Untersuchung durch den Sachverständigen der Eintritt der
Erwerbsunfähigkeit erst mit Oktober 2006 (46. Lebensjahr) festgelegt wurde (das neue
Gutachten vom wurde von der zuständigen Behörde direkt an Sie übermittelt) und somit die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse (fehlender Familienbeihilfenanspruch) keine Änderung Verfahren haben, erfolgte die Zurückweisung Ihres Antrages vom zu Recht.

Ihre Beschwerde muss daher als unbegründet abgewiesen werden.

Vorlageantrag

Die Bf stellte hierauf am Vorlageantrag:

Werte Behörde,

ich bin seit Geburt sowohl körperlich als auch geistig gesundheitlich beeinträchtigt. Schon als Kind kam ich in die Schwerstbehindertenschule L, was alleine schon eine 50 %ige Behinderung voraussetzt.

Seit Oktober 2006 wird mir per Behindertenpass diese 50 %ige Behinderung auch amtlich zugestanden.

Seither hat sich mein Gesundheitszustand wesentlich verschlechtert (extreme Sehschwäche), sodass mirdie Rückstufung und Streichung des Behindertengeldes nicht gerechtfertigt erscheint.

Daher stelle ich hiermit an das Bundesfinanzgericht den Antrag auf Beschwerde (Vorlageantrag) gegen die Zurückstufung des Behindertengrades und Ablehnung des Behindertengeldes.

Vorlage

Mit Bericht vom legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und führte unter anderem aus:

Sachverhalt:

Ein erster Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe ab September 2009 wurde bereits am mangels Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 6 Abs. 2 lit. d FLAG abgewiesen. Am wurde ein neuerlicher Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe für den bereits abgewiesenen Zeitraum gestellt (ab Jänner 2010). Da bereits eine rechtskräftige Abweisung vorlag, wurde dieser Antrag mit Bescheid vom zurückgewiesen (keine Änderung der rechtlichen bzw. tatsächlichen Verhältnisse, res iudicata). Mit der Begründung, eine körperliche und geistige gesundheitliche Beeinträchtigung bestünde bereits seit Ihrer Geburt bzw. laut Behindertenpass bestünde ein Grad der Behinderung bzw. eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 Prozent bereits seit Oktober 2006 wurde mit eine Beschwerde eingebracht.

Im Zuge der Begründung der Beschwerdevorentscheidung vom wurden die gesetzlichen Bestimmungen erläutert bzw. die Bedeutung von § 6 Abs. 2 lit. d FLAG reiteriert. Dem durch das Finanzamt angeforderten ärztlichen Sachverständigengutachten ist zu entnehmen, daß der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit erst mit Oktober 2006 und somit erst nach Vollendung des 21. bzw. 25. Lebensjahres aufgrund der klinischen Verschlechterung eingetreten ist.

Beweismittel:

Zwei Sachverständigengutachten, Abweisungsbescheid

Stellungnahme:

Es wird beantragt, die Beschwerde gem. § 279 Abs. 1 BAO als unbegründet abzuweisen, weil hinsichtlich des Zeitraumes bis zur Bescheiderlassung bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist (Identität der Sache) und auch anschließend aufgrund der eindeutigen Aktenlage keine Anspruchsvoraussetzungen hinsichtlich einer erhöhten Familienbeihilfe iSd § 6 Abs. 2 lit. d iVm § 6 Abs. 5 und § 8 Abs. 5 sowie Abs. 6 FLAG vorliegen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Das Finanzamt wies mit Bescheid vom einen Antrag der Beschwerdeführerin (Bf) A B vom auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihife für die Bf selbst ab September 2009 ab.

Die Zustellung dieses Bescheides wurde ohne Zustellnachweis angeordnet. Ein Rechtsmittel gegen diesen Bescheid wurde von der Bf nicht erhoben. Die Bf hat nicht bestritten, diesen Bescheid erhalten zu haben.

Die Bf reichte am erneut einen Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ein und zwar ab "2010" bzw. "ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung (siehe Erläuterungen)".

Beweiswürdigung

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage und sind unstrittig. Die Bf hat den diesbezüglichen Tatsachenfeststellungen in der Beschwerdevorentscheidung und im Vorlagebericht des Finanzamts nicht widersprochen.

