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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 23.08.2017, RV/6100035/2006

Keine Nachsicht bei Fehlen einer persönlichen und einer sachlichen Unbilligkeit

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richter

A, B, C und D

im Beisein der Schriftführerin

E

in der Beschwerdesache

BF, BFStraße, BFOrt,

vertreten durch

StB

gegen

FA

wegen der

Beschwerde vom betreffend den Bescheid über die Abweisung des Ansuchens auf Nachsicht vom , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt: 

1. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Antrag vom beantragte die BF1 (BF) die Nachsicht der mit Bescheiden vom aufgrund einer Umsatzsteuersonderprüfung vorgeschriebenen Umsatzsteuerzahllasten für 09-12/02 und 01-09/03 im Ausmaß von € 1,260.000,00 sowie der dazu vorgeschriebenen Säumniszuschläge von € 25.216,18.

Zur Begründung, ergänzt durch einen weiteren Schriftsatz vom , führte die BF durch ihren steuerlichen Vertreter aus, dass die Nachforderungen aus der Umsatzsteuersonderprüfung deswegen entstanden seien, weil bisher steuerfrei belassene Umsätze, von denen die BF angenommen habe, dass sie als ig. Lieferungen steuerfrei nach Italien gegangen seien, als steuerpflichtig behandelt worden seien. Dabei habe offenbar sowohl der Abnehmer als auch ein Mitarbeiter des Unternehmens in betrügerischer Absicht den wahren Lieferort verschleiert und die Geschäftsführung getäuscht. Es seien aber die formalen Voraussetzungen einer ig. Lieferung vorgelegen. Die BF sei besonders bedacht gewesen, die Geschäftsvorfälle entsprechend zu dokumentieren und die Voraussetzungen einer ig Lieferung zu erfüllen und habe dabei sowohl Ratschläge von Rechtsanwälten und Steuerberatern eingezogen. Auch der Finanzbehörde sei nur unter Zuhilfenahme von Maßnahmen, die einem Unternehmer nicht zur Verfügung stünden, ersichtlich geworden, dass es sich um einen groß angelegten Umsatzsteuerkarussellbetrug gehandelt habe. Bei diesen inkriminierten Umsätzen im Großhandel mit Mobiltelefonen in Höhe von rd. € 23,5 Mio sei ein Bruttoergebnis in Höhe von rd. € 510.000,00 erwirtschaftet worden und unter Berücksichtigung von Transport-, Personalkosten und Zinsen verbleibe ein Ergebnis von rd. € 313.000,00 vor Steuern. Damit stehe die gesamte Abgabennachforderung in keinem Verhältnis zum erwirtschafteten Gewinn.

Die BF sei selbst Opfer eines groß angelegten Betruges geworden, der ihr erst im Zuge der Ende Juni 2004 abgehaltenen Besprechung in voller Konsequenz durch die Information der Finanzbehörde bekannt geworden sei. Seitens der Geschäftsführung sei alles getan worden um die Buchnachweise für die ig Lieferungen zu erbringen, das Unternehmen habe aber die dolosen Handlungen eines Dienstnehmers zu vertreten.

Die volle Berücksichtigung der Abgabennachforderung würde zudem die weitere Existenz der BF gefährden. Die Einhebung der oben angeführten Nachforderung an Umsatzsteuer und Säumniszuschlägen sei daher nach Lage des konkreten Falles unbillig und stehe in einem extremen Missverhältnis zu den in ihrem Bereich entstehenden nachteiligen Folgen.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom führte die BF im Wesentlichen aus, dass keine Kontrollfehler der Geschäftsführung vorgelegen seien, vielmehr seien die Darstellung und die Schlüsse der Prüferin im SB Protokoll „nicht zutreffend“ bzw. „tendenziell“ erfolgt. Es sei bei der Schlussbesprechung vereinbart worden, dass die Darstellung abgeändert werden solle.

