Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 16.05.2017, RV/5101346/2016

Fahrtkosten im Zusammenhang mit den "Wochenendabholungen" des behinderten Sohnes als außergewöhnliche Belastung (Kosten der Heilbehandlung)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter_des_BFG über die Beschwerde des Bf, Adresse_1, vertreten durch Steuerberater_Name_1, Adresse_2, gegen den Bescheid des Finanzamtes vom betreffend Einkommensteuer 2014 (Arbeitnehmerveranlagung) zu Recht erkannt: 

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 279 BAO abgeändert.


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Bemessungsgrundlage
Abgabe
Jahr
Art
Höhe
Art
Höhe
2014
Einkommen
37.604,31 €
Einkommensteuer
Anrechenbare Lohnsteuer
10.582,32 €
-12.062,66 €
festgesetzte Einkommensteuer (Abgabengutschrift gerundet)
-1.480,00 €

Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen, welches einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses bildet.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

A) Verfahren vor dem Finanzamt (FA)

1. Arbeitnehmerveranlagung 2014
Mit Erklärung zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2014 machte der Beschwerdeführer (Bf) Aufwendungen aus dem Titel der Behinderung seines Sohnes als außergewöhnliche Belastung geltend.
Mit Erstbescheid vom anerkannte das FA den pauschalen Freibetrag iHv 3.144,00 € für die Mehraufwendungen für ein Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird.

1.1 Am erließ das FA einen Aufhebungsbescheid betreffend Einkommensteuer 2014 vom sowie einen neuen Einkommensteuerbescheid 2014, mit welchem der pauschale Freibetrag iHv 3.144,00 € nicht mehr gewährt wurde. Als Begründung führte das FA an, der Bf habe in seiner Erklärung zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung nicht bekannt gegeben, dass er für seinen Sohn Pflegegeld bezieht.

2. Dagegen wurde m it elektronischem Anbringen vom das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Der Bf stellte dazu die ihm tatsächlichen erwachsenen Kosten in Höhe von € 3.564,40 dar, welche er als außergewöhnliche Belastung wie folgt geltend machte.


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Unterhaltszahlung für die Heimunterbringung
 
178,00
12
2.136,00
Wochenendabholung und Rückfahrt:
 
 
 
 
232 km mal 40 Wochen
a 0,47 €
 
 
4.361,60
abzüglich Ersatz des Amtes der Landesregierung
 
 
 
-2.933,20
Summe
 
 
 
3.564,40

3. Mit Beschwerdevorentscheidung vom verwies das FA darauf, dass die Zahlungen für die Heimunterbringung von € 2.136,00 auf € 1.604,40 zu kürzen seien. Diesen Betrag berücksichtigte das FA als „tatsächliche Kosten aus der Behinderung eines Kindes“ als außergewöhnliche Belastung ohne Abzug eines Selbstbehalts.
Die Fahrtkosten für die Wochenendabholungen iHv 1.428,40 € wurden nur als allgemeine Krankheitskosten (4.361,60 KM-Geld abzüglich Ersatz durch das Amt der Landesregierung iHv 2.933,40 € – siehe Angabe des Abgabepflichtigen in der Beilage zur Beschwerde) berücksichtigt. Somit fanden Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen, von denen ein Selbstbehalt abzuziehen ist, keine Berücksichtigung, da sie den Selbstbehalt in Höhe von 5.040,97 € nicht übersteigen.

4. Am brachte der Bf einen Vorlageantrag ein. Die Anerkennung der Fahrtkosten als allgemeine außerordentliche Belastung (mit Selbstbehalt) anstatt als Kosten der Heilbehandlung bzw Hilfsmittel stelle eine Junktimierung dar, welche im § 35 EStG nicht vorgesehen sei und stelle daher eine unrichtige Rechtsauffassung der Finanzbehörde dar. Denn § 35 Abs 5 EStG sei nicht auf Kosten der Heilbehandlung bzw Hilfsmittel beschränkt.