Rechtsgrundlagen

§ 6 FLAG 1967 lautet:

§ 6. (1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn

a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und

c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie

a) das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. § 2 Abs. 1 lit. b zweiter bis letzter Satz sind anzuwenden; oder

b) das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn einer weiteren Berufsausbildung, wenn die weitere Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Abschluss der Schulausbildung begonnen wird, oder

c) das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen Beendigung des Präsenz- oder Zivildienstes und dem Beginn oder der Fortsetzung der Berufsausbildung, wenn die Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach dem Ende des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes begonnen oder fortgesetzt wird, oder

d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden, oder

(Anm.: lit. e aufgehoben durch BGBl. I Nr. 111/2010)

f) In dem Monat, in dem sie das 24. Lebensjahr vollenden, den Präsenz- oder Ausbildungsdienst oder Zivildienst leisten oder davor geleistet haben, bis längstens zur Vollendung des 25. Lebensjahres, sofern sie nach Ableistung des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes oder Zivildienstes für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist; Vollwaisen die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannte Einrichtung besuchen, jedoch nur im Rahmen der in § 2 Abs. 1 lit. b vorgesehenen Studiendauer. Diese Regelung findet in Bezug auf jene Vollwaisen keine Anwendung, für die vor Vollendung des 24. Lebensjahres Familienbeihilfe nach lit. k gewährt wurde und die nach § 12c des Zivildienstgesetzes nicht zum Antritt des ordentlichen Zivildienstes herangezogen werden,

g) erheblich behindert sind (§ 8 Abs. 5), das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist; § 2 Abs. 1 lit. b zweiter bis letzter Satz sind nicht anzuwenden,

h) sich in dem Monat, in dem sie das 24. Lebensjahr vollenden, in Berufsausbildung befinden und die vor Vollendung des 24. Lebensjahres ein Kind geboren haben oder an dem Tag, an dem sie das 24. Lebensjahr vollenden, schwanger sind, bis längstens zur Vollendung des 25. Lebensjahres; Kinder, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannte Einrichtung besuchen, jedoch nur im Rahmen der in § 2 Abs. 1 lit. b vorgesehenen Studiendauer,

i) das 24. Lebensjahr vollendet haben bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, bis längstens zum erstmöglichen Abschluss eines Studiums, wenn sie

aa) bis zu dem Kalenderjahr, in dem sie das 19. Lebensjahr vollendet haben, dieses Studium begonnen haben, und

bb) die gesetzliche Studiendauer dieses Studiums bis zum erstmöglichen Studienabschluss zehn oder mehr Semester beträgt, und

cc) die gesetzliche Studiendauer dieses Studiums nicht überschritten wird,

j) das 24. Lebensjahr vollendet haben bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, und sich in Berufsausbildung befinden, wenn sie vor Vollendung des 24. Lebensjahres einmalig in der Dauer von acht bis zwölf Monaten eine freiwillige praktische Hilfstätigkeit bei einer von einem gemeinnützigen Träger der freien Wohlfahrtspflege zugewiesenen Einsatzstelle im Inland ausgeübt haben; Vollwaisen, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannte Einrichtung besuchen, jedoch nur im Rahmen der in § 2 Abs. 1 lit. b vorgesehenen Studiendauer,

k) das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und teilnehmen am

aa) Freiwilligen Sozialjahr nach Abschnitt 2 des Freiwilligengesetzes, BGBl. I Nr. 17/2012,

bb) Freiwilligen Umweltschutzjahr nach Abschnitt 3 des Freiwilligengesetzes, BGBl. I Nr. 17/2012,

cc) Gedenkdienst, Friedens- und Sozialdienst im Ausland nach Abschnitt 4 des Freiwilligengesetzes, BGBl. I Nr. 17/2012,

dd) Europäischen Freiwilligendienst nach dem Beschluss Nr. 1719/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Einführung des Programms „Jugend in Aktion“ im Zeitraum 2007 – 2013.

(3) Ein zu versteuerndes Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) einer Vollwaise führt bis zu einem Betrag von 10.000 € in einem Kalenderjahr nicht zum Wegfall der Familienbeihilfe. Übersteigt das zu versteuernde Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) der Vollwaise in einem Kalenderjahr, das nach dem Kalenderjahr liegt, in dem die Vollwaise das 19. Lebensjahr vollendet hat, den Betrag von 10.000 €, so verringert sich die Familienbeihilfe, die der Vollwaise nach § 8 Abs. 2 einschließlich § 8 Abs. 4 gewährt wird, für dieses Kalenderjahr um den 10.000 € übersteigenden Betrag. § 10 Abs. 2 ist nicht anzuwenden. Bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) der Vollwaise bleiben außer Betracht:

a) das zu versteuernde Einkommen, das vor oder nach Zeiträumen erzielt wird, für die Anspruch auf Familienbeihilfe besteht,

b) Entschädigungen aus einem anerkannten Lehrverhältnis,

c) Waisenpensionen und Waisenversorgungsgenüsse.