Es sei zB falsch dargestellt worden, dass die erste „Stufe 2 Abfrage“ bei einem der beiden italienischen Kunden (nach Darstellung der Prüferin im SB Protokoll in 10/2002) in 04/2002 erfolgt sei. Zudem seien die Aufstellungen der Prüferin hinsichtlich der UID Abfragen nicht vollständig gewesen. So sei eine dieser Abfragen in 10/2001 erfolgt.

Die größeren Warenlieferungen seien auch an den italienischen Kunden mit der Spedition erfolgt.

Barzahlungen gegenüber diesem italienischen Kunden seien deswegen gewählt worden, weil die Kreditauskünfte über den Kunden negativ gewesen seien.

Richtig sei, dass für den zweiten italienischen Kunden keine UID-Abfragen getätigt worden seien.

Die Geschäftsführung der BF habe die wahren Vorgänge trotz aller getroffenen Vorkehrungen zur Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen nicht erkennen können und habe alles getan um die geforderten Nachweise zu erbringen. Sie treffe keine Verletzung der Sorgfaltspflichten.

Mit Bescheid vom wies das FA das Nachsichtsansuchen ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass im gegenständlichen Fall keine sachliche Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes vorliege, da im gegenständlichen Fall kein vom Gesetzgeber offensichtlich nicht beabsichtigtes Ergebnis eingetreten sei. Die Entstehung einer Umsatzsteuerschuld aus dem Handel mit Waren entspreche dem System der Umsatzsteuer. Sie falle zwar zB bei den steuerfrei gestellten ig Lieferungen weg, es sei jedoch im Zuge der Prüfungsmaßnahmen festgestellt worden, dass die Voraussetzungen des Art 7 Abs. 1 lit. 1 und 2 UStG 1994 nicht vorlägen. § 236 BAO sehe auch keine subjektiven Merkmale bei den Tatbestandsvoraussetzungen vor, sodass das von der BF angeführte fehlende Verschulden der Geschäftsführung ebenfalls keine sachliche Unbilligkeit darstelle.

Die Ausführungen der BF zur persönlichen Unbilligkeit würden dem Antrag ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen, da eine Gefährdung der Existenz des Unternehmens durch die volle Berücksichtigung der Abgabennachforderung aufgrund des vorgelegten Jahresabschlusses zum , der ein positives Vermögensbild vermittle, nicht erkannt werden könne. Weiters bestehe die Möglichkeit Zahlungserleichterungsansuchen zur Begleichung der Abgabenschuld ins Auge zu fassen.

Auch wenn bei der gegenständlichen Ausgangslage mangels Unbilligkeit der Abgabeneinhebung für eine Ermessensübung kein Raum bleibe, so sei doch an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Nachforderungen auf einem – wie die BF selbst ausführe – groß angelegten Umsatzsteuerbetrug in Form von Karussellgeschäften beruhten. Daher würde auch die Ermessensübung gegen die Nachsichtsgewährung sprechen, da es nicht angehen könne, den eingetretenen Schaden im Bereich der Umsatzsteuer der Allgemeinheit zu überwälzen.

Darauf erhob die BF binnen mehrmals verlängerter Rechtsmittelfrist am gegen diesen Bescheid Berufung und führte zum Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit im Wesentlichen aus, dass der BF nicht mangelnde Sorgfalt vorgeworfen werde, sondern sie sich das „Wissen“ des in die kriminellen Handlungen eingebundenen Mitarbeiters vorwerfen lassen müsse. Säße der „Mitwisser“ nicht im Unternehmen, greife die Vertrauensschutzregelung des Art 7 Abs. 4 UStG 1994, weswegen die Steuerfreiheit erhalten bleibe.

Denke man sich den Umstand des „Mitwissers“ im Unternehmen weg, der der BF erst aufgrund ihr sonst nicht zugänglichen Tonbandprotokollen von der Finanzbehörde dargelegt worden sei, liege eine sachliche Unbilligkeit vor. Selbst aus den Protokollen sei aber nicht ausreichend eindeutig ersichtlich, ab wann der Mitarbeiter davon Kenntnis gehabt habe oder ab wann die Warenlieferungen nicht ins Ausland gegangen wären. Die Staatsanwaltschaft habe jedenfalls den Tonbandprotokollen keine Beweiskraft zuerkannt und die Anzeige zurückgelegt. Das FA habe das „wissen müssen“ aber mit September 2002 angesetzt. Die sachliche Unbilligkeit liege konkret darin, dass der Unternehmer den Vertrauensschutz des Art 7 Abs. 4 UStG 1994 nicht genieße, obwohl er alle den üblichen Sorgfaltsmaßstab treffenden Maßnahmen gesetzt habe.