5. Das FA legte die Beschwerde dem BFG zur Entscheidung vor. In seiner Stellungnahme hielt es der Ansicht der Beschwerde entgegen,

„dass die Verordnung des Bundesministeriums für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl 303/1996 die Bestimmungen des §§ 34 und 35 EStG 1988, BGBl 400 erläutert und sich die besagte Einschränkung daraus sinngemäß ergibt. Bei den Fahrtkosten für die Wochenendabholungen handelt es sich um keine im Zusammenhang mit einer Heilbehandlung stehenden Kosten, sodass diese nicht zwangsläufig erwachsen sind, auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass sie therapeutisch einen positiven Effekt erziele (vgl ). Es fehlt den Fahrtkosten somit an dem wesentlichen Merkmal der Zwangsläufigkeit und ist aufgrund dessen nicht in Form einer außergewöhnlichen Belastung abzugsfähig.
Aus den oben genannten Gründen wird beantragt, die Beschwerde vom abzuweisen.“

B) Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht (BFG)

1. Ermittlungsverfahren

1.1 Am wurde das FA wie folgt um eine Stellungnahme ersucht:

„Die Beschwerdevorlage stützt seine Rechtsansicht auf das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts (BFG) vom , RV/5100721/2013, wonach es sich bei Fahrtkosten für die Wochenendabholung eines behinderten Kindes um keine im Zusammenhang mit einer Heilbehandlung stehenden Kosten handle. Das Finanzamt (FA) geht jedoch davon aus, dass damit ein therapeutisch positiver Effekt erzielt werde.

Die Vorlage der Beschwerde an das BFG erfolgte am .

Mit Erkenntnis vom , E2556/2015 hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) das oben angeführte Erkenntnis des BFG aufgehoben. Der VfGH hat in seinem Erkenntnis ausgesprochen, dass Fahrtkosten für Wochenendabholungen eines behinderten Kindes der Erzielung eines positiven therapeutischen Effektes dienen und diese daher in gesetzeskonformer Interpretation zu den Kosten der Heilbehandlung gemäß § 4 der VO über außergewöhnliche Belastung rechnen.

Im gegenständlichen Beschwerdefall liegt – soweit aus den vorgelegten Akten ersichtlich - ein vergleichbarer Sachverhalt vor…“

1.2 Mit Schreiben vom gab das FA bekannt,

„dass Mehraufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Sonderschule bzw. Behindertenwerkstätte ohne Gegenverrechnung mit dem bezogenen Pflegegeld und ohne Berücksichtigung eines Selbstbehaltes als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen sind (siehe ).

Das Erkenntnis des ist aber im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da jedenfalls von keinem therapeutischen Effekt auszugehen ist. Für das Kind ist es von großem Nutzen wenn es nach Hause gebracht wird, therapeutische Leistungen können aber nur von hiezu geschulten Menschen bzw. Einrichtungen erbracht werden.
Aus diesen Gründen wird der Antrag auf Abweisung der Beschwerde aufrechterhalten.“

2. Festgestellter Sachverhalt:

Aufgrund der Behinderung des im Beschwerdejahr siebzehnjährigen Sohnes des Bf wurde Pflegegeld der Stufe 3 gewährt. Der behinderte Sohn wurde nach den Daten des AIS-DB7 der Finanzverwaltung im Beschwerdejahr während der Woche im Heilpädagogischen Zentrum Name_3 (in der Folge kurz: HPZ) betreut. Dem Bf steht erhöhte Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes (FLAG) 1967 zu. 

Den an den Heimträger zu zahlenden Betrag iHv 2.136,00 € jährlich kürzte das FA mit BVE vom um den als „Taschengeld“ bezeichneten Betrag iHv 531,60 € und anerkannte den Differenzbetrag iHv 1.604,40 € als außergewöhnliche Belastung ohne Abzug eines Selbstbehalts.