(4) Als Vollwaisen gelten Personen, deren Vater verstorben, verschollen oder nicht festgestellt und deren Mutter verstorben, verschollen oder unbekannt ist.

(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

§ 8 FLAG 1967 lautet i. d. F. für 2016:

§ 8. (1) Der einer Person zustehende Betrag an Familienbeihilfe bestimmt sich nach der Anzahl und dem Alter der Kinder, für die ihr Familienbeihilfe gewährt wird.

(2) Die Familienbeihilfe beträgt monatlich

1. (Anm.: tritt mit außer Kraft)

2. ab

a) 111,8 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats der Geburt,

b) 19,6 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 3. Lebensjahr vollendet,

c) 138,8 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 10. Lebensjahr vollendet,

d) 162 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 19. Lebensjahr vollendet;

3. (Anm.: tritt mit in Kraft)

(3) Die Familienbeihilfe erhöht sich monatlich für jedes Kind

1. (Anm.: tritt mit außer Kraft)

2. ab , wenn sie

a) für zwei Kinder gewährt wird, um 6,9 €,

b) für drei Kinder gewährt wird, um 17 €,

c) für vier Kinder gewährt wird, um 26 €,

d) für fünf Kinder gewährt wird, um 31,4 €,

e) für sechs Kinder gewährt wird, um 35 €,

f) für sieben und mehr Kinder gewährt wird, um 51 €;

3. (Anm.: tritt mit in Kraft)

(4) Die Familienbeihilfe erhöht sich monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist,

1. (Anm.: tritt mit außer Kraft)

2. ab um 152,9 €;

3. (Anm.: tritt mit in Kraft)

(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.

(6a) Für eine Person, bei der eine dauernde Erwerbsunfähigkeit nach § 2 Abs. 1 lit. c festgestellt wurde, besteht kein Anspruch auf die erhöhte Familienbeihilfe, wenn sie in einem Kalenderjahr ein Einkommen bezieht, das die in § 5 Abs. 1 festgelegte Grenze übersteigt. Wenn das Einkommen in einem nachfolgenden Kalenderjahr unter der in § 5 Abs. 1 festgelegten Grenze liegt, lebt der Anspruch auf die erhöhte Familienbeihilfe wieder auf. Wenn die Erwerbsunfähigkeit nach § 2 Abs. 1 lit. c als Dauerzustand festgestellt wurde, ist kein weiteres Sachverständigengutachten erforderlich.

(7) Die Abs. 4 bis 6 gelten sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

(8) Für jedes Kind, das in einem Kalenderjahr das 6. Lebensjahr bereits vollendet hat oder vollendet und das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erhöht sich die Familienbeihilfe für den September dieses Kalenderjahres um 100 €.

§§ 11, 12, 13 FLAG 1967 lauten:

§ 11. (1) Die Familienbeihilfe wird, abgesehen von den Fällen des § 4, monatlich durch das Wohnsitzfinanzamt automationsunterstützt ausgezahlt.

(2) Die Auszahlung erfolgt durch Überweisung auf ein Girokonto bei einer inländischen oder ausländischen Kreditunternehmung. Bei berücksichtigungswürdigen Umständen erfolgt die Auszahlung mit Baranweisung.

(3) Die Gebühren für die Auszahlung der Familienbeihilfe im Inland sind aus allgemeinen Haushaltsmitteln zu tragen.

§ 12. (1) Das Wohnsitzfinanzamt hat bei Entstehen oder Wegfall eines Anspruches auf Familienbeihilfe eine Mitteilung auszustellen. Eine Mitteilung über den Bezug der Familienbeihilfe ist auch über begründetes Ersuchen der die Familienbeihilfe beziehenden Person auszustellen.

(2) Wird die Auszahlung der Familienbeihilfe eingestellt, ist die Person, die bislang die Familienbeihilfe bezogen hat, zu verständigen.

§ 13. Über Anträge auf Gewährung der Familienbeihilfe hat das nach dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt der antragstellenden Person zuständige Finanzamt zu entscheiden. Insoweit einem Antrag nicht oder nicht vollinhaltlich stattzugeben ist, ist ein Bescheid zu erlassen.

§ 97 BAO lautet:

§ 97. (1) Erledigungen werden dadurch wirksam, daß sie demjenigen bekanntgegeben werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Die Bekanntgabe erfolgt

a) bei schriftlichen Erledigungen, wenn nicht in besonderen Vorschriften die öffentliche Bekanntmachung oder die Auflegung von Listen vorgesehen ist, durch Zustellung;

b) bei mündlichen Erledigungen durch deren Verkündung.