Zur persönlichen Unbilligkeit sei auszuführen, dass zum Zwischenbilanzstichtag unter Berücksichtigung der Abgabennachforderung eine Überschuldung in Höhe von rd. € 682.000,00 bestanden habe. Der ordentliche Geschäftsverlauf in der Vergangenheit und auch in der Zukunft habe gezeigt, dass die Abgabenschulden nicht eingebracht hätten werden können, weswegen seitens der Muttergesellschaft Sanierungsmaßnahmen getroffen werden mussten um eine Insolvenz zu vermeiden.

Weiters beantragte der BF die Entscheidung durch den gesamten Senat in mündlicher Verhandlung.

Mit Verschmelzungsvertrag vom wurde die BF als übertragende Gesellschaft zum auf die BF2 als übernehmender Gesellschaft verschmolzen.

Mit legte das FA dem UFS die Berufung dieser Gesellschaft als Rechtsnachfolgerin der BF dem UFS zur Entscheidung vor.

Die Berufung war bis zum noch nicht erledigt.

Mit Hauptversammlungsbeschluss vom wurde die BF2 gemäß § 239 ff AktG in eine GmbH mit der Firma BF3 umgewandelt.

Aufgrund einer Verfügung des GV-Ausschusses des wurden die gegenständlichen Verfahren am dem nun berufenen Senatsvorsitzenden als Berichterstatter übertragen.

Zu der am ausgeschriebenen mündlichen Verhandlung erschien für die Rechtsnachfolgerin der BF niemand. Der Vertreter des FA führte ergänzend aus, dass die Gesamtnachforderung von ca. € 1,3 Mio noch vor der Beschwerde entrichtet worden sei und die Rechtsnachfolgerin BF2 laut Aktenlage sowohl vermögens- und einkommensrechtlich in der Lage sei diesen Betrag zu tragen. Eine persönliche Unbilligkeit könne daher aus heutiger Sicht nicht vorliegen.

Das BFG hat dazu erwogen:

Gemäß § 323 Abs. 38 BAO sind die beim UFS als Abgabenbehörde zweiter Instanz anhängigen Berufungen … vom BFG als Beschwerden im Sinne des Art 130 B-VG zu erledigen. Solche Verfahren betreffende Anbringen wirken mit gegenüber dem Bundesfinanzgericht.

Das Bundesfinanzgericht ist somit zur Entscheidung über die im Verfahrensgang angeführten Berufungen als Beschwerden zuständig.

Gemäß § 9 Abs. 9 BFGG kann der Geschäftsverteilungsausschuss einer Einzelrichterin oder einem Einzelrichter oder einem Senat eine ihr oder ihm zufallende Rechtssache durch Verfügung abnehmen, wenn die Einzelrichterin oder der Einzelrichter oder der Senat verhindert oder wegen des Umfangs ihrer oder seiner Aufgaben an deren Erledigung innerhalb einer angemessenen Frist gehindert ist.

Der entscheidende Senat ist daher in dieser Zusammensetzung seit für die Entscheidung dieser Rechtssache zuständig.

Gemäß § 234 Abs. 1 AktG kann eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit einer Aktiengesellschaft durch Übertragung des Vermögens der Gesellschaft im Weg der Gesamtrechtsnachfolge an die Aktiengesellschaft gegen Gewährung von Aktien dieser Gesellschaft verschmolzen werden.

Die BF2 ist daher aufgrund des Verschmelzungsvertrages vom als Gesamtrechtsnachfolgerin der BF in dieses Verfahren eingetreten.

Gemäß § 239 Abs. 1 AktG kann eine Aktiengesellschaft durch Beschluß der Hauptversammlung in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt werden.