An Wochenenden wurde der behinderte Sohn vom Bf mit dem Pkw abgeholt und jeweils zu Wochenbeginn wieder ins HPZ gebracht. Die Wegstrecke für die Hin- und Rückfahrt beträgt 232 Kilometer. Der Bf errechnete als Fahrtaufwand für die Wochenendabholungen einen Betrag iHv 4.361,60 €. Nach Abzug des seitens der Landesregierung hierfür geleisteten Ersatzes iHv 2.933,20 € ergibt sich ein Betrag iHv 1.428,40 €, welchen der Bf aus diesem Titel als außergewöhnliche Belastung ohne Abzug eines Selbstbehalts geltend macht. Das FA hingegen stellte sich in der Begründung zur BVE auf den Standpunkt, dass es sich bei diesen Fahrtkosten um keine Kosten der Heilbehandlung bzw Hilfsmittel handle, weshalb diese Aufwendungen nur als allgemeine Krankheitskosten (unter Abzug eines steuerlichen Selbstbehalts) berücksichtigt werden könnten. Der Selbstbehalt wird im gegenständlichen Fall nicht überschritten, weshalb diese Aufwendungen keine steuerliche Berücksichtigung fanden.

3. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergaben sich widerspruchsfrei aus den vom FA vorgelegten Akten bzw dem AIS-DB7 und andererseits aus dem Ergebnis der durchgeführten ergänzenden Ermittlung des BFG. Der oben dargestellte Sachverhalt, insbesondere die Tatsache der Behinderung des Sohnes, die Unterbringung im HPZ und die Höhe der Aufwendungen für die „Wochenendabholungen“ sind ausreichend dokumentiert und nicht strittig.

Uneinigkeit besteht zwischen den Parteien des Beschwerdeverfahrens ausschließlich darüber, ob die Fahrtkosten im Zusammenhang mit den „Wochenendabholungen“ als "Kosten der Heilbehandlung" zu qualifizieren und somit als außergewöhnliche Belastung mit oder ohne Selbstbehalt steuerlich zu berücksichtigen sind.

4. Rechtsgrundlagen und rechtliche Beurteilung

4.1 Gesetzliche Grundlagen

§ 34 EStG 1988, BGBl. Nr. 400/1988 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 112/2012 lautet auszugsweise: 

"§ 34. (1) Bei der Ermittlung des Einkommens (§2 Abs 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind nach Abzug der Sonderausgaben (§18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muß folgende Voraussetzungen erfüllen:

1. Sie muß außergewöhnlich sein (Abs 2).

2. Sie muß zwangsläufig erwachsen (Abs 3).

3. Sie muß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs 4).

Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.

(2) Die Belastung ist außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.

(3) Die Belastung erwächst dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

(4) bis (5) […]

§ 34 Abs 6 EStG lautet auszugsweise:

Folgende Aufwendungen können ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden: [...]

- Aufwendungen im Sinne des § 35, die an Stelle der Pauschbeträge geltend gemacht werden (§ 35 Abs. 5) […].

Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs 3 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind.

§ 35 Abs 5 EStG lautet:

Anstelle des Freibetrages können auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden (§ 34 Abs 6).

Die auf die §§ 34 und 35 EStG 1988 gestützte Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. 303/1996, idF BGBl. II 91/1998, bzw BGBl. II Nr. 430/2010 (in der Folge kurz als „VO“ bezeichnet) ordnet - auszugsweise -Folgendes an:

[…]

§ 4 Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (z.B. Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung sind im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.

Gemäß § 5 Abs 1 VO idF BGBl I 416/2001 sind Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für unterhaltsberechtigte Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes (FLAG) 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten mit monatlich 262 Euro vermindert um die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) zu berücksichtigen. Nach Abs. 3 sind zusätzlich zum (gegebenenfalls verminderten) Pauschbetrag nach Abs. 1 auch Aufwendungen gemäß § 4 sowie das Entgelt für die Unterrichtserteilung in einer Sonder- oder Pflegeschule oder für die Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte im nachgewiesenen Ausweis zu berücksichtigen.

4.2 Rechtliche Beurteilung

Dem Bf steht erhöhte Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes (FLAG) 1967 zu. Dies hat zur Folge, dass statt des Freibetrages nach § 35 Abs 3 EStG 1988 der Freibetrag nach § 5 VO zur Anwendung kommt.

Nach § 5 VO sind „Mehraufwendungen“ ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten mit einem Pauschbetrag von 262 € monatlich zu berücksichtigen, der allerdings für Monate des Bezuges einer pflegebedingten Geldleistung zu kürzen ist (; LStR, § 35 Rz 857; Jakom/Baldauf EStG, 2015, § 35 Rz 28). Dies bedeutet, dass die pflegebedingten Geldleistungen vom Pauschbetrag abzuziehen sind, was bei – den Pauschbetrag übersteigenden – pflegebedingten Geldleistungen zu einer Kürzung bis Null führt.