(2) Ist in einem Fall, in dem § 191 Abs. 4 oder § 194 Abs. 5 Anwendung findet, die Rechtsnachfolge (Nachfolge im Besitz) nach Zustellung des Bescheides an den Rechtsvorgänger (Vorgänger) eingetreten, gilt mit der Zustellung an den Rechtsvorgänger (Vorgänger) auch die Bekanntgabe des Bescheides an den Rechtsnachfolger (Nachfolger) als vollzogen.

(3) An Stelle der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung einer behördlichen Erledigung kann deren Inhalt auch telegraphisch oder fernschriftlich mitgeteilt werden. Darüber hinaus kann durch Verordnung des Bundesministers für Finanzen die Mitteilung des Inhalts von Erledigungen auch im Wege automationsunterstützter Datenübertragung oder in jeder anderen technisch möglichen Weise vorgesehen werden, wobei zugelassen werden kann, daß sich die Behörde einer bestimmten geeigneten öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Übermittlungsstelle bedienen darf. In der Verordnung sind technische oder organisatorische Maßnahmen festzulegen, die gewährleisten, daß die Mitteilung in einer dem Stand der Technik entsprechenden sicheren und nachprüfbaren Weise erfolgt und den Erfordernissen des Datenschutzes genügt. Der Empfänger trägt die Verantwortung für die Datensicherheit des mitgeteilten Inhalts der Erledigung im Sinn des Datenschutzgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 165/1999. § 96 letzter Satz gilt sinngemäß.

§ 26 Zustellgesetz lautet:

§ 26. (1) Wurde die Zustellung ohne Zustellnachweis angeordnet, wird das Dokument zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (§ 17 Abs. 2) eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird.

(2) Die Zustellung gilt als am dritten Werktag nach der Übergabe an das Zustellorgan bewirkt. Im Zweifel hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung von Amts wegen festzustellen. Die Zustellung wird nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.

Rechtswirksamkeit des Abweisungsbescheides vom

Mit Datum hat das Finanzamt einen Abweisungsbescheid betreffend Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag "ab September 2009" erlassen. Vom Finanzamt wurde die Zustellung ohne Zustellnachweis gemäß § 26 Abs. 1 Zustellgesetz angeordnet.

Gemäß der gesetzlichen Vermutung des § 26 Abs. 2 Satz 1 Zustellgesetz gilt daher die Zustellung des Abweisungsbescheides als am dritten Werktag nach der Übergabe an das Zustellorgan bewirkt.

Die Bf hat nicht behauptet, den Abweisungsbescheid nicht oder verspätet erhalten zu haben. Aus diesem Grund bestehen keine Zweifel i.S.d. § 26 Abs. 2 Satz 2 Zustellgesetz an der Zustellung und dem Zeitpunkt der Zustellung. Der Abweisungsbescheid vom wurde daher gemäß § 97 Abs. 1 BAO mit Zustellung am Montag, (drei Werktage nach Abfertigung am Mittwoch, ) wirksam.

Da die Bf keine Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid vom erhoben hat, ist dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen.

In dem neuerlichen Antrag vom ist keine (verspätete) Beschwerde (oder ein anderer Rechtsbehelf) gegen den Abweisungsbescheid vom zu sehen. Es fehlt jeder Hinweis darauf, dass damit der Abweisungsbescheid vom bekämpft werden soll. Für eine Deutung des Zweitantrags als Rechtsbehelf gegen den Abweisungsbescheid ist in den Verwaltungsakten kein Anhaltspunkt vorhanden.

Entschiedene Sache

Solange der Abweisungsbescheid vom dem Rechtsbestand angehört, darf kein neuerlicher Bescheid für den Zeitraum erlassen werden, über den mit diesem Bescheid gemäß § 13 FLAG 1967 abgesprochen wurde, das heißt von September 2009 (Spruch des Abweisungsbescheides) bis Jänner 2015 (Bescheidzustellung). Diesbezüglich liegt entschiedene Sache vor (vgl. ; ; ).

Der neuerlichen Antrag gemäß § 10 Abs. 1 FLAG 1967 für den Zeitraum ab (Jänner) 2010 ist hinsichtlich des vom Abweisungsbescheid umfassten Zeitraumes infolge durch den Abweisungsbescheid vom vorliegender entschiedener Sache (res iudicata) zurückzuweisen (vgl. ; ).

Über in Rechtskraft erwachsene Entscheidungen darf (grundsätzlich) nicht mehr in merito entschieden werden; die Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens. So ist über ein und dieselbe Rechtssache nur einmal rechtskräftig zu entscheiden. Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen und folgt aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft grundsätzlich eine Bindungswirkung an eine behördliche Entscheidung (vgl. ; , m.w.N).