Gemäß § 241 AktG besteht die Gesellschaft von der Eintragung der Umwandlung an als Gesellschaft mit beschränkter Haftung weiter. Das Grundkapital ist zum Stammkapital, die Aktien sind zu Geschäftsanteilen geworden, die an einer Aktie bestehenden Rechte Dritter bestehen an dem Geschäftsanteil weiter, der an ihre Stelle tritt. …

Dabei wird der bisherige Rechtsträger nicht durch einen anderen abgelöst, er nimmt nur eine andere Rechtsform an. (Jabornegg/Strasser AktG, § 241 Rz. 6)

Es kommt zu keiner Änderung der der Identität des Rechtsträgers, die Frage einer Rechtsnachfolge stellt sich nicht. (Jabornegg/Strasser AktG, § 239 Rz. 2) Die umgewandete Gesellschaft verliert ihre Rechtspersönlichkeit nicht, sondern besteht in einer neuen Organisationsform weiter. (Jabornegg/Strasser AktG, § 239 Rz. 6).

Damit ist durch die Änderung der Rechtsform keine Änderung in der Person der BF eingetreten.

Der erkennende Senat nimmt für seine Entscheidung den nachfolgend dargestellten Sachverhalt als erwiesen an. Dieser ergibt sich aus den vom FA geführten Akten im Nachsichtsverfahren und den Steuerakten der Nachsichtswerberin, die auch die Unterlagen der Umsatzsteuersonderprüfung für den nun von der Nachsicht umfassten Zeitraum umfassen, sowie dem Vorbringen der Nachsichtswerberin und ihrer steuerlichen Vertreter.

Die BF war ein Fahrzeugreparaturbetrieb für alle Marken sowie ein F Dienst. Zudem wurden auch Freisprecheinrichtungen in Fahrzeuge eingebaut und in geringem Umfang Mobiltelefone an Kunden verkauft. Der Einkauf dieser Geräte erfolgte über die großen Mobilfunk Netzbetreiber. Verantwortlicher Sachbearbeiter für den Mobiltelefondetailhandel war G. Die Umsätze des Unternehmens lagen im Wirtschaftsjahr bis Jänner 2000, Jänner 2001 und Jänner 2002 zwischen rd. € 2,1 Mio und rd. € 2,5 Mio.

Dies ergibt sich aus dem Prüfungsbericht des FA über die Umsatzsteuersonderprüfung.

G bahnte ab dem Frühjahr 2002 ein neues „Geschäftsfeld“ nämlich den Großhandel mit Mobiltelefonen an. Nach Darstellung des verantwortlichen Sachbearbeiters, die vom Unternehmen in den entsprechenden Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. Jahreserklärungen umgesetzt wurde, wurden diese Telefone nach Deutschland und nach Italien verkauft. Die entsprechenden Umsätze stiegen bereits im Wirtschaftsjahr Februar 2002 bis Jänner 2003 auf rd. € 26,4 Mio (davon € 18,6 Mio ig Lieferungen) und fielen im folgenden Wirtschaftsjahr wieder auf € 6,4 Mio. Davon wurden ursprünglich rd. € 5,5 als ig. Lieferungen behandelt.

Dies ergibt sich aus den Akten der Finanzverwaltung.

Aufgrund der Feststellungen der Prüferin handelte es sich bei diesen vermeintlichen ig Lieferungen an deutsche und italienische Abnehmer jedoch um Umsatzsteuerbetrug durch Karussellgeschäfte, bei denen die Waren vom Kunden in Österreich abgeholt worden waren und zumindest teilweise kein Nachweis darüber erbracht werden konnte, dass diese Waren an einen Abnehmer im Gemeinschaftsgebiet geliefert worden waren.