Eine Kürzung um die pflegebedingten Geldleistungen kann nur dann erfolgen, wenn die Kostenersätze mit den Aufwendungen in ursächlichem Zusammenhang stehen (vgl. -I/07). Entscheidend ist, ob die Aufwendungen durch den immanenten Leistungszweck des Ersatzes abgedeckt sind ().

Der immanente Leistungszweck des Pflegegelds ergibt sich aus der Widmung durch den Gesetzgeber. Nach § 1 BPGG verfolgt das Pflegegeld den Zweck, in Form eines Beitrages „pflegebedingte Mehraufwendungen“ pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen. Das Pflegegeld soll dazu beitragen, dass pflegebedürftige Personen Pflegeleistungen „einkaufen“ können (zB ). Das Pflegegeld stellt eine zweckgebundene Leistung zur teilweisen Abdeckung der pflegebedingten Mehraufwendungen dar und keine Einkommenserhöhung. Da die tatsächlichen Kosten für die Pflege das Pflegegeld in den meisten Fällen übersteigen, kann das Pflegegeld nur als pauschalierter Beitrag zu den Kosten der erforderlichen Pflege verstanden werden. Es ermöglicht pflegebedürftigen Menschen eine gewisse Unabhängigkeit (-I/07).

Im gegenständlichen Fall war der minderjährige Sohn des Beschwerdeführers während der Woche im HPZ mit Vollbetreuung untergebracht. Der Anspruch auf das – den Pauschbetrag übersteigende – Pflegegeld ist für die Dauer der Unterbringung auf den Kostenträger übergegangen. Die Anrechnung des Pflegegeldes auf den Pauschbetrag hat unabhängig vom Anspruchsübergang dennoch stattzufinden.

Nach § 5 Abs 3 VO sind zusätzlich zum (gegebenenfalls verminderten) Pauschbetrag nach Abs 1 auch Aufwendungen gemäß § 4 sowie das Entgelt für die Unterrichtserteilung in einer Sonder- oder Pflegeschule oder für die Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte im nachgewiesenen Ausweis zu berücksichtigen

Der Beschwerdeführer hat unter diesem Titel die Anerkennung von Unterbringungs- und Betreuungskosten, sowie Fahrtkosten im Zusammenhang mit den Wochenendabholungen als außergewöhnliche Belastung beantragt.

Kosten der Heilbehandlung (§ 4 VO) sind Kosten für den Arzt, das Spital, ärztlich verordnete Kuren, Therapien, Medikamente, sofern sie mit der Behinderung in Zusammenhang stehen (Jakom/Baldauf EStG, 2015, § 35 Rz 27); weiters dabei anfallende Fahrt- bzw. Transportkosten im tatsächlichen Ausmaß bzw. in Höhe des amtlichen Kilometergelds bei Verwendung des (familien)eigenen Kfz, und zwar gegebenenfalls auch neben einem Pauschbetrag gemäß § 3 Abs. 1 VO (). Nicht als Kosten der Heilbehandlung sind Aufwendungen anzusehen, die regelmäßig durch die Pflegebedürftigkeit verursacht werden, wie Kosten für Pflegepersonal, Bettwäsche, Verbandsmaterialien usw. Diese Kosten werden durch das Pflegegeld abgegolten (LStR, § 35 Rz 851).

Entsprechend den oben zitierten Bestimmungen gewährte das Finanzamt die um das „Taschengeld“ gekürzten Unterhaltszahlungen an das HPZ iHv 1.604,40 € als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt. Nach Ansicht des Gerichts ist diese Beurteilung zutreffend.

Zusätzlich machte der Bf die Kosten für die Fahrten mit dem Pkw zwischen dessen Hauptwohnsitz und dem HPZ („Wochenendabholungen“) iHv 1.428,40 € geltend.

Ebenfalls Kosten für Wochenendheimfahrten eines behinderten Sohnes hat das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom , RV/5100721/2013 als nicht im Zusammenhang mit einer Heilbehandlung stehend als nicht zwangsläufig erwachsen erachtet. Auf dieses Erkenntnis hat das FA anlässlich der Vorlage der gegenständlichen Beschwerde an das BFG bei vergleichbarem Sachverhalt hingewiesen.

