Studienwechsel zählen nicht, wenn das neue Studium im Ausland betrieben wird
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache BF, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Lilienfeld St. Pölten vom zu VNR001, mit dem der Antrag vom auf Gewährung der Familienbeihilfe für das Kind K (VNR002) für den Zeitraum ab September 2015 abgewiesen wurden, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Sachverhalt
Die Tochter der Beschwerdeführerin studierte an der Universität Wien ab Rechtswissenschaften (Diplomstudium), brach dieses Studium jedoch am ohne Abschluss ab. Die Beschwerdeführerin bezog für ihre studierende Tochter im Zeitraum Oktober 2013 bis Februar 2015 Familienbeihilfe.
Seit studiert die Tochter der Beschwerdeführerin European Law an der Universität in Maastricht.
Die Beschwerdeführerin beantragte daher am mittels Formblatt Beih 1 die Gewährung der Familienbeihilfe für ihre Tochter ab September 2015. Das Studium in Maastricht werde voraussichtlich drei Jahre dauern.
Das Finanzamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom ab. Nach einem Studienwechsel nach dem jeweils 3. inskribierten Semester (oder zweitem Ausbildungsjahr) bestehe Anspruch auf Familienbeihilfe erst dann, wenn die oder der Studierende in dem nunmehr gewählten Studium so viele Semester wie in den vor dem Studienwechsel betriebenen Studien zurückgelegt habe. Es seien daher alle Semester aus den vorherigen Studien, in denen Fortsetzungsmeldung vorgelegen sind und für die Familienbeihilfe bezogen wurde, in Bezug auf die Wartezeit bis zur Wiedergewährung der Familienbeihilfe für das neue Studium heranzuziehen.
Der Abweisungsbescheid wurde ohne Rückschein zugestellt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die als „Einspruch“ bezeichnete Beschwerde vom . Die Beschwerdeführerin führte aus, dass ihre Tochter am das Studium des Europarechts in Maastricht aufgenommen habe. Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG gelte die Aufnahme als ordentlicher Hörer als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. In Verbindung mit § 17 Abs. 1 Zif. 3 StudFG sei Familienbeihilfe zu leisten, sobald der Nachweis eines günstigen Studienerfolges geführt werde. Sie ersuche um Mitteilung, wie und ab wann dieser Nachweis bereits im ersten Studienjahr geführt werden könne. Der Abweisungsbescheid möge abgeändert werden. Abschließend führte die Beschwerdeführerin noch aus: „PS. Ihr Abweisungsbescheid ist uns während des Urlaubs zugestellt worden.“
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt diese Beschwerde als nicht fristgerecht eingebracht zurück. Feststellungen des Finanzamtes betreffend den Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheides sind nicht aktenkundig.
In dem als „Einspruch“ bezeichneten Vorlageantrag vom teilte die Beschwerdeführerin mit, dass ihr ein Nachweis der urlaubsbedingten Fristversäumnis aufgrund mangelnder Unterlagen nicht mehr möglich sei. Sie ersuche allerdings um Anrechnung der an der Uni Wien absolvierten Prüfung aus Rechts- und Verfassungsgeschichte, die ihrer Tochter für das Studium European Law in Maastricht im Ausmaß von 4 ECTS angerechnet worden sei. Dadurch werde die Wartefrist auf Neugewährung der Familienbeihilfe verkürzt.
Die Anrechnung dieser Prüfung wurde von der Beschwerdeführerin nachgewiesen und in einer weiteren Eingabe an das Finanzamt vom auch für die Gewährung der Familienbeihilfe urgiert. Die Beschwerdeführerin wies dabei darauf hin, dass ihre Tochter aufgrund einer Reihe positiv absolvierter Prüfungen bereits mehr Punkte (44) erreicht habe, als für die Zulassung zum zweiten Studienjahr erforderlich wären (40). In der vorgelegten Bescheinigung der Universität wird nicht nur die Anrechnung („Exemption“) der Prüfung aus Rechts- und Verfassungsgeschichte dokumentiert, sondern werden auch eine Reihe weiterer positiv abgelegter Prüfungen ausgewiesen.