Die Prüferin konnte aufgrund der ihr vorliegenden Geschäftsunterlagen der BF nachweisen, dass die „Großhandels“Lieferanten dieser Mobiltelefone aus völlig anderen Geschäftszweigen stammten (zB: Bekleidungshändler bzw. Marktfahrer), die bei einem italienischen Kunden nachträglich durchgeführten UID Abfragen der Stufe 2 negativ verlaufen waren und Fakturierungen durch diesen Kunden teilweise ein halbes Jahr vor Gründung des Unternehmens durchgeführt worden waren. Bei einem zweiten italienischen Kunden wurde von der BF überhaupt keine Überprüfung der UID Nummer durchgeführt. Die Bezahlung dieser Lieferungen erfolgte vorwiegend über Barbeträge, die zwischen € 164.000,00 und rd. € 687.000,00 betrugen.

Zudem wies die Prüferin nach, dass hinter den beiden österreichischen Lieferanten und zwei italienischen Abnehmern die gleiche Person als wirtschaftlich Verfügungsberechtigter gestanden war.

Die Prüferin gelangte weiters aufgrund von Protokollen über Telefonabhörmaßnahmen zu der Ansicht, dass G wissen musste, dass er an einem Umsatzsteuerbetrug beteiligt war und zumindest teilweise die Lieferungen nicht an Abnehmer im EU Raum durchführte. Die Tonbandprotokolle ergaben zB Absprachen des G mit dem wirtschaftlich Verfügungsberechtigten der Lieferanten und des italienischen Abnehmers um die Vorgangsweise für die Betriebsprüfung abzustimmen und die Zweifel der BP an ig. Lieferungen zu zerstreuen. Als Termin für dieses Wissen des G nahm die Prüferin spätestens September 2002 an. Dieser habe de facto eine uneingeschränkte Handlungsvollmacht der Geschäftsleitung der Nachsichtswerberin besessen.

Bei deutschen Kunden mit Umsätzen von € 17,3 Mio ging die Prüferin davon aus, dass die Nachsichtswerberin aufgrund der vorliegenden Übernahmebestätigungen von deutschen Speditionen eine steuerfreie ig Lieferung getätigt habe, auch wenn es eine hohe Wahrscheinlichkeit für sich habe, dass auch diese deutschen Unternehmen aktiv an Umsatzsteuerbetrugsmaßnahmen durch Karussellgeschäfte beteiligt gewesen seien.

Bei den beiden „italienischen“ Kunden behandelte die Prüferin die Lieferungen an diese Kunden als steuerpflichtig. Es handelte sich über den gesamten Zeitraum von 09/02 und 09/03 um Umsätze von gesamt € 6,304.044,52. Die darauf entfallende USt betrug € 1,260.808,90. Aufgrund der verspäteten Entrichtung dieses USt Betrages wurden dafür noch Säumniszuschläge in Höhe von € 25.216,18 vorgeschrieben.

Gegen die Vorschreibung dieser Beträge erhob die BF kein Rechtsmittel. Dies ergibt sich aus den Akten der Finanzverwaltung.

Die Bezahlung dieser oben angeführten Abgabenschulden erfolgte mit Überweisung vom . Dies ergibt sich aus den Datenbanken der Finanzverwaltung.

Das BFG folgt in diesem Zusammenhang im Wesentlichen den Sachverhaltsfeststellungen der Prüferin und nicht den ausführlichen Sachverhaltskorrekturen der steuerlichen Vertretung der BF vor allem in der Ergänzung der Beschwerde vom .

Zum Einen ist es dem BFG nicht erklärlich, dass diese Sachverhaltskorrekturen, die sich im Wesentlichen darauf beziehen, dass keine Kontrollfehler der Geschäftsführung vorgelegen seien, nicht schon im Nachsichtsansuchen selbst vorgebracht worden sind, wenn die Darstellung und die Schlüsse der Prüferin tatsächlich „nicht zutreffend“ oder „tendenziell“ erfolgt sein sollten. Die Schlussbesprechung erfolgte am , die USt Festsetzungen erfolgten mit , das Nachsichtsansuchen wurde mit eingebracht.