Der Verfassungsgerichtshof hat diese Entscheidung mit Erkenntnis vom , E2556/2015 wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz aufgehoben und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:

„Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

Ein solcher Fehler ist dem Bundesfinanzgericht unterlaufen:

Gemäß § 5 Abs 3 VO über außergewöhnliche Belastungen sind zusätzlich zum (gegebenenfalls verminderten) Pauschbetrag nach Abs 1 (Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für unterhaltsberechtigte Personen, für die gemäß § 8 Abs 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird) auch Aufwendungen gemäß § 4 (nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel und Kosten der Heilbehandlung) sowie das Entgelt für die Unterrichtserteilung in einer Sonder- oder Pflegeschule oder für die Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.

Das Bundesfinanzgericht führte hinsichtlich der Nichtanerkennung der geltend gemachten Fahrtkosten zwischen der Behinderteneinrichtung „A“ (Nebenwohnsitz) und dem Elternhaus des Sohnes des Beschwerdeführers (Hauptwohnsitz) wörtlich aus:

Zusätzlich machte der Beschwerdeführer Fahrtkosten für 3.500 km (40 Fahrten á 25 km zwischen Haupt- und Nebenwohnsitz seines Sohnes) geltend. Bei diesen Fahrten handelt es sich jedoch um keine im Zusammenhang mit einer Heilbehandlung stehenden Kosten, sodass diese nicht zwangsläufig erwachsen, auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass sie therapeutisch einen positiven Effekt erzielen. Sie sind daher als außergewöhnliche Belastung nicht abzugsfähig.
In dem in diesem Zusammenhang vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Erkenntnis () hat der Verwaltungsgerichtshof neben den Kosten des Besuches einer Sonderschule auch die Fahrtkosten zur Sonderschule als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Der diesem Erkenntnis zu Grunde liegende Sachverhalt ist jedoch auf den gegenständlichen Fall nicht anwendbar. Der Sohn des Beschwerdeführers lebt unter der Woche in einem Wohnheim für beeinträchtig[t]e Menschen und ist dort in die Tagesstruktur (Fähigkeitsorientierte Aktivität) eingebunden. Es erfolgen von dort keine Fahrten zu einer Sonder- bzw. Pflegeschule oder einer Behindertenwerkstätte.‘

Das Bundesfinanzgericht geht in seiner Begründung somit davon aus, dass die Fahrten zwischen Haupt- und Nebenwohnsitz weder zwangsläufig noch außergewöhnlich seien, da sie nicht außerhalb des Üblichen lägen, fielen doch auch bei nicht behinderten Personen derartige Kosten an. Auch erfolgten keine Fahrten zu einer Sonder- bzw. Pflegeschule oder einer Behindertenwerkstätte.
Damit verkennt das Bundesfinanzgericht die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insofern, als der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , 2007/15/0309, Mehraufwendungen für Fahrtkosten zu einer Sonderschule im Hinblick auf die Behinderung des Kindes als außergewöhnliche Belastungen anerkennt, und vor dem Hintergrund, dass sie vom gesetzlich formulierten Zweck des Pflegegeldes nicht erfasst sind, diese ohne Gegenverrechnung mit dem Pflegegeld gemäß §5 Abs 3 der VO über außergewöhnliche Belastungen in voller Höhe zum Abzug zulässt. Diese Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes gründet auf der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach Aufwendungen, bei denen die in § 34 Abs 6 EStG 1988 vorgesehene Anrechnung von Pflegegeld besonders widersinnig und daher unsachlich wäre, erst durch die gesetzeskonforme Anwendung der VO über außergewöhnliche Belastungen von der Gegenverrechnung mit dem Pflegegeld ausgenommen werden (VfSlg 16.839/2003).
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung sind aber Fahrtkosten für ein behindertes Kind für den Besuch einer Sonder- oder Pflegeschule als außergewöhnliche Belastungen iSd § 5 Abs 3 der VO über außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen. Gleiches gilt für Fahrtkosten anlässlich der Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte. Sofern Kosten für ein Wohnheim mit "Tagesstruktur (Fähigkeitsorientierte Aktivität)" nicht als für eine Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte anfallend qualifiziert werden können – von letzterem geht das Bundesfinanzgericht ohne weitere Ermittlungen und Sachverhaltsfeststellungen zum Inhalt der Tätigkeit im Rahmen einer Tagesstruktur mit "Fähigkeitsorientierter Aktivität" aus – rechnen Fahrtkosten, die, wie im vorliegenden Fall, der Erzielung eines positiven therapeutischen Effektes dienen, in gesetzeskonformer Interpretation zu den Kosten für die Heilbehandlung gemäß §4 der VO über außergewöhnliche Belastungen (vgl. nochmals VfSlg 16.839/2003 und ).“