Das Finanzamt teilte der Beschwerdeführerin dazu mit Schreiben vom folgendes mit:
„Ihre Tochter K hat mit das Diplomstudium Rechtswissenschaften an der Universität Wien begonnen u. dieses Studium mit abgemeldet. Wie bereits bei unserer am geführten Besprechung ausgeführt, liegt bei einem nach dem jeweils dritten inskribierten Semester durchgeführten Studienwechsel ein „schädlicher Studienwechsel" vor. Dieser „schädliche Studienwechsel" führt zu einer Sperre der Familienbeihilfe für 3 Semester. Das entspricht dem Familienbeihilfenbezugszeitraum des Vorstudiums. Werden im Folgestudium Vorstudien angerechnet, führt dies zu einer Verringerung des Sperrzeitraumes. Bei der Anerkennung von 1 bis 30 ECTS-Punkten kann die Sperrfrist um 1 Semester verkürzt werden. In Ihrem Fall wurde „Rechts,- und Verfassungsgeschichte" im Ausmaß von 4 ECTS-Punkten beim Studium „European Law" in Maastricht angerechnet. Damit gebührt die Familienbeihilfe für die Tochter K ab dem Beginn des Wintersemesters 2016. Bei den österreichischen Universitäten beginnt das Wintersemester ab . Sollte das Semester in der Universität Maastricht bereits im September beginnen, würde die Familienbeihilfe bereits ab zustehen. Bei der Antragstellung zur Gewährung der Familienbeihilfe ist ein Studiennachweis beizulegen.“
Abschließend teilte das Finanzamt der Beschwerdeführerin mit, dass der am eingebrachte Einspruch als Vorlageantrag gewertet werde. Die Beschwerdevorentscheidung, die mittels Zurückweisung wegen Fristüberschreitung abspreche, werde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Am legte das Finanzamt die gegenständliche Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.
Der Beschwerdeführerin wird laut Anmerkung in der Beihilfendatenbank seit September 2016 wieder Familienbeihilfe für ihre Tochter gewährt.
In einem Vorhalt des Bundesfinanzgerichtes vom , nachweislich zugestellt am , wurde die Beschwerdeführerin unter anderem um zeitliche Präzisierung ihrer urlaubsbedingten Abwesenheit im Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Abweisungsbescheides ersucht.
Die Beschwerdeführerin gab zu diesem Vorhalt keine Stellungnahme ab.
Beweiswürdigung
Der festgestellte und unstrittige Sachverhalt ergibt sich aus den zitierten Aktenteilen sowie den Anmerkungen in der Beihilfendatenbank.
Rechtslage und Erwägungen
1) Rechtzeitigkeit der Beschwerde
Gemäß § 243 BAO sind gegen Bescheide, die Abgabenbehörden erlassen, Beschwerden (Bescheidbeschwerden) an die Verwaltungsgerichte zulässig, soweit in Abgabenvorschriften nicht anderes bestimmt ist. Die Beschwerdefrist beträgt gemäß § 245 Abs. 1 BAO einen Monat.
Die Zustellung des angefochtenen Abweisungsbescheides vom erfolgte ohne Rückschein. Für diesen Fall ordnet § 26 Abs. 2 ZustellG an: Die Zustellung gilt als am dritten Werktag nach der Übergabe an das Zustellorgan bewirkt. Im Zweifel hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung von Amts wegen festzustellen. Die Zustellung wird nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.
Die Vermutung, wonach Zustellungen am dritten Werktag nach der Übergabe an die Post als bewirkt gelten, ist widerlegbar. Gegenteilige Behauptungen des Empfängers reichen, es sei denn, die Behörde kann die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung beweisen; die Beweislast trifft somit die Behörde (vgl. Ritz, BAO-Kommentar, § 26 ZustellG, Tz 3 mit zahlreichen Judikatur- und Literaturnachweisen). Die Zustellung gilt nicht am dritten Werktag, sondern erst am Tag nach der Rückkehr an die Abgabestelle als bewirkt, wenn der Empfänger im Zeitpunkt der Zustellung, etwa durch Einwurf in den Briefkasten, vorübergehend von der Abgabestelle (z.B. wegen Urlaubes) abwesend war (Ritz, a.a.O., Tz 4).
Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerde darauf hingewiesen, dass der angefochtene Bescheid während des Urlaubes zugestellt worden sei. In diesem Fall greift die Zustellfiktion des § 26 Abs. 2 ZustellG nicht, sondern wird die Zustellung erst mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam. Dieser Zustelltag konnte im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden, da die Beschwerdeführerin zum Vorhalt des Bundesfinanzgerichtes keine Stellungnahme abgegeben hat. In diesem Fall ist im Hinblick auf die die Abgabenbehörde bzw. das Bundesfinanzgericht gemäß § 26 Abs. 2 ZustellG treffende Beweislast von einer rechtzeitig eingebrachten Beschwerde auszugehen.