Zum Anderen ist es dem BFG nicht erklärlich, warum Sachverhalte, die die Prüferin nach Darstellung der BF falsch dargestellt haben soll, wie beispielsweise die erste „Stufe 2 Abfrage“ bei einem italienischen Kunden (nach Darstellung der Prüferin im SB Protokoll in 10/2002, nach Darstellung der Nachsichtswerberin in 04/2002) nicht bereits im Zuge der Schlussbesprechung korrigiert wurde. Gleiches gilt für die Darstellung, dass die Aufstellungen der Prüferin hinsichtlich der UID Abfragen nicht vollständig gewesen seien. Abgesehen davon, dass eine dieser Abfragen in 10/2001 erfolgt sein sollte, was selbst nach den Darstellungen der BF rund drei Monate vor dem ersten Geschäftskontakt passiert wäre, kann das BFG den Ausführungen der BF, dass damit alle Sorgfaltspflichten eingehalten worden wären, auch deswegen nicht folgen, da die Behauptung, die Waren der größeren Lieferungen seien mit der Spedition erfolgt, ebenfalls erstmals in der Ergänzung vom vorgebracht wird und nicht im Verfahren der USo Prüfung. Vor allem das letzte Argument wäre – geht man von einer Beweisbarkeit dieses Vorbringens aus – durchaus geeignet gewesen, die Steuerbelastung der BF zu verringern.

Das Argument, dass Barzahlungen bis zu rd. € 700.000,00 deswegen gewählt worden seien, weil die Kreditauskünfte über den italienischen Kunden negativ gewesen seien, ist wirtschaftlich nicht nachvollziehbar. Vielmehr verbliebe in diesem Fall die Frage, wie ein Kunde mit derart schlechter Liquiditätslage lt. den im Unternehmen der BF aufliegenden KSV Auskünften zu so viel frei verfügbaren Mitteln kommt, um € 700.000,00 bar bezahlen zu können ohne dafür Sicherheiten wie zB die Ware anbieten zu müssen.

Die BF wies bei der Verschmelzung zum ein positives Eigenkapital in Höhe von rd. € 292.000,00 aus. Die Kosten für die Umsatzsteuernachzahlung von rd. € 1,3 Mio waren bereits dabei aufwandswirksam berücksichtigt worden. Zuschlüsse der Muttergesellschaft waren dabei nicht erfolgt. Dies ergibt sich aus den in den Akten das FA vorliegenden Jahresabschlüssen der BF. Für das gegenteilige Vorbringen der BF im Nachsichtsverfahren gibt es keine Belege.

In rechtlicher Hinsicht ist zum gegenständlichen Verfahren Folgendes auszuführen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können auf Antrag des Abgabepflichtigen fällige Abgabenschuldigkeiten ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Gemäß § 236 Abs. 2 BAO findet Abs. 1 auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.

Nach § 236 Abs 2 können auch bereits entrichtete Abgaben nachgesehen werden. Dies gilt auch für in Wertzeichen entrichtete Abgaben (RAE, § 236 Tz 10; Arnold/Arnold, Rechts­gebühren 9, § 3 Tz 53).

Die Rechtskraft der Abgabenvorschreibung ist nicht Voraussetzung für die Nachsicht (vgl RAE, Rz 1620, wonach es idR unzweckmäßig ist, vor Eintritt der Rechtskraft einem Nachsichtsbegehren zu entsprechen).

Für die Nachsicht entrichteter Abgaben ist an den Begriff der Unbilligkeit kein anderer (kein strengerer) Maßstab anzulegen als bei der Nachsicht noch nicht entrichteter Abgabenschulden ( ; 2.6.2004, 2003/13/0156; 25.10.2006, 2004/15/0150). (Ritz, BAO5, § 236, Tz. 7)

Bei diesem antragsgebundenen Verwaltungsakt trifft den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht ( ; 22.10.2002, 96/14/0059, 97/14/0091). Er hat somit „einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann“ (zB VwGH 10.5.2010, 2006/17/0289; 26.2.2013, 2010/15/0077; 27.6.2013, 2013/15/0173; 17.6.2013, 2010/16/0219).

Das Schwergewicht der Behauptungs- und Beweislast liegt beim Nachsichtswerber (zB VwGH 9.7.1997, 95/13/0243; 22.9.2000, 95/15/0090; 3.7.2003, 2002/15/0155; 20.5.2010, 2009/15/0008).