Nach Ansicht des Gerichts liegt dem zitierten Erkenntnis des VfGH ein Sachverhalt zu Grunde, welcher mit dem beschwerdegegenständlichen Sachverhalt vergleichbar ist. In beiden Fällen haben Wochenendfahrten zwischen einer Behinderteneinrichtung und dem Hauptwohnsitz des behinderten Sohnes stattgefunden. Die Tatsache des vergleichbaren Sachverhalts wurde dem FA unter anderem mitgeteilt und dieses um Stellungnahme ersucht. Das FA hat mit Stellungnahme vom dagegen keinen Einwand erhoben, allerdings in rechtlicher Hinsicht auf das Erkenntnis des hingewiesen. Dieses Erkenntnis betrifft jedoch im Wesentlichen die steuerliche Behandlung von Aufwendungen für die täglichen Fahrten der behinderten Tochter zur Schule und ist daher auf den gegenständlichen Fall nicht anwendbar. Das FA  betont weiters, dass das Erkenntnis des im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, da jedenfalls von keinem therapeutischen Effekt auszugehen sei. Für das Kind sei es von großem Nutzen wenn es nach Hause gebracht wird, therapeutische Leistungen könnten aber nur von hiezu geschulten Menschen bzw. Einrichtungen erbracht werden.

Im zuletzt zitierten Erkenntnis hat der VfGH jedoch ausdrücklich festgehalten:

„…….. Fahrtkosten, die, wie im vorliegenden Fall, der Erzielung eines positiven therapeutischen Effektes dienen, [rechnen] in gesetzeskonformer Interpretation zu den Kosten für die Heilbehandlung gemäß § 4 der VO über außergewöhnliche Belastungen (vgl. nochmals VfSlg 16.839/2003 und ).“

Unter Beachtung der zitierten Judikatur des VfGH rechnen somit auch die im gegenständlichen Fall durchgeführten Fahrten im Zusammenhang mit den Wochenendabholungen des behinderten Sohnes in gesetzeskonformer Interpretation zu den Kosten für die Heilbehandlung gemäß § 4 der VO über außergewöhnliche Belastungen.

Das FA hat zwar den Standpunkt vertreten dass im vorliegenden Fall „jedenfalls von keinem therapeutischen Effekt auszugehen sei“, weil therapeutische Leistungen nur von hierzu geschulten Menschen bzw Einrichtungen erbracht werden könnten. Wie oben dargestellt, steht dem aber die klare Aussage des VfGH zur steuerlichen Behandlung von Fahrtkosten für Wochenendabholungen eines behinderten Kindes als Kosten der Heilbehandlung gemäß § 4 der VO über außergewöhnliche Belastungen entgegen.

Die geltend gemachten Fahrtkosten iHv 1.428,40 € sind somit als Kosten für die Heilbehandlung gemäß § 4 der VO über außergewöhnliche Belastungen ohne Kürzung um den Selbstbehalt anzuerkennen. Der angefochtene Bescheid war daher dementsprechend abzuändern.

5. Zulässigkeit der Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts ist die Revision zulässig, wenn das Erkenntnis von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

Das gegenständliche Erkenntnis stützt sich – bei vergleichbarem Sachverhalt – auf das Erkenntnis des und folgt bei der rechtlichen Beurteilung der dort geäußerten Rechtsmeinung. Daraus ergibt sich zwingend, dass das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine Revision war daher nicht zuzulassen.

Beilage: Berechnungsblatt (Einkommensteuer 2014)

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2017:RV.5101346.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at