2) Familienbeihilfenanspruch nach Studienwechsel
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.
Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen , ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die in § 2 Abs. 1 lit. b zweiter bis letzter Satz FLAG normierten Voraussetzungen erfüllen; betreffend Studienwechsel verweist diese Bestimmung auf § 17 Studienförderungsgesetz (StudFG).
§ 3 StudFG führt ausschließlich in Österreich und Südtirol gelegene Bildungseinrichtungen an; eine ausländische Universität (hier jene in Maastricht) zählt damit nicht zu den in § 3 StudFG erwähnten Einrichtungen. Auf ein Studium an dieser Universität sind daher die Bestimmungen des § 2 Abs. 1 lit. b zweiter bis letzter Satz FLAG und § 17 StudFG nicht anzuwenden (Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, § 2 Tz 90).
Bei Aufnahme eines Studiums im Ausland kann daher – bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für eine Berufsausbildung im Sinne des FLAG – unabhängig von einem an sich beihilfenschädlichen Studienwechsel wieder Anspruch auf Familienbeihilfe bestehen (Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, § 2 Tz 108); Studienwechsel zählen nicht, wenn das neue Studium im Ausland betrieben wird ().
Der Verwaltungsgerichtshof hat für die Berufsausbildung – außerhalb des in § 2 Abs. 1 lit. b FLAG besonders geregelten Besuches einer Einrichtung im Sinne des § 3 StudFG – in ständiger Rechtsprechung eine Reihe von Kriterien entwickelt, um das Vorliegen einer Berufsausbildung im Sinne des FLAG annehmen zu können. Ziel einer Berufsausbildung ist es demnach, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Dabei muss das ernstliche und zielstrebige, nach außen erkennbare Bemühen um den Ausbildungserfolg gegeben sein. Das Ablegen von Prüfungen, die in einer Ausbildungsvorschrift vorgesehen sind, ist essenzieller Bestandteil der Berufsausbildung. Jede Berufsausbildung weist ein qualitatives und ein quantitatives Element auf: entscheidend ist sowohl die Art der Ausbildung als auch deren zeitlicher Umfang; die Ausbildung muss als Vorbereitung für die spätere konkrete Berufsausübung anzusehen sein und überdies die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen. Ob ein Kind eine Berufsausbildung absolviert, ist eine Tatfrage, die die Behörde in freier Beweiswürdigung zu beantworten hat (Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, § 2 Rz 35 mit zahlreichen Judikaturnachweisen).
Dass das von der Tochter der Beschwerdeführerin an der Universität in Maastricht betriebene und drei Jahre dauernde Studium European Law eine Berufsausbildung darstellt, bedarf keiner näheren Erörterung. Dieses Studium wurde im beschwerdegegenständlichen Zeitraum auch ernsthaft und zielstrebig betrieben. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus der Eingabe der Beschwerdeführerin vom , in der auf bereits abgelegte Prüfungen im Umfang von 44 Punkten hingewiesen wird sowie dem vorgelegten Prüfungsnachweis, in dem auch die Anrechnung der an der Uni Wien abgelegten Prüfung aus Rechts- und Verfassungsgeschichte dokumentiert wird.
Der Vollständigkeit halber wird noch bemerkt, dass gemäß § 5 Abs. 3 FLAG 1967 zwar kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder besteht, die sich ständig im Ausland aufhalten, wovon im Falle eines im Ausland betriebenen Studiums regelmäßig auszugehen ist. In diesem Zusammenhang bestimmt jedoch § 53 Abs. 1 FLAG 1967, dass der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten ist.
Da im gegenständlichen Fall somit alle Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe ab September 2015 vorliegen, war spruchgemäß zu entscheiden.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da im gegenständlichen Verfahren die entscheidungsrelevante Rechtsfrage, wann bei einem außerhalb einer Einrichtung im Sinne des § 3 StudFG betriebenen Studium eine Berufsausbildung vorliegt, bereits ausreichend durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist, und die Entscheidung von dieser Rechtsprechung nicht abweicht, ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 3 StudFG, Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 305/1992 § 17 StudFG, Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 305/1992 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2017:RV.5100843.2016 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at