Daher hat nach der Rechtsprechung ( VwGH 25.11.2002, 97/14/0013; 29.6.2006, 2006/16/0007; 26.2.2013, 2010/15/0077) die Abgabenbehörde im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nur die vom Nachsichtswerber geltend gemachten Gründe zu prüfen. (Ritz, BAO5, § 236, Tz. 4)

Betrachtet man die von der BF vorgebrachten Gründe für eine Nachsicht, so ist zur Frage der sachlichen Unbilligkeit auszuführen, dass die BF im Wesentlichen darauf verweist, dass sie die Unbilligkeit darin erblicke, dass die BF den Vertrauensschutz des Art 7 Abs. 4 UStG 1994 nicht genieße weil ihr Mitarbeiter auch sie betrogen habe, während bei einem Betrug von „außen“ unter Einhaltung der Sorgfaltsbestimmungen die Vertrauensschutzregel gegriffen hätte.

Eine sachliche Unbilligkeit liegt – wie das FA im Erstbescheid zutreffend dargetan hat – dann vor, wenn bei richtiger Anwendung des Gesetzes im Einzelfall ein vom Gesetzgeber offensichtlich nicht beabsichtigtes Ergebnis eingetreten ist.

Hierzu ist nach Sicht des BFG zu sagen, dass die BF die Rechtslage insofern verkennt, als dies vergleichbare Sachverhalte betrifft, die zu unterschiedlichen rechtlichen Konsequenzen führen würden. Dies ist hier aber nicht der Fall. Wie die BF selbst zutreffend ausführt, muss sie sich das Verhalten ihres handlungsbevollmächtigten Abteilungsleiters zurechnen lassen. Die argumentativ immer wieder durchgeführte Trennung zwischen der „gutgläubigen Geschäftsleitung“ und dem dolosen Abteilungsleiter ist nicht möglich. Die BF hat sich als Körperschaft die Handlungen ihrer vertretungsbefugten Organe zurechnen zu lassen. Sie hat damit als Umsatzsteuersubjekt in der oben dargestellten Weise als Lieferant an Umsatzsteuerbetrugshandlungen teilgenommen.

Dagegen soll die Vertrauensschutzregelung des Art 7 Abs. 4 UStG einen gutgläubigen Lieferanten schützen, der trotz aller Sorgfaltsmaßnahmen von einem dolosen Kunden betrogen wird.

Damit liegen aber zwei unterschiedliche Sachverhalte vor, die zu unterschiedlichen rechtlichen Konsequenzen führen und kein offensichtlich nicht beabsichtigtes Ergebnis im Einzelfall. Vielmehr handelt es sich ganz allgemein um die Auswirkung genereller Normen ( VwGH 22.3.1995, 93/15/0072; 23.10.1997, 96/15/0154; 30.3.2000, 99/16/0099; 5.11.2003, 2003/17/0253; 30.9.2004, 2004/16/0151) die keine Unbilligkeiten iSd § 236 darstellen ( Stoll, BAO, 2421).

Dabei mag es durchaus sein, dass die leitenden Organe des Unternehmens getäuscht worden sind, wobei das BFG – wie oben dargestellt – nicht davon ausgeht, das die Geschäftsleitung alle den üblichen Sorgfaltsmaßstab treffenden Maßnahmen gesetzt hat. Dies betrifft zum Einen die höchst zweifelhaften Lieferanten großer Mengen von Mobiltelefonen ebenso wie die unübliche Barabwicklung der Geschäfte und die von der Prüferin dargestellten und vom BFG als erwiesen angenommenen Nachlässigkeiten bei der Überprüfung der ig. Lieferungen. Dazu kommt aus Sicht des BFG noch, die schlagartige Umsatzsteigerung von € 2,5 Mio auf € 26,5 Mio innerhalb eines Jahres ausschließlich auf Grund dieser Karussellbetrugsgeschäfte, auch wenn das FA – nach der damals geltenden Rechtslage - nur die Steuerfreiheit jener Lieferungen versagte, bei denen kein Ausfuhrnachweis erbracht werden konnte. Bei diesen Hinweisen ist eine Täuschung des „Unternehmens“ respektive der Geschäftsleitung wohl nur möglich, wenn es an der gebotenen Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers fehlt.