Das Hindernis der entschiedenen Sache stünde einer neuerlichen Entscheidung nicht entgegen, wenn eine wesentliche Änderung der Sach- und/oder Rechtslage eingetreten ist (vgl. sowie Hebenstreit in Czaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 13 Rz 24 ff., mit ausführlichen Hinweisen). Liegt bei entschiedener Sache eine Änderung der Sachlage vor, ist das verfahrensrechtliche Instrument zur Berücksichtigung dieser Änderung im Geltungsbereich der Bundesabgabenordnung die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO. Dies gilt, § 2 lit. a Z 1 BAO, auch in Angelegenheiten der Familienbeihilfe (vgl. ; ; ).

Umfang der Sperrwirkung

Die Sperrwirkung des Abweisungsbescheides vom ist mit dem Zeitpunkt der Erlassung (Zustellung) dieses Bescheides begrenzt. Auch bei unveränderter Sach- und Rechtslage reicht die Sperrwirkung eines Abweisungsbescheides gemäß § 13 FLAG 1967 nicht über dessen Zustellmonat hinaus, wenn im Spruch des Bescheides kein anderer Zeitpunkt angegeben wurde (vgl. ; ; ; ; oder ).

Der Spruch des angefochtenen Zurückweisungsbescheides ist daher auf den Zeitraum Jänner 2010 bis Jänner 2015 zu begrenzen.

Hinweise für das weitere Verfahren

Der Antrag vom ist also betreffend des Zeitraumes ab Februar 2015 noch unerledigt. Nach der Aktenlage hat das Finanzamt bisher zwei Gutachten des Sozialministeriumservice eingeholt, aus denen sich nicht ergibt, dass die Bf vor Erreichung des 21. Lebensjahres bzw. vor Abschluss einer über das 21. Lebensjahr hinausgehenden Berufsausbildung voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig war.

Das zweite Gutachten des Sozialministeriumservice vom ist ausführlich begründet und verweist auf den Umstand, dass der Bf eine Arbeitstätigkeit im maßgebenden Zeitraum trotz ihrer Behinderung, die auch zu einem Besuch der Allgemeinen Sonderschule führte, möglich war. Dieses zweite Gutachten stellt auch wiederum einen Grad der Behinderung von 50%, wie von der Bf angestrebt, ab Oktober 2006 fest, geht allerdings zufolge der seinerzeitigen Berufstätigkeit der Bf nicht von einem Eintritt der voraussichtlichen Erwerbsunfähigkeit vor Erreichung des 21. Lebensjahres bzw. vor Abschluss einer über das 21. Lebensjahr hinausgehenden Berufsausbildung aus. 

§ 8 Abs. 6 FLAG 1967 bestimmt zur Lösung der Frage, ob das Kind behindert oder voraussichtlich dauernd unfähig ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, die Nachweisführung ausschließlich durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (früher: Bundessozialamt, jetzt: Sozialministeriumservice). Diese Bescheinigung hat gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zu erfolgen.

Bei der Antwort auf die Frage, ob die Bf voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig war (§ 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 bzw. § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967), ist die Behörde bzw. das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Fall mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend sind (vgl. ; ; ; ; , und die bei Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 29 zitierte Rechtsprechung). Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (vgl. ; ; ).

Um einen Bescheid, dem ein oder mehrere Gutachten des Sozialministeriumservice zugrunde liegt oder liegen, wirksam zu bekämpfen, bedarf es einer qualifizierten fachlichen Auseinandersetzung mit dem oder den jeweiligen Gutachten. Der Beschwerdeführer muss aufzeigen, dass diese unvollständig, unschlüssig oder widersprüchlich sind.

§ 292 BAO sieht für ein Beschwerdeverfahren die Möglichkeit der Verfahrenshilfe vor. Das Bundesfinanzgericht hat entschieden, dass in Familienbeihilfeverfahren, die auf Gutachten des Sozialministeriumservice beruhen, besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art i.S.d. § 292 Abs. 1 BAO vorliegen (). Zuletzt wird bemerkt, dass wegen der gutachtlichen Ausführungen im Gutachten des Sozialministeriumservice vom und der aktenkundigen Mitwirkung des Sohnes der Bf (§ 284b ABGB) das Bundesfinanzgericht derzeit keine Notwendigkeit zur Anregung der Bestellung eines Sachwalters i.S.d. § 268 ABGB sieht.

Revisionsnichtzulassung

Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da der hier zu lösenden Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Der Bundesfinanzgericht folgt der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at