Um diese Sorgfalt einzuhalten hätte es aus Sicht des BFG gar nicht des „Wissens der Finanzbehörde nur aufgrund von Beweismitteln, die dem Unternehmen nicht zugänglich sind“ bedurft. Vielmehr sind bereits einzelne der oben angeführten Fakten ein Warnsignal, das umso stärker zu beachten ist, wenn die angeführten Fakten kumuliert auftreten.

Viel wesentlicher erscheint jedoch, dass die Frage des Verschuldens der Geschäftsführung zumindest auf der Ebene der sachlichen Unbilligkeit kein Beurteilungsmaßstab ist. Zudem ist es nicht mit Erfolg möglich, nun im Nachsichtsverfahren die Unrichtigkeit der – im Übrigen von der BF nicht bekämpften - Abgabenfestsetzung ins Treffen zu führen.

Auch eine persönliche Unbilligkeit durch die Gefährdung der weiteren Existenz des Unternehmens kann das BFG – unabhängig von den sehr allgemeinen Formulierungen der BF zu diesem Punkt - nicht erkennen. Dies ergibt sich nicht nur aus der im Einbringungsverfahren vorgelegten Zwischenbilanz zum sondern auch aus dem Umstand, dass die Nachsichtswerberin zum mit einem buchmäßig positiven Eigenkapital von rd. € 292.000,00 mit der Muttergesellschaft verschmolzen wurde. Zum letzten Regelbilanzstichtag war das Eigenkapital der BF trotz der Umsatzsteuervorschreibungen in Höhe von rd. € 1,3 Mio noch mit € 564.000,00 negativ gewesen. „Zuschüsse der Muttergesellschaft“ kann das BFG in den vorliegenden Jahresabschlüssen nicht erkennen, vielmehr hat die BF aus Eigenem binnen eines Jahres die aufwandswirksam erfassten Verluste aus der Nachbelastung an Umsatzsteuer wieder aufgeholt.

Da für die Entscheidung über ein Nachsichtsansuchen die Vermögens- und Einkommens­verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Ansuchen maßgebend sind (zB VwGH 26.6.2007, 2006/13/0103; 24.6.2010, 2008/15/0221; 17.11.2010, 2007/13/0135; 19.6.2013, 2010/16/0219) war eine Gefährdung der Existenz des Unternehmens durch die volle Berücksichtigung der Abgabennachforderung bereits aufgrund des vorliegenden Jahresabschlusses nicht mehr gegeben. Sie wäre – wie das FA in der mündlichen Verhandlung dargetan hat – auch bei der Rechtsnachfolgerin nicht gegegben.

Damit ist aber das gegenständliche Verfahren entschieden. Da bei der gegenständlichen Ausgangslage weder eine sachliche noch eine persönliche Unbilligkeit vorliegt, war die gegenständliche Beschwerde bereits aus diesen Gründen abzuweisen.

Auch wenn es somit für die Entscheidung dieser Beschwerde ohne Belang ist, darf darauf hingewiesen werden, dass der erkennende Senat auch insoweit den Ausführungen im Erstbescheid folgt, dass auch eine – im gegenständlichen Fall nicht anzuwendende -Ermessensübung in Abwägung der Interessen der BF und des Abgabengläubigers dem öffentlichen Interesse an der Einhebung von Abgaben den Vorrang einzuräumen hätte.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Wie oben dargestellt gründet sich die gegenständliche Entscheidung sowohl zur Frage des Vorliegens einer persönlichen Unbilligkeit als auch zur Frage des Vorliegens einer sachlichen Unbilligkeit auf die in der Begründung dargestellte einheiltiche Rechtssprechung des VwGH. Eine Revision gegen dieses Erkenntnis des BFG ist daher nicht zulässig.

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Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Unbilligkeit
ECLI
ECLI:AT:BFG:2017:RV.6100035.2006

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at